Nerdzilla #5 – Von japanischen Charakteren, Kaomoji und illustrativen Technologien

gudetama japan

Nerdzilla #5 – Von japanischen Charakteren, Kaomoji und illustrativen Technologien

by Sam • 17. April 2016 • Bloggeria, Japan • Comments (0) • 33

Betritt man in Japan auf der Chuo Linie (中央線, Chūō-sen) eine Straßenbahn in Richtung Akihabara, wird einem sofort eins ins Auge stechen: die zahlreichen Monitore an den Wänden, die gerade mit illustrativen Werbefiguren um die Gunst der potenziellen Käufer buhlen. Oftmals ist die Werbung eben nicht geprägt von Schauspielern oder weiteren prominenten (menschlichen) Persönlichkeiten, sondern auch durch illustrative Figuren, die auf dem Bildschirm häufig gemeinsam mit Werbeikonen wie Kyary Pamyu Pamyu für die simpelsten Produkte in aufwändiger Art und Weise werben.

Steigt man in Akihabara Station, dem Zentrum des Elektronikparadieses Tokyos, aus, wird man visuell überhäuft von Werbetafeln, Leuchtreklamen und den zahlreichen bunten LED Leinwänden. Aus Geschäften, die sich Tür an Tür reihen, hört man sie – die meist fiepsigen Stimmen und kitschigen Elektroniksounds der japanischen Charaktere. Der japanische Alltag wird durch illustrative Symboliken bestimmt. Figuren, die zu Beginn als reines Design für ein Produkt gedacht waren, werden von den Verbrauchern emotional mit in ihren Alltag eingebaut. Sie nehmen sie nicht als Werbung war, sondern als einen Begleiter fürs Leben. Die Berühmteste von ihnen ist Hello Kitty, die schon seit über 40 Jahren auf vielen Produkten in Erscheinung tritt.

akihabara japan

Akihabara, ein Paradies für Nerds

Sie vermitteln ihren Käufern eine emotionale Grundlage. Dies sagt zum Teil auch die von derJapan Foundation genannte Umfrage des Bandai Research Centers, warum Japaner Produkte ihres liebsten Charakters mit sich tragen. Dort heißt es, dass sie das Gefühl haben, eine Ruhe zu verspüren, als wäre ein Freund oder ein Familienmitglied bei ihnen. Kaum ein Land hat so viele unterschiedliche Illustrationsarten und Stile vorzuweisen wie Japan. Es beginnt bei den traditionellen Kunstformen wie der Kalligraphie und wird weiter getragen zu den spezielleren Medien wie Manga und Anime, die sich sogar hierzulande einer hohen Beliebtheit erfreuen. Viele deutsche Produktionen wurden schon vor Jahrzehnten von japanischen Illustratoren unterstützt, so auch die Trickfilmserie Die Biene Maja, die in den 70er Jahren beim japanischen Studio Zuiyo Enterprises, heute bekannt als Nippon Animation, bestellt und animiert wurde. Übergreifendes Zusammenarbeiten ist keine Seltenheit, so entstanden auch heutzutage als Klassiker eingestufte Serien wie Es war einmal … der Mensch. Die damaligen länderübergreifenden Kooperationen untermalten die Besonderheit dieser Werke und begeistern durch ihr audiovisuelles Erscheinungsbild bis heute die Zuschauer.

Es dürfte unumstritten sein, dass die Technologie die Gesellschaft im Jahre 2016 eingeholt hat und täglich versucht, dieKommunikation mit sozialen Kontakten zu erleichtern. Mit unzähligen Apps, Social Media Plattformen und neusten Ideen, Menschen zu verbinden und Unterhaltungen zu führen, rund um die Uhr.

Statt direkt miteinander zu sprechen, wird mehr schriftlich kommuniziert. Ich ruf dich nicht an, ich schick dir nur eine Textnachricht. 

So äußerte sich im Juni 2012 die US-Soziologin Sherry Turkle in einem Interview mit der Zeitschrift Der Spiegel über die Nutzung moderner Smartphones bei Jugendlichen. In Japan sind Apps zur Kommunikation schon seit Jahren beliebt. Die Zahl der Accounts in japanischen sozialen Medien soll sich laut der Marketing-Spezialistin Kristie Wong auf ca. 24 Millionen belaufen, wobei diese Zahl nur die aktiven Nutzer repräsentiert. Die beliebteste App namens LINE verbindet dabei Spiele, die man mit seinen Freunden gemeinsam über die Anwendung nutzen kann, den Faktor des Austauschs über den Chat und den Austausch von Stickern und Kaomoji. Vom Grundkonzept ähnelt LINE dem Kontrahenten WhatsApp, unterscheidet sich jedoch durch weitere Funktionen weitestgehend davon. Die bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Sticker kann man erwerben, um Kontakten seine aktuelle Gefühlslage zu vermitteln. Nicht selten sind beliebte Charaktere abgebildet.

Das koreanische, jedoch mittlerweile in Japan ansässige Unternehmen Naver erzielt einen hohen Anteil der eigenen Einnahmen allein durch den Verkauf von Stickern innerhalb der Anwendung. Ein Satz Sticker einer Serie kosten durchschnittlich 100 LINE Münzen, die man für 1,99 € erwerben kann.

Dafür erhält man zum Teil bis zu 40 Aufkleber mit Emotionen in dem Stil des Charakters, die man wortlos verschicken kann. Auf den ersten Blick wirken sie süß und simpel gestaltet, werden jedoch überwiegend Bilder verschickt, die eine fröhliche Anmutung haben. Arbeitet man sich tiefergehend in die Thematik der Anatomie und Wirkung japanischer Charaktere ein, begegnet man einer Form der Darstellung, die sich Kimokawaii nennt. Kombiniert aus den Wörtern Kimochi warui (jap. 気持ち悪い, ekelhaft) und Kawaii (jap. 可愛い oder かわいい, niedlich) bedeutet es in etwa ekelerregend süß.

Gudetama Sticker in Line

Gudetama Sticker in Line

Dieser Trend zeigt die Verbindung einer Figur, die in ihren Grundzügen liebenswert gestaltet, jedoch mit eher dunklen und negativen Emotionen versehen wurde. Nehmen wir hierfür als Beispiel den Sanrio Charakter Gudetama, der 2013 bei einem Wettbewerb, der einen neuen Charakter mit der Thematik Lebensmittel hervorbringen sollte, den zweiten Platz belegte. Gudetama stellt ein negativ eingestelltes, stets demotiviertes und immer ängstliches Spiegelei dar, das die Sorge hat, eines Tages von jemandem verspeist zu werden.Trotz seiner eher negativen Grundeinstellung findet er in Japan und mittlerweile auch in Übersee viele Anhänger und ist damit auch ein beliebterer Kassenschlager als der eigentliche Gewinner des Wettbewerbs, KIRIMI-chan, einem Lachsfilet auf zwei Beinen und mit kurzen Armen. In der alljährlichen Charakter-Rangliste belegt Gudetama 2015 den vierten Platz mit 223,336 Stimmen, während KIRIMI-chan nicht einmal in der Top 10 auftaucht.

Doch wie kommt es, dass man sich innerhalb eines kurzen Augenblicks mit einem solchen Sticker identifizieren kann, auf dem ein Spiegelei abgebildet ist, das sich gerade in der Nase bohrt? Und das in einer stilisierten Form, die mit wenigen Strichen und Farben auskommt?

Ähnlich verhält es sich mit den Kaomoji, der japanischen Art von Emojis. Beide haben ihren Ursprung in Japan, Emoji jedoch erst 1998, als Shigetaka Kurita an einer neuen Art der Kommunikation arbeitete, die es erleichterte, Floskeln in E-Mails und Kurznachrichten lebendiger erscheinen zu lassen. Eine rein schriftliche Kommunikation kann oftmals nicht die Emotionen seines Absenders widerspiegeln, je nach Länge oder Art der Nachricht.So entstanden die kleinen Bilder, die heutzutage in jedem Messenger einsatzbereit darauf warten, ausgiebig genutzt zu werden. Im Gegensatz zu Kaomoji.

In Japanese comics, there are a lot of different symbols. People draw expressions like the person with the bead of sweat, you know, or like, when someone gets an idea and they have the lightbulb.
Shigetaka Kurita mit Jeff Blagdo: How emoji conquered the world, The Verge, 2013

Diese werden vertikal dargestellt und sollen den genauen Gesichtsausdruck des Absenders übertragen. Sie setzen sich im Gegensatz zu Emoji nicht aus Bildern, sondern aus Symbolen, Buchstaben und Satzzeichen zusammen. Wenn man nicht gerade eine Applikation nutzt, die vorgefertigte Sätze mit der Vielzahl an Kombinationen anbietet, wird die Nutzung erschwert, da nicht jeder Besitzer eines Smartphones die entsprechenden Tastaturen installiert hat, um diese Gesichter einzutippen.

Vergleicht man sie mit den Stickern in Line, drücken auch sie mit wenigen Zeichen die nötigen Emotionen aus, die dem Empfänger behilflich sein können, um die Nachricht zu verstehen.

o(*^∩^*)o – glücklich

(๑各̀仆各́)و – siegreich

(ง ╞各౪`各)ว – verlegen

(๑各́‧̫各̀๑) – schüchtern

3(;﹉洛﹉) – überrascht

╬ಠ壏ಠ) – wütend

ヾ(。>﹏<。)ノ゙– verletzt

(。各́︿各̀。) – traurig

ヾ( 各́’各̀ ;)ノ – erschrocken

(╬ )屋 – besorgt


Teil 2 folgt

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