Review | Mad Max: Fury Road — Dieser Film wird Geschichte schreiben

Mad Max Fury Road movie Poster

Quelle: Tumblr

Manchmal ist es eine gute Idee, ohne irgendwelche Vorkenntnisse über einen Film und ohne irgendwelche Erwartungen an ihn ins Kino zu gehen. Ersteres, weil man mehr überrascht werden kann und letzteres, weil die Überraschung dann umso intensiver ausfällt, sei sie positiv oder negativ. Im Fall von Mad Max: Fury Road kannten wir nur den schon sehr spektakulären Trailer. Und wenn man samstagabends um elf mal nichts vor hat, dann ist Kino immer gut. Und Spätvorstellungen sind sowieso immer besser. Also sprachen die Rahmenparameter sehr für den Erfolg des Abends.

Ein paar Bedenken hatte ich, als ich zuvor sah, dass es sich um einen 3D-Film handelt. Wie bei anderen Kinobesuchen auch, würde ich immer eine normale Vorstellung einer in 3D vorziehen: Erstens wegen der überflüssigerweise teureren Eintrittspreise, zweitens weil ich bei den drei Filmen, welche ich mit Brille sah, durch die dritte Dimension einfach null Mehrwert erkennen konnte. In diesem Fall ging das mangels Angebot jedoch nicht. “Dann eben so”, dachten wir uns. Und Apropos Brille, die muss man ja scheinbar neuerdings auch noch dazu kaufen. Ärgerlich, aber dafür hat man wenigstens ein todschickes Nasenfahrrad für die nächsten Kinofilme. Dazu sind wir auch in der Regel eher vorsichtig, wenn ein Film vorab schon so einen Hype erlebt. Da aber gefühlt alle  Bewohner des Internets völlig aus dem Häuschen waren, musste ja irgendwas dran sein. Nun denn, ab in den Saal, ein Bierchen geöffnet und das Spektakel kann losgehen. Und bevor ich ins Detail gehe sei gesagt, Mad Max: Fury Road ist mit Sicherheit einer der rasantesten, wahnsinnigsten und bemerkenswertesten Actionfilme der letzten Dekade. Ich behaupte sogar: Dieser Film wird Geschichte schreiben und viele, wenn nicht alle, zukünftigen Hollywood-Produktionen beeinflussen. Er hat das Zeug dazu, ein grundsätzliches Umdenken über gewohnte Storylines, Charakter-Rollenklischees und Wertgrundsätze einzuleiten. Warum? Ich sag’s Euch.

Tom Hardy Mad Max Fury Road

Tom Hardy alias Max | Quelle: Tumblr

Nach so viel Meinungsmache jetzt mal zum eigentlichen Film. Mad Max: Fury Road ist das dritte Sequel des im Jahr 1979 gedrehten ersten Mad Max, damals mit Mel Gibson in der Hauptrolle¹. Es geht um eine post-apokalyptische Vision der Erde nach dem Zusammenbruch des Ökosystems und der einhergehenden völligen Austrocknung aller Kontinente. Man weiß nicht genau wann und wo die Handlung angesiedelt ist, doch fest steht, dass es nur noch wenige Menschen auf der Welt gibt. Und diese ohnehin geschundenen, durstigen Wesen werden von noch weniger Menschen unterjocht, genauer gesagt von Oberbösewicht Immortan Joe. Dieser herrscht, indem er und seine Warboys Wasservorräte verknappen und seinen Reichtum in Form von Öl und Waffen mehrt. Klingt angesichts vergangener und aktueller politischer Entwicklungen gar nicht so abgedreht und unrealistisch, oder? Aber es kommt noch besser. Immortan Joe “besitzt” einen Harem aus gebärfähigen jungen Frauen, die er als sein wesentliches Kapital betrachtet. Denn er ist krank und braucht dringend einen männlichen Nachkommen, um seine Dominanz auch über seinen Tod hinaus zu wahren. Diese Frauen fliehen jedoch mit Hilfe der Kriegerin Furiosa (Charlize Theron) aus seinen Fängen, weil sie sich nicht damit abfinden wollen, nur Gebrauchsgegenstände zu sein (“We are not things!”). Sie verstecken sich in einem Tanklaster-Schlachtschiff, welches in der anschließenden 2-stündigen Verfolgungsjagd durch die Wüste zu einer Arche Noah der Freiheitsbewegung wird. Mehr oder weniger zufällig verbünden sich Max (ein sehr wortkarger Tom Hardy) und die Flüchtigen Frauen und liefern sich fast pausenlos halsbrecherische Hochgeschwindigkeits-Duelle und versuchen verzweifelt, irgendwo zwischen Salzwüsten und ölverseuchten Todeszonen ein sicheres Zuhause zu finden. Das gelingt auch, allerdings ebenso überraschend wie logisch. Mehr soll an der Stelle gar nicht verraten werden.

Der ganze Film ist ein völlig wahnwitziger Trip in wunderbar endzeitlicher Dieselpunk-Optik, es kracht und explodiert immer und überall etwas. Einfach die ganze Zeit. Dazu gibt es Kameraeinstellungen und -schwenks, die irrwitzig nah und schnell die bombastischen Szenen aus allen Winkeln erlebbar machen. Ich sage nur: Die kühnsten Vorstellungen jedes Action-Fans werden bei weitem übertroffen werden. Doch der Film ist so viel mehr als nur Action. Er birgt so viel Tiefe und Liebe zum Detail wie man sie aus vergleichbaren Filmen nie im Leben erwarten würde. Seien es die Kostüme und herrlich verrückten Fahrzeuge, die teilweise seltsam-lustige Sprechweise der “Bösen” oder die mit einem Stift auf die beiden Krebs-Tumore des Warboys Nux aufgemalten Smileys: Alles ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Hinzu kommen die Charaktere, die einem – obwohl man im Grunde nichts über irgendjemanden erfährt – schnell ans Herz wachsen können und uns Zuschauern mit ihrem Mut, völlig fremden Menschen Vertrauen zu schenken, echte Vorbilder sein könnten.

Ohnehin steckt Mad Max: Fury Road voller großer Metaphern: Die Menschheit hat ihren Heimatplaneten buchstäblich ausgesaugt (Gier nach Erdöl) und in eine unbewohnbare Seuchen-Hölle verwandelt (Fracking, in den USA ja sehr beliebt). Wenngleich der real existierende Klimawandel erst mal nicht überall zu Wasserknappheit führen wird, schon heute ist ein hoher Prozentsatz an Menschen von Wasserknappheit betroffen. Die wenigen verbleibenden Menschen im Film müssen sich einem machthungrigen Öl-Boss beugen, welcher zusätzlich ein misogyner Folter-Patriarch ist. All das ist in Teilen längst Realität – der Film macht hinreichend die logische Konsequenz der anhaltenden bewussten Umweltzerstörung durch die Menschheit deutlich.

Danke an alle Leser, die bis hierhin durchgehalten haben!

Jetzt gibt’s aber mal eine Antwort: Warum schrieb ich also eingangs, dass George Millers Werk die Filmgeschichte nachhaltig beeinflussen wird? Ganz einfach: Weil es bis dato keinen Film gegeben hat, indem die Frauen eine so zentrale, quasi epische Rolle spielen. Sie befreien sich aus dem Patriarchat und kämpfen voller erbitterter Hoffnung für ein besseres, freies Leben. Keine von ihnen ist in ihrer Rolle “überflüssig” oder in irgendeiner Art von einem Mann abhängig. Jede ist in ihren Entscheidungen frei und auch der Hauptcharakter Max (falls man ihn überhaupt als solchen bezeichnen kann) ist ihnen nicht überlegen. Er übernimmt nicht die Rolle des Anführers, sondern “nur” die des helfenden Beraters.³

At one point during Mad Max there are 12 women on screen and they all have speaking roles & none of them are talking about a man.

— Aja Romano (@ajaromano) May 15, 2015

Was also macht Mad Max: Fury Road besonders? Es ist die Tatsache, dass der Film beides kann, auf spektakuläre, nie gesehene Art und Weise die meist männlichen Actionfans bedienen und gleichzeitig durch Metaphorik und Handlung eine Debatte um die Rolle der Frau im Film anzetteln. Denn eben genau weil diese für Hollywood ungewohnte Kombination aus Entertainment und Gesellschaftskritik so gut funktioniert, wird er dazu führen, dass Klischees überdacht und Drehbücher umgeschrieben werden. Natürlich gibt es nicht bloß positives Feedback zu diesem Weg, den Regisseur Miller da gewählt hat. Gerade in der Anonymität des Internets gärt der Frauenhass sehr schnell und sehr drastisch. Es gibt sogar ganze Internet-Foren voller misogyner Fundamentalisten jeder Glaubensrichtung², die nichts anderes zu tun haben, als ihre gottgegebene Männlichkeit zu zelebrieren. Aber das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls ist Mad Max: Fury Road in Sachen Unterhaltung absolut grandios. Wenn man dann hinter die Fassade und zwischen die Zeilen blickt und den politisch brisanten Kontext erkennt, dann ist auch klar, warum der Film schon als heißer Oscar-Kandidat gehandelt wird.⁴ Vermutlich ist der Hype hier auch ausnahmsweise mal gerechtfertigt. Klarer Kino-Tipp und ein Muss für alle, die kreatives, actiongeladenes, brachiales und trotzdem anspruchsvolles Kino möchten. Abschließende Bemerkung: Tatsächlich war Mad Max: Fury Road der erste Film, der mir in 3D so richtig Spaß machte, und bei dem diese Technik auch etwas für den Film getan hat.  In diesem Sinne: “What a lovely day.”

Von mir gibt es für dieses Meisterwerk 5 von 5 Warboys.


 

Fußnoten:

¹ Damals war der Film eher ein B-Movie, was jedoch dem Erfolg und Einfluss auf folgende Film-Generationen keinen Abbruch tat. Übrigens kam im gleichen Jahr der erste Teil der Alien-Saga in die Kinos, ebenso wie Apocalypse Now. Da lag wohl ein wenig Endzeitstimmung in der Luft.

² Jedoch hauptsächlich Christen. Islamisten haben es ja noch nicht so mit neuen Medien. Bis auf den IS, natürlich.

³ Sehr schön dargestellt ist der Aspekt der Charakter-Entwicklung in diesem Artikel des Daily Dot.

⁴ Bleibt die Frage, ob die Academy den Film ebenso wertschätzen wird. Denn sie ist ja nicht unbedingt spendabel, wenn es um Oscars für Frauen oder Menschen anderer Hautfarbe geht. Aber auch das ist auch ein anderes Thema.

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