#Lassehatteweihnachtsfeier – Der fünfte Teil

Runifico,Spaß,Humor,Tagebuch,Lauftagebuch

Lauftagebuch, Teil fünf

Sonntag, 15.05.2016

Der Plastikverschluss am Armband meiner Casio-Digitaluhr Modell 1990 bricht, als ich mir den Zeitnehmer um das Handgelenk schnallen will. Das heißt, ich muss improvisieren und zwar schnell. Basteln ist aussichtslos, als Notnagel bleibt nur die Multifunktions-Pulsuhr meiner Frau. Worst Case. Weil Angst jetzt nicht weiterhilft, stelle ich mich der Situation wie ein Mann und lasse mir ruhig die Funktion des kleinen Horrorgeräts erklären. Mir wird gezeigt, wo der Zeitnahmemodus ist und wie dieser gestartet wird. Zur Sicherheit beschließe ich, die Uhr in dem Modus zu belassen, bis es losgeht.

Auf dem Weg mit dem Fahrrad zum Start stelle ich fest, dass es bereits erstaunlich warm, fast heiß ist. So wie ich die Sache sehe, könnte man zumindest auf den ersten 10 km Glück haben, wenn man ganz rechts läuft. Die Sonne müsste bereits so weit Richtung Süden gezogen sein, dass sich die Häuser am Straßenrand als Schattenspender anbieten. Schließlich ist der Start erst um 10.00 Uhr. Auf jeden Fall wird das eine Millimeterentscheidung. Ich stelle mich auf Ellenbogenattacken am rechten Bordsteinrand ein.

Ich stehe mitten in einem Pulk von Menschen. Nicht alle sehen gewöhnungsbedürftig aus, aber viele. Es ist wie im richtigen Leben, nur viel enger. Sehr viel enger. Und jetzt sehe ich auch, warum hier so ein Gedränge ist: Irgendjemand hat mitten durch die Läufer ein Absperrband gespannt. Auf die Idee muss man erstmal kommen. Davor sieht es auf jeden Fall deutlich leerer aus.

Nachdem ich das anerkennende Nicken der umstehenden Läufer genossen habe, bemerke ich einen Ordner außerhalb der Menge, der mich anschreit und dabei böse guckt. Ich hätte das Band wohl nicht zerreißen dürfen, um genügend Platz für alle zu machen. Ich verziehe mich mit geducktem Kopf in die Mitte. Könnte ruhig etwas voller sein, das gelbe Leibchen sieht mich immer noch. Kurze Zeit später stehe ich wieder in einer engen, bereits leicht schwitzenden Menge, nur jetzt schon zehn Meter weiter vorne. Geht doch.

Angefeuert durch eine Lautsprecherstimme klatsche ich jetzt, völlig entgegen meinem Willen, mit den Händen über dem Kopf. Ich habe Angst, schon wieder etwas falsch zu machen. Plötzlich höre ich einen Schuss. Start! Es geht los. Eigentlich. Denn unter tosendem Applaus aus den eigenen Reihen schiebt sich die Menge lediglich zentimeterweise nach vorn. Unvermittelt, kurz vor der Startlinie, ist der Weg plötzlich frei und ich kann einen vorbildlichen fliegenden Start hinlegen. Hat mir bestimmt eine Zehntelsekunde gebracht. Während ich über diesen Coup nachdenke, fällt mir ein, dass ich trotz Chip am Schuh vielleicht auch meine eigene Uhr starten sollte.

Ich drücke den mir gezeigten Knopf und breche in Panik aus. Die Anzeige springt auf „Uhrzeit“ und verharrt. Ich brauche einige Augenblicke um zu realisieren, dass Uhrzeit immerhin besser ist als gar keine Zeit und merke mir mit leichter Verspätung am Ende des Olympischen Platzes: 10:06:32. Damit ist auch klar, was ich während des Laufs machen werde: rechnen. Dennoch atme ich erleichtert auf und beginne mich in Richtung des rechten Bordsteins durchzuschlagen.

Nach gut zwei Kilometern werde ich überholt. Mit kleinen tapsigen Schritten zieht eine nach vorne gebückte,weißhaarige Gestalt mit kurzer roter Turnvater-Jahn-Sporthose an mir vorbei. Ich bleibe dran und beschließe, in der Gestalt des Opas von nun an meinen Hasen und Gegner zu sehen.

Einen Kilometer später muss ich einsehen, dass mein Hase zu schnell ist. Er hinkt mir davon. Einen weiteren Kilometer später begeht der Hase allerdings einen entscheidenden Fehler: Er wird langsamer, geht zur Getränkestation und greift sich geruhsam zwei Becher Wasser. Ich wittere Morgenluft, verringere schnell den mittlerweile auf über 50 Meter angewachsenen Abstand und laufe an ihm vorbei.

Drei Kilometer weiter überholt mich mein Hase erneut. Ich hänge mich an ihn ran. Kurz bevor ich ihn in der Menge nicht mehr sehen kann, kommt die nächste Getränkestation. Mein Hase stoppt und nimmt sich zwei Becher Wasser. Ich nutze die Chance und lege einige Meter zwischen uns.

Als ich auch an der Getränkestation bei Kilometer 15 an meinem Gegner vorbeiziehe, weiß ich, dass es erneut nur von kurzer Dauer sein wird. Ich beginne mir einen Plan zurechtzulegen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird mein Gegner auch bei Kilometer 20 wieder Wasser zu sich nehmen. Im allgemeinen Gedränge könnte ich ihn dort ohne größeres Aufsehen umgrätschen. Wenn er sich dabei auch nur ein wenig verletzte, müsste ich den Sieg davontragen können. Der Plan ist gut. Zumindest fällt mir kein besserer ein.

Langsam macht sich mein Bauch bemerkbar. Ohne Banane würde ich auch gegen einen verletzten Gegner keine Chance haben. Plötzlich bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob meine Frau mir gestern wirklich zugehört hat. Wäre ja nicht das erste Mal. Um möglichst wenig Zeit zu verlieren, sollte die Banane schon verzehrbereit sein, am besten ganz ohne Schale. Naja, Hauptsache es gibt überhaupt eine Banane. Aber wahrscheinlich hat sie ohnehin nicht zugehört und somit wird auch die Cola ein prickelnder Traum bleiben. Ich bin erledigt. Und mein Hase läuft auch gerade wieder an mir vorbei. Außerdem geht es hier scheiß steil bergauf. Dabei sind doch angeblich nur die letzten drei Kilometer wellig. Was ist denn das hier für eine Organisation? Können die keinen vernünftigen Kurs abstecken?

Sie hat zugehört, sie hat tatsächlich zugehört. Ich freue mich wie ein kleines Kind, als ich die matschige Banane gereicht bekomme. Schnell erkläre ich ihr die Situation und deute auf meinen gut 30 Meter vor mir laufenden Gegner. Sie nickt verständnisvoll, meint aber, Umgrätschen sei keine ideale Lösung. Ich solle es mal mit Kampfgeist versuchen. Und, nun ja, er sehe ja jetzt auch nicht so wahnsinnig … Ich habe verstanden.

200 Meter weiter ist die letzte Verpflegungsstation aufgebaut. Ich hoffe inständig, dass mein Gegner wieder eine Pause einlegt. Er tut es. Ich sehe, wie er sich rechts hält, langsamer wird und schließlich stehen bleibt. Ab jetzt gebe ich alles. Der weiße Gnom darf mich auf keinen Fall vor Kilometer 23 einholen. Danach muss ich irgendwie an ihm dranbleiben und ihn dann im Zielsprint abledern. Alte Menschen können unmöglich auch noch sprinten können. So ungerecht ist die Welt nicht. Doch noch bin ich in Phase eins: Schnell am Gegner vorbeilaufen und dann davoneilen.

Dank der Cola oder der Tatsache, dass es leicht bergab geht, bin ich auf den nächsten zwei Kilometern unbesiegbar. Dann kommt die Steigung, in die ich mit einem Höllentempo hineingehe. Ich fühle mich gut. Einem nach dem anderen laufe ich auf und lasse ihn am Berg einfach stehen. Wahrscheinlich wird sich hinter mir ein Gruppetto bilden, welches verzweifelt versucht, im Zeitlimit zu bleiben. Ich hoffe, dass es gelingt. Sind schließlich alles brave, anständige Sportler. Nur eben nicht von meiner Klasse.

Plötzlich kommt links jemand in mein erweitertes Blickfeld. Noch ist es nur ein Schatten, aber ich weiß bereits, wer es ist. Mein Gegner. Mit kurzen schnellen Schritten will er an mir vorbeiziehen. Der Hund, der Hase. Dummerweise hat er es kurze Zeit später auch geschafft. Warum ist es hier auch so steil? Und so warm? Und überhaupt. Aber diesmal bleibe ich dran. Nur zentimeterweise wird der Abstand größer. Wenn nicht gleich das 24 km-Schild zu sehen ist, bin ich verloren. Meine Beine teilen mir mit, dass es ihnen nur mittelprächtig gehe und vermuten, dass das schon der Schlussspurt sei. Ich verweise sie darauf, dass dem nicht so ist und ich erwarte, dass sie ab Kilometer 24 noch eine Schippe drauflegen. Hat im Training schließlich auch immer geklappt. Einen Kilometer rennen hält man ja wohl immer durch.

Das Schild kommt, ich zünde den Turbo, meine Beine brennen und ich schlucke den Hasen keine 50 Meter später. Leider ignoriert er diese Heldentat. Ich beschließe, ihn im Ziel darauf hinzuweisen, wie ich an ihm vorbeigezogen bin und ihm anschließend auch zu seiner guten Leistung zu gratulieren. Doch noch bin ich nicht im Ziel. Das ist jetzt die Phase, die ich eigentlich genießen wollte. Im sonst abgesperrten Teil des Olympiageländes, auf dem Weg zu den Katakomben und dann raus, durch das Marathontor ins gleißende Sonnenlicht, dem Jubel der 75.000 entgegen.

Aber ich kann nicht, alles tut weh. Und was ist, wenn der Hase doch noch einmal aufdreht? Plötzlich höre ich laute Musik aus dem Inneren des Stadions. Sehr laute Musik. Unglaublich laute Musik. Sie kommt direkt aus dem Eingang der Katakomben auf mich zugeschossen. So habe ich mir das vorgestellt. Kurze Zeit später tauche ich in sie ein. Ein ohrenbetäubendes Hämmern im Rhythmus meiner Schritte. Oder umgekehrt. Ich dürfte jetzt bei ca. 2:30 Minuten den Kilometer liegen. Oder auch etwas schneller. Ich fliege. Dann sehe ich mich auf der großen Videoleinwand im Stadion. Es besteht kein Zweifel, eindeutig: Ich bin’s und ich renne.

Plötzlich bin ich im Ziel. Keine zehn Sekunden später kommt Turnvater Jahn. Sieht eigentlich ganz frisch aus, der Junge. Mir fällt auf, dass ich gar nicht weiß, wer von uns gewonnen hat. Wahrscheinlich bin ich ja weiter vorne gestartet. Nachher habe ich trotz meines letzten Superkilometers unser Duell noch verloren? Ich verzichte auf das Gespräch mit meinem Gegner und mache mich auf, die zwei Millionen Stufen oberhalb des Marathontors zu erklimmen, um vor dem Maifeld in den Genuss eines als isotonisches Supergetränk für Sportler gepriesenen Produkts zu kommen, eines alkoholfreien Weizens. Wenn ich dazu dann noch regelmäßig Nussnougatcreme zu mir nehme, bin ich wahrscheinlich in kürzester Zeit Profisportler.

#Lassehatteweihnachtsfeier – Lauf-Tagebuch von einem, der auszog ein Läufer zu werden

Lasse läuft und Lasse schreibt – über seinen unmenschlichen Weg zu einer außergewöhnlichen Leistung. Der über Jahre im Breitensport erfolglos agierende Autor macht den Menschen in diesem Land Hoffnung. Seine These: Auch Sie können aus Ihrem Hier und Jetzt ausbrechen und als prinzipiell mittelmäßiger Hobbysportler eine annehmbare Leistung vollbringen.

Natürlich werden die Wenigsten den gleichen Weg gehen. Das ist wie mit Kochsendungen: Die Gerichte kocht auch keiner nach. Aber der Wille zählt, der Berg ruft. Und nicht vergessen, immer an das olympische Motto denken: Man muss nicht unbedingt der Beste sein. Es reicht völlig, wenn man gewinnt.


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