Gruppentherapie für Fortgeschrittene: Verzweifelte Kommissare in Rostock - „Polizeiruf 110: Sturm im Kopf“

Gruppentherapie für Fortgeschrittene: Verzweifelte Kommissare in Rostock -  „Polizeiruf 110: Sturm im Kopf“Im Rostocker Polizeipräsidium herrschte schon einmal bessere Stimmung. Kommissare vermöbeln sich gegenseitig, brechen wegen Liebeskummer am Kopierer in Tränen aus oder bekommen einen Nervenzusammenbruch, weil sie von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Kaum verwunderlich, dass Hauptkommissar Bukow (einmal mehr grandios: Charly Hübner) auf die Ankündigung seiner Kollegin König (Anneke Kim Sarnau), dass man in die Psychiatrie müsse, mit einem knappen „Na endlich!“ antwortet.
In der Psychiatrie wartet auf die beiden Max Schwarz (stark: Christien Friedel), ein Mann ohne Gedächtnis. Er hätte jemanden erschossen, sagt er, nur wissen tue er nichts. Weder an seinen Namen noch an die Tat erinnere er sich, eröffnet er den beiden Kommissaren. Die Ärztin (Anne Weber) erklärt, es sei so, als besäße er zwar seine Festplatte noch, aber jemand habe ihm den Stecker gezogen. Schnell kommt Bukow, König und den Kollegen Thiesler (Josef Heyner) und Pöschel (erfrischend: Andreas Guenther) der Verdacht, er könne etwas mit dem Tod von Achim Hiller zutun haben. Der war Chef der Hilgro Wind AG, ein Großkonzern, der in der Windindustrie viel Kohle scheffelt. Und wie sich herausstellt, war Schwarz dort in der IT-Abteilung tätig. Die Sache scheint klar, aber da ist natürlich noch die Frage nach dem Motiv...

Gruppentherapie für Fortgeschrittene: Verzweifelte Kommissare in Rostock -  „Polizeiruf 110: Sturm im Kopf“

Mann ohne Gedächtnis: Max Schwarz (Christian Friedel) ©NDR/Christine Schroeder


Die Frage nach dem Motiv lösen die Kommissare zwar in Windeseile – aber hier liegt die größte Schwäche des von Florien Oeller geschriebenen und von Christian von Castelberg handwerklich ordentlich inszenierten Polizeirufs. Denn Schwarz war sozusagen Whistleblower und hat schumutzige Betriebsinterna gefunden und seinen Ex-Chef damit erpresst. Leider war so etwas vorauszuahnen, denn immer wenn auf der Bildfläche das LKA auftaucht und die Ermittlungen (mal wieder) torpediert oder wenn irgendwelche Staatssekretäre erscheinen, dann ist es im Sonntagskrimi stets wie folgt: Die böse Politik und die bösen Großkonzerne machen in den Hinterzimmern nur unlautere Geschäfte. Zum Gähnen und wirklich schade, dass der Film in diese Richtung abdriftet, denn anfangs macht „Sturm im Kopf“ echt Lust auf mehr.
Das liegt besonders an der Fülle von geheimnisvollen Figuren. Neben dem Gedächtnislosen gibt es den Nachfolger von Hiller (großartig: Ole Schloßhauer), der auf der Toilette verzweifelt die Aussagen für ein anstehendes Interview übt und sich auch ansonsten äußerst merkwürdig verhält. Dann gibt es da noch ein Mädchen, über deren Identität man lange rumrätselt. Oder auch die Frau von Schwarz (Marie Leuenberger). Sie verbirgt auch irgendetwas – nur was? Und der Tote erst. Im Backofen seiner „scheißgeilen Bude“ (O-Ton Bukow) liegt noch die Bedienungsanleitung und es finden sich Kondome, was den ruppigen Hauptkommissar zur Schlussfolgerung kommen lässt: „Er war mehr so der Typ identitätsloser Ficker.“ Identitätslos ist lange Zeit auch der geheimnisvolle, wohl-gebräunte Mann (Hilmar Eichhorn), bis er sich später als Auftragskiller außer Form entpuppt. Und dann wäre da noch die Assistentin vom Toten (Pheline Rogga), die mit Kommissar Pöschel ins Bett steigt, aber ebenfalls ein Spiel mit falschen Karten spielt.

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Leidet an Liebeskummer: Kommissar Pöschel (Andreas Guenther) ©NDR/Christine Schroeder


Und da sind wir wieder im Polizeipräsidium mit den ganzen Patienten angelangt. Lange Zeit ermitteln die Kommissare in diesem Dickicht aus Fragezeichen, lange Zeit macht das Spaß – bis sich die Fragezeichen lichten und die Kommissare verzweifeln. Pöschel („In diesem Spiel habe ich den Längeren, Bitch!“) ist die Heulsuse am Kopiergerät, weil es wieder mal nicht funktioniert hat mit einer Dame. Bukow knallt Thiesler eine, weil der ja bekanntlich mit seiner Frau ins Bett gestiegen ist – und Bukows Frau (Fanny Staffa) möchte statt der beiden Ermittler nun nur noch die Scheidung. Ein Kommissariat und ein Krimi lauter einsamer Männer. Das Quartett der Gefrusteten vollendet König. Vor ihrer Zeit in Rostock war sie beim LKA beschäftigt, wurde aber zwangsversetzt, weil sie sich schon damals schon mit einem dunklen Geheimnis Hillers und der Hilgro Wind AG auseinander gesetzt hat. Was genau da los, war lässt der Film unbeantwortet. Aber es nagt noch immer an ihren Nerven, so sehr, dass auch sie einmal zusammenbricht.

Gruppentherapie für Fortgeschrittene: Verzweifelte Kommissare in Rostock -  „Polizeiruf 110: Sturm im Kopf“

©NDR/Christine Schroeder

Dass Kommissare nicht nur Fragen nach dem Motiv stellen, sondern auch Menschen mit Geschichten sind, ist wünschenswert. Aber in Rostock entwickelt sich das Team mittlerweile zu sehr in Richtung Gruppentherapie für Fortgeschrittene. Das geht sogar soweit, dass sich das Team einmal zur Teamsitzung – wenn auch eher unfreiwillig – auf der Frauentoilette trifft. Da mag man nur hoffen, dass sie ihre Probleme bis zum nächsten Fall im Klo herunter gespült haben.

BEWERTUNG: 6,5/10Titel: Polizeiruf 110: Sturm im KopfErstausstrahlung: 01.03.2015Genre: KrimiRegisseur: Christian von CastelbergDarsteller: Charly Hübner, Anneke Kim Sarnau, Josef Heynert, Andreas Guenther, Christian Friedel, Ole Schloßhauer u.v.m.  

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