Mehrzad Marashi über Hartz IV: Empfänger fördern und nicht vorverurteilen

Belohnt Hartz IV die Faulen – der Beantwortung dieser provokanten Frage widmete sich am Montag, 7. Mai 2012 die SAT.1 Sendung „Eins gegen Eins“. Moderiert vom Journalisten Claus Strunz diskutierten Dr. Rita Knobel-Ulrich (Journalistin, Autorin und Filmemacherin), Kurt Meier (ehemaliger Hartz-IV-Empfänger und Autor des Buchs „Das Sparkochbuch: Günstig und ausgewogen ernähren nach dem Regelsatz Hartz IV“), die stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Die Linke Katja Kipping sowie Mehrzad Marashi (Sänger und früherer Hartz-IV-Empfänger).

Das Thema Hartz IV polarisiert und emotionalisiert. Im April 2012 lag bundesweit der Anteil der Hartz-IV-Empfänger an der Bevölkerung bei 7,6 Prozent (Quelle: statista.com). Allein im Jahr 2010 gaben Bund und Kommunen über 49 Milliarden Euro für Hartz-IV-Leistungen aus. Seit 1. Januar 2012 wurde der Regelsatz von bislang 364 Euro auf 374 Euro erhöht. In der Sendung „Eins gegen Eins“ stellte Strunz die 21jährige auszubildende Köchin Clara Eick vor. Rechnet man ihr Monatsgehalt von 525,00 Euro gegen das Arbeitslosengeld II sowie weitere Zulagen, so hätte die Auszubildende ohne Arbeit mit Hartz IV mehr Geld. Bei ihrer Recherche zu Produktionen wie „Die Hartz-Maschine – Geschäfte mit der Arbeitslosigkeit“ oder „Arbeit, nein, danke! Scheitern mit Hartz IV“ sammelte Knobel-Ulrich in Jobcenter Erfahrungen über das Verhalten von Hartz-IV-Empfängern: „Das System macht es Menschen viel zu leicht, sich darin einzurichten und es auch auszunutzen auf Kosten der Steuerzahler.“ Sie unterstreicht das landläufige Vorurteil, dass Hartz-IV die Faulen belohnt.

Fotograf: Oliver Reetz (gen.)

Fotograf: Oliver Reetz (gen.)

Vor seiner Teilnahme und seinem Sieg bei der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar, DSDS“ war Mehrzad Marashi selbst Hartz-IV-Empfänger, da sein Unternehmen in Insolvenz ging. Zu der Zeit war seine heutige Gattin bereits schwanger, so dass der Sänger zum Jobcenter gehen musste. „Man wird vom ersten Tag an behandelt, als wenn man nichts anderes zu tun hat, und man fühlt sich als das Letzte“, schilderte Marashi seine persönlichen Erfahrungen und wehrt sich gegen die Pauschalverurteilung, dass alle Hartz-IV-Empfänger faul sind. Auch Katja Kipping stellte klar: „Wer von Hartz-IV leben muss, ist doppelt bestraft. Man hat kein Geld, keinen Job und steht unter Generalverdacht!“

Zum Thema Ein-Euro-Job meinte Knobel-Ulrich, dass es selbst für arbeitslose Akademiker nicht unter deren Würde sein sollte, putzen zu gehen. „Würden Sie totengraben?“ fragte Mehrzad Marashi, dem man während der Diskussion die emotionale Nähe zum Thema anmerkte. Der Hamburger Künstler hat Freunde in Hamburg und Berlin, die einen Ein-Euro-Job als Totengräber machen mussten und wegen der körperlichen Nähe zum Tod nach zwei Tagen emotional verstört waren.

Für Mehrzad Marashi sind Kinder von hoher Wichtigkeit, ist er doch selbst auch Vater und engagiert sich bei verschiedenen sozialen Initiativen für Kinder und Jugendliche. So ist der 31jährige unter anderem Pate eines Kindes in Afrika (Lucky Kids), offizieller Botschafter von People’s Theater und nahm bei „Artists for Kids“ und „Switch“ teil. Der Künstler erläuterte, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien bereits vom ersten Schultag an ausgegrenzt werden. Ihre Eltern haben beispielsweise nicht die finanziellen Möglichkeiten, ihren Kindern neue Kleidung zu geben, sodass sie bereits abgetragenes Gewand von Flohmärkten tragen müssen. Ebenso erklärte Mehrzad Marashi, dass viele Kinder einfach keine Chance haben: „Wenn man im falschen Stadtteil aufwächst, wird man ausgegrenzt von Menschen, von den man lernen kann, und von Möglichkeiten, Jobs zu bekommen … Man hat keinen, der es den Kindern beibringt. Dann gehen die Kinder auf die Straße.“ Daher forderte Mehrzad Marashi: „Kinder dürfen nicht unter Hartz-IV leiden!“ Dem pflichtete auch Knobel-Ulrich bei, dass man in Bildung investieren müsse. „Kinder sind schließlich unsere Zukunft“, betonte Mehrzad Marashi.

Natürlich gibt es auch unter Hartz-IV-Empfänger Menschen, die betrügen, gab Mehrzad Marashi zu – so wie auch viele Steuerzahler, ergänzte Katja Kipping. „Man sollte Leuten, die Hartz-IV empfangen, eine Möglichkeit geben, selber da aus eigener Kraft raus zu kommen“, schlug der Sänger vor. „Es sollte außer Hartz IV auch ein Hartz III, II und Hartz I geben, wo jemand, der alle Termine wahrnimmt, dreißig Bewerbungen schreibt, zu jedem Termin erscheint, mehr bekommt als jemand, der gar nichts tut!“

Vor der Sendung wurde das Publikum gefragt, wer der Behauptung „Null Bock auf Arbeit – Belohnt Hartz-IV die Faulen“ zustimmt oder sie ablehnt. Nach der Diskussion wurde diese Frage erneut gestellt und die Ergebnisse verglichen. Waren es vor der Sendung noch 41 Prozent, die der Frage „Belohnt Hartz-IV die Faulen“ zustimmten, so sprachen sich nach der Studiodiskussion klare 61 Prozent gegen diese Vorverurteilung aus.

„Mit Hartz IV waren Sie in einer schwierigen Situation, dann Superstar und heute sind Sie ein erfolgreicher Sänger. Was ist Ihr Tipp für Leute, die in der Geldklemme sind“, fragte Claus Strunz abschließend Mehrzad Marashi. „Egal wie hart es ist, egal wie viel man von außen negativen Druck spürt, trotzdem seinen Weg gehen“, empfahl der Sänger. „Nicht jeder hat das Talent, Arzt zu sein oder Anwalt. Man soll seinen Weg gehen und dann wird man es schaffen!“

Wir von Musik-Schlagzeile meinen, dass bei der Diskussion über Hartz IV nicht übersehen werden sollte, dass dahinter konkrete Menschen aus Fleisch und Blut mit einem ganz eigenen Schicksal stehen. Menschen, die nicht viel erwarten – außer Respekt, der eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Recherche und geschrieben: Heidi Grün


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