Mein Bewerbungsmarathon durch rote Lippen und Hipsterbärte

Bewerbungsverfahren

Sie schürzt die tiefroten Lippen und der untere Teil ihres Gesichts zieht sich zusammen. Ihre Augen sind klein und schmal. Ihre Körperhaltung ist abweisen: Arme verschränkt, die Unterlagen auf ihrem Schoß bilden eine Mauer zwischen uns. Sie bietet mir nichts, fordert dafür umso mehr. Ihr Fokus bleibt in ihren Unterlagen, wenn ich rede. Stelle ich eine Frage, antwortet der Kollege. Er ist das völlige Gegenteil von ihr und reißt die Augen weit auf um alles, was ich sage, in sich einzusaugen. Doch auf ihn kommt es nicht an, sondern auf sie – denn sie ist die Chefin. Erst als ich auf die Bezahlung zu spreche komme, reagiert sie auf mich.

Über die Bezahlung von Volontariaten für Absolventen müssen wir wirklich einmal reden. Ein Volontariat ist eine Ausbildung, deshalb fällt es nicht unter die gesetzliche Mindestlohnregelung. Praktikanten mit Uniabschluss muss hingegen ein Gehalt von 8 Euro 50 die Stunde bezahlt werden. Merkt ihr was? Aber eine nähere Betrachtung der Folgen dieser rechtlichen Grundlage würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Ich möchte heute nur einige meiner Erlebnisse schildern.

Finanziell ist Schwiegertochter gesucht eine echte Alternative

So ergab es sich zum Beispiel, dass mir vier Unternehmen der gleichen Branche erklärten, sie würden sich an einem Tarif orientieren. Sie sagten nie an welchem Tarif und machten mir vier verschiedene Gehaltsangebote. Logisch ist das nicht, aber wenigstens führt ein Tarif (welcher auch immer) zu einem fairen Gehalt. Denn in der Regel kratzen Unternehmen Restbudget zusammen, was zu völlig unterbezahlten Volontariaten führt. Meistens reicht der Lohn gerade mal für die Miete (besonders in Städten). Arbeitslos zu sein bietet in dieser Hinsicht viele Vorteile…

Das Faszinierendste in punkto Bezahlung habe ich in einem mittelständigen Unternehmen erlebt, das auf der ganzen Linie mit halbgarem Wissen über arbeitsrechtliche Vorschriften brillierte. Das Modell sah wie folgt aus: Pro Arbeitstag gibt es einen Verdienst von zehn Euro, wird an einem Tag nicht gearbeitet (wegen Krankheit o.ä.), gibt es kein Geld. Sozialversichert ist dieses sechsmonatige Praktikum ohnehin nicht und da man noch vertragliche Schlupflöcher finden musste (wegen diesem bösen Mindestlohn), gab es auch erstmal nichts zu unterschreiben. Nach zwei Tagen Arbeit bin ich gegangen und nie wieder zurückgekehrt. Mir schienen selbst bei „Schwiegertochter gesucht“ die Rahmenbedingungen besser – womöglich sogar der Lerneffekt.

Sein Rechtschreibproblem, meine Selbstzweifel

Trotzdem ich das Recht auf eine gute Stelle mit guter Bezahlung habe, bin ich den Unternehmen machtlos ausgeliefert. Ich muss mich ihnen gegenüber beweisen, während sie oft vergessen, dass auch sie mich überzeugen müssen… sollten… in der Theorie… in der Praxis ist das nicht so einfach. Denn während die Arbeitgeber aus einem Potpourri an Bewerbern wählen können, muss ich nach jedem Strohhalm greifen – egal wie rutschig er ist.

Manchmal fällt ihnen doch ein Argument ein, mit dem sie für sich werben. Es ist der altbackene und völlig ausgelutschte Witz, den kein Bewerber mehr hören kann: „Bei uns sind Sie nicht zum Kopieren und Kaffee kochen.“ NATÜRLICH NICHT! Ich bin hier, weil Sie jemanden brauchen, der ALLES KANN und dem Sie dafür NICHTS BEZAHLEN müssen!

Einmal saß mir dieser Hipster Bart gegenüber. Einer von dieser blassen Sorte, der entweder dem Clichée entsprechend auch gleich Veganer war oder einfach zu selten an die frische Luft ging. Er war müde und schlecht gelaunt, ich unerfahren in Bewerbungsgespräche. Schnell wurde klar, dass wir an diesem Tag kein Dreamteam mehr wurden. Mir gefielen seine Fragen nicht, ihm gefielen meine Antworten nicht. Letztlich bohrte er viermal nach, warum ich ausgerechnet in seinem Unternehmen arbeiten wollte. Ich hatte beim ersten Mal schon einen Monolog gehalten und mich beim zweiten Mal nur noch wiederholt. Er hätte es gut sein lassen können, tat es aber nicht. Bei der dritten Nachfrage, hätte ich am liebsten patzig geantwortet: „Was finden Sie denn so toll an ihrem Unternehmen?“ Und dann hätte ich hinzugefügt: „Und lernen Sie endlich mal die Kommaregeln! Sie werden es nicht glauben, aber es gibt ein ‚das‘ mit zwei ’s‘!“

Warum mich die Lust überfiel die Grammatikkenntnisse des Hipsterbarts zu kritisieren? Erstens habe ich Germanistik studiert und dieses Verhalten ist zwanghaft. Zweitens habe ich am Tag zuvor sein Facebook-Profil erforscht und es juckte mich am ganzen Körper als ich die zahlreichen Grammatik- und Rechtschreibfehler fand. Aber selbst der Typ hatte einen Job. Und konnte über mein Leben entscheiden! Dieses Gespräch wurde zum Tief in meinem Tief. Ich war nicht nur ungeeignet, ich wurde sogar von noch ungeeigneteren Menschen als ungeeignet abgestempelt. Ich verzweifelte von Tag zu Tag mehr und plötzlich gab es so viele Fragen nach dem Sinn, meinem Wert für diese Arbeitswelt und was zum Kuckuck alle anderen besser machten als ich!

Alles wird gut

Und dann verging die Zeit.

Ich sammelte mehr und mehr Erfahrungen und es kamen die guten Unternehmen. Viele von ihnen hatten immer noch bescheidene Rahmenbedingungen zu bieten, aber sie behandelten mich nicht mehr wie ein kleines Töff, das huldigend auf dem Boden knieen sollte. Da war auf einmal sowas… ja… ich würde es Respekt nennen. Und die Tatsache, das mir das so fremd vorkam, ist doch irgendwie beängstigend.

Die Frau mit den roten Lippen verschreckte mich nur noch kaum. Ich blieb gelassen und lächelte sie durchweg an, auch wenn sie kein einziges Lächeln für mich übrig hatte. Für mich war ihr Verhalten zu diesem Zeitpunkt okay, denn ich hatte bereits einen Job in der Tasche. Einen wo vieles stimmte: Rahmenbedingungen und Menschlichkeit. Dass ich also trotz persönlichem Kennenlernens nie wieder etwas von den roten Lippen hörte, war mir egal. Auf der professionellen Ebene. Menschlich würde ich ihr gerne nochmal diese unhöfliche Respektlosigkeit vorwerfen…

Fails von Arbeitgebern, die ich in Bewerbungsverfahren erlebte:

  • Im Vorstellungsgespräch den Bewerber nicht zu Wort kommen lassen
  • Nur mit Ironie auf Fragen zu den Arbeitsbedingungen antworten
  • nach Abschluss des Bewerbungsverfahren keine Absagen an die ausgeschiedenen Bewerber schicken
  • sich nach dem Vorstellungsgespräch nie wieder melden
  • für Nachfragen keine Kontaktdaten angeben
  • sich selbst im Vorstellungsgespräch nicht vorstellen
  • den Bewerber im Gespräch nicht anschauen
  • Im Vorstellungsgespräch Zeitdruck haben

PS: Natürlich hätte ich auch viele positive und lustige Geschichten über Bewerbungsgespräche erzählen können. Doch leider überwiegt die Zahl der schlechten Erfahrungen. Denn selbst die Unternehmen, die menschlich völlig in Ordnung sind, werden von den Anforderungen der Zeit, den Möglichkeiten ihres Unternehmes und den Ansprüchen ihrer Branche extrem bewegungsunfähig gemacht, auch wenn sie einige Dinge gerne anderes bewerkstelligen würden. Letzlich spiegelen sich die Herausforderungen unserer modernen Lebens- und Arbeitsbedinungen in den Bewerbungen wider. Daher sollten wir uns wie so oft einfach mal wieder fragen: Wie wollen wir unsere Zeit auf dieser Erde gestalten?



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