»Keine Sozialunion« darf nicht das Ende vom Lied sein

»Keine Sozialunion« darf nicht das Ende vom Lied seinEs stimmt, »die EU ist keine Sozialunion« - sie hat sich unter der Kuratel derer, die to big to fail sind, zu einer »Asozialunion« entwickelt. Sie stranguliert die Sozialwesen und salbadert vom Allheilmittel »Wettbewerb«, wo er nichts zu suchen hat. Dabei wäre dieses hochgespielte Horrorszenario vom »vollen Boot« eine Chance, Europa endlich auch zu einer Union sozialer Standards zu formen.
Man hat so viel von der Euro- und Europaretterin namens Merkel gelesen. Sie gehe mutig und forsch voran, setze neue Marken und forme den Kontinent neu. Warum geschieht das nicht auch jetzt? Wieso fordern das ihre Bewunderer jetzt nicht ebenfalls? Das Narrativ vom Überfall Sozialkassen plündernder Horden wäre doch die Gelegenheit, Europa auf ein neues Level zu hieven. Ein Kontinent, der Union sein will und der so viel Ungleichheit aufweist, dem sollten doch alle, wirklich restlos alle Bürger, to big to fail sein.
Was hat man der Europäischen Union nicht alles zurecht unterstellt. Sie trimme auf ein Europa der Konzerne, sei eine Wirtschafts- und Währungsunion, ein ökonomischer Zweckverband, der auf Handel spezialisiert sei und die Bürger vornehmlich als Verbraucher wahrnehme. Nehmen wir mal kurz an, dass die Angst des deutschen Spießbürgers und seiner politischen Vertretung berechtigt ist und dass die Menschen nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland kommen: Wäre das nicht der Moment, in dem sich die Union darüber beraten müsste, ein europäisches Sozialgeld einzuführen? Die Verpflichtung zum Mindestlohn und zu Kündigungsschutzgesetzen? Einen Fond, der diejenigen in Europa teilhaben lässt, die vom Wertschöpfungsprozess ausgeschlossen sind?
Kurzer Einwurf zum Narrativ, die Ausländer stürmten Deutschland: Zu glauben, dass Menschen nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu beziehen, um dann hier in einer spärlich eingerichteten Wohnung zu sitzen, ohne Familie und viele Kilometer fernab der Heimat, ohne Bindungen und Sprachkenntnisse, gesellschaftlich isoliert und ausgeschlossen, entspricht einem Weltbild, das sich rein auf pekuniäre Werte stützt und andere Faktoren für Auswanderung völlig ausblendet. So eine Vorstellung von »Auswanderung« können nur Menschen haben, die sich noch nie damit konfrontiert sahen, selbst auswandern zu müssen; Leute halt, die fest auf ihrer Scholle sitzen. Sie stellen sich vor, dass dann ein Spanier oder Bulgare glücklich seinen Regelsatz einheimst und dann froh ist, endlich abgesichert zu sein. Dass er aber kein Leben im eigentlichen Sinne hat, weil er aus seinem  Leben herausgerissen wurde, überlegt man sich dabei nicht. Wie schwer die Entscheidung ist, das Land zu verlassen, in dem Eltern, Geschwister und Freunde zurückbleiben, erahnt man mittels solch plumper Unterstellungen überhaupt nicht.
Jetzt wäre der Moment, ein soziales Europa zu schaffen, Sozialstandards zu verabschieden - auch weil die jetzt galoppierende Armut an der südlichen Peripherie des Kontinents ein Produkt des reichen Nordens ist. Wieso können Banken als so systemimmanent erachtet werden, dass man sie auf alle Fälle retten muss und ganze Völkerschaften gehen ohne dieses Prädikat aus der Krise? Ein Rettungsschirm, damit Menschen nicht mehr so suizidbereit sind, wieder Perspektiven sehen?
Ja, die EU ist keine Sozialunion. Merkel hat recht. Hätte sie das Gegenteil behauptet, hätte sie gelogen. Die Handvoll liberaler Feuilletonisten und Kommentatoren, die schrieben, dass die Kanzlerin die rechtspopulistische Karte gespielt hat, müssten gar nicht so besorgt tun. Die Frau hat damit doch nur definiert, was eine Europäische Union für sie und ihre Entourage zu leisten hat: Für die Bürger relativ wenig. Sie hat lediglich klargestellt, dass sie die EU zwar reformiert wissen möchte, wenn es um wirtschaftliche Fragen und Interessen geht, aber nicht, wenn das Soziale in Schieflage gerät. Da macht sie lieber die Schotten dicht, igelt dasselbe Deutschland ein, das sich verantwortlich in die Welt hinaus militarisieren will. Dann soll aus diesem extrovertierten Hegemon ein introventierter Eigenbrötler werden.
Die politische Linke sollte nun, da selbst die Sozialdemokratie mitmischt und ihre Sanktionswut von angestammten Hartz-IV-Empfängern auf solche verlagert, die nach Deutschland kommen, dieses erzkonservative, angstmacherische und übererregte Narrativ aufgreifen und es gegen die wenden, die es in die Welt gesetzt haben. Wenn sie sagen, dass Deutschland »nicht das Sozialamt Europas« sei, sollte sie sagen: »Richtig, daher brauchen wir ein Europa, das das Soziale auf alle Mitgliedsstaaten verteilt - ohne von der Freizügigkeit abzulassen.«
Denn es ist ein Hohn, dass Sigmar Gabriel noch vor Monaten sagte, dass die Freizügigkeit das Herzstück Europas sei - und nun will er mit seiner Partei mitmachen bei der Beschneidung der Freizügigkeit von Europäern, die leider nicht die Mittel haben, auf eigene Kosten freizügig sein zu können. Wenn Freiheit auf die Grenzen der eigenen finanziellen Beschränkung stößt, dann ist sie keine Freiheit mehr. Aber das hat man im Deutschland des Gauck und seiner entstofftlichten Freiheitsrhetorik schon lange verdrängt. Wo man Freiheit abstrakt predigt, weiß am Ende gar keiner mehr, dass Freiheit etwas ist, dass man für jeden möglich und erschwinglich machen muss.
Wenn es also stimmt, dass Deutschland überrannt wird von den Elenden des Kontinents, dann darf man nicht als Reaktion mit Abschottung reagieren und mit Fremdenfeindlichkeit aufwarten, dann sollte das glatte Gegenteil geschehen: Überlegungen, wie man Europa sozialisiert, wie man alle Bürger absichert und Existenznöte innerhalb des Wohlstandes unterbindet. Der Satz »Die EU ist keine Sozialunion« kann nicht das Ende vom Lied sein. Das kann man so nicht stehenlassen. So liest sich das nämlich. Und genau das ist das drastische Element dieser Aussage. Nicht der Rechtspopulismus, sondern die Absichtserklärung, dass die EU nicht mehr sein sollte als sie heute ist. Kein Wunder also, dass Europa der Europäern auch weiterhin fremd sein wird. Will die EU die Herzen gewinnen, muss sie mehr werden als sie jetzt ist.
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