|Rezension| "Dornenherz - Jedem Ende wohnt ein Anfang inne" von Jutta Wilke




Heute vor einem Jahr habe ich gelernt, dass man sterben kann, ohne tot zu sein.
Nachdem ihre Schwester Ruth bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, ist für Anna nichts mehr wie es war - in dem Meer aus Schuldgefühlen und Trauer verliert sie sich jeden Tag ein bisschen mehr, während sie fieberhaft versucht, ihren Eltern und dem ehemaligen Freund ihrer Schwester die verstorbene Ruth zu ersetzen. Als sie das erste Mal seit Langem wieder versucht zu zeichnen und dabei auf dem Friedhof einer schwarzen Katze hinterherläuft und in einen versteckten Teil des Friedhofs gerät, entdeckt sie in einem Beet voller weißer Rosen die Statue eines wunderschönen Engels. Mit dem Fund ihres Rosenengels beginnt Annas Leben sich zu wenden, denn in dem Meer aus Rosen und in einer alten Liebesgeschichte findet sie nicht einen besonderen Jungen, sondern langsam auch sich selbst wieder.
Jutta Wilkes Worte lassen die Bilder, die sie erschaffen, nur so tanzen. Ihr Schreibstil ist voller Wärme und Magie und erzählt bildhaft und eindringlich von einer ganz besonderen Geschichte. Dabei erschafft sie eine solch dichte und zauberhafte Atmosphäre, das man nicht anders kann, als sich in ihren Worten zu verlieren. Wilke gelingt es derart viele glaubwürdige Emotionen in ein so dünnes Buch zu pressen, ohne dass es überfüllt oder unverständlich wirkt, das ich das Buch kaum zur Seite legen konnte und das ist nur eines der Dinge, die dieses Buch so lesenswert und schön machen. Wer kann schließlich von sich behaupten über Rosen und Engel schreiben zu können, ohne dabei auf eine billige Art und Weise kitschig zu werden? Jutta Wilke gelingt dieser riskante Spagat und schreibt poetisch ohne zu kitschig oder blumig (und das obwohl sich die Rosenmetapher durch das ganze Buch zieht!) zu werden. Eine sanft erzählte Geschichte, die mich unter anderem wegen dem ergreifenden Schreibstil so gefesselt hat.
Es gibt Bücher, bei denen glaubt man schon zu wissen, wohin die Geschichte führen wird, in welches Genre sie letztendlich mündet und wie die Auflösung letztendlich sein könnte. Dann gibt es Bücher, bei denen sich diese Befürchtungen auch tatsächlich bewahrheiten und eben solche Bücher, bei denen man komplett falschliegt - "Dornenherz" gehört zur zweiten Kategorie Buch, denn bevor ich es gelesen habe, hatte ich tausende Vorurteile und irgendwie auch schon ein vorgefestigtes Bild von der Geschichte, deren Klappentext derart durchschaubar klingt. So durchschaubar das Buch auf mich auch wirkte, ebenso überraschend kam dann die Erkenntnis, dass "Dornenherz" keine stereotypische Romantasygeschichte ist - wie ich es fälschlicherweise immer angenommen hatte -, sondern ein einfühlsames Jugendbuch, das kaleidoskopartig parallel zwei Geschichten erzählt, die irgendwann auf eine ganz besondere Art zusammenkommen und in unglaublich kurzen zweihundert Seiten sensible Themen wie Verlust, Schuld und Trauerbewältigung ver- und aufarbeitet.

"Dornenherz" wirkt erst wie ein Puzzle, bei dem man immer wieder Teile in der Hand hält, die nicht zusammenpassen, die letztendlich aber untrennbar miteinander verwoben sind und ein wunderschönes Mosaik ergeben. Neben der Hauptgeschichte um Anna und ihre verstorbene Schwester erzählt Jutta Wilke nämlich auch die der Johanna, die im 19. Jahrhundert lebt. Beide Geschichten klingen erst sehr unterschiedlich, weisen nach und nach aber immer mehr Parallelen auf, die letztendlich eine besondere Geschichte ergeben. Was es damit allerdings genau auf sich hat, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten - nur so viel: die Entdeckung der verschiedenen Geschichten lohnt sich und geht unter die Haut! Die Aufteilung und den Aufbau der Geschichten fand ich sehr angemessen, so nimmt die Geschichte um Johanna nur einen kleinen und hintergründig aber auch gleichzeitig einen sehr wichtigen Teil ein. Im Vordergrund stehen Anna und ihre Gefühle, die sehr detailliert und bildhaft beschrieben sind, anfangs womöglich ein wenig unverständlich erscheinen, sich gegen Ende aber immer mehr erklären.

Zu Beginn fiel es mir nämlich schwer Anna durch und durch zu verstehen. Sie war mir zwar von Anfang an sympathisch und ich konnte ihre Emotionen auch nachempfinden, aber ihre tiefen Schuldgefühle und die Masken, die sie sich aufsetzt, waren mir ein Rätsel. Es wirkt einfach ein wenig überzogen und klärt sich erst zum Ende hin auf eine verständliche Art und Weise auf. Ihr innerer Konflikt zwischen dem, was sie will und dem, was sie in ihren Augen darf, und der damit zusammenhängende Selbstfindungsprozess, war beeindruckend und tiefgehend, hat aber auch oft dafür gesorgt, dass man Anna schütteln und wachrütteln will. Ein wenig kurz kommt leider das Kennenlernen zwischen Anna und Phil, dem sie auf dem Friedhof begegnet. Hier ist es zwar kein typischer Fall von sofortiger Liebe, aber Wilke hätte den Figuren gerne mehr Zeit lassen können um einander kennen und lieben zu lernen. Zwar war es auf der einen Seite verständlich, dass Anna so schnell Gefühle entwickelt (im Hinblick auf ihre Lage eben), andererseits wirkte das Aufeinandertreffen ein wenig haltlos und die Liebe zu schnell und platt. Das ist aber auch das Einzige, was ich Negatives über dieses Buch sagen kann!

Ansonsten kann ich nämlich nur sagen, dass ich beeindruckt und gefangen bin (noch immer) von Jutta Wilkes Worten und dieser starken Geschichte, die trotz kleiner Schwächen, einen deutlichen Nachhall hat. Die Zusammenkunft von den verschiedenen Themen wie Schuld, Trauer, Verlust und Selbstfindung im Zusammenhang mit den beiden berührendenen Liebes- und Lebensgeschichten war einfach herzerwärmend, melancholisch und zauberhaft und hätte gut und gerne noch zweihundert Seiten mehr umfassen können. Neben der etwas zu schnellen Liebe und der kurzen Seitenzahl stimmt nämlich einfach alles: die Rosen-Metapher, die sich durch das ganze Buch zieht und auch in Form von kleinen Rosengedichten an jedem Kapitelanfang besticht, die verschiedenen Zeitebenen, die miteinander verschmelzen, der Gefühlstransport und die Protagonistin, die trotz oder gerade wegen ihrer Schwächen eine sehr starke Figur ist, mit der man sich gerne identifiziert.
Nicht nur Anna muss tauchen, wenn sie sich selbst finden will, auch der Leser muss in diese besondere Geschichte eintauchen, sich fallen und tragen lassen - und das fällt bei Jutta Wilkes wunderschönen Schreibstil besonders leicht. Auf zwei Zeitebenen, einer berührenden Geschichte und einer starken Protagonistin erzählt dieses Buch vom Loslassen und der Selbstfindung und verbindet den Tod und das Leben auf eine ganz besonders einfühlsame und sensible Art und Weise. Kleine Schwächen verzeiht man gerne, auch wenn das Buch ruhig noch länger hätte sein können - Längen gab es nämlich überhaupt keine, ganz im Gegenteil: zwischenzeitlich habe ich mir gewünscht, dass "Dornenherz" noch viel mehr Seiten hat. Ich kann das Buch uneingeschränkt jedem empfehlen, der eine sanfte und schöne, aber gleichzeitig auch melancholische und tiefgehende Geschichte sucht, die sich nicht an den typischen Klischees orientiert. Eintauchen garantiert!

Jutta Wilke, geboren 1963 in Hanau am Main, wollte während der Grundschulzeit zunächst Zoodirektorin werden. Der heiß ersehnte Bio-Unterricht auf dem Gymnasium erwies sich jedoch als todsterbenslangweilig. Den Zoodirektor hakte sie deshalb ab. Dafür begeisterten sie Bücher immer mehr. Und das Schreiben erst recht. Völlig aus Versehen studierte sie nach dem Abitur allerdings Jura. 1988 machte sie zunächst das erste Staatsexamen und heiratet noch im gleichen Jahr. [...] Sie bekommt fünf Kinder, arbeitet 12 Jahre als Anwältin, wird geschieden bis schließlich das Gefühl kommt: Es reicht. Sie will endlich das machen, was sie am besten kann: Schreiben. So erscheinen 2008 erste Veröffentlichungen kleiner Auftragsarbeiten. Sandmännchen, Adventskalender und Geschenkbüchlein. Nebenher arbeitete sie an ihrem ersten Roman, der schließlich 2011 im Coppenrath Verlag erschien. [via Coppenrath]

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