Rezension: Roman Ehrlich – Urwaldgäste (DuMont 2014)

Nach seinem hochgelobten Romandebüt “Das kalte Jahr” (2013) legt der junge deutsche Autor Roman Ehrlich nun mit dem zehn Texte umfassenden Erzählband “Urwaldgäste” nach. Mysteriös und beklemmend erscheinen hier die Phänomene des ganz normalen Alltags, einsam und verlassen die Protagonisten, die diesen Alltag zu bestreiten gezwungen sind…

urwald

Die zentrale Erzählung des Bandes heisst “Die Intelligenz der Pflanzen (Naturtreue)”, ist 88 Seiten lang und wurde in zwei Teile aufgeteilt. Ihr Protagonist Arne Heym arbeitet für eine Firma, die künstliche Pflanzen herstellt. Glücklich ist er dabei nicht. Als er per Zufall im Internet auf die Anzeige einer mysteriösen Firma namens ‘Agentura Lateralis – Alternative Realitäten’ stösst, die mit dem Slogan “LASSEN SIE SICH TÄUSCHEN!” (Das klingt schon arg nach Hesses ‘Steppenwolf’, was?) wirbt, entscheidet er sich, deren Kunde zu werden. Er lässt sich ein Programm gestalten, um der Langeweile des Alltags zu entgehen – und bald schon ist nicht mehr klar, welches die ‘echte’ und welches die ‘alternative’ Realität ist…

Wie auch in vielen anderen der hier versammelten Erzählungen begegnen wir einem Alleinegelassenen, einem Menschen, der sich nicht auf enge zwischenmenschliche Beziehungen stützen kann und deshalb verloren wirkt in einer Welt, die er nicht versteht. Der Fokus vieler Texte liegt auf der Unbegreiflichkeit der Dingedie uns umgeben und ein undurchschaubares System bilden, das unseren Alltag durchwirkt. Im Text “Das Theater der Dinge” sagt ein Schauspieler:

“‘Wir haben all diese Dinge produziert, ohne uns zu fragen, ob wir mit ihnen leben wollen. Das müssen wir aber jetzt.'”

Dieser Ausspruch ist programmatisch für die zivilisationskritische Ader, die viele der Texte prägt. Die Verlorenheit des Individuums inmitten unbegriffener Dinge der Arbeits-, Privat- oder Mediensphäre. In den Texten wimmelt es vor Menschen, die durch die Welt irren und sich Einblicke in “eine übergeordnete Mechanik” der Dinge erhoffen. Oder auch die Chance, aus dieser erzwungenen Welt auszubrechen, so wie dies der oben erwähnte Arne Heym versucht. In “Ein Gesuch” fragt sich einer:

“(Was) wenn tief in mir drin ein anderer als der, der ich aussen sein muss, hockt und leidet.”

Während thematisch also gewisse übergeordnete Mechaniken zu erkennen sind, stellen die Texte Figuren und Geschichten nebeneinander, die scheinbar ohne Zusammenhang sind. Es bleibt der Fantasie der Leser überlassen, Zusammenhänge herzustellen. Am eindrücklichsten geschieht dies in der fantasievollen Erzählung “Die Seekuh Tiffany”, die einerseits eine im Zoo gehaltene Seekuh präsentiert, die unerklärlicherweise eines Tages ein Kassettenradio ausspuckt, andererseits den Innenarchitekten Lappert, der sich mit seiner Frau auf Südamerikareise befindet…

Roman Ehrlich (*1983) hat für seine Texte eine adäquate Sprache entwickelt, die ihre beklemmende Wirkung unter anderem mit exakten Beschreibungen der Vorgänge zu erzeugen weiss, die wir gemeinhin als banal, trivial, alltäglich bezeichnen würden. Gerade in diesem Umfeld erdrückender Bürolangeweile, einsamer Einzimmerwohnungsabende oder säuerlich riechender Wäschestapel eröffnet sich Spielraum für die grossen existenziellen Abgründe des Daseins in unserer hochtechnisierten Zeit. Obschon nicht alle Texte qualitativ gleich gehaltvoll sind, ist “Urwaldgäste” eine anregende Lektüre und Roman Ehrlich eine zeitgemässe Stimme der deutschen Literatur, die hoffentlich in Zukunft noch mehr von sich hören lassen wird.

Ehrlich, Roman. Urwaldgäste. Erzählungen. Köln: DuMont Buchverlag 2014. 272 S., gebunden m. Schutzumschlag. ISBN 978-3-8321-9753-7.


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