Heimisch und vertraut

146713_web_r_k_by_paul-georg-meister_pixelio-deLetzte Woche Mittwoch war Raul Krauthausen bei Stern TV zu Gast und erzählte aufs Neue über die Notwendigkeit des Teilhabegesetzes und dem aktuellen Entwurf. Er hatte zusätzlich ein Selbst-Experiment in einem Pflegeheim gemacht. In dem Zusammenhang möchte ich mich vielmals beim Universum für meine Fähigkeit des Verdrängens bedanken. Wir schreiben, soweit mir bekannt ist, das Jahr 2016. Gehen wir circa 20 Jahre zurück und wir schreiben das Jahr 1996. Na, zumindest beherrsche ich die zwei Grundrechenarten. Da war klein Elli zur Kur. Wenn man bis dahin immer nur von Mutti versorgt wurde, kennt man das ja nicht anders.

Aber mit meinen 16 Lenzen war ich dann mehr als schockiert, als dann am ersten Tag ein Pfleger in mein Zimmer kam, mir selbstverständlich das Nachthemd ausziehen wollte, noch im Bett. Ich weiß noch, dass es ein Nachthemd mit Punkten und Minnie Maus war, nur so am Rande. Erst einmal habe ich ihn beobachtet, als er mir die Decke hochgezogen hat, als er mir den Arm hoch gehoben hat und mir das Nachthemd ausziehen wollte, ich weiß nicht welches Geräusch ich von mir gegeben habe, aber er hat von mir abgelassen und soviel ich weiß, mich nie wieder angefasst. So im Nachhinein betrachtet finde ich das immer noch verstörend, kaum vorstellbar mit solch einer Selbstverständlichkeit ein wildfremder Mann. Wenn ich da genauer drüber nachdenke, wundert mich das, dass ich mich einige Jahre später so von einem Mann anfassen lassen konnte, dass es zur Befruchtung kam.

Das war einmalig und ich wurde vielleicht seltener als normal, aber dann auch von Frauen geduscht. Was schwieriger zu organisieren war, waren die Toilettengänge. Bis heute fände ich es praktisch, wenn ich nach Dienstplan müsste, kann ich aber nicht. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt meine Geschlechtsreife mehr als erreicht und natürlich stellte sich damit auch ein Schamgefühl ein. Und die Betonung hierbei liegt auf „natürlich“. Denn nur weil ich nicht laufen kann, heißt das nicht, dass alle anderen Funktionen automatisch mit abgestellt werden. Ich hatte dann meine Zimmergenossinnen gebeten, mir zur Toilette zu helfen. Das machte mich mit der Dauer der Kur nicht beliebter. Mit der Zeit konnte man sich fast schon einbilden, sie gingen mir aus dem Weg. Da hörte meine Kreativität nicht auf, ich versuchte meine Flüssigkeitsaufnahme weitgehend zu verringern, immer das utopische Ziel, oder heißt es in dem Fall distopische Ziel, vor Augen, das Nichts. Und wenn man dann wirklich noch musste, dann war es schon egal, dann hatten sie gewonnen. Das ist dann so wie beim Kinderkriegen, dann ist es auch egal, dass der Arzt einem dabei in die Muschi sieht, wenn es nur genug weh tut, dann ist alles andere egal.

Was ich bei dem Beitrag bei Stern TV nachvollziehbar, aber nicht realistisch, wenn nicht sogar naiv, davon auszugehen, dass ein unter Druck stehendes Personal die Tür bei der Pflege offen stehen lässt, nur weil es unter zeitlichem Druck steht und vergisst auf die Privatsphäre zu achten. Wie gesagt, ich kann verstehen, dass man niemandem zu Nahe treten will, aber die schlimmste meiner Erfahrungen war damals in der Kur die, wie mein Stuhlgang von statten gegangen ist. Ich musste mein Geschäft auf einem speziellen Stuhl im Zimmer erledigen und direkt am Eingang hing eine Liste aus mit den Namen der Bewohnerinnen des Zimmers und der Daten ihres Aufenthaltes. Bei der ersten Sitzung merkte ich bereits, wozu diese da war. Da wurde angekreuzt, wann wir Stuhlgang hatten. Wer weiß, ob ich hätte das überblicken können, und wahrscheinlich galt hier der Leitsatz Vertrauen ist gut, Kontrolle am besten. Man muss sich das vorstellen, jeder der reinkam, sah, wann ich gegackt hatte. Mit der Betonung auf „Ich“, denn außer mir konnten alle im Zimmer laufen, das heißt, da war keiner dabei und konnte notieren. Davon mal abgesehen, dass sich meine Zimmergenossinnen den einen oder anderen Kommentar nicht verkneifen konnten.

Das mit den zu Bettgehzeiten kenne ich auch noch. Ich musste mir immer das Ende des Films nacherzählen lassen, weil ich ja schon vorher ins Bett gelegt wurde. Unglaublich, dass es im Pflegeheim keinen Fernseher im Zimmer gab, aber vielleicht gab es ihn und es war nur nicht nennenswert. Damals, und möge diese Zeit nie wieder zurückkommen, hatten wir nur einen Aufenthaltsraum. Diese Episode meines Lebens hätte ruhig im Verborgenen bleiben können. Was ich besonders gruselig fand oder finde, ist, dass sich das Verständnis oder die Einstellung nicht geändert zu haben scheint. Weil, organisieren lässt sich ziemlich vieles, wenn man die Notwendigkeit dafür erkennt. Aber ist es denn zum Beispiel in Seniorenheimen durchschnittlich wirklich besser? Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen Angst vorm Altenheim haben, der Willkür anderer Menschen oder eines Systems zum Opfer zu fallen. Nun ja, das wars an dieser Stelle. Ich werde heute Abend den Alzheimerschlaf darüber ausbreiten und das nächste Mal vielleicht einen etwas lustigeren Text schreiben, das hoffe ich mehr für mich, als für alle anderen.

(Foto: Paul-Georg Meister / pixelio.de)


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