Pechstein in Hamburg: im Bucerius Kunst Forum noch bis September 2017

Was machen Ausstellungsmacher*innen mit denkmalgeschützten Räumen, die nur in Grenzen verändert werden können? In denen unverrückbar acht mosaikgeschmückte Säulen stehen, im Achteck angeordnet? Die Arbeitsgruppe des Bucerius Kunst Forums, die eine Ausstellung gestaltet, darf jedes Mal aufs Neue eine Lösung dafür finden; jedes Mal erneut eine Herausforderung, die aber auch wie jede Herausforderung eine kreative Chance bietet. Die Ausstellungen des Bucerius Kunst Forums ereignen sich in einem ehemaligen repräsentativen Gebäude der Hamburger Reichsbank (Bau 1914-16 und 1918-19) in neoklassizistischem Stil.  Verschiedene unangetastete Überbleibsel zeugen noch heute vom ursprünglichen Zweck, so die Skulpturen an der Fassade, die mit Fischer, Schmied, Kaufmann, Bauer und Matrose das  Hamburger Wirtschaftsleben symbolisch vertreten. Und die Säulen. Jede Ausstellung beginnt unten in der ehemaligen Schalterhalle der Bank und wird oben fortgesetzt - auf diese Zweiteilung hat jede Ausstellungsgestaltung Rücksicht zu nehmen. (Oben befinden sich auch ein Filmraum und Leseplätze.)
Oft sind in Kunstausstellungen die Werke mehr oder weniger chronologisch geordnet, entsprechend der Biografie der
Künstlerin, des Künstlers. Die gegenwärtige Ausstellung (bis 3. September) "Max Pechstein - Künstler der Moderne" ist nach Orten sortiert. Orte haben diesen Künstler inspiriert, so heißt es.

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Die Säule, auf die der Blick beim Eintritt in die Ausstellung fällt, ist verkleidet - mit einem vergrößerten Foto des Pfeife rauchenden Max Pechstein (1881-1955). In der Nähe hängen weitere Fotos und Selbstbildnisse. Meistens mit Pfeife! Max Pechstein hat nur wenige Selbstbildnisse geschaffen. Von den heute bekannten 29 zeigt er sich auf 23 mit Pfeife. Pfeiferauchen war für ihn ein Mittel der Inspiration.
Die Pfeife kann aber auch, denke ich nach dem Besuch der Ausstellung, als Symbol für die Widersprüchlichkeit des Künstlers genommen werden: Ein Künstler, der sich sein Leben lang nach dem einfachen Leben in der Natur gesehnt hat, ein starker Raucher?

Gewiss, auch Max Pechstein hat, wie Malerkollegen in der Zeit, das Großstadtleben genossen und dargestellt. Von Dezember 1907 bis Frühjahr 1908 hielt er sich mehrere Monate in Paris auf, die für seine künstlerische Entwicklung prägend waren."Mir kommt es vor, als sei ich jetzt erst sehend geworden", schrieb er in einem Brief. Die aussdrucksstarke Farbigkeit der Fauves, van Goghs leuchtende Bilder, die flächige Kompositionsweise der Nabis beeinflussen ihn nachhaltig. "Aber was mich am heftigsten bezauberte, war, wenn ich auch die Rendezvous der Maler und Dichter mied, das Leben der Seine-Stadt, ihr Menschengewühl ...", schreibt er später in seinen "Erinnerungen". Der Kontrast, die Abkehr kommt erst nach den "Brücke"-Jahren in Dresden und Berlin - da sagt er: "Sehne mich aus Berlin fortzukommen". Womöglich ist aber das, was wir als Außenstehende als Umschwung empfinden, ein ihm zeitlebens innewohnender Widerspruch. "Das freie Leben in der Natur wurde für Pechstein schließlich zur zentralen Schaffensquelle, auch wenn die Stadt als 'Basislager' für eine auszubauende Künstlerkarriere unabdingbar war", schreibt Petra Lewey im Katalog.

Sechs Jahre lang, ab 1906, gehörte Max Pechstein der Künstlervereinigung "Die Brücke" an - er wurde schließlich ausgeschlossen, weil er sich nicht an die Absprache gehalten hatte, nur noch mit dieser Gruppe auszustellen. Es war bis dahin eine fruchtbare Zeit der wechselseitigen Inspiration. Gemeinsamkeiten im Stil und in den Motiven (z.B. Tanz- und Badeszenen) sind erkennbar; es lohnt, den individuellen Unterschieden nachzugehen. "Stilistisch sind die Arbeiten der 'Brücke'-Künstler von Vincent van Gogh, dem Neoimpressionismus, dem Kubismus und Emil Nolde beeinflusst" (Wandtext). Frühere Ausstellungen Pechsteins standen meist im Zusammenhang mit der "Brücke" - diesen einseitigen Blickwinkel möchte die neue Ausstellung im Bucerius Kunst Forum verändern, das ist auch gelungen. Was leider nicht gelungen ist, einen solch pfiffigen Titel zu finden, wie man es von anderen Ausstellungen an diesem Ort gewohnt ist - "Künstler der Moderne" ist doch recht nichtssagend. "Zum ersten Mal widmet sich eine Ausstellung in Hamburg dem Werk von Max Pechstein (1881-1955). Als Künstler der Moderne verarbeitete er in seinem Schaffen Einflüsse, die er an den verschiedensten Orten fand", heißt es im werbenden Faltblatt. Das scheint mir zu stark vereinfacht oder doch im Widerspruch zu anderen Aussagen - die Orte haben ihn inspiriert heißt es sonst, er hat also nicht einfach Einflüsse aufgenommen; außerdem klingt es so, als sei das typisch für Künstler der Moderne, Einflüsse aufzunehmen. Ganz im Gegenteil, denke ich da spontan!

Sein erstes Malerparadies entdeckte Pechstein 1909: den kleinen Fischerort Nidden auf der Kurischen Nehrung, sechs Sommer lebte er dort in einer kleinen Fischerhütte. "Die ungebändigte, einzigartige Natur und der besondere Menschenschlag faszinierten ihn"; die "kurischen Farben" begeisterten ihn, er verwendete sie in seinen Landschaftsbildern: blau und grün, viel Blau (so beschrieb er es in einem Brief an Erich Heckel) (Wandtext). 1913 besucht er seinen engen Freund Alexander Gerbig in Italien und erlebt mit ihm zusammen eine arbeitsintensive Zeit, zunächst in Florenz, bis sie den Fischerort Monterosso al Mare an der ligurischen Küste entdecken und dort weiterarbeiten. Die dort entstandenen Bilder - Fischerszenen und Landschaftsbilder mit dem Ort auf einem Berg, überragt von einem Kapuzinerkloster, in einer malerischen Bucht - gehören  für mich zu den beeindruckendsten der Ausstellung.

Kaum ein Künstler hat so viele Reisen gemacht wie Max Pechstein - lebenslang war er auf der Suche nach dem Paradies. Er hat es sogar gefunden - jedenfalls die exotische Variante - und ist auch dort mit seiner Frau Lotte (geb. Kaprolat) gewesen, bis der Aufenthalt durch den Ersten Weltkrieg jäh beendet wurde: in Palau, dem Inselstaat im Pazifischen Ozean, damals (1899 bis 1914) deutsche Kolonie. Im Abstand von der Zivilisation in einem Lebensraum zu wohnen, in dem Mensch, Natur und Kunst eine unzerstörte Einheit bilden, das erfüllte offenbar tiefste Sehnsüchte des Malers. Allerdings zeigt sich auch hier wieder Pechsteins Widersprüchlichkeit: Die Risse im Paradies, nicht zuletzt durch die deutsche Kolonialherrschaft, blendete er aus; seine Frau war ehrlicher in ihren Tagebüchern. Er trat durchaus auch als überlegener Europäer mit Tropenhelm und weißem Tropenanzug auf, der den Häuptlingen gelegentlich Rum ausschenkte und mit Gewehren auf die Jagd ging. Leider sind die vor Ort entstandenen Werke bis auf eines verschollen; die heute bekannten sind aus der Erinnerung geschaffen. Die Kolonie wird nach der Kriegserklärung Japans an Deutschland von Japanern besetzt, die das Ehepaar Pechstein als Kriegsgefangene nach Nagasaki bringen und wahrscheinlich auch die Bilder des Künstlers und Tagebücher aus der Zeit vernichtet haben.

Pechstein will sich wieder in sein Paradies vor der Haustür zurückziehen, doch gehört Nidden jetzt zu Litauen und ist kaum noch zugänglich - 1921 sucht er eine Alternative für seine Sommeraufenthalte und findet sie in Leba, einem Küstenort im östlichen Hinterpommern, und dem 20 km entfernten Fischerdörfchen Rowe. Dorthin kann er der politischen Lage während der NS-Herrschaft entfliehen. Menschen mag er in der Zeit nicht darstellen, er malt menschenleere Kulturlandschaften, Fischerhäuser, Boote im Hafen und Sonnenuntergänge. "Allen Gemälden ist eine mystische, fast surreale Farb- und Lichtgestaltung eigen" (Wandtext). Nach dem Zweiten Weltkrieg wird auch dieses Doppel-Paradies verschlossen. 1952 machte er noch einen letzten Versuch, ein neues Paradies zu finden - ein Sommer in Strande bei Kiel, immerhin an der Ostsee, doch die Abgeschiedenheit und Unberührtheit wie in  Pommern erlebt er hier nicht.

Im Rückblick nach Besuch der Ausstellung bleibt mir vor allem die starke Farbigkeit in Erinnerung (die es auch bei anderen Malern aus dem Umkreis der "Brücke" gibt, aber wohl nicht in demselben Maße). Haben die Orte ihn dazu inspiriert? Am ehesten mag das für die "exotischen" Südseebilder (aus der Erinnerung!) gelten. Doch gab es derart kräftige Farben auch in Nidden, in Leba, in Rowe, und der Maler brauchte sie nur in ein Bild umzusetzen? Das möchte ich bezweifeln. Gewiss, an der Ostseeküste ist oft ein besonderes Licht zu erleben - das ist der inspirierende Teil. Das Blau und das Grün (in Nidden), die mystische, fast surreale Farb- und Lichtgestaltung (in Leba und Rowe) kommen jedoch sehr stark (auch) aus seinem Inneren. Die Inspiration bedarf der Ergänzung durch Imagination, sonst könnten solch großartige, individuell geprägte Bilder nicht entstehen, wie sie hier in Hamburg von Max Pechstein gezeigt werden. Ein Schlüsselbild in diesem Zusammenhang ist für mich "Am Strand von Nidden" von 1911: Es wirkt sehr exotisch, die Frauengestalt könnte auch aus Palau stammen, und doch ist es in Nidden entstanden. Nur vom Ort inspiriert?

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 Ich schlage den Bogen zurück zu der Frage, wie es unter den besonderen räumlichen Verhältnissen des Bucerius Kunst Forum ohne eigene Bestände möglich sein kann, hochkarätige Ausstellungen einzurichten. 450 qm stehen im Erdgeschoss, in der ehemaligen Schalterhalle, zur Verfügung, weitere 180 qm im Obergeschoss. Mehr als 100 Werke können auf den Flächen nicht ausgestellt werden; beim Beispiel Pechstein sind es rund 80, davon 60 Gemälde und ca. 20 Zeichnungen und Drucke. Zuschauer*innen berichten, dass sie diesen Umfang als angenehm empfinden; sie können bei einem Besuch die ganze Ausstellung erfassen, ohne allzu stark zu ermüden. Die Ausstellungen des Bucerius Kunst Forum sind zwar an ein allgemeines Publikum gerichtet, aber sie sollen auch wissenschaftlich fundiert sein - oft geht ein Symposium mit Expertinnen und Experten voraus, dessen Ergebnisse ihren Niederschlag in den Texten des Katalogs finden. Eine optimale didaktische Aufbereitung und Begleitung hilft dem Publikum: konzentrierte Wandtexte, Audioguides, Führungen durch Experten, Lehrerhandreichungen, Vorträge, Kinderprogramme gehören zum Standard der begleitenden Angebote. Kurzum: Qualität ist die tragende Antwort auf die schwierigen räumlichen Verhältnisse im Bucerius Kunst Forum.

Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; die Bilder von oben nach unten: Ausstellungsansicht: "Max Pechstein. Künstler der Moderne", © Bucerius Kunst Forum, 2017, Foto: Daniel Bockwoldt; Max Pechstein (1881-1955): Am Strand von Nidden, 1911, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie © 2017 Pechstein Hamburg / Tökendorf.

Weitere Informationen auf der Netzseite des Bucerius Kunst Forum: http://www.buceriuskunstforum.de/

Pechstein Hamburg: Bucerius Kunst Forum noch September 2017

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