LAG Berlin-Brandenburg: „Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt wöchentlich 32 Stunden. Die Anzahl der Stunden kann sich bis auf max. 40 Stunden wöchentlich erhöhen.“

Ein Arbeitgeber verwendete folgend Klausel im Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitnehmer:

„Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt wöchentlich 20 Stunden. Die Anzahl der Stunden kann sich bis auf max. 25 Stunden wöchentlich erhöhen.“

Später wurde geregelt:

„Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt wöchentlich 32 Stunden. Die Anzahl der Stunden kann sich bis auf max. 40 Stunden wöchentlich erhöhen.“

Der Arbeitnehmer arbeitete über mehrere Jahre mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche.

Der Arbeitgeber reduzierte später – angeblich aufgrund wirtschaftlicher Probleme – die regelmäßige Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche. Der Arbeitnehmer hielt die Reduzierung der Arbeitszeit für unwirksam und klagte gegen den Arbeitgeber auf Feststellung der Unwirksamkeit der Reduzierung und verlangte Bezahlung einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche.

Das Arbeitsgericht Berlin gab dem Arbeitnehmer Recht. Gegen das Urteil legte der Arbeitgeber Berufung zum LAG Berlin-Brandenburg ein.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 16.10.2014 – 21 Sa 903/14) gab der Berufung keinen Erfolg und führte dazu aus:

Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt aus der Vereinbarung einer Arbeitszeitspanne von mindestens 32 Stunden und höchstens 40 Stunden pro Woche jedoch noch nicht automatisch die Berechtigung der Beklagten, die Arbeitszeit des Klägers auf die Mindeststundenzahl zu reduzieren.

Als von der Beklagten vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingung muss sich die arbeitsvertragliche Regelung vielmehr im Rahmen der Inhaltskontrolle an den §§ 305 ff. BGB messen lassen. Darüber hinaus unterliegt die Ausübung des vertraglich vorbehaltenen einseitigen Leistungsbestimmungsrechts im Einzelfall der Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO i. V. m. § 315 Abs. 3 BGB (zum Erfordernis der Ausübungskontrolle neben der Inhaltskontrolle BAG vom 14.08.2007 – 9 AZR 58/07 – Rn. 46 ff., AP Nr. 1 zu § 106 GewO; vom 11.10.2006 – 5 AZR 721/05 – Rn. 37, a. a. O.; vom 11.04.2006 – 9 AZR 557/05 – Rn. 43, AP Nr. 17 zu § 307 BGB; vom 12.01.2005 – 5 AZR 364/04 – Rn. 37, AP Nr. 1 zu § 308 BGB; ErfK-Preis, § 305 – 310 BGB Rn. 51; Schaub-ArbHb-Linck, § 45 Rn. 13 und 43). Zumindest an Letzterem scheitert die Reduzierung der Arbeitszeit des Klägers auf 32 Wochenstunden ab dem 1. August 2013. Dass die Reduzierung billigem Ermessen i. S. d. § 106 Satz 1 BGB entspricht, kann mangels Darlegung der Beklagten nicht festgestellt werden.

bb) Zweifelhaft ist bereits, ob die arbeitsvertragliche Arbeitszeitregelung der Parteien der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB standhält.

Bei dem Arbeitsvertrag der Parteien und den jeweiligen Zusatzvereinbarungen handelt es sich schon nach deren äußeren Erscheinungsbild um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB und damit um allgemeine Geschäftsbedingungen. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Die arbeitsvertragliche Arbeitszeitregelung beinhaltet hinsichtlich der Dauer der vom Kläger geschuldeten wöchentlichen Arbeitszeit einen einseitigen Änderungsvorbehalt zugunsten der Beklagten, wonach sie die Arbeitszeit des Klägers innerhalb der Grenzen von 32 und 40 Wochenstunden einseitig festlegen kann. Solche Änderungsvorbehalte, die dem Arbeitgeber eine gewisse Flexibilität hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit und damit zugleich hinsichtlich der dem Arbeitnehmer geschuldeten Vergütung einräumen, weichen vom allgemeinen Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind (pacta sunt servanda) i. S. d. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ab und benachteiligen den Arbeitnehmer unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB, wenn die wöchentlich maximal abrufbare Arbeitszeit mehr als 25 % der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit beträgt, oder anders herum, wenn der Arbeitgeber die wöchentliche Arbeitszeit um mehr als 20 % einseitig reduzieren kann (BAG vom 07.12.2005 – 5 AZR 535/04 – Rn. 32 ff., AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG).

Diesen Anforderungen genügt die streitgegenständliche Arbeitszeitregelung. Die maximal vereinbarte Arbeitszeit von 40 Wochenstunden übersteigt die vereinbarte Mindestarbeitszeit von 32 Wochenstunden nicht um mehr als 25 %. Umgekehrt bleibt die Mindestarbeitszeit nicht um mehr als 20 % hinter der maximalen Arbeitszeit zurück.

………………

Letztlich kommt es für die Entscheidung auf die Wirksamkeit der vertraglichen Arbeitszeitregelung jedoch nicht an. Denn dem Vorbringen der Beklagten lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers von der maximalen Arbeitszeit von 40 Stunden auf die Mindestarbeitszeit von 32 Stunden ab dem 1. August 2013 im konkreten Fall billigem Ermessen i. S. d. § 106 Satz 1 GewO entspricht.

Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Gegenstand einer solchen Leistungsbestimmung kann auch der Umfang einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflicht sein (BAG vom 14.08.2007 – 9 AZR 58/07 – Rn. 22, a. a. O.).

Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. Welche Umstände dies im Einzelnen sind, hängt von der Art der Leistungsbestimmung ab. So können bei der Zuweisung der Tätigkeit an einem anderen Ort andere Faktoren relevant sein als bei der Bestimmung der Höhe einer variablen Vergütung. Von maßgeblicher Bedeutung können auch Ursache und Auslöser für die Notwendigkeit der Leistungsbestimmung sein. Die hieraus resultierenden Umstände sind in die Abwägung einzubeziehen. Ob die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigt wurden, kann nur unter Abwägung mit den betrieblichen Gründen des Arbeitgebers ermittelt werden, die zur Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts geführt haben (vgl. BAG vom 10.07.2013 – 10 AZR 915/12 – Rn. 28 m. w. N., AP Nr. 24 zu § 106 GewO). Ob die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, unterliegt nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB der gerichtlichen Kontrolle. Die Darlegung- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung liegt beim Arbeitgeber (vgl. BAG vom 10.07.2013 – 10 AZR 915/12 – Rn. 30 m. w. N., a. a. O.).

Die Beklagte hat nicht dargelegt, ob und inwieweit die Reduzierung der Arbeitszeit des Klägers ab dem 1. August 2013 auf 32 Stunden wöchentlich billigem Ermessen entspricht. Soweit sie behauptet hat, sie habe die Arbeitskraft des Klägers nur noch mit 32 Stunden pro Woche verwerten können, weil ihre einzige Kundin in Berlin, die Firma A., deutlich weniger Personalleistung abgefordert habe, und auf den sogenannten Rampdown-Plan der Firma A. für S. verwiesen hat, ist ihr Vorbringen nicht nachvollziehbar. Denn abgesehen davon, dass die Beklagte als Subunternehmerin der Firma A. nicht nur für S. sondern auch für B. und die D. B. tätig ist, lässt sich weder dem Vorbringen der Beklagten noch dem eingereichten Rampdown-Plan entnehmen, wie viele und welche der 370 in Berlin beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Reduzierung der Personalanforderungen betroffen sind, wie und aus welchen Gründen die Beklagte die Reduzierung auf diese verteilt hat und welche Interessen sie dabei wie berücksichtigt hat.

Danach hat der Kläger einen Anspruch darauf, weiter in dem Umfang beschäftigt zu werden, in dem er seit Anfang 2009 beschäftigt wurde.

Interessant ist an dieser Entscheidung, dass das Gericht grundsätzlich kein Problem mit der Formulierung über die regelmäßige Arbeitszeit (32 bis 40 Stunden) hatte. Das LAG hält hier eine Flexibilität von bis zu 25 % im Arbeitsvertrag für zulässig. Dies könnte für die Praxis von Relevanz sein, denn so könnte der Arbeitgeber sein Betriebsrisiko (Lohn zahlen auch ohne Arbeit) reduzieren. Allein für eine Reduzierung lag aber hier kein vom Arbeitgeber nachgewiesener Grund vor. Der Arbeitgeber kann trotz dieser Formulierung nicht ohne wirtschaftliche Gründe – nach Gutdünken – die Arbeitszeit zwischen 32 und 40 Stunden pro Woche festlegen. Er muss die Entscheidung nach billigem Ermessen ausüben. Eine solche ermessensfehlerfreie Ausübung sah das Gericht hier nicht.

RA A Martin



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