Mein Erfahrungsbericht: Die Mutter-Kind-Kur, Teil 2

Willkommen beim zweiten von drei Teilen meines Erfahrungsberichtes zu meiner Mutter-Kind-Kur.

Tag 8, Dienstag

Ich bin inzwischen richtig angekommen und die Routine hat sich eingespielt.

Nach dem Frühstück geht es zu den eisigen Kneippschen Güssen und danach ins Kinderland.

Nummer 4 weint leider immer noch jeden Morgen, wenn er im Kinderland bleiben soll, aus dem ich ihn ja bereits um 12 Uhr für das Mittagessen wieder abhole. Aber zuhause weint er auch immer bei der Tagesmutter am Morgen. Er und ich, wir sind einfach unzertrennlich.

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Vielleicht heißt dieses Bild Nummer 4s doch nicht “Bagger”, wie er behauptet. Sondern: “Schmerz, den ich empfinde, wenn meine Mutter zum Sport geht.”

Anschließend treffen wir uns mit Stöcken und einem warmen Schal bewaffnet zum einstündigen Walken durch eine wunderbare Landschaft mit kristallklarer Luft.

Zuerst finde ich (wie schon oft) die erhöhte Atemfrequenz und Pulsfrequenz beängstigend (Angsterkrankung eben) und dann aber gibt mir die Therapeutin den Tipp, ganz aufrecht zu gehen, da sonst die Lunge nicht ganz belüftet werden kann, was sich unangenehm anfühle und zu dem anstrengend sei. Schon ist es besser. Und den Rest der Beklemmungen vertreibe ich mit einer interessanten entschlossenen Implosion meiner Genervtheit und Wut über diese dämliche Einschränkungen, die meine Angst so mit sich bringt.

“Ich bin schlauer als das! Verfluchte S******! Wieso laufe ich immer wieder in’s Bockshorn meiner Angst? Wieso höre ich ihr dauernd zu? Schnauze voll jetzt! Ich einfach nur diese kühlen Morgen und die traumhafte Landschaft genießen! Also halt die Klappe, du bescheuerter Teil meiner Psyche, der meint,  mich durch Einschränkung beschützen oder auf etwas aufmerksam machen zu wollen! KLAAAAPPE!”

Wut ansehen oder auch ganz selten mal vorsichtig zeigen zieht immer gut. Man ist ja schließlich wie ein Topf voll Dampf, auf den man selber den Deckel drückt. Etwas Dampf darf raus – und schon fühlt man sich besser.

Aber Angst ist nicht so einfach zu durchschauen: Mal stellt sie sich vor Gefühle, die einem nicht bewusst sind und dem Unterbewusstsein zu schrecklich vorkommen.

Mal drückt sie die innere Befürchtung aus, die man seiner eigenen Freiheit gegenüber empfindet und möchte einen einsperren oder von etwas Neuem abhalten.

Und das nächste Mal tritt sie auf, wenn man befürchtet, die Kontrolle zu verlieren. Wie zum Beispiel, wenn man meint, man könne nicht richtig atmen oder das Atmen geschähe gar nicht automatisch, sondern man müsse sich jeden Atemzug selbst abringen wie eine Leistung. Jedenfalls sage ich mir irgendwann:

“Es reicht! Ich genieße die Bewegung jetzt!”

Und siehe da: Es wird wunderbar.

Als wir zum Kurhaus zurückkommen, habe ich eine mit Matsch bespritzte Hose und fühle mich quicklebendig. Ganz formidabel. Ich bin ein Typ Mensch, der sich bei Bewegung und Tätigkeiten gut entspannen kann.

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Morgenstimmung lädt zum Walken ein

Vor der nun anstehenden Entspannungstherapie graut es mir jedoch. Ruhig unter einer Decke herumliegen empfinde ich als Horror.

Kurz darauf liege ich da und tue nichts, als gegen meine aufsteigenden Beklemmungen und Ängste zu kämpfen. Mein Herz schläft viel zu schnell und ich höre es in meinen Ohren.

Einblick in meine Gedanken gefällig?

“Ich finde, so lange nach der Bewegung sollte mein Herz auch wieder normal schlagen. Das ist bestimmt auf die Dauer nicht gesund, wenn ich dauernd unter Strom stehe. Ja ja, ich war beim EKG, beim 24-Stunden-EKG, beim Belastungs-EKG und die Internisten fanden beide, das sei alles okay so.

Ein Hauch schneller als normal unter der Belastung aber in Ordnung und gesund. Es war ja nur schneller beim Belastungs-EKG, weil ich da auch diese Atem-Paranoia bekommen hab auf dem dusseligen Ergometer und mich das stresste. Aber gut. Die sagen, ich muss nicht jung sterben, weil mein Leben stressig ist. Aber vielleicht haben die Unrecht! Vielleicht haben sie nicht genau nachgedacht über meine Lebenssituation. Obwohl – sie kennen mich doch ganz gut, auch biographisch … nanu? Warum blubbert jetzt mein Bauch so komisch?

Das fühlt sich an wie Wut! Oh Mann, mir kommen die Tränen. Schnarcht da etwa jemand entspannt da hinten? Wie ich sie doch beneide, die Gute! Mein Herz hämmert! Ich soll mich entspannen. Ich höre mal besser der Therapeutin zu. Okay, Beine anspannen und loslassen. Das lenkt ab. Ich mach mit. Jetzt schweigt der Bauch und das Herz hämmert wieder. Ich bin so furchtbar traurig! Ich bin ein Fass voller unterdrückter Tränen und ein Dampfkochtopf voller Wut-Dampf in einem! Hilfe! Ich muss hier raus!”

Klingt nach einer Menge Entspannung, oder?

Völlig aufgewühlt und gequält schleppe ich mich nach oben, um Nummer 4 aus dem Kinderland abzuholen, nachdem ich noch schnell geduscht habe.

Der Bewegungstherapeutin sage ich hinterher, dass das überhaupt nicht mein Ding war und sie hatte sofort Verständnis. Sie empfiehlt, herauszufinden, was mich am besten entspannt und dies dann gezielt umzusetzen. Und keine weitere klassische Entspannungstherapie im Liegen mehr auszuprobieren.

Am Abend gehe ich in die Kreativwerkstatt. Die Künstlerin, die uns den Einführungskurs gegeben hat, ist nicht da – es gibt die Möglichkeit zum freien Gestalten. Dies kann man zu jedem Zeitpunkt tun, da es über der Tür einen Schlüssel gibt, mit dem man die Werkstatt immer betreten kann.

Ich pinsele ein bisschen an meinem Engel herum und unterhalte mich mit zwei Kurkolleginnen. Die eine der beiden findet ihr Bild nicht gelungen. Es ist ihr zu dunkel geraten und sollte doch eigentlich ein Bild werden, auf dem zwei rote, plastische Herzen die Mitte zieren. Ich sehe mir das Bild an und meine, dass ich es als schönen Kontrast zum Rot der Herzen empfinde und schlage vor, sie könne doch noch einen Hauch Rot über den Hintergrund in seinen Grau-Weiß-Schwarzen Schattierungen ziehen. Sie meint:

“Du siehst in allem etwas Positives. Ich kenne niemanden, der so positiv ist wie du!”

Über diesen Satz denke ich nach. Ja, das Positv-Sein ist eine meiner Überlebensstrategien. Oder war es immer. Momentan habe ich kaum Energie, diese für mich einzusetzen, aber für das Bild reichte es. Und für andere Menschen überhaupt immer. Das kostet mich keine Kraft, das tu ich gerne. Ich sehe immer etwas Positives, weil man so besser und freudvoller durch das Leben kommt.

Die Malerin und ich hatten uns bereits am Vormittag unterhalten. Und in den Tagen zuvor. Sie ist eine bildschöne Frau, die unter ein paar Kilos zu viel leidet. Vor allem wohl auch, weil ihr Partner sie oft darauf hinweist. In meiner feministischen Art habe ich ihr vorgeschlagen, ihm zu sagen: “Baby, du bist viel älter als ich. Ich werde abnehmen. Sobald du deine Falten los bist.” Dieser Vorschlag brachte sie so zum Lachen, was mich freute.

Ich denke über sie nach, während ich vor mich hin pinsele. Am Morgen war ich meinem Instinkt gefolgt und hatte ihr gesagt, wie wunderhübsch sie ist. Und dass sie ihre Kilos auf jeden Fall los würde. Immerhin hatte sie diese nur, weil sie durch eine Verletzung keinen Sport mehr gemacht aber dabei ihren Ernährungsstil beibehalten hatte. Ich hatte aber gespürt, dass es an ihrem Ego geknabbert hatte, mehr zu wiegen, als es ihr gefiel.

Meine Gedanken schweifen herum:

Um mich herum in diesem Haus sind lauter Frauen mit Lebensgeschichten. Jede einzelne hätte viel zu erzählen. Sie sind belastet oder überlastet, überfordert, erschöpft und müde.

In ihrer “typisch” weiblichen Art sind sie eher zurückhaltend und dabei sehr fürsorglich. Sie sind wie erschöpfte Glucken. Dauernd haben sie ihre Kinder um sich, schauen nach ihnen und ich sehe zu jedem Zeitpunkt ihre Liebe für sie. Diese ganzen honorablen Wesen mit ihren so unterschiedlichen Körpern, mit denen sie all diese Kinder geboren haben! Und nun waren sie müde und ausgelaugt. Aber immer noch geduldig und liebevoll. Was für wunderbare Wesen Mütter doch sind. Und wie sehr sie sich doch schaden und schaden lassen.

Da ist diese schöne Frau mit ihrem Venuskörper und findet sich zu dick und lässt sich das auch  von ihrem Partner noch schön unter die Nase reiben. Unfassbar. Und dabei hat sie große haselnussbraune Augen und ein herzförmiges Gesicht, langes dichtes dunkles Haar und einen wunderbaren Mund. Man sollte sie malen statt dieser Engelchen! Stattdessen hört sie sich als erstes beim Besuch ihres Partners an, dass sie ja immer noch nicht abgenommen habe. Ach, grrr …. ich versuche, mich nicht aufzuregen.

Ich begreife, dass es ein weiteres unbezahlbares Novum in meinem Leben gibt:

Zum ersten Mal fühle ich mich unter Frauen wohl.

Wir sind uns alle so ähnlich, wir müden Mütter!

Keine muss sich verstellen oder die Alpha-Mutti raushängen lassen. Darüber sind wir weit hinaus. Wir alle hier haben begriffen, dass wir im selben Boot sitzen. Jede Mutter schaut wie selbstverständlich nach jedem Kind und wir bilden eine Gemeinschaft, die ich in ihrer Art analytisch irgendwo zwischen Selbsthilfegruppe und menschlichen Ur-Naturzustand ansiedeln würde.

Nachdenklich gehe ich ins Bett.

Tag 9, Mittwoch

Ich möchte aufstehen, aber etwas hält mich zurück: Meine Beine tun weh, ich kann meine Füße kaum strecken! Muskelkater aus der Vorhölle!

Beim Laufen spüre ich, wo sich dieser Kater lokalisiert: Auf dem Fußrist. So etwas Bescheuertes! Jeder Schritt tut weh, immer beim Abrollen. Au, au, au, au …

Ich eiere in den Keller zu den Kneippgüssen.

Heute steht die Zwischenuntersuchung an, das geht rubbeldiekatz und ich melde noch schnell Nummer 3 beim Walken ab, das man ihr verordnet hatte. Sie hat es gehasst. Da das Walken der Bewegung und der Kontaktaufnahme dient und sie in der Kur – wie immer – von tausend Kindern umgegeben und zudem pausenlos in Action ist, braucht sie keine derartige Anwendung.

Abends gibt es Kreativwerkstatt, doch sie findet im Wintergarten und nicht im Kunstraum im Keller statt.

Heute es wird gehäkelt. Das kann ich bekanntlich schon, aber eine Mütze habe ich noch nie gehäkelt. Also stürze ich mich in die von den beiden Damen mitgebrachten Koffer voller Wolle. Ich ziehe schwarze und braune Knäuel MyBoshi-Wolle hervor und erstehe neben einer passenden Nadel Größe 6 auch noch eine Nähnadel.

Und weil ich von starren Mustern gerne abweiche, folge der vorgelegten Anleitung nur zum Teil. Ich möchte eine Mütze häkeln, die so 20er-Jahre-mäßig aussieht. Mit schmaler Krempe wie ein Hut und einer Blume an der Seite. Ich lege los. Man unterhält sich und das ist ein sehr netter und auch lustiger Tagesausklang.

Die Mütze wird meine Therapie, denn ich häkle nun in freier Zeit (die nicht sehr häufig ist, weil entweder Therapie ist, oder draußen Kinder herumtrampeln oder ich Nummer 4 aus dem Kinderland abholen muss oder oder oder …)

Man sagte, man könnte auch mal Anwendungen absagen. Aber irgendwie will man auch alles ausprobieren und sieht einen Sinn in den Therapien, daher gehen eigentlich fast alle immer zu ihren Terminen, außer sie oder ihre Kinder sind krank.

Mit einem Telefon mit Babyphone-Funktion, das man im Sekretariat ausleihen kann, ist man mobil innerhalb des Hauses und so sieht man oft Mütter auf den Turnmatten oder an Kunst-Tischen oder in Aufenthaltsräumen mit dem schwarzen Gerät neben sich. Das ist die Freiheit, die sich einem bietet. Und man nutzt sie. Sehr gut!

Meine Therapie-Mütze nenne ich “Die Phryne-Fisher-Gedenk-Mütze”, da ich diese Serien/Buch-Figur sehr liebe.

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Das trägt die Dame von Welt in der kalten Jahreszeit. Oder nicht?

Tag 10, Donnerstag

Was? Schon wieder fast Wochenende?

Es wird gefrühstückt. Nummer 4 ist ein richtiges Ferkel beim Essen gewesen in den letzten Tagen, aber das bessert sich langsam. Da ich ihn sehr selbstständig essen lassen (Er ist so ein BLW-nah geprägtes Kind), sieht sein Platz immer aus wie ein Katastrophengebiet. Und dabei habe ich den Eindruck, dass er kaum mehr als eine homöopathische Dosis Nahrung zu sich nimmt. Außer beim Nachtisch.

Ich tue hier im Kurhaus beim Essen gern etwas, das ich mir ohnehin manchmal gönne: Ich stelle mir statt der Frauen einfach Männer vor. Das geht in folgenden Lebenssituationen richtig gut und ist sehr erheiternd. Es beugt auch Frust vor oder baut ihn ab:

  • Ein Mann, der einen Säugling balanciert, während er auf dem Klo hockt.
  • Ein Mann, der zum Gynäkologen geht (Ja, hier ist Vorsicht geboten, da bekommt die ein oder andere Vorstellung unter Umständen so einen Touch von perversem Klinik-Sex, der nun mal nicht jedermanns/fraus Sache ist aber wenn man das ausblendet, ist es schon auch lustig. Vor allem der “Entspannen-sie-sich-jetzt-bitte-einfach-Teil”)
  • Ein Mann im Kreißsaal (der Klassiker unter den Vorstellungen dieser Art)
  • Ein Mann, der vier und mehr Kinder zugleich betreut, aber kein Fachmann ist.
  • Ein Mann, der versucht, auf 10-Zentimeter hohen Absätzen zu laufen
  • Ein Mann, der den ganzen Tag müde und angeödet mit einem Neugeborenen oder Baby oder Kleinkind verbringt. Drei Jahre lang.
  • Und: Ein Mann in diesem Speisesaal in der Kur.

Im Grunde wäre hier ein kinderloses Paar, das gerne in einer sublimierenden Fetischifizierung der Nahrungsaufnahme teure Restaurants besucht, vermutlich genau so lustig. Oder lustiger.

Es ist laut. LAAAAUT! Und überall fallen Becher herunter und Kinder rennen und spielen und drehen sich in die Vorhänge ein und eine McDonald’s-Filiale ist das Refektorium eines Schweigeklosters dagegen.

Und soll ich was sagen? Das ist mir ziemlich Latte! Essen ist für mich seit Langem nur noch Energiezufuhr. Dann ist da eben währenddessen Leben um mich. Als ob wir zuhause mittags diese unglaubwürdige Harmonie der Ikea-Vorstellungen des gemütlichen Essens zelebrieren würden! Das tun Schweden doch auch nur nach diversen Glögg oder Vin oder Vodka oder Akvavit oder Mumma oder ….! Da rölzen die Kinder dann so toll wie in den Weichzeichner (oder auch “Depressive-Wetterstimmungs-Schwedenfilmen”) in den Weihnachtsbaum hinein, während Onkel Lasse und Tante Signe lachend vom Stuhl fallen. In Echt ist Mittagessen nicht immer nur harmonisch und lustig, sondern eben auch manchmal nervig. Oft.

Ich kenne essen mit Kinder eher so wie in den berühmten Crappy-Kids-Comics!

Und ich huldige hiermit dem Ehemann einer einstigen Schulkollegin Mister Essentials, der sinngemäß sagte, was ich tausendfach seufzend wiederholte:

“Kinder sind der Untergang der Tischkultur.”

Nett könnte man sagen: “Zu Tisch bemerken wir, wie weit kindliche und erwachsene Bedürfnisse auseinanderstreben.”

Ich mag es hier jedenfalls, dass manchmal die zwei süßen Zwillinge einer Kurkollegin, die ich wie einige andere sehr schätzen lerne und gern habe, vorbeikommen und ab irgendwann auch von meinem Teller ein paar Happen mitessen möchten. Ich liebe es, wenn die Tochter meiner lieben Tischnachbarin uns mit ihrem schon rituellen, fröhlichen: “Hallöchen!” begrüßt, wenn sie hereinkommt.

Ich lasse mich nach dem Frühstück kalt Kneipp-Begießen (würde mir zu diesem Zeitpunkt jemand sagen, dass es in der Tat auch dieses morgendliche Ritual ist, dass ich nach der Kur beibehalten würde, dann würde ich vermutlich lachen, während mir gerade die Zähne klappern…)

Später habe ich ein sehr gutes Therapiegespräch mit der grandiosen Frau K. Sie ist toll. Und ihr Beruf passt so perfekt zu ihr, dass ich einer Kurkollegin heftig nickend zustimme, als diese bemerkt, man sähe allen Mitarbeiterinnen im Hause ihre diversen Berufe an: Die energiegeladene und motivierende sowie durchtrainierte Bewegungstherapeutin oder die Künstlerin mit ihrer schneeweißen Haarsträhne in der Tolle ihrer individualistischen Frisur oder eben Frau K, mit ihrem klugen und beobachtenden Augen und dem irgendwie an einer Gesprächstherapeutin zu erwartenden Halstuch.

Frau K. erzähle ich von unserem Blog hier. Und Frau K. lädt mich herzlich ein, eine bestimmte Geschichte mit meinen LeserInnen zu teilen, weil sie hofft, dass diese Parabel möglichst viele Mütter erreicht:

Die Schwarzwälderkirsch-Torte

Es war einmal eine Mutter, die eine begnadete Bäckerin war. Ihr Hobby war es, die köstlichsten Torten zu backen. Dann deckte sie liebevoll den Tisch und der Besuch kam und sie nahm mit ihren fünf Kindern Platz.

Die Torte wurde angeschnitten und jeder erhielt ein Stück. Am liebsten war dem Besuch und auch der Familie der Frau die Schwarzwälderkisch-Torte. Viel schön viel Sahne und Kirschen und Schokostreuseln. Wenn alle ein Stück Torte hatten, stand die Mutter auf und wollte sich auch etwas nehmen. Auf der Tortenplatte befand sich dann noch exakt der Matsch, der von den Tortenspitzen beim herausnehmen abgebrochen war.

Diesen schaufelte sie sich dann auf den Teller.

Und die Kinder hatten ein schlechtes Gewissen, weil die Mutter nach all der getanen Arbeit nur mit Matsch entlohnt wurde. Aber die Tortenstücke schmeckten so gut und im Grunde wollte keines der Kinder lieber den Matsch und dafür der Mutter sein Stück anbieten.

Lange Zeit lief das Kaffeekränzchen so ab.

Bis es der Mutter reichte.

Beim nächsten Kaffeekränzchen stellte sie die beliebte Torte wieder auf den Tisch. Diesmal allerdings hatte sie das sahnige Objekt bereits angeschnitten.

Zuerst hatte sie in der Mitte ein rundes Stück herausgeteilt und dann erst die klassischen spitz zulaufenden Stücke abgetrennt. Die Kinder wunderten sich:

“Was soll denn das? Wieso sieht die Torte heute so aus?” fragten sie.

“Weil ich auch ein schönes Stück Kuchen sicher haben wollte. Daher bekomme ich ab heute immer das Stück in der Mitte.

“Aber das ist gemein! Das ist das schönste und besondere Stück!”

“Ja und weil ich die Torte gebacken und den Tisch gedeckt habe und hinterher aufräume, ist exakt dieses Stück in der Mitte meines.”

Ein bisschen murrten die Kinder, denn jedes wollte das tolle runde Stück, aber mit der Zeit sahen sie ein, dass es zuvor doch ziemlich ungerecht gelaufen war.

Die Mutter aus der Gesichte war die Mutter der Therapeutin. Und diese Geschichte erzählt sie bei Bedarf sehr gerne den Müttern in der Kur.

Hinterher denkt man wirklich nach. Klar, es ist sehr gerecht so, wie die Mutter das entschieden hat. Aber man hat auch gleich ein vages Gefühl der Unsicherheit in sich:

“Soll ich mir das echt herausnehmen? Ich bin doch eine Mutter! Man hat mir doch beigebracht, dass ich meine Wünsche und Bedürfnisse zurücknehmen muss. Ich backe und räume doch eh auf! Warum soll ich mich dafür extra belohnen? Mütter sollen doch immer selbstlos sein …”

Es ist sehr spannend, sich seine Gefühle anzusehen, nachdem man diese Geschichte auf sich hat wirken lassen. Ich empfehle, das einmal auszuprobieren.

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Da ist sie: Die Schwarzwälderkirschtorte

Dieses Bild hängt übrigens an meinem Kühlschrank. Wen auch immer diese Geschichte so inspiriert wir mich, der drucke sich dieses Bild aus und hänge es auf – ich verspreche: So erinnert man sich täglich daran, für sein Tortenstück zu sorgen.

Tag 11, Freitag

An diesem Tag habe ich Zeit, um meine Mütze zu häkeln und dazu Hörbuch zu hören. Ich spüre, wie ich mich entspanne. Oder wie mein Körper etwas tut, das dem recht nahe kommt, das ich als Entspannung in vager Erinnerung habe.

Ich habe sogar zwei Dinge parallel gehäkelt und gestrickt und so hat Nummer 3 eine neue Mütze mit Kringelschal:

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Ich fahre in’s Zentrum, um Bargeld zu holen. Da passiert mir etwas Unfassbares, etwas, das ich mir schon immer gewünscht habe, aber niemals erlebte:

Ich steige aus dem Auto, ganz allein und in Ruhe. Ich sehe mich um, erblicke die kleinen Läden und die vielen fremden Menschen und: Nichts regt mich auf. Ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben nicht wie ein Alien, das seine wahre und geheime Identität verstecken muss. Nicht wie jemand, dem man ansieht, das etwas mit ihm nicht stimmt. Nicht wie jemand, der weil er vermutlich eher minderwertig ist, schlimme Dinge angetan bekam.

Ich bin einfach ich.

Und das ist richtig gut so.

Ohne dauernd verhuscht wegzuschauen oder auf den Boden zu blicken oder den Blicken Anderer auszuweichen spaziere ich zum Geldautomaten. Und weil das so schön ist, spaziere ich zum Bäcker. Und weil ich einen obendrauf setzen will, habe ich da Sonderwünsche und: Nichts passiert. Man ist freundlich und ich bin charmant und wir lachen am Ende zusammen. Und ich erstehe noch ein Souvenir für Nummer 2s Freundin. Und dann bummle ich an den Schaufenstern vorbei und drehe eine kleine Extra-Runde, ehe ich wieder in das Auto steige. Nur um zu sehen, ob das Ganz nur eine euphorische Laune ist oder Bestand hat. Es hat Bestand – ich spüre bereits, wie es sich in mir entfaltet und ein Teil von mir befreit wird. Unfassbar.

Dieses wunderbare Geschenk, das manchen vielleicht als eigentlich naturgegebener Zustand vorkommen mag, werde ich behalten. Es wird auch zuhause noch da sein und mir sehr viel Kraft und Mut schenken. Ich atme dankbar durch und fahre zurück in das Kurhaus.

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So schön ist es hier! Und ich drehe ganz selbstbewusst meine Runde. Was für ein Geschenk!

Ich bin in den letzten beiden Tagen sehr müde, da man auch am Wochenende sehr früh aufsteht, was ich nicht gewohnt bin und alles dadurch etwas “pausenlos” wirkt.

Ich denke wieder an Concettas Spruch: “Sich zu entspannen ist harte Arbeit” und lächle.

Es gibt heute einen Schnupperkurs in Yoga und Shiatsu. Das ist mein Ding! Und nach dem sagenhaften Erlebnis im idyllischen Zentrum des Kurortes scheint eh alles mein Ding zu sein.

Nur die Entspannungstherapie hängt mir innerlich irgendwie nach, das spüre ich. Etwas in mir bleibt gestresst. Es wurde angetippt und ich ahne, dass es eine erschreckende Menge an Gefühlen gibt, die ich ansehen oder herauslassen oder integrieren muss. Das stresst mich. Ist wie ein feiner Summton im Hintergrund.

Wir werden von einer sehr erfahrenen Trainerin angeleitet und es gibt zwei Elemente, die ich sehr gut finde (eines davon behalte ich auch zuhause bei): Einmal stellen wir uns breitbeinig und halb hocken auf wie die Sumo-Ringer und stampfen. Das finde ich großartig! Ich spüre, wie mich das befreit. Und auch, wie Wut hochkommt. Das will ich zuhause noch mal machen. Wenn ich mir ein paar Wuttränen genehmigen möchte und kann. Der einzige Vorteil, wenn man seine Gefühle derart heftig unterdrückt wie ich: Man entscheidet, ob man weint (außer, die Kinder verschwinden binnen zehn Minuten alle zu einem stundenlangen Ausflug – Ihr erinnert Euch an den 1. Teil des Erfahrungsberichts hier?).

Und das andere ist simpel und toll: Wir nehmen uns alle eine Socke, in der zwei Tennisbälle stecken. Diese klemmt man mit dem Rücken gegen eine Wand. Dann bewegt man sich auf und ab und hin und her, bis man die verspannten Punkte gefunden hat. Dann harrt man kurz aus, um den Druck so zu intensivieren, wie man ihn haben möchte. Diesen hält man einige Momente lang.

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So einfach kann es sein: Nummer 1s alte Affensocke erwacht zu neuem Wellness-Leben

Das tut vielleicht gut! Und man kann es auch im Bereich der Schultern machen, wenn man sich entsprechend seitlich dreht. Ich mache das immer noch regelmäßig.

Langsam bekommen wir hier alle Heimweh. Nummer 4 fragt dauernd nach seinem “Dada“. Morgen aber wird ebendieser hier auftauchen und ein Wochenende mit uns verbringen.

Tag 12, Samstag

Mister Essential wird von uns vom Bahnhof abgeholt – er wird in einer Pension übernachten.

Wir machen zusammen einen netten, aber sehr kalten, Ausflug zu den Externsteinen und genießen danach (mit herum matschenden und Kakao verschüttenden Kleinkind – sagte ich”genießen”?) ein Stück Kuchen und einen Kaffee.

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Ein besonders interessantes Ausflugsziel, das ich zuletzt besuchte, als ich noch keine Kinder hatte: Die Externsteine

Mitessen und im Kurhaus herumlaufen oder den Speisesaal betreten dürfen Väter nicht. Sie können in festgelegten Zeiten im Zimmer der Mütter sein. Und diese sind nur nachmittags und recht kurz. Da niemand Mister Essental sieht behalten wir ihn da, bis wir alle müde sind. Wir spielen zusammen Scrabble als Kartenspiel welches der Nikolaus in einen der vier Strümpfe gepackt hatte, die Mister Essential aus dem Koffer holte.

Spätabends (also in Eltern-Zeitrechnung. Also gegen 22.30 Uhr) schleicht Mister Essential sich hinaus und wir sehen zu, dass wir niemanden stören.

Tag 13, Sonntag

An diesem Tag verpasse ich das ausgefeilte Mutter-Kind-Bespaßungsprogramm, da wir lieber wieder zusammen unterwegs sind. Wir wollten auf einen Tipp hin zum Adventsfest in einem Freilichtmuseum in Detmold. Leider ist es dort brechend voll, was wir zum Glück schon anhand der Parkplatzsituation erkennen. Und so düsen wir nur ein wenig herum, statt uns in das Gewühl zu stürzen.

Am Ende gehen wir Eisessen und bringen Mister Essential etwas später am Nachmittag zum Bahnhof.

Nummer 3 weint ganz furchtbar beim Abschied und Nummer 4 sagt immer wieder: “Ich auch mitfahre, Ratadida!(Kosename für Eisenbahnen)!”

Eigentlich wollte ich abends Bauchtanz machen, aber danach ist mir nicht. Ich bin müde. Wir machen es uns gemütlich und gehen dann in’s Bett.

Tag 14, Montag

Ich wache auf und fühle mich krank. Ich war wohl doch nicht nur müde. Ich sage das Sportprogramm ab und bleibe nachdenklich auf meinem Zimmer. Ich habe mitbekommen, dass unsere großen Mädels das Schulmaterial eher schleppend und nur “so viel wie eben nötig” durcharbeiten. Das nervt mich sehr, denn das Thema Schule an sich ist ein Reizthema.

An alles muss ich denken, dauernd motiviere ich sie, erinnere sie an alles und Nummer 3 nutzt zusätzlich jede Gelegenheit, um durch vorgebliche schulische Schwäche genug Aufmerksamkeit von mir abzugrasen, während die Großen total nachgelassen haben, seit es mir nicht mehr gut genug geht, ihnen den schulischen Allerwertesten hinterherzutragen.

Nun erfahre ich von den Großen, dass sie den Stoff kaum schaffen würden und die Betreuerin zudem kein Wort Englisch spräche und ihre Mathekenntnisse die Klasse 5 nicht übersteigen würden. So kämen sie einfach in den 60 Minuten am Tag kaum vorwärts. Ich werde wütend: “Ich soll mich hier erholen und zugleich mal wieder an den Kram von zwei bis drei Personen denken? Das kann nicht wahr sein. Ich gehe mich nun beschweren, wenn niemand danach guckt, dass ihr da euren Kram erledigt bekommt!”

Ich bin seit der nicht-entspannenden Entspannungstherapie angespannt und angestrengt – das fließt nun in meine Wut mit ein. Hurra! Ich spüre meine Wut mal sofort und nicht erst Stunden oder Tage später, weil ich völlig aufgebläht bin!

Ich gehe zur Leiterin des Kinderbereichs, einer kinderpsychologisch versierten Pädagogin. Sie hört sich meine Beschwerde an.

Dann blickt sie zu meinen Töchtern und fragt ganz ernst:

“Geht eure Mutter noch zur Schule?”

Beide, unisono und bereits leicht betreten: “Äh, nein …”

“Dann ist es vermutlich auch nicht ihr Job, sich um eure Schulsachen zu kümmern, oder?”

Nummer 2 (ab hier schweigt Nummer 1 beharrlich während des Gesprächs): “Nicht wirklich.”

Frau H., die Fachfrau: “Merkt ihr eigentlich, wie sehr es eure Mutter belastet, sich um all euren Kram kümmern zu müssen, um den sie sich eigentlich nicht kümmern müsste?”

Nummer 2: “Schon, ja.”

Frau H.: “Und was glaubt ihr, warum sie das tut?”

Nummer 2: “Weil sie Angst hat, dass wir in der Schule schlecht sind?”

Frau H.:” Ja, und warum noch?”

Nummer 2, sehr leise und betreten: “Weil sie uns liebt?”

Frau H.:”Ja! Ganz genau. Das tut sie aus Liebe. Aber das muss sie nicht. Und nun ist sie hier bei uns, weil sie ganz erschöpft ist von dem dauernden Sich-Kümmern und Für-andere-Mitdenken. Und was bei kleinen Kindern am Anfang der Schule noch ganz richtig ist, sollte bei Jugendlichen wie euch längst aufgehört haben.”

Frau H. forderte die Kinder auf, einen Vertrag mit mir aufzusetzen. Dieser sollte beinhalten, dass sie für ihre Schulsachen alleine verantwortlich seien. Und dass sie zugleich Hilfe bekämen, wenn sie um diese bäten.

Ich spürte, wie ein unfassbar großes Gewicht von mir fiel. Und ich spürte auch, dass es noch eine Menge Bereiche gab, die auf mir lasteten. Aber eine große Belastung war fort.

Ich räusperte mich und sagte:

“Wissen sie, ich habe ein Erziehungsmodell gelebt, hinter dem ich nicht stehe.”

Ich sehe Frau H. bereits nicken, obwohl ich meine Ausführung gerade erst starte – sie weiß, was ich sagen will. Ich fahre fort:

“Ich habe einfach getan, was alle tun: Den Kindern Probleme aus dem Weg geräumt, sie total bemuttert und für sie an alles gedacht. Ich weiche schon in einigen Bereichen vom Mainstream ab, aber ich hatte nie die Kraft, das in allen Bereichen auch durchzusetzen. Weil da immer Blicke, Kommentare und mögliche negative Reaktionen waren. Ich habe etwas getan, das ich als falsch empfinde. Und das ist das Ergebnis.

Ich sehe es so: Hätte ich ein einziges Kind, wäre das alles wohl nie oder erst in zehn Jahren aufgefallen. Ich habe aber nun mal vier Kinder. Und da ist es unmöglich, die gleiche Rundum-Betreuung zu gewährleisten. Ich habe mich echt verausgabt, die Gefühle und Bedürfnisse aller Kinder im Fokus zu haben und zu befriedigen. Bei so vielen Kindern bleibt da null Raum mehr für mich, aber das war ich anscheinend bereit hinzunehmen, weil man es so von uns Müttern verlangt und ich nicht genug Rückgrat oder Selbstliebe oder beides hatte, um es anders zu handhaben.

Nun funktioniere ich nicht mehr als Hochleistungsroboter und prompt fliegt alles auf: All das Verwöhnte, die zu geringe Selbstverantwortung der Kinder und so weiter. Schrecklich, so wollte ich das nie haben. Und dabei sind die Mädels irgendwie auch sehr fit -sie sind sozial sehr kompetent, sie können Wäsche waschen und so weiter. Aber sie haben sehr wenig Eigenmotivation.”

Frau H. lächelte knapp und erklärte mir, das sei einfach ein Zeichen der Zeit: Das Kind stünde im Mittelpunkt und sei zugleich überfordert mit dieser Position. Man traue und mute den Kindern nichts mehr zu. Sie müssten nichts mehr aushalten oder bewältigen. Und dabei lerne man eben durch die kleinen und großen Krisen und Konflikte im Leben. Heute liefe alles über die Mutter. Probleme mit anderen Schülern? Mama wird angerufen. Probleme mit anderen Kindern? Mama wird gerufen. Kinder brauchen Herausforderungen und müssen Fehler machen dürfen, um das Leben zu spüren.

Bereichert, erleichtert und mit einem Gefühl von Stärke verlasse ich das Büro, meine beiden im Schlepptau.

Ich sage ihnen, dass ich es nun drauf ankommen lassen werde: Wenn sie nichts leisten, werden die Noten eben schlechter. Ich bin da, wenn sie Hilfe brauchen – ganz gleich, ob das Vokabel-Abhören oder etwas anderes sei. Aber sie könnten ab nun nicht mehr ihre Verantwortung an mich outsourcen. Und zudem verließen sie sich stets darauf, dass ich sie rette. Das sei nun vorbei. Kein einziges Lehrergespräch mit dem Inhalt: “Nummer 1 und Nummer 2 vergessen dauernd Schulmaterial, Ms. Essential, gucken sie mal danach!” oder Ähnliches mehr. Ich werde nur noch eines antworten: “Ich habe sie verwöhnt, so wie es in Mode war. Ich korrigiere diesen Fehler nun. Sanktionieren sie es nach ihrem Gutdünken, das ist ihr Job.”

Sie schlucken hart und merken, dass es mir ernst ist.

Sie bereiten seltsamer Weise das Portfolio vor, das sie für Deutsch und Erdkunde fachübergreifend anfertigen sollen. (Spoiler: Nummer 1 wird das trotz allem sehr schlampig tun und Nummer 2 eher durchschnittlich, wenn auch außergewöhnlich kreativ, aber eben ohne durchnummerierte Seiten und andere Anforderungen)

Abends sitzen wir wieder nebeneinander auf Nummer 1s Bett gequetscht. Der Fernsehraum dient eben dem Fernsehen und wir wollen nichts wie Dschungelkönig oder Ähnliches ansehen. Daher schauen wir DVDs. Ist recht unbequem und beginnt, mich zu nerven. Ich war einige Tage schön im Flow, aber irgendwie bin ich da raus, im Moment.

Tag 15, Dienstag

Ich habe außer einem kleinen Seminar zu Erziehungsfragen und einem nachmittäglichen Kurs mit Heilerde-Gesichtsmasken (sehr spaßige Angelegenheit) keine Anwendungen.

Ich bringe Nummer 2 und den Sohn der Mutter, die mit meinen Kinderlein zum Weihnachtsmarkt war, am Nachmittag nach Detmold in’s Kino. Der Junge hatte Geburtstag und aus diesem Anlass werden sie chauffiert.

Ich grusele mich davor, in fremde Städte zu fahren und mir in möglichen engen Gassen eine Parkmöglichkeit zu suchen – das mag daran liegen, dass ich ein großes Auto fahre oder daran, dass ich einfach nervös bin. Wie auch immer: Lust habe ich auf diese Goodie für die Kinder nicht. Daher bitte ich die Mutter des Jungen, die Kinder abzuholen, dafür würde ich ihr mein Auto ausleihen. Sie willigt ein.

Und mit der Aussicht, nicht auch noch im Dunkeln ein weiteres Mal eine Stunde herumfahren zu müssen, fahre ich die beiden recht entspannt so nahe wie möglich an das Kino. Einen Parkplatz gibt es nicht und so halte ich nahe einem Ärztehaus und erklären ihnen, dass sie bis zum Ende der Straße müssten und dann könnten sie ja nachfragen – das Kino sei aber auf der Parallelstraße. Sie drucksen herum, wollen, dass ich in das enge Parkhaus gegenüber fahre, damit ich sie zum Kino bringen kann. Ich denke an alles, das ich bisher gelernt habe und da ist dieses neue, selbstbewusste Gefühl in mir.

“Nein, das könnt ihr. Ihr lauft 50 Meter und fragt notfalls jemanden, dafür muss ich nicht in das Parkhaus fahren und euch an die Hand nehmen. Das könnt ihr. Ihr habt ein Handy für alle Fälle. Schreibt eine Nachricht, wenn ihr im Kino angekommen seid, okay?”

Sie mosern ein wenig und bequemen sich aus meinem Großraumtaxi.

Im Kurhaus angekommen erfahre ich, dass die Mutter des Jungen eine fiese Migräneattacke bekommen hat und sehe nach ihr. Sie hatte Tabletten genommen und sich hingelegt und die Schmerzen waren wieder weg. Autofahren durfte sie aber wegen der Medikamente natürlich nicht mehr und so hole ich die Kinder später auch wieder ab.

Sie erzählen vom Film und sind ganz aufgeregt und das Auto riecht nach Karamellpopcorn. Ganz süß, wie euphorisch sie sind.

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Im Dunklen und in der Fremde fahre ich nicht gerne herum – schon gar nicht mit fremden Kindern im Auto

Am Abend bekommt Nummer 2 Bauchschmerzen. Nachts weckt sie mich, weil sie sich übergeben hat. Wie es das Kinder-Gesetz will, hat sie dies nicht in der Toilette erledigt, sondern mitten im Zimmer. Ich schildere nun nicht den Haufen Karamell-Popcorn in seinem neuen Aggregatzustand und dessen abartigen Geruch (huch, nun habe ich es doch getan:D). Nummer 2 bekommt meine Wärmematte und ich packe sie ins Bett – die Lache hat sie selber weggemacht.

Früher hatte ich einen Stahlmagen, aber seit Mister Essentials langem Krankenhausaufenthalt habe ich ein Problem mit dem, was menschliche Körperöffnungen verlässt. Mit fast allem davon. Vor zehn Jahren noch hat Nummer 2 viel gebrochen. Ein Mal direkt in mein Gesicht, meinen Mund und meinen Ausschnitt. Das hat mir nichts ausgemacht. Aber seit ich so empfindlich bin ist die Regel: “Alle ab 10 Jahre müssen selber wischen, wenn sie die Toilette im Falle des Erbrechens nicht verwenden.”

Ich schleiche auf den Gang, wo sich eine Küchenzeile befindet. Ich möchte ihr Fenchel-Anis-Kümmel-Tee machen, aber ich hatte vergessen, dass nachts der Strom in den kleinen Küchen abgeschaltet wird. Also mopse ich den Wasserkocher und bereite den Tee in unserem Flur vor den Zimmern zu. Ich betüdele die arme Nummer 2 und bringe sie mit dem Tee ins Bett. Morgen werde ich ihr Zwieback kaufen fahren. Heute Nacht muss sie sich mit Tee begnügen.

Ich liege im Bett und bin hellwach. Ich mache Mark Twain an und denke nebenher nach.

Auch darüber, dass morgen Nummer 4 Geburtstag hat und dann schon zwei Jahre alt ist. Mister Essential wird vorbeischauen und dann nach München zu einem Geschäftstermin weiterfahren.

Ende Teil 2



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