Offener Brief an Marion Hackl

Marion Hackl hat für die Brigitte Leser Stimmen einen Artikel mit dem herrlichen Titel "Mütter als Kolleginnen? Mehr Fluch als Segen!" verfasst, der für die meisten berufstätigen Mütter wohl ein Schlag ins Gesicht ist und mich derart schockiert hat, dass ich ihn nicht unkommentiert hinnehmen kann und will (ich verzichte an dieser Stelle auf eine Verlinkung zum besagten Artikel, da ich dessen Verbreitung ganz einfach nicht unterstützen will).
Um meinem Ärger Luft zu machen, wende ich mich hier mit einem offenen Brief an Frau Hackl:

Offener Brief an Marion Hackl

berufstätige Mütter sind " der pure Horror ", so formulieren Sie ganz charmant und ich muss schlucken.

Nicht aus Anteilnahme, weil Sie sich beruflich bereits mit Arschlöchern arrangieren mussten, sondern weil Sie mich angreifen, meine persönliche Leistung anmaßend und selbstgerecht kleinreden. Weil Sie sich herablassend darüber auslassen, dass ich mich um das Wohl meiner Familie schere, und das unverschämterweise nicht nur zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens("Es gibt Jobs, die stets 100 Prozent fordern. Minimum. Eine berufstätige Mutter kann das allerdings in den wenigsten Fällen leisten. Sie ist, völlig nachvollziehbar, mit ihren Gedanken immer auch beim Nachwuchs."). Weil Sie dabei pauschalisieren, dramatisieren und kein Klischee oder Vorurteil auslassen ("Mütter arbeiten im Regelfall nicht so konzentriert und effizient, wie dies ihre kinderlosen Kollegen tun. In vielerlei Hinsicht beeinflussen sie die Produktivität sogar negativ.").
Dabei scheren Sie einfach eine gesamte Bevölkerungsgruppe über einen Kamm. Noch dazu nicht irgendeine, sondern ausgerechnet berufstätige Mütter. Frauen, die sich ohnehin schon ein Bein ausreißen, um allen Erwartungen gerecht zu werden und dabei von Selbstzweifeln zerfressen und von Wirtschaft und Politik zerfleischt werden. Gute Opfer sind sie, diese jammernden Wesen, denen man im Gegensatz zu Frauen im Allgemeinen, Ausländern oder Behinderten ganz unverfroren mit offener Feindseligkeit begegnen darf, ohne dabei politisch unkorrekt zu sein.

Ihre Vorwürfe untermauern Sie dabei mit persönlichen Erfahrungen. Sie beschuldigen arbeitende Mütter, grundsätzlich während der Arbeitszeit online für ihre Kleinen zu shoppen, Au-Pairs zu suchen, Termine zu vereinbaren, sich mit anderen Müttern zu verabreden, Gespräche mit Klassenlehrern zu führen und dergleichen. Außerdem stünden Sie während der Arbeitszeit mit ihren Kindern in Kontakt, um diese zu kontrollieren. Pünktlich verließen sie das Büro (wenn sie denn überhaupt mal erschienen), Abgabetermine interessierten sie nicht.
Meine persönlichen Erfahrungen decken sich in keiner Weise mit den ihren.
Auch ich habe einige Jahre in einer Branche gearbeitet, die 100%igen Einsatz forderte. Familienfreundlich gab sich das Unternehmen nach außen. Gleitzeit, Homeoffice, Teilzeitstellen. Mit 2 freien Nachmittagen pro Woche brachte ich es in der Praxis immer noch auf mindestens 35 Arbeitsstunden. Meine Überstunden verfielen zum Ende jeden Monats, ganz im Gegensatz zu denen der kinderlosen Kollegen wie ich per Zufall durch eine fehlgeleitete Mail mitbekam. Der Homeoffice-Zugang war ebenfalls den Männern und kinderlosen Kolleginnen vorbehalten, die Mütter der Abteilung wurden von Vorneherein unter Generalverdacht gestellt, diese „Freiheit" auszunutzen, daher ließ man es auf einen Versuch gar nicht erst ankommen. Morgens war ich die erste im Büro. Und während kinderlose Kollegen problem- und formlos wegen Zahnarzt- oder Frisörterminen früher Schluss machten, musste ich schriftlich begründen, als ich zum Laternenbasteln im Kindergarten meine „Gleitzeit" nutzen wollte (was, nebenbei bemerkt, nur ein einziges Mal innerhalb von 2 Jahren vorkam). Übrigens habe ich in all meinen Jahren als Angestellte nicht einmal während der Arbeitszeiten online geshoppt oder mit meinen Kindern telefoniert und kann mich auch nicht daran erinnern, dieses Phänomen bei Kolleginnen beobachtet zu haben.


Genervt sind Sie von diesen Müttern. Ja, sogar Fotos ihrer Kinder mussten Sie sich bereits während der Arbeitszeit ansehen und sich Anekdoten aus ihrem Alltag anhören. Auch hier bin ich irritiert. Ich habe während meiner Arbeitszeiten bereits Dutzende Hunde-, Urlaubs- und Autofotos kinderloser Kollegen bewundert und kann mich nicht erinnern, dass je Fotos von Kindern (Mitteilungen über Geburten ausgenommen) darunter gewesen wären. Auch Mütter, die kinderlose Kollegen mit Brechdurchfall-Geschichten ihrer Sprösslinge behelligen, sind mir gänzlich fremd. Stattdessen wurde ich regelmäßig über ausschweifende, nächtliche Eskapaden meiner Kollegen informiert.
Und wissen Sie was? Ich habe mich nie daran gestört. Umso grotesker scheint mir die Tatsache, dass sie sich derart belästigt fühlten durch Mütter, die sich in ihrer Gegenwart über ihre Kinder austauschten. Mich würde brennend interessieren, ob Sie auf Fußball-Diskussionen unter männlichen Kollegen genauso empfindlich reagieren.

Mütter haben ein Leben vor und nach ihren Arbeitszeiten, das stört Sie gewaltig. Kinderlose müssten diese Tatsache auf ihren Rücken austragen, unter der Selbstsucht der arbeitenden Mütter leiden. Ausgrenzen wollen Sie Mütter aus der Berufswelt. Sie schlagen vor, neue Arbeitsplätze, gesondert für Mütter, zu schaffen:

Es gibt Schonarbeitsplätze, Wiedereingliederung und dergleichen. Warum gibt es eigentlich keine Mütterarbeitsplätze? Damit wäre sowohl den Müttern, als auch den Kollegen, die immerzu kompensieren müssen, sowie den Arbeitgebern mehr geholfen, als mit der Vortäuschung falscher Tatsachen. Denn nur die wenigsten berufstätigen Mütter können einen Job so ausüben, wie kinderlose Kollegen dies tun."

Und genau hier liegt ihr Denkfehler, liebe Frau Hackl! Mütter haben keine Behinderung, keine Einschränkung, kein Handicap. Sie haben einfach nur einen anderen Lebensentwurf. Kinder sind keine unliebsamen Gegenstände, Mütter kein Teil der Gesellschaft, den man wie Aussätzige behandeln muss. Ich soll für Deutschlands Zukunft sorgen, dabei aber meine Identität als Mutter verleugnen? Immer erreichbar sein, mich ausschließlich mit meinem Beitrag zum Bruttosozialprodukt befassen? Mich nur heimlich um meine Kinder kümmern, wenn keiner hinschaut und meine Arbeitskraft mal ein paar Minuten nicht gebraucht wird? Das ist schlichtweg das Unverschämteste, das ich je gelesen habe. Es nervt Sie, dass berufstätige Mütter Anerkennung einfordern? Mich nervt die Überheblichkeit, mit der Sie Müttern jegliches Recht auf Respekt absprechen wollen.

Und da Sie sich daran stören, dass Mütter ihre Arbeitszeiten nach Kita-Öffnungszeiten richten (müssen), hätte ich noch einen effektiven Lösungsvorschlag, der eine Win-Win-Situation für beide Parteien schaffen würde. Für uns, die Fraktion der berufstätigen, unflexiblen Mütter und für Sie und andere berufstätige Kinderlose, denen unser Vereinbarkeitsspagat ein Dorn im Auge ist: Spenden Sie doch großzügig einen Teil ihres Vollzeit-Gehaltes mit Steuerklasse 1 oder 3 (nicht 5) an Betreuungseinrichtungen für Kinder, so dass diese ihr Angebot ausbauen und Eltern flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen können. Damit sorgen Sie dafür, dass die gestresste Kollegin neben Ihnen in aller Ruhe ihr Projekt beenden kann ohne telefonischen „Zwischenfall" um die Fremdbetreuung zu organisieren. Übrigens bevor sie nach Hause geht und sich bis zum nächsten Morgen kostenlos der "Aufzuchtsarbeit" widmet, die Ihrer Meinung nach keine Anerkennung verdient.
Eine Arbeit, mit der die berufstätige Mutter IHRE spätere Rente statt ihrer eigenen sichert, sehr verehrte Frau Hackl!


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