JULIETTA von Bohuslav Martinu in Frankfurt – Alles nur geträumt

JULIETTA von Bohuslav Martinu in Frankfurt – Alles nur geträumt

Stell dir vor, du wachst auf und merkst: Dein Leben war nur ein Traum. Was würdest du tun? So ungefähr lässt sich das Thema der Oper Julietta von Bohuslav Martinu umreißen, die am vergangenen Samstag an der Oper Frankfurt ihre Premiere in der Inszenierung von Florentine Klepper feierte. Ein Abend, der eine große Frage aufwirft: Warum wird dieses Stück nicht viel öfter gespielt?

Hier gibt es überhaupt keinen Bahnhof!

Michel lebt im toll turbulenten Paris. Aber trotz der zahllosen Möglichkeiten (und zahlreichen Frauen), die es in dieser Großstadt zu erleben gibt, zieht ihn seine Sehnsucht an einen anderen Ort: in eine kleine Hafenstadt, in der er sich drei Jahre zuvor in die Stimme eines Mädchens verliebt hat. Julietta. Michel kehrt also in dieses Städtchen zurück, um die Frau seiner Träume zu suchen und zu erobern, muss aber feststellen, dass sich die Bewohner dieses Orts sehr merkwürdig verhalten. Bald wird klar, dass keiner von ihnen Erinnerungen hat und deswegen auch niemand in der Lage ist, Auskunft über Julietta zu geben. Plötzlich erklingt das Lied, das Michel nie vergessen konnte. Julietta scheint sich auch an ihn zu erinnern und sogar die ganze Zeit auf ihn gewartet zu haben. Sie verabreden sich im nahen Wald, um ihr Gespräch ungestört fortsetzen zu können.

Michel ist vor seiner Traumfrau am vereinbarten Ort. Beim Warten begegnet ihm ein Erinnerungs-Verkäufer. Als Julietta dazukommt, ist sie gleich Feuer und Flamme für die Erinnerungen, die zum Verkauf stehen und sofort bereit, diese als die gemeinsamen Erlebnisse von sich und Michel anzunehmen. Aber der will diese fiktiven Erinnerungen nicht, er will Julietta viel lieber erzählen, woran er sich wirklich erinnert. Das ist ja wohl das Lächerlichste, was Julietta jemals gehört hat! Sie geraten in Streit, es löst sich ein Schuss aus Michels Pistole, jemand schreit. Hat er Julietta getötet? Bevor er sie im Dickicht des Waldes finden kann, ist schon das Tribunal der Stadt zur Stelle, das ihn sofort hinrichten will. Michel erzählt aber schnell irgendwelche erfundenen Erinnerungen, sodass alle Beteiligten vergessen, dass sie ihm eben noch den Kopf abschlagen wollten. Aber auch wenn jetzt alle wieder friedlich sind, ist Michel diese Stadt nicht geheuer. Er macht sich auf den Weg zum Hafen, wo ein Schiff auf ihn wartet.

Auf einmal ist Michel in einem Büro. Es ist die Zentrale, von wo aus ein Beamter alle Träume verwaltet und arrangiert. Dieser will Michel nun zurück in die Realität schicken - der aber will nicht akzeptieren, dass alles nur ein Traum gewesen sein soll. Während Michel sich im Büro rumdrückt, kommen weitere Kunden in das Traumbüro. Einer will in den wilden Westen, einer will ein Herrenhaus bewohnen, einer will den Sonnenuntergang sehen und alle wollen sie eine wunderbare Frau: Julietta. Als Michel diesen Namen aus dem Mund der anderen Männer hört, ist er schockiert. Das hält ihn aber nicht davon ab, ihrer Stimme zu gehorchen, die ihm befiehlt im Reich der Träume zu bleiben - auch wenn es bedeutet, dass er nie wieder in die Realität zurückkehren kann.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Ist das, was ich gerade hier und jetzt erlebe, tatsächlich die Wirklichkeit? Eine Frage, die jederzeit interessant ist - ob man nun sein Schulwissen um das bekannte Höhlengleichnis von Platon bemüht oder nach einem gemeinsamen DVD-Abend mit Matrix, Inception oder The Others in Diskussionen verfällt.
Die Oper Julietta von Bohuslav Martinu basiert auf einem Stück von George Neveux, einem Vertreter des literarischen Surrealismus. Diese geistige Bewegung beschäftigte sich gerne mit der Idee des Lebens als Traum und umgekehrt. Außerdem verdankt die Oper dem surrealen Urtext ihre abstrusen Nebenfiguren, die einen Großteil des Charmes dieses Werks ausmachen.
Martinu öffnet neben dem Traum aber noch einen weiteren Themenkomplex: die Erinnerung. Auch hier werden ewige und vielleicht gerade durch den aktuellen Diskurs über die Kommunikation mit Demenzkranken hochinteressante Fragen aufgeworfen: Was bedeutet die Abwesenheit von Erinnerung für mein Selbst? Kann ich mich durch fiktive Erinnerungen immer wieder neu erfinden, wenn nicht sogar optimieren? Oder bedeutet das Vergessen den Verlust der Identität?

Drinnen

Als sich in Frankfurt der Vorhang zum Beginn der Vorstellung hebt, wird klar, dass es sich bei dem Bühnenbild um einen Regieeinfall handelt, der leider weder dem Verständnis der selten gespielten und damit weithin unbekannten Oper zuträglich ist, noch dem Stück eine originelle Ebene hinzufügt. Die gesamte Inszenierung von Florentine Klepper spielt in einem Innenraum. Dieser Raum ist großflächig mit Holz verkleidet und stilistisch an den Bauhaus-Stil angelehnt.

In der Mitte dieses sehr symmetrischen Bühnenbilds von Boris Kudlicka befindet sich ein Rahmen, in dem haufenweise grüne Gummipflanzen an den Schaukasten in einem Naturkundemuseum erinnern. Der Verdacht, dass dieses Plastikgestrüpp den Wald darstellen soll, wird bestätigt.

Die generelle Verortung der Inszenierung ist aus unterschiedlichen Gründen höchst problematisch und fragwürdig. Den ganzen Abend über bleibt die Frage, welche Assoziationen dieser Raum hervorrufen soll. Ist es das Wohnzimmer von Michel? Ist es vielleicht der Aufenthaltsraum eines Irrenhauses oder eines Altenheims? Aber wenn eine der beiden letztgenannten Möglichkeiten zutreffen sollte, warum sollte dann ein Mann im besten Alter in dieses Heim reinplatzen, um eine schöne junge Frau zu suchen? Und wieso faselt er von irgendeiner Stadt am Hafen und einem Hotel? Die Regie nimmt sich doch selbst die Butter vom Brot, wenn sie den Zuschauer bereits zu Beginn der Oper annehmen lässt, dass Michel verrückt ist. Eine Identifikation mit ihm ist unerlässlich, um sich im dritten Akt von der absurden Situation im Traumbüro irritieren zu lassen.

Da capo, bitte

Am Ende lässt Regisseurin Florentine Klepper die Handlung wieder von vorne beginnen - der (Alp-)Traum nimmt kein Ende, da sich Michel für ein Dasein in dieser irrealen Sphäre entschieden hat. Eine schlüssige Idee, die allerdings ohnehin im Stück angelegt ist. Aber warum finden die Träume hinter einem Theatervorhang statt? Weil die Träume eine inszenierte Show vom Beamten sind? Soll hier das Theater mit einer parallelen Realitätsebene gleichgesetzt werden? Oder ist das Theater - wie der Traum - eine Möglichkeit aus der ungastlichen Realität zu entfliehen?

Das Regie-Konzept der Frankfurter Produktion von Julietta geht nicht ganz auf. Trotzdem sollte man sich diese wunderbare Oper von Bohuslav Martinu nicht entgehen und sich zu vielen anregenden Diskussionen über die Traumhaftigkeit des Lebens inspirieren lassen.

Kritik der Allemeinen Zeitung vom 23. Juni 2015 Kritik auf op-online.de vom 23. Juni 2015 Kritik der FAZ vom 23. Juni 2015 Kritik im Deutschlandfunk vom 23. Juni 2015 Kritik im Wiesbadener Kurier vom 23. Juni 2015 Kritik in der Frankfurter Rundschau vom 22. Juni 2015 Julietta. Lyrische Oper in drei Akten von Bohuslav Martinu (UA 1938 Prag)

Oper Frankfurt
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Regie: Florentine Klepper
Bühne: Boris Kudlicka
Kostüme: Adriane Westerbarkey
Licht: Jan Hartmann
Video: Mario Spiegel
Dramaturgie: Norbert Abels

Besuchte Vorstellung: 21. Juni 2015 (Premiere)


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