„Ich möchte euren Dialekt nicht versauen!“

In drei Krimis zeichnete der gebürtige Oberösterreicher Franz Kabelka ein lebendiges Bild der Vorarlberger Gesellschaft vom Bodensee bis ins Montafon. Den Ermittler Anton „Tone“ Hagen präsentiert er als zerbrechliche Seele, die sich nicht scheut, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Interview spricht der Autor, ehemaliger Stadtpolitiker und hauptberuflich AHS-Lehrer in Feldkirch, über Mundarten, Heimat, politische Einmischung und Burnout.

(mad): Tone Hagen kehrt nach vielen Jahren in Linz zurück ins „Ländle“. Sie stammen selbst aus Oberösterreich – war es schwer, die neue Heimat zu schildern?
Kabelka: Ich habe lange überlegt, wie ich es angehe, damit mir mein „Zuag’rast-Sein“ nicht von den „g’hörigen“ Vorarlbergern angelastet wird. Die Perspektive dessen einzunehmen, der mit einer gewissen Distanz in seine alte Heimat zurückkehrt, erschien mir als die beste Lösung. Es kommen in meinen Romanen nur wenige Vorarlberger Dialektausdrücke vor, bei denen ich mich außerdem so gut wie möglich abgesichert habe. Da bin ich penibler als manch anderer Autor. Im letzten Buch kommen zudem Wienerisch, Münchnerisch und Berlinerisch vor. Das lief alles durch mehrere Kontrollinstanzen.

Haben Sie sich selbst ernsthaft in Vorarlberger Mundart versucht?
Ich rede nicht vorarlbergerisch, obwohl ich seit 30 Jahren hier lebe. Wenn Freunde meinten, „wieso redesch’d net g’hörig?“, hab ich gesagt: Ich schätze euren Dialekt so sehr, dass ich ihn nicht versauen möchte. Meine Frau ist Tirolerin und hat ihren Dialekt auch beibehalten. Nur unsere Töchter reden vorarlbergerisch – wir sind eine sprachliche Patchwork-Family.

Macht es die Sicht des „Zuag’rasten“ leichter, über Land und Leute zu schreiben?
Mir, ja. Feldkirch ist eine Art zweiter Heimat für mich geworden. Ich war hier nicht zufällig in der Politik – ich wollte mich verankern. In meinem Dorf in Oberösterreich hätte ich das nie gemacht, weil ich die Feindschaften, die in der Kommunalpolitik fast notgedrungen auf einen zukommen, wie die Pest gefürchtet hätte. Die Grünen haben mich 1990 gefragt, drei Monate vor der Wahl, ob ich für sie kandidieren wolle, und ich stimmte zu. Dann haben wir relativ viele Stimmen gekriegt, und fertig war die Chose: Ich war fünf Jahre lang Umwelt-Stadtrat und habe viel fürs Leben gelernt. Wann beschäftigt sich ein Deutsch-Englisch-Lehrer schon mit Bereichen wie Kanalisation oder Kraftwerksbau? Ich glaube, dass ich manche Personen in meinen Geschichten ohne diese Erfahrung nicht so realistisch darstellen könnte.

Das erste Hagen-Buch spielt 2001. Wir sind mitten in den Protesten gegen die schwarz-blaue Koalition, wir haben 9/11 und den Afghanistankrieg: All das wird reflektiert und Politik damit zu einem wesentlichen Teil Ihrer Literatur…
Das alles war auch Thema in dem Buch „Auszeit“, das zeitgleich entstanden ist. Ich verbrachte in jenem Herbst zwei Monate auf der Insel Chios, hab mir über verschiedene Kanäle – BBC, griechische Medien, Radio Österreich International – Infos suchen müssen, bin einmal nicht mit den üblichen Beiträgen der ZiB und der Vorarlberger Nachrichten bombardiert worden. Das ergab einen völlig anderen Blickwinkel. Und die Diskrepanz in den medialen Darstellungen hat mich dazu gebracht, manchmal etwas polemisch zu werden.

Sehen Sie eine Verpflichtung, sich einzumischen? Hierzulande gibt es z.B. mit Robert Menasse und Michael Köhlmeier Schriftsteller, die sich häufig kritisch zu Wort melden.
Ich bin jetzt nicht so prominent, dass man mich um meine Meinung fragen würde, aber ich äußere mich zu dem, was mir ein Anliegen ist. Ich habe mich immer als politisch denkenden Menschen verstanden. Aber ich könnte auch sagen, ich hab mich immer als romantischen Menschen verstanden, als einen für Minderheitenrechte engagierten Menschen. Politik ist nun einmal eine öffentliche Sache, die sich immer auch auf mich auswirkt. Wenn ich z.B. ein Stipendium bekomme, dann ist das eine Folge konkreter Politik: Wer kriegt es und wer nicht?

Vermissen Sie einen lauten Aufschreier wie Heinrich Böll oder Max Frisch?
Gerade Frisch ist es wirklich aufgestoßen, dass er immer als Paradevertreter des öffentlichen Gewissens bezeichnet wurde. Ihn störte, dass in dem Moment, wo zwei oder drei Leute solche Rollen zugeschrieben bekommen, man all jene ihrer Verantwortung entbindet, die sich nicht äußern. Man stiert geradezu auf diese paar Leute, und das möchte ich eigentlich nicht. Mir reicht es voll und ganz, was Menasse in Österreich macht. Der outriert sich manchmal ziemlich penetrant. Ich hab ihn einmal erlebt, als er während einer Podiumsdiskussion jegliche Kritik am israelischen Regime zurückgewiesen hat, wenn sie von Nichtjuden komme. Da hab ich mir schon gedacht: Ja, wo simma denn? Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich schätze Menasse als Autor sehr!

Tone Hagen wird im dritten Band zum Burnout-Fall. Unsere Gesellschaft produziert immer mehr Stresskranke: Haben Sie einen Tipp, um einem Burnout vorzubeugen?
Im Prinzip ist das ja in der einschlägigen Literatur nachzulesen …

Für die wir vor lauter Stress aber keine Zeit haben!
Nun gut: Ein engagiertes und nach Selbsterfüllung strebendes Leben ist vermutlich die beste Prävention. In dem Buch „Jenseits von Gut und Böse“ des deutschen Philosophen Michael Schmidt-Salomon kann man wunderbar nachlesen, wie falsche Ideologien, Haltungen, Einstellungen zum Leben die Leute auch seelisch kaputtmachen. Diejenigen, die zu wenig Gelassenheit an den Tag legen, die immer versuchen, sich anzupassen an irgendeine Doktrin, die außerhalb ihrer Lebensmöglichkeiten agieren und darum in eine Frustration kippen …

Die einfach fremd gesteuert sind – und viel mehr zulassen, als nötig wäre…?
So ist es! Schmidt-Salomon leugnet ja die Willensfreiheit komplett, aber wir haben doch wohl eine gewisse Handlungsfreiheit, und die nutzen wir oft nicht aus. Wenn du erfüllte Beziehungen lebst, wenn du dich mit Freunden nicht nur auf virtueller Ebene beschäftigst und das tust, was du am besten kannst, dann bist du relativ gut geschützt. Hoffe ich zumindest.

Keine Willensfreiheit – eigentlich ein schrecklicher Gedanke, nicht?
Schmidt-Salomon meint, wenn wir endlich von diesem Ideal der Willensfreiheit abgingen, wären wir freier im Handeln. Wenn wir akzeptierten, wie weitgehend bedingt unsere Handlungen sind, könnten wir genussfähiger werden. Man kann in jeder Statistik nachlesen, dass insbesondere Lehrer und Leute in Sozialberufen an den hohen Ansprüchen an sich selbst scheitern, weil die Praxis sie permanent frustriert. Ich kenne durchaus Kollegen, bei denen ich selber gedacht habe: Der mit seinen Fächern – er hat ja nicht einmal Schularbeitenberge zu Hause auf dem Schreibtisch wie ich. Wie kommt der zu seinem Burnout? Ich mache für das Problem also nicht nur die böse Gesellschaft und das übliche Lehrer-Bashing verantwortlich – daran sind wir zum Gutteil schon auch selber schuld.

Franz Kabelka (56), wuchs nahe Linz auf und lebt seit 1981 in Feldkirch. Anfangs unterrichtete er Deutsch und Englisch an der Handelsakademie. Nach dem politischen Intermezzo als Grüner Stadtrat wechselte er ans Bundesgymnasium Rebberggasse, wo er inzwischen auch Ethik lehrt. Die Tone-Hagen-Trilogie („Heimkehr“, „Letzte Herberge“, „Dünne Haut“) ist bei Haymon erschienen. Den August verbrachte Kabelka in Cesky Krumlov (Tschechien) als Literaturstipendiat der Oberösterreichischen Landesregierung, um an seinem nächsten Krimi zu arbeiten. Arbeitstitel: „Jemand anders“.

[Dieses Interview wurde bereits im Juli 2010 in Feldkirch geführt, entsprach aber bedauerlicher Weise nicht den Vorstellungen meines Auftraggebers. Dabei wären wir in jenen Tagen mit der Burnout-Thematik der entsprechenden Sommerloch-Diskussion um ganze zwei Tage voraus gewesen.]


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