PEGIDA im Substantiv

Wer oder was ist Pegida? Die Frage des grammatischen Substantivs beschäftigt Nachrichtenredaktionen in ganz Deutschland und mittlerweile auch darüber hinaus. Ist es die Mitte der Gesellschaft, die hier protestiert? Ist es eine Versammlung von "Nazis in Nadelstreifen", wie der Innenminister von Nordrhein-Westfalen meint? Ist es eine Gruppierung von Spinnern? Die Demonstranten enziehen sich den üblichen Kategorisierungen von Protestmärschen. Weder ist die Antifa mit den Autonomen und dem Schwarzen Block unterwegs, noch sind des die Neonazis und die ihnen verbundenen Gruppen mit Glatzen. Schwarz-Weiß-Rot und Springerstiefeln. Zusätzlich unscharf wird das Bild durch die Zusammenarbeit der Pegida-Organisatoren mit den Leuten hinter den eher linken "Friedensmahnwachen" und ähnlichen Protestformen, die so überhaupt nichts ins rechte Schema zu passen scheinen - und gekrönt von den schwarz-rot-goldenen Flaggen und den Rufen von "Wir sind das Volk!", die schon bei den Anti-Hartz-IV-Demos von 2004 merkwürdig deplatziert klangen. Wer oder was ist also Pegida?
Das Pegida-Gemisch ist eine sehr potente Mischung. Ihr Organisator hat aus dem Fehlschlag der HoGeSa-Demo gelernt, die in der ordnungsliebenden deutschen Bevölkerung angesichts der offensiv zur Schau gestellten Gewaltbereitschaft und dem Polizei-Großaufgebot kaum positiv gegenüber der Scharade eingestellt sein konnte. Erfolgreich erprobt wurden hier aber bereits die Codes, die für Pegida konstitutiv sein sollten: so war der Protest nicht gegen Ausländer, nicht gegen Muslime, er war gegen "Salafisten" - was auch immer das dann im Einzelnen konkret heißen mag. Bei der Pegida richtet sich der Protest dementsprechend gegen "Islamisten" und "Wirtschaftsflüchtlinge" - ebenfalls bestenfalls unscharfe, auf reine Sicht nicht überprüfbare Kategorien. Man sollte dies aber nicht als eine reine Fassade verkennen, hinter der sich ein übelwollender Rassist versteckt. Zwar mögen die neuen Code-Begriffe für manche Rassisten eine willkommene Deckung sein um sagen zu können, was sie schon immer gesagt haben, nur eben jetzt unter Zustimmung des Bürgertums. Das Gefühl, dass "die Flüchtlinge" eigentlich keine sind und stattdessen nur deutsche Sozialleistungen abgreifen wollen, ist sehr weit verbreitet und hat in den letzten Jahren (seit der großen Kontroverse um die Visa-Politik der Grünen anfangs des Jahrhunderts) schlafend gelegen. Dieses Gefühl ist auch keines, dem durch Fakten oder den Verweis darauf, dass die Leute ja gar kein Asyl bekommen, beizukommen. Solcher legalistischer Unsinn wird wenig helfen, denn dass aktuell niemand nach Syrien zurückgeschickt wird und dass eine Überprüfung der Motive kaum möglich ist ist ja gerade das zutreffende Argument von Pegida.
Auf einer realen Gefahrenlage basiert das Gefühl dagegen nicht, wie bereits unzählige Male festgestellt wurde. Gerade in Ostdeutschland, der Hochburg der Proteste, ist die Zahl der Muslime verschwindend gering. Flüchtlinge dürfte es noch viel weniger geben. Es geht auch nicht um irgendwelche konkreten Flüchtlinge, die jetzt gerade die Festung Europa berennen - die afrikanischen Flüchtlinge, die ständig im Mittelmeer ertrinken oder irgendwann in den Flüchtlingsunterkünften von Lampedusa sitzen, spielen eine auffällig geringe Rolle in den Protesten. Diese setzen "Flüchtlinge" viel mehr mit denjenigen Migranten gleich, die man schon immer nicht im Stadtbild sehen wollte. Auch gibt es aktuell keine besonders hohen oder steigenden Asylbewerberzahlen, wie dies in den 1990er Jahren der Fall war, bevor CDU und SPD von den damaligen Protesten getrieben, die Sorge und Nöte der Bürger ernst nehmend, das deutsche Asylrecht effektiv abschafften.
Der Erfolg Pegidas beruht ja aber gerade auf dem Fakt, dass die Proteste gegen Flüchtlinge und Ausländer nur einen wenn auch wichtigen Teil der Botschaft ausmachen. Pegida ist, was ihre Positionen anbelangt, ein großer Gemischtwarenladen, in dem eigentlich jeder etwas finden kann. Denn die Ausländerfeindlichkeit Pegidas ist nur ein Symptom, kein zentrales Element dieser Bewegung. Sie wird geeint von etwas anderem: dem diffusen und stets vorhandenen Gefühl, abgehängt zu sein vom Mehrheitskonsens in Deutschland, ihm nicht mehr anzugehören und den Kontakt zum eigenen Land zu verlieren. Die Furcht vor der "Islamisierung", so albern sie auch ist, hat ihre Wurzeln in einer wesentlich schwieriger zu formulierenden Furcht vor einer ganzen Reihe von Faktoren, die die moderne BRD bestimmen: Individualisierung, Wertewandel und wirtschaftlicher Wandel.
Die ungeheure Individualisierung, die ihren Katalysator vor allem im Internet findet, aber auch stark durch den wirtschaftlichen Wandel befeuert wird. Immer mehr und mehr kollektive Tätigkeiten werden zugunsten individueller Tagesplanung aufgegeben. Hobbys zerfasern, Interessensgebiete werden spezieller. Freundschaften bestehen über längere Distanzen und sind weniger ortsgebunden als früher. Das Individuum wird viel mehr in den Vordergrund gerückt und muss sich weniger gegenüber der Gesellschaft rechtfertigen. Dies führt zwangsläufig zur Auflösung bisheriger Tabus. Besonders hervor sticht hier die männliche Homosexualität, deren Akzeptanz im Elitenkonsens der neuen BRD die traditionelle Wertewelt der Demonstranten zutiefst erschüttert. Dies geht mit einem gleichzeitigen Angriff auf bisherige traditionelle Geschlechterrollen einher. Toxisch wird diese Mischung dadurch, dass jeder, der sich diesen neuen Werten verweigert - wie übrigens auch dem Lippenbekenntnis zur Integrationsgesellschaft - in der Ecke der "Bösen" steht. Man ist dann Rassist, reaktionär oder patriarchalisch.
Die letzten 20 Jahre haben einen gewaltigen gesellschaftlichen Wandel gesehen. Unter Rot-Grün wurde eine Tradition, die die Menschheit effektiv mindestens die letzten Jahrhunderte pflegte - die Xenophobie - plötzlich in die Ecke des schlechten Geschmacks gestellt. Wer sich nicht veränderte, war plötzlich Nazi - nur wer sich änderte, wer seine Grundeinstellungen revidierte (oder zumindest so tat), konnte weiter am Elitenkonsens teilhaben, der von Politik, Journalismus und Bildungssystem aus definiert wird. Unter der Großen Koalition geriet dann das traditionelle Familienbild unter Beschuss. Das Elterngeld zementierte endgültig die Zielvorstellung einer nicht nur gleichberechtigten, sondern gleich gelebten Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Dieser Schwenk der CDU in Richtung Moderne ist für ihr traditionelles Klientel genauso bedeutsam wie für die SPD-Wählerschaft Hartz-IV war, nur hat sie es bisher - auch wegen der klassischen konservativen Beharrungskräfte - besser verkraftet. Wie die Montagsdemos 2004 aber die SPD für ihre Abkehr von den klassischen Werten der gewerkschaftlich organisierten Produktionsindustrie angriffen, so greift nun Pegida die CDU für ihre Abkehr von konservativen Kernbeständen an, wenngleich mit einem deutlich weniger deutlichen Feindbild.
Die AfD ist genauso die Verkörperung dieses Unwohlseins, wie es die LINKE für die von Hartz-IV und der neuen Arbeitswelt überrollten Gesellschaftsschichten 2005 war. Sie verspricht einen Erhalt einer idealisierten "früheren" Welt, in der Werte wie Fleiß und Ordnung mit ökonomischem und familiären Erfolg korrespondieren, so wie die LINKE eine Rückkehr zum gut bezahlten 8-Stunden-Tag "beim Daimler" verspricht, der mit jährlichen Lohnsteigerungen und solider Rente einhergeht. Beide Parteien wie Demonstrationsbewegungen nutzen dabei auch die anderen Strömungen aus, die im jeweiligen ideologischen Bereich zu finden sind - Basisdemokratie und Pazifismus bei der LINKEn, klassische Rollenverteilungen und Ordoliberalismus bei der AfD. Man muss sich nur die Forderungen der Pegida-Bewegung anschauen um die Parallelen zu erkennen, die hier formuliert werden. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Pegida-Demonstrant automatisch die AfD wählt. Die Demonstranten gegen Hartz-IV wanderten auch nicht massenweise zur LINKEn. Eine solche parlamentarische Kanalisierung des Protests wäre ja noch demokratisch gesund.
Was bei der Pegida neu ist ist das grundsätzliche Misstrauen in die Protagonisten des Elitenkonsens. Man glaubt der Mainstream-Presse nicht (und weicht stattdessen auf ideologisch einseitig fixierte Medien wie RT Deutschland aus), man vertraut der Politik nicht (nicht dass Politikerverachtung etwas Neues wäre, aber die grundsätzliche Ablehnung des Systems selbst ist etwas Neues) und mann fühlt sich generell nicht ernst genommen. Die Versuche der CDU, mit doppelten Böden und Strohmännern etwas von der Pegida-Wut zu kanalisieren werden ähnlich erfolglos bleiben wie die Versuche der SPD nach 2005, mit Initiativen à la "ALG I für 18 Monate statt für 12" das "abgehängte Prekariat" wieder für sich zu gewinnen. Die Frage ist, ob überhaupt irgendeine Partei in der Lage sein wird, die Pegida-Demonstranten politisch zu vertreten. Nach Lage der Dinge kann diese Lücke einzig die AfD füllen.
Wenn das nicht passiert, wird Pegida enden. Die Bewegung wird an Momentum verlieren, die Demonstrationen kleiner und kleiner, bis irgendwann nur noch 30 oder 40 Leute mit ein oder zwei Transparenten vor der Semperoper herumstehen. Wer wissen will, wie das aussieht, braucht nur auf die Überreste der S21-Demos in Stuttgart schauen. Zurück bleibt das Gefühl der Machtlosigkeit, das durch die Geschehnisse bestätigt wurde. Denn das perfide ist ja, dass die Demonstranten Recht haben. Sie sind abgehängt vom Konsens einer Elite, sie fallen aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft heraus, sie verstehen ihr eigenes Land tatsächlich nicht mehr, und sie haben weder in Politik noch Wirtschaft noch Presse irgendwelche Vertreter übrig. Das ist kein gesunder Zustand für eine Demokratie.

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