Mollys 200

O-Ren Ishii hatte 88 (zumindest dem Namen nach) und König Leonidas angeblich 300. Und ich sitze hier und versuche mich damit zu trösten, dass Danny Ocean auch mit 11 Leuten (oder waren es mit ihm 11?) was gerissen hat.
Aber beginnen wir diese Geschichte doch da, wo sie angefangen hat …

Freitag Abend, irgendwo nahe Urheimat.
Draußen ist es mild bis kühl, drinnen wird es immer wärmer, jetzt, da immer mehr Menschen hineinströmen. „19 Uhr“ stand auf der Einladung und mir wurde Pünktlichkeit beigebracht; wenn Herr L. die Kinder übernimmt, schaffe ich sogar, mich daran zu halten.
Die meisten Gäste trudelt zwischen 19:30 und 20 Uhr ein und ich bin halb verhungert. Dennoch haben meine Freundinnen und ich Spaß, je mehr Menschen kommen: „Guck mal der!“ – „Ist das etwas …?“ – „Boah, wie sieht der denn jetzt aus?“, dieses Spiel wird niemals langweilig.

Wir befinden uns nämlich auf der Geburtstagsparty einer lieben Freundin. Rrrrrrund ist er, der Geburtstag, das lässt sie sich was kosten, während ich froh bin, mittlerweile endlich mal mein BaFÖG abbezahlt zu haben und gleich darauf eine Spühlmaschine auf Pump gekauft habe. Fragt sich sonst noch wer, ob er studieren oder eine Ausbildung machen soll?

Eine wird 30, eine wird 40 und weil man sich als direkte Nachbarn so gut versteht, wird eine Doppelfeier draus, warum auch nicht?
Dennoch kommt mir irgendetwas spanisch vor.
Später dann bei Tisch – und nachdem schon etliches an Fleisch und Käse den Weg in meinen Magen erfunden hat – wird mir auch klar, was.

„Äh“, stelle ich geistreich in den Raum, „wo kommen eigentlich all die Menschen her? Das müssen ja an die 350 sein?“
An Ann-Kathrins Gesicht kann ich erkennen (sie sollte wirklich niemals Poker spielen oder sonstwas, wobei man bluffen muss), dass sie sich diese Frage auch schon gestellt hat.
Eine Spur zu lässig lässig sagt sie: „Ach das? Na ja, immerhin feiern hier ZWEI Leute!“
„Na ja“, werfe ich ein, „das wären immernoch 175 Gäste für jeden!“
„Mehr!“, sagt Johanna, „eher 200. Weil die sich ja die Nachbarschaft teilen!“
Jetzt ziehen wir alle ein unglückliches Gesicht.
Und ich stelle die Frage, die uns alle beschäftigt: „Wo, verdammt, bekommt man so viele Leute her????“

Ich war in der Grundschule sehr beliebt und hatte viele Freunde. Damit war nach der 4. Klasse Schluß. Denn damals war es NICHT üblich, dass jeder Zweite oder Dritte oder auch mal fast die ganze Klasse auf`s Gymnasium wechselte. Damals war das etwas BESONDERES, und nur SEHR WENIGE Schüler taten nach der 4. Klasse diesen Schritt.
Und das war es auch schon mit einem Großteil meiner Freunde: *PUFFFF* und weg. An andere Schulen. Und da die meisten in anderen kleinen Dörfern wohnten, gab es rein logistisch keine Möglichkeit, an den Freundschaften festzuhalten.
Ich könnte heute noch das neidvolle K*tzen kriegen, wenn ich sehe, wie regelmäßig sich hier ehemalige Mitschüler der Real- und Hauptschulen treffen, da kennt jeder noch jeden …

Auf dem Gymnasium dann trafen wir auf bereits verschworene Gemeinschaften, da war es schwer, reinzufinden. Einzelgänger rotteten sich zusammen, aber ansonsten blieben die Leute unter sich, ebenso wie wir. Nur langsam dröselte das auf.
Mittlerweile hat sich da zumindest an meiner ehemaligen Schule eine Menge getan, da wird zu Beginn der 5. Klasse eine richtige kleine Projektwoche nebenbei veranstaltet, die die Kinder weild durchmixt und ganz gezielt dafür sorgen soll, dass sich ALLE Kinder untereinander kennenlernen und auch das „Klassengefühl“ entsteht und wächst.
Gab es damals bei uns nicht, daher dauerte das JAHRE.

Dann entstanden Freundschaften, die bis heute halten. Und die dank unseres Schulsystems auf eine harte Probe gestellt wurden: In der Oberstufe hatte ich kaum noch Kurse mit meinen Freunden, mit manchen trotz 100 Fächern gar keine (!) mehr, man sah sich nur noch in den Pausen. Das war sehr hart für mich.

Und wo sind diese Freunde jetzt hin?
Da gibt es eigentlich nur drei Sorten: Die, die geblieben sind, diejenigen, die gegangen sind, und solche, die gegangen, aber zurückgekehrt sind.
Die, die geblieben sind – so wie unser liebes Geburtstagskind – haben eine Ausbildung (Lehre oder Schule) vor Ort gemacht. Haben mit andern Daheimgebliebenen engen Kontakt gehalten. Haben Während der Ausbildung und später dann im Beruf neue Leute kennengelernt. Sind an den Wochenenden ausgegangen und haben ihr selbstverdientes Geld ausgegeben.

Andere – wie ich – sind gegangen. Sind weggezogen, um wo anders ein Studium – oder selten eine Ausbildung – zu absolvieren.
Im Studium lernt man 100.000 Leute kennen, klarer Fall.
Reizüberflutung.
Ich habe wunderbare Freundschaften geschlossen (während ich gleichzeitig versucht habe, die anderen Freundschaften zu halten), keine Frage.
Liegt es an mir?
Denn: Es wurde immer schwieriger, meine alten Freundschaften aufrecht zu erhalten. Am einfachsten ging das mit denjenigen, die in der Urheimat geblieben waren; mit denen konnte ich was unternehmen, wenn ich auf Heimatbesuch war.
Aber die meisten hatten sich über alle Unis Deutschland verteilt. Und wenn der eine die Eltern besuchte, konnte er andere nicht und … ahrg.

So gingen mir leider einige Freundschaften verloren. Nicht aus bösem Willen. Aber irgendwann, wenn man sich andauernd nicht sieht oder sonstwie kommuniziert … Klar, es gibt diese magischen „Weißt Du noch?“-Treffen, aber auf Dauer … braucht eine Freundschaft Beständigkeit und Nähe. Ich habe ein paar Freunde, die ich nur alle Jubeljahre sehe oder mir nur einmal im Jahr schreibe und dann ist es, als wären wir nie getrennt gewesen. Da klappt das. Aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel!

Und meine neuen Freunde von der Uni?
Dreimal dürft ihr raten!
Der Abschluß naht, der Abschluß kommt und schon sind sie wieder weg. Fairerweise muss ich zugeben: Wir auch!
Wieder sind alle verstreut, dieses Mal sogar über halb Europa.

Über einige Umwege sind wir dann hier gelandet, in Groß-Bummelsdorf. Hier leben wirklich sehr nette Menschen, tolle Leute, mit denen ich mich verstehe. Aber Freundschaften? Entstehen bei mir sowieso nur zögerlich, zaghaft. Zudem – und diesen Faktor sollte man nicht unterschätzen! – befinde ich mich in einem Lebensabschnitt, in dem ich junge Kinder habe. Und die meisten Menschen, die ich treffe, haben ebenfalls junge bis jugendliche Kinder. Was das heißt, muss ich keinem erklären, der Kinder hat: Endlose Rumfahrerei, nicht mehr nach Belieben ausgehen, kranke Kinder, Termine, Termine, Termine usw.
Hinzu kommt, dass die meisten Menschen, die hier leben solche sind, die nie weggegangen sind und schon seit Ewigkeiten ihre Freunde haben, da passe ich nicht rein! Deren Leben ist schlicht und einfach schon voll.

Um „Nicht-Mamis“ kenenzulernen, zB über einen Verein oder ein Hobby fehlt mir sowohl die Zeit, als auch die Fahrmöglichkeit.

Arbeitskollegen:
Haha.

Bleibt die Familie.
Wer will raten?
Richtig: Die hat es auch irgendwie über ganz Deutschland verteilt. Ich bin kein Krösus, und meine Familie ist es auch nicht: Mal eben eine Übernachtung in einem Hotel bezahlen, weil Molly Geburtstag feiert, ist nicht drin, für mit-ohne Ünbernachtung die Fahrt zu weit.

Das war jetzt eine lange Liste. Ann-Kathrin, Johanna und ich haben lange daran herumgefeilt. Haben uns gegenseitig erklärt, warum wir nie im Leben so viele Gäste haben würden (wobei die Beiden dann doch auf ein paar mehr Leute kommen als ich). Haben versucht, uns gegenseitig zu versichern, dass es nicht an uns liegt und das wir doch eigentlich ganz feine, liebe Menschen sind. Interessant, witzig und klug. Weiß nur leider kaum einer.

Und wenn ich das Pflichtpersonal abziehe – direkte Nachbarn, enge Familienangehörige – dann … sitze ich da und überlege, dass Danny Ocean doch auch mit 11 Leuten (oder waren es mit ihm 11?) was gerissen hat, dass das also doch wohl genug sind.

… oder?


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