Mobbing: Brief einer Mutter an ihr Kind

Heute geht es um unsere Tochter, Nummer 2.

Es geht um Ausgrenzung, Demütigungen, Einschüchterungen und menschliche Hässlichkeit. Es geht um Mobbing.

Ein Thema, das viele – viel zu viele – Kinder und auch Erwachsene betrifft. Ein Thema, das viele verharmlosen. Eine furchtbare Sache im Zusammenleben, die inzwischen Gang und Gäbe zu sein scheint und nicht nur krank machen kann, sondern immer wieder Kinder und Jugendliche zum Äußersten treibt.

Meine Gefühle zu diesem Thema habe ich noch nie dezidiert ausgedrückt. Ich bin traurig, hilflos wütend, ungeduldig und enttäuscht. Ich will zeigen, wie sehr man als Mutter mit einem Kind leidet, das ausgegrenzt und verletzt wird. Vielen Kindern geht es wie unserem und viele Eltern fühlen wie wir – das weiß ich. Ich möchte sagen: „Wir sind nicht alleine!“

Meine Gefühle drücke ich in Form eines Briefes an meine Tochter aus, dessen Inhalt sie kennt und den ich für diesen Artikel verfasste. Mit der Veröffentlichung ist sie ausdrücklich einverstanden.

Meine liebe Tochter, 

„Sie haben mich alle ausgelacht und gesagt, dass jemand, der neben mir sitzen muss, sich besser umbringen sollte!“

„Er sagte, er will mich fertigmachen bis ich weine!“

„Das war wieder so demütigend heute in der Schule!“

„Sie hat gesagt, sie will mich zusammenschlagen und mir einfach nur in’s Gesicht schlagen, wenn sie mich sieht!“

„Sie haben mich an den Armen und Beinen festgehalten und über den Schulhof gezerrt.“

„Sie haben ein Spiel erfunden, in dem es irgendwie darum ging, mich umzubringen.“

„Sie haben schon wieder mit Bällen auf mein Gesicht gezielt im Sportunterricht. Das machen die echt, während die Lehrerin daneben steht! Sie leugnen hinterher immer alles und nie bekommt ein Lehrer es mit.“

„Diejenigen, die mich fertigmachen, fragen im Kunstunterricht immer, ob ich ihnen helfen kann – ich verstehe die nicht. Kapieren die nicht, was die mir antun? Halten die das für Spaß, wenn sie mich quälen, bis ich weine? Können die denn nicht für zwei Cent nachdenken?“

Solche und ähnliche Dinge höre ich seit Langem immer wieder von Dir.

Und ja, mein Herz tut weh. Ich höre, wie mein Kind verbal gequält und körperlich angegriffen wird. Phasenweise tagtäglich, immer wieder, seit drei Jahren.

Die Angriffe begannen wie harmlose Kommentare und steigerten sich zu verletzenden und geschmacklosen Höhepunkten. Du, ich – wir als Familie – haben einen langen, schmerzhaften Weg hinter uns.

Ich möchte ausdrücken, wie sich all das aus meiner Sicht anfühlt. Es sind so viele Bereiche Deines Lebens betroffen.

Es sind zum Einen einfache, äußere Umstände, aber auch tiefgreifende Veränderungen.

Durch den Druck in der Schule erträgst Du keinen weiteren Druck. Keine Forderungen, keine größeren Erwartungen. Während ich Deine Geschwister an ihre einfachen Aufgaben erinnern kann, ist Dir der zusätzliche Druck zu viel.

Du ziehst Dich zurück, hattest immer weniger Freunde.

Ich erinnere mich, wie Du Dir hübsche Sachen aussuchst und Dich für die Schule anziehst, um dort dann ausgelacht zu werden und traurig nach Hause zu kommen.

Ich sehe inzwischen, wie Du langsam die Lust daran verloren hast, Dich besonders um Dein Äußeres zu kümmern.

Du fühlst Dich hässlich, nicht wirklich liebenswert innerhalb der Außenwelt, zutiefst verunsichert, „seltsam“ und wie zusammengefasst wie eine Ausgestoßene. Gleichaltrige amüsieren sich , hängen zusammen ab – Du stehst alleine in der Nähe, aber abseits.

Das Mobbing ist ein alltägliches Thema, das wir kaum noch ertragen können. Es gibt ja inzwischen sogar meine Anordnung, erst nach dem Mittagessen von der Schule zu erzählen, damit wir wenigstens in Ruhe essen können.

Wir haben immer wieder Gespräche, Termine und Telefonate mit der Schulleitung, mit Lehrern, Psychologen, dem Kinderarzt …

Ich liebe Dich so sehr und habe täglich das Gefühl, Dich jeden Morgen den Löwen zum Fraß vorzuwerfen. Es tut unglaublich weh, mitzuerleben, wie das eigene Kind leidet und nach und nach jede Möglichkeit verliert, sich zur Wehr zu setzen.

Ich bin inzwischen so wütend. Am liebsten würde ich die Klassentür aufreißen, mich vor die Klasse stellen und sagen (und ich bin selbst entsetzt über das Ausmaß an Wut in mir):

„Ihr seid ein Haufen anstands- und empathieloser Würmer ohne Rückgrat. Ihr seid das Klischee der respektlosen, verwöhnten Narzissten ohne Blick für andere Menschen, die in den vielen Zeitungsartikeln über eure Generation erwähnt werden. Ein Haufen Frustrierter und ihre Mitläufer  – gesegnet mit willentlich blinden Lehrern und Eltern, die Euch keine Möglichkeit auf eine gute und wünschenswerte Weiterentwicklung geben. Ihr wisst gar nicht, was ihr anrichtet!

Weder meinem Kind gegenüber, noch den anderen in der Klasse. Das Klima ist bestimmt von Hässlichkeiten und der Angst davor. Von Loyalitätskonflikten, von Aggressionen und Verletzungen.

Es ist mir inzwischen egal, dass eure bisherige Klassenlehrerin keine Führungsqualitäten hatte und sich anscheinend eher bei euch anbiederte, statt euch ein gutes Vorbild zu sein. Und dass ihr dadurch als Gruppe wenig Chancen hattet. Was ich sehe, sind die hässlichsten und traurigsten Seiten an Menschen: Die Bereitschaft, den Schmerz Anderer zu ignorieren oder sich sadistisch an ihm zu erfreuen, die Angst davor, mutig gegen Ungerechtigkeit aufzustehen, das allgemeine Duckmäusertum und die ebenso furchtsame Mitläuferschaft. Alles gefördert in einer angesehen Schule, die sehr gerne in der Zeitung die Leistungen ihrer Schüler vorzeigt. Unter anderem auch die Leistungen meiner Tochter, die ihr scheinheilig gefeiert habt, als sie einen Schullesewettbewerb gewann.

Ich habe meinen ansonsten sehr zuverlässigen Sinn für Gerechtigkeit und Analyse genau da verloren, wo ihr lacht, wenn meine Tochter weint.

Ich sollte euch bemitleiden, weil ihr nach rund 13 Lebensjahren bereits derart komplexbehaftet seit, dass ihr aus dem Gefühl eigener Minderwertigkeit heraus eine Unbeteiligte auserkoren habt, um euch an ihr auszuagieren und euch durch ihre Tränen mächtig zu fühlen.

Ich bin einfach nur entsetzt, weil ich beobachten kann, dass es keinerlei Worte und Zwischenfälle gibt, die euch verändern können. Jetzt nicht und vermutlich auch in Zukunft auch nicht. Ich setze nicht mehr darauf, dass ihr Eltern habt, die genug Interesse besitzen, ihren Mut zusammenzunehmen und sich anzusehen, wie ihr wirklich seid. Denn bisher waren sie ja auch nicht in der Lage, euch das zu geben, was ihr wirklich braucht. 

Ja, man hätte Euch besser beobachten und begleiten müssen. Die Gemeinschaft stärken und dafür sorgen, dass ihr einander wenigstens an der Basis vertraut. Leider geschah das nicht und ihr zeigt nun, was dabei herauskommt, wenn man eine Gruppe Kinder nicht anleitet.

Ich wünsche euch, dass euch das Gleiche widerfährt wie meiner geliebten Tochter. Leidet! Schlaft nicht mehr! Haltet euch für den letzten Menschen! Schaut auf eure zitternden Hände! Weint! Fühlt euch hilflos!“

Das würde ich am liebsten laut formulieren.

In der Wirklichkeit bleibe ich natürlich auf meiner Wut sitzen, wie Du auf der Deinen.

In Wirklichkeit würde ich niemals zu Kindern auf eine solche Weise sprechen, das weißt Du. Aber das Bild der Vorstellung hat eine fast therapeutische Wirkung auf mich.

In der wirklichen Welt begegnete ich einer Klassenlehrerin, die Dir selbst die Schuld an der Quälerei gab:

„Du bist ja auch wirklich ziemlich komisch! Kein Wunder, dass die dich mobben! DU musst dich mal verändern!

oder „Du musst auch mal deine Persönlichkeit zurücknehmen, damit die dich mögen!“

oder „Na toll, jetzt sind deine Eltern wegen dir zum Direktor gerannt und ich hab einen ‚Anschiss‘ bekommen – ich hätte meine Klasse nicht im Griff, hieß es! Danke auch!“

sowie der Klassiker: „Vielleicht bist du einfach nur empfindlich. Die meinen das nicht so. Die halten das für Spaß.“

Ich möchte nicht, dass solche Menschen mein Kind unterrichten. Ich habe aber keine Wahl. Ich bezahle sogar dafür durch meine Steuern. Selten war mein Geld derart schlecht angelegt, wirklich.

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Ich würde Dich die Schule wechseln lassen, aber die einzige Schule in der Nähe unserer Kleinstadt ist weit weg. Du hast zugleich Angst, dass es mit dem Mobbing dort gleich wieder losgeht. Statistisch gesehen besteht das Risiko definitiv – meistens ist man als Opfer schon so paranoid, dass man alles auf sich bezieht, was den möglichen Mobbing-Charakteren als Schwäche auffällt und sie gleich zur Tat schreiten lässt. Du hast vor allem Angst vor dieser Art Neuanfang, der sich anfühlt, als habe man Dich hinausgeekelt.

Du willst nicht vor den Mobbern fliehen, sie nicht siegen und über Dein Leben bestimmen lassen.

Nun haben wir einen Neunanfang für uns alle beschlossen:

Wir werden unser Haus verkaufen und umziehen. Nicht nur wegen des Mobbings, aber definitiv auch. Wir haben alle sehr viele Veränderungen durchlebt in den letzten zwei Jahren und diese können wir in einer neuen Umgebung und neuen sozialen Gruppierungen frei entfalten. Du genau so wie wir Anderen.

Wir möchten zurück in die Nähe der Stadt, in der Du geboren wurdest. Dort fühlen wir uns beheimatet. Ich für meinen Teil habe mich hier nie zuhause fühlen können. In der dörflichen Atmosphäre einer Kleinstadt, in der man entweder „sein eigenes Ding macht“ oder ewig die „Neue und Zugezogene“ ist.

Desaster von Anfang an

Bevor Du in das Schulsystem eingetreten bist warst Du ein Kind voller Freude, Euphorie, Sensibilität und Liebe für die ganze Welt.

Du warst inspiriert von winzigen, niedlichen Dingen, hast gerne draußen gespielt und auch gerne viel gelesen. Wenn Du eine traurige Geschichte gelesen hast, dann warst Du viele Tage ergriffen davon und hast darüber erzählt.

Du warst nachdenklich und feinfühlig. Und zufrieden. Mein Lieblingszitat von Dir war das herrlich glücklich geseufzte:

„Hach, das ist eine schöne Welt.“

Mobbing

Die Herausforderungen wachsen – manchmal wird es schwer, mitzuhalten

Inzwischen habe ich das Gefühl, Dich einer Horde Wölfen vorgeworfen zu haben, als ich Deine Schultüte füllte.

Von Anfang an war der Wurm drin. Deine erste Lehrerin hielt Dich, Zartbesaitete (Hochsensible, um mal das Modewort zu nennen), für unreif und weinerlich. Weil Du Dich in ihrem Unterricht gelangweilt und dadurch gestört hast, erklärte sie Dich für ein wenig zurückgeblieben.

Dann kam der Lehrerwechsel zur einzigen Lehrerin, mit der Du jemals glücklich warst. Und das war ausgerechnet mitten in der Phase unseres Umzug nach hier.

Diese Frau erkannte Dich so, wie Du warst:

„Es ist eine Freude, als Lehrerin mit einem so wissbegierigen und intelligentem Kind zu arbeiten! Ich liebe den Umgang mit ihrem Kind. Und ich erkenne genau, wie schnell ihr Verstand arbeitet. Ich kann das Zeugnis meiner Vorgängerin nicht begreifen. Ich sehe Ihre Tochter ganz anders. Ihr Kind ist wunderbar gebildet – sie fangen wirklich sehr gut alles ab, das in der Schule fehlt. Und immer fehlen wird.“

Du bist aufgefallen – das gefiel nie wieder einer Lehrperson so sehr wie dieser.

Der Eindruck durch Dein erstes Schuljahr, in dem Du Dich fühltest als hielte man Dich für dumm, hat sich tief eingefressen in Dich. Schule hast Du fortan abgelehnt. Auch wenn Du ihr immer wieder eine Chance gegeben hast, dieser Institution. Um immer wieder enttäuscht zu werden. Wie hab ich immer wieder auf Dich eingeredet und damit mehr Reife und Kompetenz von Dir als von den Lehrern verlangt.

Auszüge aus der Schulkonferenz, die wir hatten, damit Du eine Klasse vorgesetzt werden konntest:

„Ich habe ihrer Tochter ja nun wirklich genug Lernstoff gegeben. Aber diesen wollte sie ja nicht machen!“

Meine Frage daraufhin: „Meinen sie Lernstoff der Klasse 2? Das Problem ist Unterforderung hier. Wieso soll sie dann noch mehr von dem machen, das sie bereits beherrscht und  das sie langweilt?“

Antwort der Lehrerin: „Tja, manchmal muss man eben einfach auch etwas Unangenehmes machen, so ist das nun mal! Es ist schon ein bisschen…arrogant, sich hinzusetzen und nicht mitmachen zu wollen.“

Oder auch die Schulleitung: „Nun ja, es gibt eben Lehrer, die sich durch ein solches Kind angegriffen fühlen. Nicht jeder wird gerne berichtigt. Auch wenn er berechtigt berichtigt wird.“

„Das Kind muss Verständnis dafür entwickeln, dass Erwachsene sich auf den Schlips getreten fühlen, wenn es mit acht Jahren mehr weiß als sie. Und da müsste es vielleicht mit mehr Verständnis reagieren.“

Schule. Eine lange, ermüdende Geschichte. Würde ich nicht in Deutschland leben, würde ich meine Kinder längst selber unterrichten. Weniger aus tiefer Überzeugung als aus resignierter Konsequenz.

Wir mögen dich nicht, weil …

„Wir mögen dich nicht, weil du eine Klasse übersprungen hast – du durftest das bestimmt, weil du zu blöd für den Lernstoff warst!“

Das war der erste Satz, der direkt gegen Dich ging. Das war in der neuen, der vierten Klasse. Ich erinnere mich gut daran, weil ich ein ganz mulmiges Gefühl hatte, als Du mir davon erzählt hast. Auch wenn Du damals noch selbstbewusst und schlagfertig aufgetreten bist:

„Klaro, immer, wenn man den Schulstoff nicht versteht, kommt man eine Klasse weiter. Kannste ja auch mal probieren …“

Nach dem Schulwechsel brauchte die neue Klasse dann eine Weile, um sich in ihrem System einzufinden. Es ging leider erneut gegen Dich, die Seltsame, die Jüngere, die Verständige, das Kind mit dem tief verankerten Gefühl von Selbstwert. Sie fühlten sich verunsichert. Und es wurde immer heftiger.

Ich riet Dir Tausend Dinge. Dir Hilfe durch die Lehrerin zu suchen („Ihr Kind steht dauernd an der Lehrerzimmertür nach der Pause und weint. Das ist ganz schön anstrengend. Ich kann schließlich nichts tun, um zu helfen.“), mit den Kindern zu reden, sogar ihnen verbal wehzutun und letztlich riet ich Dir, was ich durch das Buch „Ender’s Game“ gelernt hatte: Schnapp Dir den Anführer und hau ihm eine, so feste Du kannst. Dann drohe seinen Mit-Mobbern das Gleiche an.

Mobbing

Das half. Fast ein dreiviertel Jahr lang war Ruhe. Sie schenkten Dir sogar Kekse und boten Dir Hilfe an. Dann schlich es sich wieder ein. Eine Weile versuchten wir erneut es zu selbst zu lösen, weil wir seitens der Schule gar keine Unterstützung erwarteten. Bis es mir irgendwann reichte.

Ich traf zusammen mit Deinem Vater den Schuldirektor, ein Anti-Mobbing-Programm wurde gestartet. Innerhalb dieses Programms sollten die Eltern der Mobber nicht informiert werden, damit sie den (vermutlich ohnehin nicht) folgenden Ärger durch dieselbigen nicht auf Dich übertragen würden. Das Ganze war leicht anstrengend, weil Du dauernd jeden Vorfall melden gehen musstest und er immer wieder abwechselnd Dich und später dann die betreffenden Kinder aus dem Unterricht holte. Letztlich standest Du durch die dauernden Meldungen als kindische Petze da. Aber immerhin:

Es brachte insgesamt rund drei Wochen Ruhe. Wir atmeten auf, wagten vorsichtig zu hoffen.

Dann ging es wieder los. Neue Gespräche, wieder neue Versuche. Wieder kurz Ruhe. Und so weiter.

Ich besuchte mit Dir eine Psychologin, die Dich ein wenig stärken konnte. Ich las viel über Mobbing. Wir redeten viel.

Die Sommerferien kamen und es ging anschließend wieder los.

Der erste Eklat gleich am vierten Schultag. Die neue Klassenlehrerin (Hurra, eine neue Chance!) reagierte schockiert und war vollkommen überfordert von einer derart aggressiven Klasse, sagte sie später.

Du bist weinend zur Toilette gerannt.

Wir haben mit Deiner Lehrerin sofort telefoniert.

Deine Lehrerin sagte, so etwas wie am betreffenden Freitag habe sie noch nie erlebt. Dass eine Klasse sich binnen Sekunden zu solcher Aggression hochschaukelt, das sei noch nie in ihrer Anwesenheit vorgekommen.

Sie weiß inzwischen, dass ihre Vorgängerin vor den Schülern über Kollegen lästerte. Und auch vor der ganzen Klasse über einzelne Schüler. Mobbing ist immer ein Systemfehler sagt man. Und auch „Der Fisch stinkt vom Kopf her“: In dieser Schule lästern Lehrer übereinander! Und über einzelne Schüler!

Sie beschweren sich bei Kindern darüber, dass Eltern sehr angemessene Gespräche mit ihrem Vorgesetzten führten. Sie klagen Schülern ihre eigene Kindheitsgeschichte („Ich wurde ja auch früher von meinem Bruder gemobbt, er hat sich dauernd über mich lustig gemacht. Ich weiß wie das ist. Ich hab da aber keine Lösungstrategie…“)

Und Lehrerinnen, die nach einem Mobbing-Vorfall sagen: „Nun lasst uns doch ein Stück Kuchen essen und das Ganze vergessen.“ 

Wie sollen diese den Kindern dann Respekt und ein angenehmes Miteinander vorleben?

Der Status quo im Moment: Deine neue Lehrerin weiß, dass wir wegziehen und dass wir der Schule nicht mehr zutrauen, diese verschleppte und von ihr vollkommen verbockte Situation zu lösen. Sie selbst klingt auch nicht mehr wirklich überzeugt von einer zukünftigen Veränderung und hofft, dass alles nach unserem Wegzug von alleine besser wird.

Die Denkrichtung der Schule ist viel zu abwartend, zu sehr die Täter schützend, zu wenig opferempathisch. Von Dir verlangen sie dauernd Vertrauensvorschüsse, Geduld, Aushalten müssen. Von den Mobbern verlangt man nicht viel.

Ein klassischer Fall eines Systems, das sagt:“ bei uns ist alles perfekt, Sie sind ein trauriger Sonderfall.“ Unseren Hinweis, unsere Psychologin habe erwähnt, es häuften sich gerade die Mobbing-Fälle der betreffenden Schule sagte der Schulleiter: „Das stimmt nicht. Und die darf nicht über andere Fälle reden!“ (Doch, sie darf Tendenzen und Beobachtungen nennen, ohne namentlich ihre Klienten oder im Gespräch erwähnte Namen zu erwähnen.)

Victim Blaming ist – neben dem Augenverschließen und Herabspielen –  eine beliebte Methode, die Schwere des Konflikts nicht sehen zu müssen. Und das wird an dieser Schule gern betrieben:

„Grenz dich nicht so aus, Kind. Du bist es selber schuld, wenn die gemein zu dir sind!“

„Wenn du deine Materialien vergisst, ist es kein Wunder, dass eine Mitschülerin die ganze Stunde lang diesen Vorfall kommentiert. Natürlich pfeife ich dann dich an, wenn du dieses Mädchen genervt anbrüllst.“

Diese Sätze fielen, nachdem wir mit Deinem Direktor gesprochen haben. Unfassbar, wie schwierig es zu sein scheint, seine Mitarbeiter über das Thema eingehend zu informieren, finde ich.

Und innerhalb eines Systems, das solche Beteiligte hat, da soll „das Klima an der Schule sehr gut sein“, wie uns die Schulleitung mehrfach versicherte?

Klar, sicher auch für das rothaarige Mädchen aus der Parallelklasse mit dem Hauch Übergewicht und dem mehr als einem Hauch Autismus, das in der Pause immer wieder terrorisiert wird und mit dem Du und Deine Schwester sich immer wieder solidarisieren.

Und für die Schüler der oberen Klassen, welche inzwischen auch schon in dämlicher Art Deinen Namen rufen, wenn diese den Schulhof betritt gilt sicherlich, dass sie die traumhafte Atmosphäre des Schulklimas komplett missverstanden haben …

Zum Vorfall, während dem Deine Mitschülerin in den Unterricht brüllte, dass sie Dich zusammenschlagen und dir „eins auf’s Maul hauen“ wolle, kam von Deiner Lehrerin:

„Ach, auf die Clothilde (Name natürlich geändert) muss du nicht hören, die ist kein Maßstab. Die hat ganz massive Probleme.“

Du fragtest: „Ach? Und ich etwa nicht?“

Und Du bekamst keine wirkliche Antwort, wie wir wissen.

Das bekommen wir meistens: Keine Antwort, mal ein sehr kurzer betroffener Blick. Viel Kleinreden, eine gute Portion Leugnen und Bitten um noch mehr Geduld. Und noch mehr Verständnis. Verständnis dafür, dass in erster Linie doch auch die Mobbenden eine Chance bräuchten.

Echtes Mitgefühl für Dich, mein Kind, hat bisher jedoch keine/r der LehrerInnen gezeigt. Nicht eineR sagte: „Oh Gott, das arme Kind! Es tut mir leid, dass so etwas passiert ist. Ich werde alles tun, um das zu ändern. Sollten mir Informationen fehlen, dann beschaffe ich sie mir. Und ich würde sie bitten, mir aufzuzeigen, wie weit die Folgen in das Leben des Mädchens und der Familie hineinreichen. Ich will verstehen, was da geschieht.“ Nix.

Diese Schule ist sicherlich gut, wenn es um das Vermitteln von Lerninhalten geht, keine Frage. Wenn man als SchülerIn dort keine Probleme hat, dann ist man eventuell ganz gut aufgehoben.

Wir haben alle aktiviert, die Dir helfen können: einen Jugendpsychologen, eine Diplompsychologin, die Schulleitung, den Jahrgangsstufenkooridnator, den Kinderarzt und ich frage mich, ob es etwas bringt, wenn ich das Schulamt kontaktiere.

Wenn wir unser Haus verkauft und ein Haus in der Heimatstadt Deines Vaters gefunden haben, dann gehst Du auf die Schule, die er einst besucht hat. Das fühlt sich für uns sicherer an, als wieder einen neuen Vertrauensvorschuss in eine fremde Schule zu geben.

Wie geht es Dir, mein Liebling?

Ich sehe, wie Deine Hände oft zittrig sind. Du bist angespannt und fahrig. Du weinst oft. Du hast Schlafstörungen, Bauchschmerzen und Kopfschmerzen. Du bist aggressiv uns gegenüber, weil Du den Schauplatz nach Hause verlagerst, da Du in der Schule hilflos oft genug 10 bis 15 aggressiven Kindern gegenüber stehst.

Dein Gesichtsausdruck hat sich verändert von fröhlich, offen, selbstbewusst bis nachdenklich zu traurig, introvertiert, aggressiv und ablehnend.

Du hast einige Kilos zugenommen, weil Essen Dich tröstest. Unter der Zunahme leidest Du, weil Du gerade dabei warst, mit Deinem eigenen Stil zu experimentieren und Deine Klamotten nun eng und unbequem sind. Du trägst keine ausgefallenen Sachen mehr, sondern versteckst Dich in „Jungs-Klamotten“. Kein Interesse mehr am Schminken und Experimentieren wie vorher. Das Mobbing beeinträchtigt Deine Entfaltung und Entwicklung. Du willst wie ein Junge aussehen, damit Du Dich stärker fühlst, weil die Mobber alle männlich sind. Wenn man darüber in Ruhe nachdenkt, möchte man schon wieder ausflippen.

Du fühlst Dich hässlich und dabei sagen mir so viele Menschen, wie hübsch Du bist und ich selber sehe es natürlich , aber Du siehst es nicht mehr.

Du hattest zwischenzeitlich Deinen Instagram-Namen in „Trash“ geändert und Deine Status in „Please don’t hate me“. Es ist herzzerreißend.

Der Kinderarzt sagte: „Tja leider sind die Kinder nicht das, was die meisten am Lehramt reizt. Und ganz ehrlich: Motiviert und engagiert sind da die wenigsten. Die Klischees mit den vielen Wochen Ferien und dem vermeintlich frühen Feierabend sind nicht unbedingt falsch. Die meisten studieren auf Lehramt, weil ihnen nichts Besseres einfällt oder es für nichts Anderes reicht. Und die hast Du nun vor der Nase.“ Da musstest Du grinsen.

Wenn Du leidest leide auch ich. Ich sage Dir das bewusst selten, damit Du weißt, dass ich mit Dir fühle, aber Du nicht zusätzlich von meinen Gefühlen belastet bist.

Ich liebe Dich so sehr – ich würde Dich am liebsten den ganzen Tag drücken, halten und vor der Welt verstecken. Ich habe Dich stark gemacht, so weit ich es vermochte. Aber irgendwie hat es nie gereicht. Das ekelhafte Verhalten Deiner Mitschülerinnen und Mitschüler hat Dich immer mehr verletzt als ich auffangen konnte. Und aufgefangen habe ich das Verhalten der Schüler und Lehrer bis zum Burnout. Ja, die Schulsituation war einer der Faktoren meiner völligen Erschöpfung, wegen der wir zur Mutter-Kind-Kur fuhren.

Ich sehe beinahe hilflos zu, wie Du leidest. Es ist mir unerträglich geworden.

Die liebe Tagesmutter Deines kleinen Bruders, die ein sehr gutes Auge für Menschen hat und vor allem mit dem Herzen auf Kinder blickt, sagte neulich:

„Deine (also meine) Kinder sind so selbstbewusst. Sie wissen, dass sie geliebt werden. Um ihrer Selbst Willen. Sie brauchten keine dauernde Bestätigung von außen. Sie sind sehr reif, haben viel Einfühlungsvermögen und auch Selbstbewusstsein. Das vertragen viele Andere nicht. Sie fühlen sich verunsichert davon. Ich sehe deine beiden großen Töchter und merke, wie die Jüngere richtig müde ist. Das Kind ist einfach ermüdet vom dauernd Kampf, vom vielen Aushalten, von all den Verletzungen. Ich bin so froh, dass ihr umzieht und das ist ein wunderbarer Ausdruck von Liebe: Sehen, wie die Familie leidet und dann so eine große Entscheidung treffen. das wird vieles von alleine heilen.“

Das war tröstlich zu hören. Ich hoffe, sie behält Recht mit der Einschätzung, dass es heilsam wird.

Mein süßes, geliebtes Baby, das keines mehr ist!

Die Erinnerung daran, mit welcher Freude und Neugier Du die Welt erkunden wolltest und mit welcher Wucht sie sich Dir dann in’s Gesicht warf, ist furchtbar.

Mobbing macht ängstlich, Mobbing nimmt Selbstwertgefühl.

Mobbing sorgt dafür, dass Du Dich immer ängstlich umdrehst, wenn auf der Straße jemand lacht. Obwohl er Dich natürlich gar nicht meint. Ich habe das beobachtet und es tat furchtbar weh.

Du bist ein wundervoller Mensch!

Du bist witzig, klug und vielseitig talentiert. Du bist sensibel und Du hast mit mir in der zweiten Klasse bereits Hamlet gelesen und Dich über die wunderbaren Metaphern gefreut. Nun hast Du keine große Lust mehr an Literatur, am Lernen selber. Du hast Wissen voller Freude aufgesaugt. Jetzt sagst Du: „Ich bin enttäuscht von meiner Intelligenz. Wegen ihr werde ich ausgegrenzt und geholfen hat sie mir bei diesen Problemen dann auch nicht.“

Du hast Albernheit geliebt und Unsinn jeder Art. Wenn irgendwo ein winziger Marienkäfer oder niedlicher Schmetterling aufgedruckt war, warst Du verzückt.

Zugleich in der Phase der eigenen Metamorphose namens Pubertät zu stecken und dann so verletzt und gedemütigt zu werden, das ist furchtbar und hinterlässt Spuren.

Du bist stark, das sehe ich. Aber ich will nicht, dass Du Deine Stärke an kleine Wichte abgeben musst, die keine eigene haben. Ganz gleich, ob sie eigentlich in Wahrheit ebenfalls Mitgefühl brauchen. Sie leben von Deiner Kraft und Deiner Energie. Ich möchte, das Du beides für Dich selber nutzen kannst, wie es Dir zusteht. Sie holen Dich andauernd aus Deiner Mitte, weil sie keine eigene haben.

Deine ganze Familie liebt Dich und freut sich, wenn wir dieses Kapitel irgendwann in den kommenden Monaten abschließen dürfen.

Du nimmst gerade sehr erfolgreich ab, begegnest Deinen Angreifern mit wachsender innerer Abgrenzung und spürst, wie wenig sie Dich dadurch noch erreichen oder gar verletzen können. Anstrengend ist Schule natürlich immer noch. Aber nicht mehr zerstörerisch. Du hälst es aus, weil Du weißt, dass ein Ende in Sicht ist.

Du sollst Dich selber wieder gerne entdecken und liebevoll annehmen können. In der eigenen, inneren Liebe zu bleiben ist ein Weg, die Außenwelt anzunehmen. Es ist sehr schwierig, aber Dank all Deiner Fähigkeiten wirst Du das schaffen.

Wir sind für Dich da. Immer.

ich-liebe-dich

Deine Mama

             und Deine ganze Familie

——————-

Nachtrag:

Liebe Eltern,

wie mir Deine Lehrerin sagte, reagieren die Eltern der mobbenden Kinder meistens mit Leugnung.

Das ist einerseits verständlich, aber auch sehr traurig. Sie sind vermutlich geschockt über das Verhalten des eigenen Kindes. Aber so nimmt man nur seinem Kind die Möglichkeit dazuzulernen, sich zu entwickeln und negative Seiten abzulegen. Man kann daraus etwas ablesen: das eigene (mobbende) Kind braucht auch Unterstützung, nicht nur dessen Opfer.

Auch Mitläufer, die aus Angst mitmachen, brauchen Hilfe.

Und jene, die sich still wegducken, damit die Gewalt sie nicht trifft auch – nach einem aggressiven Vorfall im Unterricht, der gegen Nummer 2 ging, lief eines der unbeteiligten Mädchen raus und übergab sich. Daran sieht man, wie gestresst auch die sind, die scheinbar nichts „abbekommen“: Jeden Tag haben sie Angst und verdrehen ihre Persönlichkeit, passen sich an, ducken sich still weg, um nicht auch Opfer zu werden.

Meine Bitte

Bitte nehmt es an, wenn jemand über Eure Kinder sagt, sie würden andere Kinder bewusst ärgern und helft ihnen dabei, stärker zu werden, damit sie sich nicht auf Kosten Anderer mächtig fühlen müssen. Es kann immer sein, dass man als Eltern etwas übersehen hat. Das macht nichts. Es macht nur etwas, genau dies eben nicht sehen zu wollen.

Bitte hört ihnen zu, wenn sie aus der Schule über aggressive Vorfälle erzählen, die ihnen Angst machen. Sprecht mit den Lehrern, der Schulleitung, einem Psychologen.

Lasst Eure Kinder nicht zu Mitläufern werden, weil sie sich davor fürchten, selber Opfer zu werden.

Bitte ermuntert Eure Kinder mit Opfern Allianzen einzugehen, damit alle lernen, dass man in einer Gemeinschaft auf Unterstützung hoffen kann. Denn diese erhalten Eure Kinder dann auch, wenn sie sie selbst einmal brauchen sollten.

Wir alle wollen eine Welt ohne Gewalt und wir alle müssen etwas dafür tun.

Hilfe bei Mobbing

Informationen zum diesem Thema, das sehr viele Kinder betrifft – immerhin erfuhren fast die Hälfte aller SchülerInnen dies bereits am eigenen Leib – gibt es an verschiedenen Stellen.

Zunächst sollte der/die KlassenlehrerIn angesprochen werden, auch zusammen mit der Schulleitung, falls nötig.

Weitere Hilfen, falls die Schule überfordert sein sollte, können über den/die SchulpsychologIn, Erziehungsberatungsstellen, das Jugendamt und den Kinderarzt erwirkt werden.

Online findet man gut Informationen hier:

Ministerium für Schule und Weiterbildung

Schüler gegen Mobbing

Schüler Mobbing Portal

Betreut

Zudem gibt es zahlreiche Bücher zum Thema und auch einige, die sich direkt an die Betroffenen richten und ihnen Tipps geben, wie sie sich selber wehren können.

Eines davon wird hier vorgestellt:

www.poehm.com (Seite des Autors)


Selbstverständlich haben wir kein Geld bekommen, um Empfehlungen auszusprechen, sondern tun dies aus eigener Motivation und respekt vor dem Thema, um anderen zu helfen.



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