Köln: Architekturfotografie made in China

Ausstellung im Museum für angewandte Kunst Köln: Architekturfotografie – Made in China (Foto: Shao Yinong und Mu Chen, Daxingshansi)Das Konzept der im Museum für Angewandte Kunst in Köln ab 31. August 2012 gezeigten Ausstellung beinhaltet eine dialogische Gegen­über­stellung von zeit­genössischen Architektur­fotografien, deren Gemeinsam­keit darin besteht, dass sie in China entstanden sind, aber einerseits von westlichen, über­wiegend deutschen, anderer­seits von chinesischen Foto­grafen im künstlerischen und nicht rein doku­men­tarischen Zusammen­hang angefertigt wurden.

Eine Veranstaltung im Rahmen der 21. Internationalen Photoszene Köln 2012.

Ausstellungsankündigung

Das Konzept der im Museum für Angewandte Kunst in Köln (MAKK) vom 1.9. bis 25.11.2012 gezeigten Ausstellung beinhaltet eine dialogische Gegenüberstellung von zeitgenössischen Architekturfotografien, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie in China entstanden sind, aber einerseits von westlichen, überwiegend deutschen, andererseits von chinesischen Fotografen im künstlerischen und nicht rein dokumentarischem Zusammenhang angefertigt wurden.

Architektur wird dabei verstanden als der planvolle Entwurf einer von Menschen gebauten Umwelt. Soziale, historische, geographische und technische Bedingungen prägen sowohl Einzelgebäude als auch urbane Landschaften. Folgerichtig beschränkt sich die ausgewählte Fotografie nicht auf die Darstellung singulärer Bauwerke, sondern orientiert sich an den sozio-kulturellen und ästhetischen Folgen städtebaulicher und industrieller Baumaßnahmen.

Architektur ist ein zeitlicher Prozess der von der Architekturfotografie in kurze Einzelmomente der visuellen Wahrnehmung zerlegt wird.

China ist in der gegenwärtigen Phase ein Gigant architektonischer Neuschöpfungen. Das Land hat sich in einem beispiellos hastigen Tempo die Aufgabe gestellt, in den nächsten 15 Jahren urbanen Wohnraum für 350 Millionen Menschen zu schaffen. Gewaltige Umsiedlungen werden innerhalb weniger Jahre stattfinden. Da viele Städte an infrastrukturelle Grenzen stoßen, entstehen in wenigen Jahren neue Megastädte mit mehreren Millionen Einwohnern.

Fotografinnen und Fotografen erleben diesen atemlosen Prozess sehr unterschiedlich. Die Mehrzahl westlicher Fotografen interpretieren die urbanen Strukturen in der Nachfolge der klassischen historischen Reisefotografie: einerseits staunende Betrachtungen des utopischen urbanen Raumes, andererseits bewusster Rückzug auf Metaphern von historisch und nostalgisch interpretierenden Bildausschnitten. Die chinesischen Fotografen, von denen sehr viele in Europa und den USA studiert und die internationale Bildsprache längst für sich akquiriert haben, fokussieren sich dank ihrer originären Kulturkenntnisse oft sehr konzentriert auf die Darstellung der Auswirkung des urbanen Umbaus auf Individuum und soziale Mikrostrukturen.

Es entsteht nicht nur eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung der architektonischen Umgebung sondern auch der Darstellung von Menschen. Viele westliche Fotografen neigen dazu, Chinas Bewohner als Teil einer anonym erscheinenden Massengesellschaft zu interpretieren, während die chinesischen Künstler gerade die individuellen Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihrer architektonischen Umgebung sehr eindringlich visualisieren. Die Ausstellung stellt diese unterschiedlichen künstlerischen Arbeitsweisen in den einzelnen Nuancen der aktuellen zeitgenössischen Fotografie dar.

Aber gerade einer der schwerpunktmäßig gezeigten Fotokünstler der Ausstellung zeigt umgekehrt, wie eindrucksvoll es sich an der Überwindung dieser kulturellen Grenzziehung arbeiten lässt. Der in Kalifornien aufgewachsene deutsche Fotograf Michael Wolf, der selbst 10 Jahre in China lebte, zeigt in seiner seriellen Arbeit „Hongkong Inside Outside”, abstrakte Hochhausstrukturen mit undurchdringlicher Fassadenoberfläche; ergänzt aber diese formalen Aspekte äußerer Strukturen durch den Einblick in die kleinzelligen Innenräume dieser Hochhäuser mit dem jeweiligen Porträt ihrer Bewohner. In den 100 gezeigten Arbeiten von Innenansichten dieser sehr beengten Raumsituationen wird der soziale Überlebenskampf unmittelbar erfahrbar, während die eindrucksvolle Wabenstruktur der Hochhausfronten zumindest an einen spekulativen Reichtum denken lässt.

Der diesjährige Dr. Ernst Salomon Preis der DGPh (Deutsche Gesellschaft für Photographie) wird an Peter Bialobrzeski verliehen. Von ihm sind Bilder aus zwei seriellen Arbeiten vertreten: „Nail Houses” und „Neontigers”. Als Nail Houses werden in China jene Häuser bezeichnet, deren Bewohner sich gegen den Abriss wehren und die in urbanen Neubaugebieten oft vorübergehend wie Nägel zwischen den neu entstandenen Wolkenkratzern verharren. „Neontigers” spielt mit dem Begriff der asiatischen Tigerstaaten, aber auch mit der besonderen Nachtbeleuchtung der chinesischen Metropolen. Peter Bialobrzeski arbeitet mit analoger Großformatkamera und seine nächtlichen Langzeitbelichtungen werden vom milchigen und feuchten Smoghimmel der elektrisch beleuchteten Städte wie von einer riesigen Softbox ausgeleuchtet. Es geht ihm in der Serie „Neontigers” nicht um eine dokumentarische Absicht, sondern er strebt das Verschwinden jeglicher Fakten in seinen Bildern an, so dass die Illusion einer neuen Stadt entsteht, die sich nur aus der Realität des Neonlichts generiert. Die Lichtskulptur der chinesischen Megastädte wird benutzt, um Träume und Illusionen von künstlichen Städten zu provozieren. Peter Bialobrzeskis Faszination für Asien geht bis 1986/87 zurück, als er den Kontinent erstmals intensiv bereiste. Nachdem er eine Zeitlang für renommierte Zeitschriften wie Stern, Spiegel, Telegraph Magazine, ZEIT Magazin und GEO gearbeitet hatte, hat er dem Fernen Osten mehrere international beachtete Projekte gewidmet, die jeweils in Buchform publiziert wurden.

Die in Köln lebende Fotografin Candida Höfer ist mit Bildern aus den Jahren 1996 und 1998 vertreten. Im Unterschied zu ihren Lehrern Bernd und Hilla Becher, auch anders als Gursky und Struth, benutzte Candida Höfer damals zunächst noch eine Kleinbildkamera. Höfer vermittelt mit Hilfe der Photographie eine konsequente Sicht auf die bildgemäße Gestalt der Architektur. Auch durch die Wahl des Bildausschnitts wird sichtbar gemacht, dass es nicht um das Wiedererkennen bestehender Räume geht, sondern um die Erzeugung eines Ausdrucks von Zeitlosigkeit und Unverrückbarkeit. Auch bei den gezeigten Bildern aus China ist der fotografische Prozess jeweils darauf ausgerichtet, ein über die museal anmutende Funktion der Räume hinausgehendes, die Architektur transformierendes Abbildungssystem zu schaffen.

Nadav Kander wurde 1961 in Israel geboren, ist im südafrikanischen Johannesburg aufgewachsen und lebt heute in London. Die fotografische Bandbreite Kanders umfasst künstlerische, redaktionelle und werbliche Arbeiten, die in Büchern und zahlreichen Magazinen wie Sunday Times Magazine erschienen sind. 2009 widmete das New York Times Magazine eine ganze Ausgabe Kanders „Obama’s People”, einer Porträtserie des gesamten Ministerstabs und der engsten Mitarbeiter Obamas. Kander erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde 2009 im Rahmen der Annual Lucie Awards zum International Photographer of the Year ernannt. Im selben Jahr gewann er für die Serie „Yangtze – The Long River” den Prix Pictet. Dieser renommierte Fotopreis widmet sich dem Thema Nachhaltigkeit und zeichnet Arbeiten von Fotografen aus, die besonders eindringlich Umweltzerstörung und Raubbau an Ressourcen dokumentieren. In der Ausstellung werden 3 Arbeiten aus der Serie „Yangtze – The Long River” gezeigt.

Nadav Kander bereiste zwischen 2005 und 2007 den Jangtsekiang mehrmals stromaufwärts, von der Mündung im Ostchinesischen Meer bis zur Quelle im Qinghai-Plateau von Tibet. Nie mehr als 20 Meilen entfernt vom Fluss entstand die Fotoserie „Yangtze – The Long River”, die die tief einschneidenden Veränderungen der Uferlandschaften infolge einer ungezügelten Modernisierung Chinas dokumentiert. Großprojekte wie der Drei-Schluchten-Staudamm und das Süd-Nord-Wassertransfersystem, gigantische Brücken und hochgezogene Wohnblöcke schlagen Wunden in die Landschaft und rauben viel von ihrer Schönheit und historischen Idylle. Kanders Fotoserie besticht durch ihre Vielseitigkeit, die die eindeutige Zuordnung zu einem fotografischen Genre verweigert: Landschaftsfotografie vermischt sich eng mit Architekturfotografie. Ganze Städte, riesige Brückenkonstruktionen tauchen aus dunstig-nebligen Landschaften auf und scheinen auch bald darin wieder versinken zu wollen. in der Einleitung zu der Monografie „Yangtze – The Long River” sprach Kofi A. Annan von diesen „paradoxerweise schönen Fotografien”.

Die im fotografischen Diskurs sehr aktuellen Arbeiten einer Gruppe junger deutscher Fotografen, die – mit inszenierter Fotografie (Ben Plefka), Lichtverfremdungen und Rauminszenierungen durch Langzeitbelichtungen bei Nacht (Tania Reinicke), Detailselektierungen (Petra Stockhausen) oder der Positionierung von Menschen in ungastlicher urbaner Umgebung (Frank Schoepgens) – insbesondere die Schnittstellen zwischen den abrissbedrohten Hutongs (“enge Gassen Viertel”) und den modernen Siedlungsbauten bearbeiten, werden ergänzt durch die vielfach preisgekrönten Videoarbeiten von Zhenchen Liu, die ebenfalls in der Zone zwischen Dekonstruktion durch Abriss und der Entstehung neuer Hochhausviertel angesiedelt sind.

Martin Claßen war 2009 Villa Massimo Stipendiat. Schwerpunkt seiner Arbeiten ist die Architekturfotografie. In seinen Arbeiten über die Zerstörung von italienischen Dörfern durch Erdbeben und Gebäudeerosion zeigt er an den Auswirkungen auf die Gebäude eine Architektur das zeitlichen Verfalls und des kulturellen Verlustes auf. Seine Bilder aus Peking benutzen in ähnlicher Weise die gezeigten Architekturstrukturen zur Visualisierung von zeitlichen Verläufen. Ein Mao-Porträt wird auf zerfallendem Wandputz allmählich unsichtbar. Eine Szene zwischen den Mauern der verbotenen Stadt stellt die Frage nach historischen Zeitabschnitten und macht erkennbar die weitgespannten Perioden zeitlicher Abläufe deutlich.

Das bekannteste Projekt des Ehe-/Künstlerpaars Shao Yinong (geboren 1961) und Mu Chen (geboren 1970) ist die Serie „Assembly Halls” und visualisiert ebenfalls eine Bildkultur der Erinnerung. Die zwischen 2002 und 2006 entstandene serielle Fotoarbeit zeigt ehemalige Versammlungsräume aus der Zeit der Kulturrevolution in ihrem gegenwärtigen Zustand. Die leerstehenden Räume werden durch diese Arbeiten zu Zeitzeugen des rasanten gesellschaftlichen Wandels Chinas.
Bis 1976 waren die Räume, die den Bildgegenstand der Serie „Assembly Halls” ausmachen, zentrale Orte der Versammlungen der Kulturrevolution. Hier wurden Propagandaveranstaltungen abgehalten und zum Teil willkürlich über das Leben von Menschen entschieden. Öffentliche Demütigungen und Denunziationen gehörten zur Tagesordnung.
Alle Räume wurden streng frontal dokumentiert. In ihrer unsentimentalen Neutralität zeigen die Aufnahmen die jetzt vorgefundene Raumsituation, die teilweise noch vom Vergangenen zeugt. Andere Versammlungssäle sind so radikal neuen Funktionen zugeführt worden oder so stark verfallen, dass nur noch wenige Spuren der hier stattgefundenen Ereignisse sichtbar sind.
Die Serie der „Assembly Halls” lässt Rückschlüsse auf die radikalen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten 40-50 Jahre in China zu und macht Geschichte als Spur im architektonischen Körper erfahrbar.

Einen eigenen Raum in der Ausstellung erhält der Künstler Feng Yan (1963). Auf dem agilen chinesischen Kunstmarkt ist er mit seinen großformatigen Fotografien bei Preisen von 50.000 US $ angekommen. Er steht für eine neue Generation von chinesischen Künstlern, die in Europa oder den USA einige Jahre verbringen und dann, teilweise wegen der besseren Arbeitsbedingungen nach China zurückkehren. Feng Yan lebte von 1998 bis 2001 in New York. Er erhielt eine cross-media Ausbildung zunächst auf der BA Beijing Film Academy bevor er sich ab 2005 ganz auf Fotografie konzentrierte.
Durch die Auswahl von anscheinend simplen Gegenständen und architektonischen Räumen mit minimalistischem Informationsvolumen zwingt er den Betrachter die ungewollte (?) ästhetische Konstruktion seiner Sujets zu reflektieren. „Durch minimalistisches Beschneiden und die vorsichtige Wahl des Tons, der Form des Themas gelingt es ihm, diese Momente zu persönlicher Aussagekraft, historischer Anspielung und politischer Bedeutung zu machen.” (Michael J. Hatch, 2006).

Eine grundsätzlich neue Generation von chinesischen Fotografen wird durch das Künstlerduo Birdheads repräsentiert. Auch in China war die Fotografie in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem Massenphänomen geworden. Ji Weiyu (geboren 1980) sagt von sich selbst, dass er schon mit der Kamera seines Onkels fotografiert hat, als er zehn Jahre alt war. 2004 gründete er mit Song Tao (geboren 1979) das Künstlerkollektiv Birdheads. Viele ihrer Arbeiten beschäftigen sich Tagebuch-ähnlich mit sich selbst und ihrer unmittelbaren architektonischem Umgebung. Alle ihre Fotografien verstecken sich hinter der Form des zufälligen Schnappschusses, um die Alltäglichkeit und Zufälligkeit ihrer Wahrnehmung ohne ästhetische Verfremdung zu betonen. Birdheads Bilderfluss ist in der chinesischen Gegenwartskunst ein erfrischendes Antidot zu der endlosen Darstellung von Mao Zedongs und kulturellen Klischees, die seit den neunziger Jahren den Kunstmarkt überschwemmt haben. Birdhead verweigert sich jeder Zelebrierung des schnellsten Wirtschaftswachstums der Welt. Sie bekennen sich zu einer Fotografie der Promenade in ihrer urbanen und sozialen Umgebung. Ästhetik ist nicht eine Korrekturinstanz des Lebens, sondern eine komplexe, selbstständige Struktur. “Every day we need something to do,” sagt Ji Weiyu, “so we take pictures.” Parallelen zur Fotografie von Wolfgang Tillmann und Nan Goldin sind unübersehbar. International ist das Kollektiv zum ersten Mal auf der Biennale in Venedig 2011 im Arsenale aufgetreten. Für die Kölner Ausstellung erarbeiten sie zurzeit eine neue Werkgruppe.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Norbert Moos. Es ist eine Gastausstellung der IPK (Internationale Photoszene Köln), die im September 2012 auch das Photofestival Köln zeitlich parallel zur alle zwei Jahre stattfindenden Photokina organisiert. Sie wurde durch die finanzielle Unterstützung der Stadt Köln, in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Köln und dem MAKK ermöglicht.

Konzept und Kuratierung: Norbert Moos

Teilnehmende Künstler: Birdheads, Chen Xiaoyun, Feng Yan, Jian Pengyi, Luo Yongjin, Shao Yinong und Mu Chen, Song Tao*, Weng Feng, Xiang Liqing, Yang Zhenzhong*, Zhenchen Liu*, Zhou Zixi. Peter Bialobrzeski, Martin Claßen, Harald Fuchs**, Candida Höfer, Nadav Kander, Ben Plefka, Tania Reinicke, Frank Schoepgens, Petra Stockhausen, Michael Wolf

(*Video, **Installation)

Quelle: 21. Internationale Photoszene Köln 2012

Wann und wo

Museum für Angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule
50676 Köln

31. August bis 25. Oktober 2012
Eröffnung am 31. August um 19:00 Uhr


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