Religiosität und Menschlichkeit

Ich habe einen ausführlichen Kommentar bekommen, auf den ich ebenso ausführlich eingehen will. Deshalb als eigenständiger Artikel und nicht nur als Kommentar zum Kommentar. Alle Zitate stammen von dort.

Lieber Loewe,

… glaube ich nicht, dass es viel bzw. primär mit direkt Religion zu tun hat, was da in Palästina passiert, auch wenn natürlich Religion eine Rolle spielt.

Darin stimme ich Dir zu. Auch ich meine, dass Religionen oft nur der Deckmantel sind, um knallharte wirtschaftliche Interesse zu bemänteln. Damit widerspreche ich auch Richard Dawkins, der diesen Schluss nicht zu ziehen bereit ist. (Im „Gotteswahn“)

Worin besteht nun im Falle Israel/Palästina das wirtschaftliche Interesse?
Im Wasser. Die Wasserreserven Israels, das Wüsten bewässert, werden den arabischstämmigen Einwohnern entzogen – resp. der Zugang zu Wasser.

Da geht es weniger um Judentum vs. Islam als vielmehr um Verdursten vs. Überleben.

Der Antisemitismus, der letztlich zum Zionismus, zur Gründung Israels, zur Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, zur Besiedlung auch noch der Westbanks geführt hat, ist nicht primär ein religiöses Phänomen, genauso wenig der Widerstand der Einheimischen dagegen. Das alles würde ähnlich laufen, wenn es sich bei den Palästinensern um Katholiken oder Buddhisten oder Agnostiker handeln würde.

Richtig. Das beides ist gut nachzulesen in Welzers Klimakriegen und bei Barbara Tuchman.

Die größten Untaten des 20. Jahrhunderts waren nicht religiös motiviert: Holocaust/2. Weltkrieg, Gulag, Maos Verbrechen, Kambodscha, Ruanda …

Ich kenne mich nicht gut genug in den letztgenannten Fällen aus, um da wirklich fundiert mitreden zu können. Allerdings sind sowohl das sog. „3. Reich“ als auch der Stalinismus schon als quasi-religiös zu bezeichnen. Was den Einen ihr Gott, war den Anderen der Führer. Ideologie – vor allem in dieser Art und Weise wie beim Nationalsozialismus und beim Stalinismus – sind meiner Meinung nach nicht weit entfernt von Religion. Führerkult und bedingungslose Apologeten; die „Eigenen“ und die „Anderen“ … das erinnert doch sehr daran. Oder?

Doch worum ging es dann? Um den Machterhalt einiger Weniger gegenüber der überwiegenden Mehrheit.

Ich persönlich schätze Religion und bin selber religiös, wenn auch ungebunden, eher von einem Typ, der Rationalismus und Mystik miteinander verbindet. Spinoza fühle ich mich verwandt, oder Wittgenstein; aber auch Montaigne liegt mir. Aber es liegt mir fern, andern Leuten raten zu wollen, WIE sie ihre Religiosität ausbilden oder entwickeln sollen.

Das wirst Du auch von mir nicht sehen/lesen. Ich schreibe weder vor noch mache ich mich über gelebte Religion lustig. Ich bekämpfe allerdings (verbal) die Institutionen und die Irrlehren, die damit verbunden sind. Ich wiederhole es gern und immer wieder: für mich wird alles (Alles!) an den Menschenrechten gewichtet. Und zu den Menschenrechten gehört auch die ungestörte Ausübung der Religionen. Dass ich dem wissenschaftliche Argumente entgegensetze, ist eine andere Sache. Ich werde nie Menschen wegen ihrer Religiosität werten; aber sehr wohl gegen diese an sich anschreiben.

Ich glaube auch – mit Max Weber – dass man so unreligiös sein kann, wie man auch unmusikalisch sein kann. Es ist aber schon ein Vorteil, meiner Meinung nach, musikalisch und religiös zu sein

Du verstehst sicher, dass ich das anders sehe. Ich meine, dass es eher ein Vorteil ist, die Welt aus rein vernünftigem Gesichtspunkten zu verstehen (zu versuchen). Es braucht keine irreale Begründung für die Gesetze der Welt, die scheinbar von den derzeitigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Gesetzmäßigkeiten abweichen. Ich bin mir sicher, dass die Menschheit in der Lage sein wird, auch diese Rätsel zu lösen. Wenn wir uns nicht zuvor selbst vernichtet haben.

Meiner Erfahrung nach macht Religiosität die Menschen eher stärker, menschlicher, ruhiger. Dogmatismus und Fanatismus in der Religion führe ich nicht auf Religion zurück, sondern auf eine Charakterschwäche.

Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass religiöse Menschen; also Menschen, die sich durch Religionen indoktrinieren lassen, charakterschwach sind. Das jedoch kann ich so nicht stehen lassen.

Ich sehe das so: wer in seiner frühen Kindheit innerhalb einer religiösen Gemeinschaft aufwächst, ist, eben weil er Kind ist, offen für diese religiösen Lehren. Kinder nehmen alles Wissen auf wie ein Schwamm, sie verinnerlichen auch religiösen Glauben. Dies zu werten sind sie noch nicht in der Lage. Wenn sie es könnten… sind die grundlegenden „moralischen“ Werte bereits gelegt. Und wie durch verschiedene Studien nachgewiesen wurde ist es fast unmöglich, diese frühkindlichen Lernmuster wieder „abzustreifen“.
Aus diesem Grunde trete ich auch dafür ein, dass die Schulen frei von Religionen zu sein haben. Das gilt auch für Universitäten. Das Menschenrecht Religionsausübung bedeutet auch das Recht, frei davon zu bleiben. Nicht einmal das ist überall gegeben – auch in Deutschland nicht.

Natürlich verstehe ich, was Du meinst, wenn Du sagst, dass Religiosität die Menschen stärker, weniger anfällig für Dogmen und Fanatismus macht. Jedoch: das wären sie auch ohne Religion! (Zumal gerade auch Dogmen etwas sehr religionstypisches sind.) Altruismus und das Für-den-Anderen-Dasein ist eben nicht religiös determiniert. Der Mensch hat die evolutionäre Gabe der Empathie. Dazu braucht es keine Religion. Denn ansonsten wäre ja ein Drittel der deutschen Bevölkerung – nämlich die, die sich als glaubensfrei bezeichnen – nicht „menschlich“ (nach Deiner Definition).

Wer religiös ist, kämpft besser. Gerade wenn man einen verzweifelten existenziellen Kampf als Unterlegener führen muss, bietet Religiosität eine Chance. Man kann dann der hochtechnologisierten Übermacht den Mut des Gläubigen gegenüberstellen.

Wer verzweifelt ist, kämpft besser. Wer den bewaffneten Kampf als die einzige Möglichkeit sieht, Gerechtigkeit zu erlangen, kämpft besser. Wer nichts zu verlieren hat, kämpft besser.

Die Religion, die sicherlich als verbindend wahrgenommen wird, dient dazu, der Sache eine moralische Rechtfertigung zu verschaffen. Sie macht das Töten leichter. Denn es sind ja „die Anderen“, die „Nichtgleichen“, die getötet werden. Die Religion schaltet aus, was die menschliche Ethik verbietet: das Töten von Menschen. Nicht umsonst werden diese als erstes „verunmenschlicht“ (siehe Hannah Arendt).

Dass der was wert ist, das sieht man an Hisbollah und Hamas. Dass diese Kampf-Religiosität uns irritiert und auch tatsächlich ihre problematische Seite hat, sehe ich auch. Aber wie zum Teufel sollen sich denn die Palästinenser sonst dagegen wehren können, dass ihnen die Israelis ihr Land rauben?

Das weiß ich leider auch nicht. Aber ich halte bewaffneten Kampf generell für keine Lösung. Für eine dauerhafte keinesfalls. Denn immer wird es Einen geben, der sich rächen will für erlebtes Unrecht. Und nie wird das ein Ende haben. Religionen sind dabei das Öl im Feuer. Auf die Bergpredigt verweisen und Waffen segnen…

Nic


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