Reporter – Rebellen und Spione

Der Tod des französischen Kameramanns Gilles Jaquier im syrischen Homs bietet Stoff für einen Polit- Triller und beweist einmal mehr, dass westliche Geheimdienste bevorzugt als Journalisten getarnt in den Krisenregionen der Welt ihrer Arbeit nachgehen. Der Einfluss der Nachrichtendienste reicht weit in die Redaktionen hinein

Reporter – Rebellen und SpioneAgnès-Mariam de la Croix ist besorgt. Als Äbtissin des griechisch- katholischen Klosters Saint Jacques l’Intercis ist sie vor allem um die Sicherheit ihrer Nonnen und Novizinnen besorgt. Die Zeiten sind gefährlich, der gesamte mittlere Osten gleicht einem Pulverfass und sie glaubt bereits die Lunte zu riechen. Die Gefahr, in der sich das Kloster aus dem sechsten Jahrhundert befindet, ist ihr bewusst. Es liegt als eine große und mächtige Zitadelle aus ungebranntem Ton auf einem Hochplateau in 1350 Metern Höhe über dem Dorf Kara im Libanon, keine 90 Kilometer nördlich von Damaskus und nahe der syrischen Grenze. Bei guter Sicht kann sie weit entfernt im Westen das Mittelmeer wie einen funkelnden Streifen Silber in der Sonne glitzern sehen. Doch im Moment gibt es dringlicheres für sie.

Heute morgen hatte sie Besuch erhalten. Ein ruhiger, etwas behäbig wirkender und unauffälliger Mann, der sich ihr als Charles vorgestellt hatte. Sie weiß, dass Charles für die Direction Générale des Services Extérieurs (DGSE), den französischen Auslandsgeheimdienst, arbeitet. Gelegentlich hatte sie ihm den einen oder anderen Gefallen getan, so hatte sie ihm die erste Pressereise westlicher Journalisten in das benachbarte Syrien organisiert, nachdem dort die Unruhen begonnen hatten. Dafür genoss das Kloster einen gewissen Schutz durch das französische Außenministerium. Sie traut Charles nicht über den Weg, hütet sich jedoch, ihn dies spüren zu lassen. Der Agent ist für sie wichtig und gefährlich zugleich. Einerseits verspricht er Schutz, andererseits trägt er bei jedem seiner Besuche einen Hauch von Gefahr in die altehrwürdigen Klostermauern. Wo immer Charles auftaucht, sind Ärger und Gefahr nicht weit. Diesmal hatte er sie um ein Visum für einen französischen Journalisten und Kameramann gebeten, falls möglich auch für dessen Lebensgefährtin, eine Fotografin. Wie auch immer sie es anstellte, sie würde wohl nicht umhin kommen, im Informationsminsterium vorzusprechen und dort solange Druck zu machen, bis die Visa erteilt würden. Es wäre nicht das erste mal.

Die Morgendämmerung über den Pariser Champ des Mars verspricht einen regnerischen Tag. Eric Chevalliers Laune ist auf dem Tiefpunkt angelangt. Als Frankreichs diplomatischer Gesandter in Syrien hatte er sein Domizil in der Rue Ata-al-Ayyoubi in Damascus räumen und nach Paris zurückkehren müssen, nachdem er und seine Begleiter dort von wütenden Assad- Sympatisanten mit Steinen und Eiern beworfen worden waren. Nun war es seine Aufgabe, von Paris aus das Vorgehen des Geheimdienstes mit den zuständigen Stellen in den Ministerien abzustimmen. Sein Auftrag vom Außenministerium lautete, soviele Agenten wie möglich, als Journalisten getarnt, nach Syrien einzuschleusen. Er hatte bereits ein Idee. Über seinen Mittelsmann Charles, einen Vertreter der unteren Ränge des Auslandsgeheimdienstes, hatte er bereits mehrfach erfolgreich Agenten in den nahen und mittleren Osten eingeschleust. Der Geheimdienst verfügte über ausgezeichnete Kontakte zu französchen wie auch holländischen Journalisten. An fünfzehn von ihnen wollte er den Tipp lancieren, sich an die Äbtissin eines libanesischen Klosters zu wenden, wenn sie eine syrische Einreiseerlaubnis wollten. Er war sich sicher, sie würden wollen.

Eigentlich, so fuhr es ihm durch den Sinn, taugte er nicht für derartige James Bond- Spiele. Er hatte bereits eine Karriere als Profisportler hinter sich. 1987 hatte er den Super Riesenslalom gewonnen und träumte von weiteren Medaillen. Diese Hoffnungen hatten sich für den hageren, aschblonden Mittvierziger mit dem etwas kantig wirkenden Gesicht jedoch durch einen schweren Unfall zerschlagen und er war gezwungen gewesen, zum Journalismus zu konvertieren. Seither arbeitete er mit großem Erfolg für bekannte Fernsehsender wie France Television, France 3 und das TV- Magazin Envoyé Spécial. Er hatte 2003 den ‘Albert Londres- Preis’ erhalten, 2007 den ‘Prix international de l’enquête’ und 2009 den ‘Grand Prix Jean-Louis Calderon’ für einen Videobericht über Afghanistan. Gilles interessierte sich für Krisenherde. Sein Credo lautete: „Trouble makes the worls go round.“ Nichts verkaufte sich so gut wie Krisenberichterstattung, dies war einer der Gründe, sich für den Beruf des Kriegsreporters zu entscheiden. Die meisten Probleme, soviel war ihm klar, gab es im Moment in Syrien. Zugleich, so war ihm zugetragen worden, war das Risiko für Journalisten in dem kleinen Wüstenstaat derzeit noch vergleichsweise gering. Bevor es zum großen Knall käme, würde er bereits wieder zurück in Paris sein – mit Aufnahmen im Gepäck, die eine Menge Geld wert wären. So war sein Auftrag zustande gekommen. Einer seiner Kontaktmänner, ein gewisser Charles, hatte ihm geraten, sich an eine gewisse Äbtissin zu wenden, um nach Syrien einfliegen zu können. Er sei bereit, ihm die notwendigen Türen nach Damascus zu öffnen. Sein Visum war ihm bereits so gut wie sicher, er wollte jedoch auch Aufenthaltsgenehmigungen für seine Gefährtin Carolin Poiron und deren Freundin Flore Olivier besorgen, die beide für die Pariser Tageszeitung Paris- Match arbeiteten.

General Mahir el- Assad, einer der Brüder von Präsident Baschir al Assad, schaute konsterniert auf ein Schreiben vom ersten Dezember 2011, auf welchem der Briefkopf von France- Télévisions prangt. Die Chefredakteurinnen des Magazins Envoyé Spécial baten ihn in dem Brief, dreien ihrer Mitarbeiter zu gestatten, die vierte Panzerdivision während ihrer Einsätze zu begleiten. „Sind die verrückt geworden oder halten die mich für einen Idioten?“ murmelte er leise. Die Anfrage war eine klare Kampfansage, soviel war ihm klar. Die Journalisten waren selbstverständlich Geheimdienstleute mit dem Auftrag, seine Truppenbewegungen auszuspionieren. Im Grunde eine ausgesprochene Unverschämtheit. Während Frankreich einerseits jene bewaffneten Gruppierungen leitete, die schon seit Wochen die reguläre Syrische Armee und somit auch seine eigene Division unter Beschuss nahmen, besaßen die Franzosen zugleich die Chuzpe, ihre eigenen nachrichtendienstlichen Informanten in seine Truppen einschleusen zu wollen. Er war sich sicher, zumindest teilweise richtig zu liegen und begann zu recherchieren. Er ließ von einem seiner Kontakte im Informationsministerium die Einreisegenehmigungen für Europäer innerhalb der letzten Wochen überprüfen und fand so schnell heraus, dass vom selben Sender eine weitere Anfrage an seinen alten Freund, General Wajih Mahmud, ergangen war, der die achtzehnte Panzerdivision kommandiert. So genügte ein kurzer Griff zum Telefon, um die Absichten des Senders zunichte zu machen. Gilles Jaquier, Caroline Poiron und Flore Olivier würden sich wohl einen anderen Wirkungskreis suchen müssen, bei der syrischen Truppe jedenfalls würde die Westpresse nichts zu suchen haben, diesen Fehler hatte bereits Gaddafi teuer bezahlt.

Nadina, eine zierliche Frau von einundzwanzig Jahren, war in Homs aufgewachsen. Als Kind hatte sie sich täglich in den Basaren und Handwerkerstraßen der Soukhs herumgetrieben, jenen historischen Marktvierteln, deren Existenz bis ins zweite Jahrhundert zurück reicht, als die Stadt noch den Namen Emesa trug. Mit neugierigen Augen hatte sie die Arbeit der Gold- und Messingschmiede verfolgt, hatte im Basar mit Händlern um Tücher und Gewürze gefeilscht, sich mit ihren Freunden auf dem Platz der alten Uhr getroffen oder Fangen gespielt in einer der Seitengassen der alten Chalid Ibn al Walid Moschee, die nach dem berühmten historischen Feldherrn benannt wurde, der unter ihr begraben liegt. Auch wenn Homs mit über einer Million Einwohner alles andere als eine Kleinstadt war, kannte sie sich dennoch bestens aus in der Kleinmetropole im Herzen Syriens, die zugleich einen Hauptknotenpunkt des Verkehrs wie auch der Versorgung darstellt. Um ihr Salaire etwas aufzubessern, hatte sie sich von ausländischen Journalisten als Scout engagieren lassen, nicht ahnend, dass die NATO sich ausgerechnet ihre Stadt ausgewählt hatte, um dort ihre geheimen Handlungen zu konzentrieren. Die NATO war ihr mehr als suspekt. Wie sie wusste, waren die bewaffneten Banden, die ihr Land schon seit Monaten in Aufruhr versetzten, von der NATO finanziert, bewaffnet und ausgebildet worden mit dem Auftrag, ihr Land in Chaos und Gewalt zu stürzen. Nun sperrten die Verbrecherbanden Straßen und Zugänge, stahlen, raubten oder zerstörten den Menschen ihre Fahrzeuge, beschlagnahmten jeden Tropfen Öl den sie finden konnten und hinterließen eine Spur der Verwüstung und des Schreckens. Das syrische Fernsehen hatte Bilder der Verwüstungen gezeigt, Bilder, die sie nie wieder würde vergessen können. Es waren Bilder von verstümmelten Leichen, von abgeschnittenen Gliedmaßen, von herausgerissenen Herzen und gefolterten Körpern, die im nachhinein verbrannt worden waren. Schlussendlich hatten die bewaffneten Banden es soweit gebracht, dass keines der Kinder mehr zur Schule gehen konnte, da die Gefahr für die Schüler zu groß geworden war, auf dem Schulweg ums Leben zu kommen. Ungefähr eintausend Schulgebäude lagen in Trümmern, Gewalt und Terror beherrschten den Alltag. Es war ihr ein Bedürfnis, der Welt die Bilder des Schreckens mitzuteilen, welche die NATO über sie und ihre Familie, über ihre Freunde und über ihre Mitbewohner gebracht hatte. Dies war ein weiterer Grund, aus dem sie sich von den Presseleuten hatte anheuern lassen. Heute sollte sie sich erstmals mit ihnen im Hotel Al Safir treffen, um ihren Einsatz zu besprechen.

Gilles Jaquier hatte sein Wissen über die Situation in Syrien den Mainstream- Medien entnommen und war entsprechend schlecht informiert. Seiner Überzeugung nach gab es keine Terrorgruppen in westlichem Auftrag. Dafür jedoch, da war er sich sicher, einen blutrünstigen Präsidenten, der mit allen Mitteln bemüht war, eine demokratisch legitimierte Revolution zu unterdücken. Da er nicht vor hatte, gegen Assad zu demonstrieren, fühlte er sich sicher und verzichtete bei seinem Ausflug auf Splitterweste und Helm, wie es eigentlich Vorschrift gewesen wäre. Darüber hinaus hatte er eine Warnung der Vertreterin des Gouverneurs der Provinz Homs in den Wind geschlagen, die ihm um 14:45 Uhr zugestellt worden war, sich nicht länger als bis 15:00 auf den Straßen von Homs aufzuhalten, da die tägliche Feuerpause zu diesem Zeitpunkt endete. Stattdessen bewegte er sich in entlegene Viertel in der Hoffnung, ein paar gute Stimmungsbilder vor die Kamera zu bekommen. Passanten, die seine Kamera entdeckten, hielten es für nützlich, ihre Beführwortung Assads lautstark zu skandieren und entblösten sich damit als Ziel für die Assad feindlich gesonnen Terrorgruppen, die seit Wochen die Stadt unsicher machten.

Frankreichs Syrienbotschafter Eric Chevallier war zutiefst besorgt. Ein Anruf aus dem Außenministerium hatte ihn darüber informiert, dass einer der als Reporter getarnten Agenten ums Leben gekommen war. Von Paris aus war es ihm unmöglich, die Lage realistisch einzuschätzen. Handelte es sich um einen Unfall, war es ein gezielter Anschlag, befanden sich womöglich weitere Agenten in Lebensgefahr. Er hatte keine Wahl, er musste schleunigst nach Homs und die verbliebenen Journalisten dort auf schnellstem Wege einsammeln um sie außer Landes bringen. Andernfalls drohte sein gesammter Ring an Pressespionen aufzufliegen. Sein erster Weg führte ihn daher in das Hospital, in welchem der Leichnam des Reporters aufgebahrt lag. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, eine Autopsie abzuwehren. Stattdessen beschlagnamte er den Körper und ließ diesen in seinem gepanzerten Wagen zusammen mit den restlichen Journalisten, bewacht von einer schweren Eskorte, erst zur Botschaft in Damaskus und anschließend zum Flughafen bringen. Von dort aus ging es mit einem Spezialflugzeug des französischen Innenministeriums zurück zum Flughafen Paris Le Bourget. Zurück in Homs blieb lediglich ein fassungsloser weiterer Journalist der Agence France Presse (AFP), der ebenfalls um Evakuierung ersucht hatte, jedoch im Stich gelassen geworden war. Es darf davon ausgegangen werden, dass der einzige echte Journalist vor Ort gewesen gewesen ist.

Quellennachweis und weiterführende Links



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