Krimilandschaft: Eifel-Blues und die Folgen

Eifel-Blues und die Folgen
Über die neue ganzdeutsche Krimilandschaft Mitte der Zehnerjahre

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Foto: © Lutz Stallknecht / pixelio.de

„Natürlich zieht die serielle Krimikarawane weiter. Durch kapitalistische Verwertungszwänge bestärkte Publikumsnachfrage muß allemal abgeschöpft werden. Das Model der Serie galt auch für den progressiven bundesdeutschen Kriminalroman der 70er Jahre. Mag er auch nun – zuächst – am Ende sei. Krimiserielle Buchmacher stört das wenig. […] Gegen seine Epigonen freilich bleibt der neue deutsche Krimi geschützt: denn er war mehr als bloß angewandtes Man-Nehme-Rezept oder blanke Genrerenaissance.

Trifft zu, daß die tragenden Autorensäulen des neuen deutschen Krimi made in Germany der 70er Jahre zugleich ´die unumwunden politischsten der deutschen Krimiszene´ sind, indem sie ´Mißstände der Gesellschaft der Bundesrepublik vehement angreifen´ (Wilhelm Roth) – dann müssen regressive Veränderungen von Angriffsbedingungen natürlich vor allem diese treffen. Wird dieser Krimi damit nur Episode bleiben? Eingeholt von einer so beängstigenden wie bedrohlichen Wirklichkeit? Und zugleich von ihr an- und ausgespien als untaugliches Medium progressiver gesellschaftlicher Veränderung? Sollte dann schließlich nur seine Rolle als literarhistorische Quelle bleiben? Und damit seine literarhistorische Aufgabe, der folgenden Welt – sofern es diese denn geben wird – eine bessere synthetische Vorstellung´ einer Zeit und ihrer Wende zu geben als die direkten, vielfältigen und verwirrenden Zeitzeugnisse´ (Vilfredo Pareto)?“[1]#

An diesen Ausblick (m)eines 1984, vor dreißig Jahren, veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsatzes zum Neuen Deutschen Krimi (NDK) möchte ich hier anschließen.
Und zunächst den ersten, keineswegs gänzlich voraussetzungslosen, Kriminalroman des seit 1989 unter dem Pseudonym Jaques Berndorf veröffentlichenden Recherchejournalisten Michael Preute[2] sowohl zur Begründung einer auch kommerziell erfolgreichen Eifelkrimi-Serie als auch zur differenzierten Weiterentwicklung des Genre Krimi des letzten Vierteljahrhunderts in Deutschland nehmen. Dabei kann Eifel als Chiffre und Metapher ohne weitere Auflösungen und Entschlüsselungen auch deshalb so stehenbleiben, weil es seit Anfang der 1980er und seit Mitte der 1990er Jahre zwei bedeutende, auch heute noch lesenswerte Bücher über die Eifel gibt: einmal Walter Schenkers literarische Eifel. Roman[3]; zum anderen Sabine Doering-Manteuffels kulturwissenschaftliche Studie über Die Eifel. Geschichte einer Landschaft[4].

Zunächst geht es um Berndorfs 1989 erstveröffentlichten Eifel-Blues als Zäsur und Meilenstein der folgenden Krimi-Entwicklung. Zur Veranschaulichung der seriellen Weiterentwicklung des Krimi-Genres im gegenwärtigen Deutschland folgt die Vorstellung dreier unterschiedlich angelegter unterhaltsamer, bei Fischer und Rowohlt erschienener, Autorenkrimi: Oliver Bottinis Im Auftrag der Väter. Kriminalroman (2007), Jan Seghers´ Die Akte Rosenherz. Kriminalroman (2010) und Klaus-Peter Wolfs Ostfriesenfeuer. Kriminalroman (2014) sind auch erzählerisch anspruchsvolle Krimi-Bücher aus den letzten sieben ganzdeutschen Jahren.

Eifel-Blues[5]
„Ein Mann und eine Frau sind vor ein paar Tagen nahe eines Bundeswehrdepots erschossen aufgefunden worden. Ein paar hundert Meter davon entfernt wurde eine weitere weibliche Leiche entdeckt. Die Bewohner des kleinen angrenzenden Eifeldorfes wissen zwar davon, doch keiner sagt etwas. Auch der Kriminalpolizei wurden vom MAD [Militärischer Abschirmdienst genannter Geheimdienst der Bundeswehr] jegliche Ermittlungen untersagt. So bricht Baumeister als angelnder Feriengast getarnt auf, um sich in der Wirtschaft des an das Militärgelände angrenzenden Dorfes einzumieten und dort unauffällig ein paar Ermittlungen anzustellen. Dort kommt er ins Gespräch mit dem Studienrat Messner aus Köln, der dort ebenfalls angelnder weise ein paar Tage mit seiner Frau zusammen verbringt. Nachts klopft es plötzlich an Baumeisters Tür. Der Gast ist eben dieser Messner, der den Journalisten auffordert, auf der Stelle abzureisen und jegliche Ermittlungen sofort zu beendet. Als Baumeister sich weigert, wird er von Messner brutal zusammengeschlagen. Nur mit Mühe kann er sich zu seinem Auto schleppen und nach Hause zurückkehren, wo unterdessen seine Freundin Elsa eingetroffen ist. Gemeinsam mit dem Arzt Dr. Naumann versorgen sie den verletzten Baumeister, dessen Neugier nun erst so richtig geweckt ist. Dr. Naumann war auch der Arzt, der geholt wurde, als die Leichen gefunden wurden. Er ist zwar auch zum Stillschweigen verdonnert worden, doch kann ihn dies nicht hindern, seine heimlich gemachten Fotos vom Tatort Baumeister zu übergeben. Baumeister findet heraus, dass der angebliche Messner als Hauptmann Hartkopf in eben diesem Bundeswehrdepot tätig ist und daß dort irgendeine Spionagegeschichte vertuscht werden soll. Denn am Tag des Mordes wurde ein LKW aus der DDR (der Roman stammt schließlich noch aus der Zeit kurz vor der Wende) in der Gegend beobachtet.
Mit dem Reporter Siggi Baumeister hat Jacques Berndorf einen durchweg sympathischen Typen geschaffen, der – wie wir Berndorfs Biografie entnehmen können – einiges von ihm selber hat, vielleicht sogar ein Wunschbild darstellt. Denn obwohl Baumeister ein wenig brummelig wirkt, hat er durchweg positive Züge. Er ist kein Held, aber überaus ehrlich und mag keine linken Tricks, wie sie in der Journalistenbranche durchaus üblich sind. Er engagiert sich für die ihm übertragene Aufgabe und nimmt dabei wenig Rücksicht auf sich selber. Doch ist es ihm sehr wichtig, diejenigen in Schutz zu nehmen, die ihn unterstützt haben, und auch seine Freunde können sich auf ihn verlassen.
Der Schreibstil Berndorfs ist einfach, flüssig und gut zu lesen. Auch eine gehörige Portion Humor fehlt nicht. Die Dialoge sind treffend, natürlich und entbehren nicht einer gehörigen Portion Wortwitz. Das Buch ist in der Ich-Form aus Sicht von Siggi Baumeister geschrieben, so daß man als Leser immer mit dem Protagonisten zusammen ist, das weiß, was dieser weiß und sozusagen mit ihm mitfiebert. Gelungen ist auch der Spannungsaufbau, obwohl man keinen absoluten Reisser vor sich hat. Die Charaktere sind durchweg detailliert und glaubhaft dargestellt, wenn er auch der prügelnden Soldatentruppe ein wenig das Image verpasst hat, wie man es sich gerne vorstellt. Glaubhaft auch, obwohl es mit Alfred, dem Arzt Dr. Naumann, Kommissar Rodenstock und dem alten Bauern Manning ein paar eindeutig positive Typen gibt und auf der anderen Seite mit Messner der ebenso eindeutig »Böse« steht. Auch die Randfiguren sind mit viel Liebe dargestellt und oft etwas pointiert gezeichnet. Sei das nun ein Schäfer oder ein Gastwirt.
Auch das Lokalkolorit der kleinen Eifeldörfchen fehlt nicht. Man kann sich gut in die schöne Landschaft mit Feldern, weidenden Schafherden und abgelegenen Gaststätten hineinversetzen. Und wer die Gegend zwischen Gerolstein und Adenau vielleicht sogar selber kennt, der wird noch mehr Gefallen an der genauen Beschreibung finden können. Doch ganz so idyllisch geht es in der Handlung nicht ab. Der Leser bekommt einige Actionszenen geboten und Siggi Baumeister hat einiges einzustecken. Doch dadurch, dass diese Szenen mit ruhigeren abwechseln, wirkt der Roman keineswegs hektisch. Gerade die starken Kontraste zwischen der Idylle auf der einen und dem Sumpf von Gewalt auf der anderen Seite machen eine gewisse Faszination des Buches aus.
Das Ende schließlich ist überraschend, wenn auch die Aufklärung ein wenig schnell und ohne großes Nachdenken erfolgt. Zwar ein klein wenig konstruiert, aber dennoch kann man dem Autor den logischen Aufbau nicht absprechen. Ein solider Krimi mit sympathischen Figuren, humorvoll, in sich schlüssig, mit spannenden Momenten und überraschendem Schluß. Also durchweg positiv und ohne Kritikpunkte. Doch fehlt irgendwie das gewisse Etwas, das das Buch über andere seines Faches herausheben würde. Aber als Auftaktroman einer Krimiserie kann man ja nicht gleich das Nonplusultra erwarten. 260 in dreizehn Kapitel unterteilte Seiten bieten zumindest gute Unterhaltung.“[6]

Mit diesem ausführlich vorgestellten Berndorf-Krimi begann eine doppelte Entwicklung: einmal, wie zitiert, eine Krimiserie von Autor und Verlag. Bis Ende Juni 2014 sollen dreiundzwanzig Berndorf´sche Eifelkrimi-Bücher um den Ermittler Siggi Baumeister erschienen sein[7], (wie auch die Reihe Tatort Eifel) seit 2007 im vom Karikaturisten und Autor Ralf Kramp[8] geleiteten KBV-Verlag in Hillesheim/Eifel. Diesem zufolge „avancierte“ Autor Berndorf inzwischen „auch zum erfolgreichsten deutschen Kriminalschriftsteller mit mehrfacher Millionen-Auflage.“[9]

Zum serienkriminellen Stand der Dinge
Anstatt weiterer möchte ich ausblickend drei jeweils zuerst 2007, 2010 und 2014 erschienene Serienkrimi vorstellen. Alle drei Bücher sind mit 444, 476 und 508 Buchtext-Seiten lange Krimi, Teile serieller Krimiketten mit aus vorigen Kriminalromanen bekannten Ermittler-Ensembles und spielen in unterschiedlichen realexistierenden ganzdeutschen Regionen.

Oliver Bottini ist der jüngste der drei Autoren. Und zugleich ein sowohl literarisch als auch historisch ausgreifend arbeitender Schriftsteller. Im Mittelpunkt steht die ursprünglich frankophone Hauptkommissarin Louise Bonì in und um Freiburg, den Breisgau und die Dreisam. Im Auftrag der Väter (2007)[10] ist nach Mord im Zeichen des Zen (2004) und Im Sommer der Mörder (2006) der dritte Bonì-Krimi, in dem es um einen „alten Mann, eine Kommissarin mit Alkoholproblemen und ein asymmetrischer Krieg mitten im Breisgau“ geht: „An einem regnerischen, nebligen Wochenende im Oktober steht plötzlich ein Mann im Garten der Freiburger Familie Niemann. Er versucht ins Haus einzudringen, doch als die Polizei eintrifft, ist er schon wieder verschwunden. In derselben Nacht kehrt er zurück und stellt der Familie ein unerklärliches Ultimatum. Die Freiburger Hauptkommissarin Louise Bonì und ihre Kollegen ermitteln unter Hochdruck. Es geht das Gerücht, dass der Täter vom Balkan stammt. Louises Ermittlungen führen sie in ein gefährliches Niemandsland … Ein kleiner Ort irgendwo in der Nähe von Freiburg. Die Niemanns sind aus München hierher gezogen, um Ruhe und Sicherheit zu finden, und um sich in dem feinen Einfamilienhaus mit Blick ins Grüne ganz dem Familienleben zu widmen. Doch eines Tages kommt ein bewaffneter Mann durch den Garten, versucht in das Haus einzudringen, bedroht die Familie, zitiert einen Bibelvers und stellt ein rätselhaftes Ultimatum. »Ist mein Haus, ist nu mein Haus. Komm ich sieben Tag.«
Als die Polizei eintrifft, ist der Fremde längst verschwunden. Er hat überall Spuren hinterlassen, bleibt aber dennoch zunächst unauffindbar. Für eine Fahndung gibt es trotz der Spuren nur wenige Hinweise, außer der Tatsache, dass der Mann einen Akzent hatte, der ihn als Russen oder Mann aus dem ehemaligen Jugoslawien ausweisen könnte. Louise Boni, die Kriminalkommissarin und ihr Team der Freiburger Polizei stochern zunächst im Dunkeln, da taucht der Mann plötzlich auf, verschwindet jedoch wieder genauso unauffindbar wie beim ersten Mal. Wie ein alter Krieger scheint er seine Opfer in die Enge treiben zu wollen und abzuwarten, bis der richtige Moment gekommen ist. Louise Boni ahnt, dass sie schnell sein muss, um eine Katastrophe zu verhindern. Tief taucht sie in die Vergangenheit, um diesen Menschen und seine Motive Stück für Stück zu verstehen. Immer in der Hoffnung rechtzeitig einen Schlüssel zur Lösung dieses Falls zu finden. Ihre Recherche geht dabei sehr weit. Weit zurück in die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges und weit an den Rand Europas …
Die erste Bekanntschaft mit Louise Boni fällt zunächst wahrscheinlich zwiespältig aus. Man muss erst einmal warm werden mit dieser etwas sperrigen Figur, die mehr Ecken, Kanten und Brüche hat, als Facetten, die sie sympathisch machen könnten. Da gibt es ein Alkoholproblem, das sie erst gerade eben in den Griff bekommen hat, die Stagnation ihrer Karriere, eine Freundin, die jene Lebensphase durchmacht, die Boni gerade hinter sich hat und ein Privatleben, das alles andere ist, als das aufgeräumte Familienleben der Niemanns. Doch der Zwiespalt wandelt sich schnell in Sympathie. Boni wirkt authentisch, wie sie sich da durch den Fall quält, kämpft und trotzig nach Abstürzen wieder aufsteht, um gegen den alten Krieger zu bestehen. Einen asymmetrischen Krieg nennt sie das. Ein asymmetrischer Krieg, das ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien, die waffentechnisch unterschiedlich stark gerüstet sind. Die hochgerüstete Polizei mit ihren Sonderkommisionen, Datenzugriffen und Beschattungsmöglichekeiten gegen den alten Krieger, der nichts hat, außer einem Plan. Der immer wieder in unerwarteten Momenten auftaucht und genauso schnell verschwindet, wie er gekommen ist. Boni ist gezwungen die Taktik zu ändern. Nicht die geballte Macht moderner Polizeimethoden führt in diesem Fall weiter, sondern sie muss sich in Geduld üben und mühsam die einzelnen Bruchstücke an Information über den alten Krieger zusammen setzen, um ihn kennen zu lernen, ihn zu verstehen und vielleicht den entscheidenden Schritt voraussehen zu können. Geduld braucht dabei auch der Leser. Bottini hat großartig recherchiert. Er hat eine Studienreise zu den Orten unternommen, die im Roman vorkommen, mixt historische Fakten in die fiktive Geschichte und hat viel zu sagen. Für einige Leser sicher etwas zu viel, denn anders als die Inhaltsangabe vielleicht vermuten lässt, ist Im Auftrag der Väter kein Thriller um die atemlose Jagd auf einen Mörder, sondern ein feiner Roman mit Tiefgang. Einer, bei dem weniger die Jagd im Mittelpunkt steht, sondern die Figuren und das Warum der Tat. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer interessanten und mitunter aufrüttelnden Geschichte belohnt …“[11]

Der für seine Kriminalromane das Pseudonym Jan Seghers benützende Autor Matthias Altenburg ist als Mittfünfziger ein erfahrener Schriftsteller. Sein Hauptprotagonist ist Robert Marthaler, als Hauptkommissar in Frankfurt/Main Leiter der Mordkommission I. Die Akte Rosenherz (2010)[12] ist nach Ein allzu schönes Mädchen (2006), Die Braut im Schnee (2007) und Partitur des Todes (2008) der vierte Krimi der Marthaler-Serie und spielt in der und um die Mainmetrople in Offenbach, Hanau, im Taunus und auch im fuldanahen Rhöngebirge. Im Klappentext heißt es: „Niemand, der damals am Tatort war, wird den Fall je vergessen. In einer heißen Augustnacht des Jahres 1966 wird in Frankfurt eine Prostituierte auf brutale Weise ermordet. Sofort macht das Wort von der «zweiten Nitribitt» die Runde. Und wirklich: Auch im Fall Rosenherz bleibt der Täter unerkannt. Vierzig Jahre später. Ein nebliger Morgen im Stadtwald. Hauptkommissar Marthalers schwangere Freundin Tereza wird bei einem Überfall schwer verletzt. Und der Polizist erhält einen Tipp: Er soll den alten Fall noch einmal unter die Lupe nehmen. Doch damit legt Marthaler sich mit mächtigen Gegnern an, die ihre frühen Sünden vertuschen wollen. Die «Akte Rosenherz» soll geschlossen bleiben. Um jeden Preis.“

In einer kritischen Rezension wurde dagegen gehalten „Die Edelprostituierte Helga Matura wurde am 26./27. Januar 1966 in ihrer Wohnung in Frankfurt am Main brutal ermordet, ebenso wie Rosemarie Nitribitt neun Jahre vor ihr. Der Mordfall aus der Wirklichkeit bildete den Entstehungskern für den Roman “Die Akte Rosenherz”. Jan Seghers kombiniert eine ähnliche (fiktive) Bluttat am 3./4. August 1966 mit einem Kunstraub am 10. August 2005, bei dem ein Wachmann erschossen und Marthalers schwangere Lebensgefährtin schwer verletzt werden. Die Verknüpfung eines Jahrzehnte zurückliegenden Verbrechens mit einem Fall aus der Gegenwart ist zwar nicht neu, aber durchaus interessant, und Jan Seghers versteht es, die Möglichkeiten eines solchen Plots zu nutzen. „Die Akte Rosenherz” ist spannend. Die szenisch aufbereitete, mit einer Fülle konkreter Einzelheiten gespickte Darstellung fesselt den Leser, obwohl einige Episoden nicht anders als hanebüchen bezeichnet werden können. Eine angehende Journalistin schmuggelt sich unter die Partygäste eines der reichsten Männer Hessens, nachdem sie sich von einer Kellnerin, die sie gerade erst kennengelernt hat, ein entsprechendes Outfit lieh, das ihr zufällig passt. Den für die Party engagierten Tontechniker überredet sie mühelos, von Tanzmusik auf den Hessischen Rundfunk umzuschalten. Der Sender bringt nämlich eine Meldung über Ermittlungen der Frankfurter Mordkommission gegen den einflussreichen Gastgeber, ohne von ihm oder der Polizei eine Stellungnahme eingeholt oder sie auch nur informiert zu haben, einfach nur aufgrund einer Vorabmeldung eines Sensationsreporters. Das Revolverblatt, bei dem er beschäftigt ist, druckt am nächsten Tag den angekündigten Beitrag, und obwohl der Polizeipräsident die Meldung noch in der Nacht dementierte und mit einer gerichtlichen Klage des Unternehmers zu rechnen ist, versucht kein Redakteur, die Veröffentlichung zu verhindern …“[13]

Klaus-Peter Wolf ist von den hier interessierenden drei Krimiautoren der erfahrenste Schriftsteller. Er wurde Anfang 2014 sechzig Jahre alt. Sein erster Roman erschien 1976. Wolf ist ein unterhaltungsliterarisch versierter und vielpublizierter Schriftsteller, der so kundig wie engagiert, auch mittels geronnener Merksprüche, sein Anliegen, das im Rest der Welt verbreitete Stereotyp der Landschaft und ihrer Menschen („In Aurich iss traurig / In Leer noch mehr“) aufzubrechen, vertritt. So auch in Ostfriesenfeuer (2014)[14], dem nach Ostfriesenkiller (2007); Ostfriesenblut (2008); Ostfriesengrab (2009); Ostfriesensünde (2010); Ostfriesenfalle (2011); Ostfriesenangst (2012); Ostriesenmoor (2013) achten Krimi dieser Serie[15], in dem es um eine aparte Täter-Opfer-Ermittler-Reise in den Ostfriesland genannten ganzdeutschen Norden des ersten Drittels der Zehnerjahre geht. Als Konstante wirken fiktive Kripoleute der realen Polizeinspektion Aurich: die BKA-umworbene Serienmordspezialistin Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen, ihr (neuer Ehe-) Mann Kommissar Weller, ihr Chef Kriminaldirektor Ubbo Heide, ihr (als frauenfeindlich-verklemmte Männerkarikatur präsentierter) Kollege Rupert sowie ihr lokaljournalistischer Hausfreund Holger Bloem. Variabel ist alles, was den fiktiven Fall, der diesmal mit einer am Hochzeitstag von Klaasen und Weller im Osterfeuer verbrannten männlichen Leiche beginnt, ausmacht, Aspekte einer öffentlichen Inszenierung als Hexenverbrennung eingeschlossen. Wie beim Autor üblich wird unterhaltungsliterarisch unter Einvernahme diverser Spannungsbögen linear erzählt und auch was Vorlieben und Optionen des Autors für deutschsprachige (Krimi-) Autoren betrifft aus dem Nähkästchen geplaudert (etwa durch Hinweise auf historische Romane des Kölner Autors Tilman Röhrig).

Im Hauptgeschehen geht es um einen intelligenten Kriminellen als Täter und Rächer und die Aufklärungsarbeit der Verfolgergruppe. Dazu gibt es verschiedene, mit dem nach Messerstichen schwerverletzten Kriminaldirektor beginnende, Parallelhandlungen. Erzählt wird unterhaltsam mit Episoden, Überraschungen (wie dem auf Mallorca Popstarautogramme auf Frauentitten schreibenden Hauptkommissar Rupert), Wortwitz (als Antwort auf „wir sind längst über alle Berge“ – „Hier sind keine Berge. Hier ist Ostfriesland“) und Kaulauern: als Ausdruck der „tiefen Verbundenheit zu Köln“ wurde am Rechner „die Alt-Taste gegen eine Kölsch-Taste ausgewechselt.“ Und so mag sich denn wer´s mag flott durch die fünfhundert Textseiten unterhaltsame Krimiaufklärung aus, von und im Ostfriesland der frühen ganzdeutschen Zehnerjahre lesen. Und wer nach dem Ende des achten Ostfriesenkrimi im Buch weiter blättert, findet schon, mit zwölfseitiger Textprobe zum Anfüttern, den vom Verlag zum 15. März 2015 angekündigten neunten Ostfriesenkrimi-Band des Auflagenmillionärs Klaus-Peter Wolf – Ostfriesenwut[16] …

 von Richard Albrecht

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Quellen – weiterführende Links

“Krimi” – Foto: © Lutz Stallknecht / pixelio.de
[1] Richard Albrecht, Literarische Unterhaltung als politische Aufklärung. Der neue deutsche Kriminalroman in der Bundesrepublik Deutschland der siebziger Jahre – ein literaturgesellschaftlicher Nekrolog; in: Recherches Germaniques, 14/1984: 119-143
[2] Michael Preute, Der Bunker. Eine Reise in die Bonner Unterwelt. Köln: Pahl-Rugenstein, 1989, 142p.
[3] Erstauflage Zürich: Amman, 1982, 360 p.; [korrigierte] Taschenbuchauflage Elsdorf: KBV Klein & Blechinger, 1998, 347 p.; zum Autor http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Schenker [dieser Link wie alle weiteren Links habe ich am 22. Juni 2014 für diesen Beitrag heruntergeladen]
[4] Erstauflage Frankfurt/Main; New York: Campus, 1995, 286 p.; bisher keine Taschenbuchauflage; zur Autorin http://de.wikipedia.org/wiki/Sabine_Doering-Manteuffel
[5] Jaques Berndorf, Eifel-Blues. Kriminalroman. Köln: Pahl-Rugenstein; Weltkreis-Krimi, 1989, 260p.
[6] Krimi-Rezension von Peter Kümmel http://www.krimi-couch.de/krimis/jacques-berndorf-eifel-blues.html [Kürzungen RA]
[7] Zum Autor (*1936) siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Berndorf und http://www.krimi-couch.de/krimis/jacques-berndorf.html
[8] Zum Autor (*1963) siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Ralf_Kramp und http://www.krimi-couch.de/krimis/ralf-kramp.html
[9] http://www.kbv-verlag.de/autorendetail.html?id=15
[10] Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch, ²2009, 447 p.; zum Autor (*1965), der bisher 2005, 2007 und 2013 den Deutschen Krimi Preis, 2007 den Radio Bremen Krimipreis 2007 und 2013 den Berliner Krimifuchs erhielt, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Oliver_Bottini und http://www.krimi-couch.de/krimis/oliver-bottini.html
[11] Krimi-Rezension von Thorsten Sauer http://www.krimi-couch.de/krimis/oliver-bottini-im-auftrag-der-vaeter.html [Kürzungen RA]
[12] Reinbek: Rowohlt Taschenbuch, ²2012, 476 p.; zum Autor (*1958), der 2008 den Offenbacher Literaturpreis und den Schweizerischen Burgdorfer Krimipreis erhielt, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Altenburg und http://www.krimi-couch.de/krimis/jan-seghers.html
[13] Krimi-Rezension von Dieter Wunderlich http://www.dieterwunderlich.de/Seghers-akte-rosenherz.htm [Kürzungen RA]
[14] Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch, 2014, 527 p.; zum Autor (*1954), der 2010 den Krimi-Blitz (Publikumspreis der Krimi-Couch) erhielt, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus-Peter_Wolf und http://www.krimi-couch.de/krimis/klaus-peter-wolf.html
[15] Richard Albrecht, Ostfriesenfeuer http://www.duckhome.de/tb/archives/11825-OSTFRIESENFEUER.html sowie ebendort die Antwort von Klaus-Peter Wolf
[16] Ostfriesenfeuer, 2014: 509-522   ©Autor (2014)

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Richard Albrecht ist “gelernter” Journalist, Sozialwissenschaftler,
seit 1989 Privatdozent und unabhängiger Wissenschaftsjournalist, Editor und Autor in Bad Münstereifel.


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