Heimatsuche

Heimatsuche

«What is home for you? / Wo ist Deine Heimat?» ist eine Frage, die ich öfter gestellt bekomme, lebe ich doch seit 1998 im Ausland.

Dublin, London, Auckland, Bangkok, Kuala Lumpur und nun seit kurzem Tokio. Man möchte meinen, dass die Antwort einfach ist: «Deutschland natürlich!» Oder besser gesagt Thüringen. Das kleine Dorf, in dem ich bis zu meinem 23. Lebensjahr lebte. Allerdings verbinde ich mit diesem Ort fast nur nostalgische Kindheitserinnerungen. Hängt das damit zusammen, dass es das Land, in dem ich aufwuchs – die DDR – nicht mehr gibt oder damit, dass ich meine prägenden Jahre außerhalb Deutschlands verbracht habe?

What is home for you? Diese Frage beschäftigt mich, da ich sie nicht wirklich beantworten kann. Zeit für etwas Recherche.
«Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)» – so definiert der Duden den Begriff Heimat.
Dr. Google doziert: «Heimat ist nicht der Ort, sondern die Gemeinschaft der Gefühle» und bezieht sich auf eine Bodeninschrift in der Galerie der Gegenwart in Hamburg. Gefühle, Wahrnehmungen, Sinne – ein interessanter Ansatz!


Immer der Nase nach

Ich skype mit einer deutschen Freundin, die seit längerer Zeit in Südafrika lebt: «Weißt du, Alex, ich bin gestern an einer frisch gemähten Wiese vorbeigekommen und habe meine Augen geschlossen. Es roch wie zu Hause und der Geruch war so überwältigend, dass mir Tränen in die Augen geschossen sind.»
Meine Verknüpfung von Heimat und Geruch ist nicht ganz so extrem, aber mich überkommt immer ein wohliges (Heimat-) Gefühl, wenn ich in Bangkok aus dem Flieger steige und tief einatme. Freilich ist der Geruch bei weitem nicht so ansprechend wie die frisch gemähte Wiese in Kapstadt.


Das gute deutsche Brot

«Heimat ist eine Scheibe richtig gutes deutsches Brot! Mit Leberwurst!», sagt mein Gegenüber. Viele Expats aus dem deutschsprachigen Raum vermissen die gewohnte Küche, insbesondere dunkles Brot. Im Dublin der neunziger Jahre gab es nur Kastenbrot. Weiß und labberig. Mittlerweile kann man weltweit deutsches Brot aufstöbern, auch deutsche Restaurants gibt es genug. Aber ich vermisse deutsches Essen nicht mehr. Weder koche ich deutsche Gerichte, noch gehen wir deutsch essen. In meiner Küche tummeln sich Garam Masala, Kaffirlimettenblätter, Sumach und Baharat mit Ghee, Tahini und Tamarindenpaste. Gehen wir zum Essen aus, dann zum Libanesen, Mexikaner oder Vietnamesen.


Wenn Schönheit heimatliche Gefühle weckt

Neuseeland – ein Land, das in vielen Köpfen Fernweh entfacht mit seinen wilden und ungezähmten Seiten, wo hinter jeder Kurve die Landschaft noch viel schöner ist als vor der letzten und wo man ab und an einfach sprachlos ist, weil man von der Pracht total überrumpelt wird. Manchmal denkt man, dass diese Farben fast zu viel und zu atemberaubend sind, um sie einzufangen und man möchte für immer auf eine Stelle starren, damit man alle Einzelheiten in sich aufsaugen und so für immer behalten kann. Oh ja, Heimat hat auf jeden Fall mit Sehen zu tun!


Bis dass der Tod uns scheidet?

Ich frage weiter. «Wo ist Deine Heimat?»
Meine australische Gesprächspartnerin, auch ein Langzeitexpat, lässt sich mit der Antwort Zeit. «Heimat ist dort, wo ich mal begraben werden möchte.»
Auch an diese Variante hatte ich schon einmal gedacht, war allerdings zu keinem Ergebnis gekommen.


Genetische Programmierung?

Vielleicht ist nicht-zentriertes Heimatgefühl angeboren? Das meint zumindest meine Mutter und schiebt es auf den Opa. Väterlicherseits natürlich. Dieser war ein Weltenbummler und fuhr jahrelang zur See. Bestimmt ist von seinem Genmaterial etwas bei mir angekommen. Und wenn dem so ist, habe ich alles absorbiert und nichts für meine jüngere Schwester übriggelassen. Dies könnte wohl erklären, warum ich mich als Neunjährige im Ferienlager an der Ostsee darüber gewundert habe, warum fast alle anderen Mädchen ständig wegen Heimweh geweint haben. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen.

Ich beneide Leute, die mit Gewissheit sagen können: «Keine Frage – meine Heimat ist XYZ». So wie Dave. Für ihn steht absolut fest, wohin er gehört. Nach Neuseeland natürlich. Und das obwohl auch er lange im Ausland gelebt hat. Da ist er geboren, da gehört er hin. Ein bisschen betrachte ich Neuseeland auch als Heimat. Wenn allerdings seine Familienmitglieder wie so oft fragen «When are you moving back home?», klingt es trotzdem befremdlich. Direkt gefragt, sträube ich mich, Heimat mit Neuseeland gleichzusetzen.

Und das Fazit? Habe ich mehr als eine Heimat? Fühle ich mich in Neuseeland so heimatlich verwurzelt wie in Thüringen? Genauso viel oder genauso wenig? Wie sieht’s aus mit Dublin, Bangkok, Kuala Lumpur und London?
Gute Frage …


Die Originalfassung dieses Beitrags erschien in der KL-POST Ausgabe Juni 2016.


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