Griechenland 2016 – Tag 8: Von Inneren Schweinehunden, Notsonnencremes und Urlaubsbekanntschaften

Es ist bereits 8.45 Uhr als ich die Augen öffne. So lange habe ich hier noch nie geschlafen. Fühlt sich ungewohnt an. Aber gut.

Guten Morgen, Psakoudia.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 31. Jul 2016 um 0:03 Uhr

Eigentlich müsste ich heute die gestrige Laufrunde nachholen. Jetzt um kurz vor 9 Uhr ist es aber wahrscheinlich schon zu heiß dafür. Der innere Schweinehund stimmt mir zu. Erkläre ihm, ich stünde dafür morgen extra früher auf, um zu joggen. Der innere Schweinehund klopft mir anerkennend auf die Schulter, dann entfernt er sich. Sein schallendes Gelächter klingt mir noch eine Weile im Ohr.

Nötige den Sohn, mit mir Brötchen zu holen. Er ist enttäuscht, dass wir diesmal keine spannenden Tiere entdecken. Nur eine platt gefahrene, vertrocknete Kröte. Die kann aber niemanden mehr auffressen und ist deswegen langweilig.

Selbstbild als platte, vertrocknete Kröte.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 31. Jul 2016 um 7:44 Uhr

Da es schon relativ spät ist, sind beim Bäcker die fluffigen Brötchen aus. Erkläre dem Sohn, dass wir dann halt zu der anderen Bäckerei gehen müssten. Er ist nur mäßig begeistert und sagt, er habe Riesenhunger und wir könnten doch einfach irgendein Brot nehmen. Beuge mich runter und erläutere ihm mit ernster Miene, der Tag würde nur ein guter Tag, wenn es fluffige Brötchen zum Frühstück gibt. Der Sohn schaut mich an, als habe ich in den letzten Tagen zu viel Sonne abbekommen und könne nicht mehr klar denken. Er muss halt noch viel lernen, der Junge.

Bäcker-Bier-Werbung.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 31. Jul 2016 um 0:06 Uhr

In dem anderen Laden gibt es die ersehnten fluffigen Brötchen. Überlege kurz, der älteren Bäckersfrau um den Hals zu fallen. Lasse es aber bleiben, denn so eine Geste der unschuldigen Dankbarkeit wird ja auch schnell mal missverstanden. Außerdem möchte ich dem Sohn keine weiteren Gründe liefern, mich für unzurechnungsfähig erklären und einweisen zu lassen.

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Bevor wir an den Strand gehen, stellen wir fest, dass unsere Sonnenmilch-Vorräte fast komplett aufgebraucht sind. Vier Flaschen für vier Personen in sieben Tagen. Kein schlechter Schnitt.

Sage zur Frau, nach dem Urlaub solle unser Bankberater, Aktien von Sonnenmilch produzierenden Firmen kaufen. Und in die griechische Feta-Industrie solle er auch für uns investieren. Das seien zwei totsichere Anlagen. Quasi unser lang ersehnter 6er im Lotto. Mit Zusatz- und Superzahl und allem Drum und Dran.

Die Freundin erwidert, wir hätten überhaupt keinen Bankberater. Danach stellt sie einige Mutmaßungen über die ungünstige Auswirkung von zu langem Sonnenbaden auf meine intellektuelle Leistungsfähigkeit an.

Die Frau meint, bei mir setze langsam die Urlaubsverblödung ein.

Ich weiß nicht, was sie damit meint.

q.e.d.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 31. Juli 2016

Auf dem Weg zum Strand gehen wir in einen Mini-Market, der sich durch ein überschaubares Sortiment zu überzogenen Preisen auszeichnet, um neue Sonnencreme zu erwerben. Mit teutonischer Arroganz schrecken wir davor zurück, bei den einheimischen Produkten zuzugreifen, wo außer dem Lichtschutzfaktor für uns nicht einmal ersichtlich ist, ob es sich um Sonnenmilch oder Selbstbräuner handelt. Stattdessen wählen wir eine Sonnencreme eines deutschen Herstellers (den mit den blauen Metalldosen), denn das wird schon okay sein. Allerdings sind die Etiketten bei dieser Marke ebenso ausschließlich in Griechisch gehalten, so dass man auch nicht wirklich weiß, was da alles drin steckt.

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Am Strand gibt es erstmal eine unliebsame Überraschung: Die Liegen, die wir seit einer Woche jeden Tag eingenommen haben wie so deutsche Pauschaltouristen im Club Med, sind schon belegt. Von einer niederländischen Familie. Bin etwas verstimmt, dass unser Stammkellner unsere Plätze nicht gegen diese holländischen Flodders verteidigt hat. Womöglich ist es für ihn doch nichts Ernstes mit uns, sondern nur eine rein geschäftliche Beziehung.

Nun müssen die Frau und ich Entscheidungen treffen, die uns im Urlaub überfordern. Wollen wir näher am Meer liegen oder mehr im Schatten? Sollen es vier Liegen nebeneinander oder jeweils zwei hintereinander sein? Ist uns die Nähe zur Bar wichtiger oder die Distanz zum DJ?

Sehr schnell stellt sich heraus, dass wir das Kriterium der Entfernung zur Musik zur unzureichend in unserem Entscheidungsfindungsprozess berücksichtigt haben. Die neuen Liegen (Ich möchte sie lieber als ‚Notliegen‘ bezeichnen.) stehen in unmittelbarer Nähe vor den Boxen des DJs. Wir liegen gewissermaßen mit unseren Köpfen direkt in den Boxen.

Das ist sehr ungünstig, denn der DJ will sich heute anscheinend selbst untertreffen und legt wieder ein Worst-Of dilettantisch zusammengemixter griechischer Sommer-Hits auf, mit dem er uns einem musikalischen Waterboarding unterzieht.

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Der Sohn ist nach unserem gestrigen Rekordballwechsel im Wasser-Volleyball-Fieber und erklärt, heute würden wir 50 Mal schaffen. Dann überlegt er kurz und erhöht auf 100. Da alles besser ist als die Musik der Hölle, die der DJ aus den Boxen pustet, erkläre ich mich bereit, mit dem Sohn ins Wasser zu gehen.

Der Einstieg in das selbige ist jedoch eine äußerst delikate Angelegenheit. Der Sand ist sehr heiß, so dass man ihn nur mit kleinen schnellen Trippel-Schritten überqueren kann, wobei man hektisch mit den Armen in der Luft rumfuchtelt, um dann an der Wassergrenze stark abzubremsen, damit man nicht zu schnell in dem kalten Nass landet.

Steige langsam ich knöcheltief ins Meer. Belle dort erstmal zwei griechische Knaben an, die es wagen, den 20-Meter-Sicherheitsabstand, der mir in allen Meeresgewässern weltweit durch internationale Verträge zugesichert ist, aufs Gröbste verletzen und in geradezu fahrlässiger Weise im Wasser herumtollen, wobei sie billigend in Kauf nehmen, dass ich einen Herzinfarkt erleiden könnte, wenn ich mit dem kalten Wasser bespritzt werde. Dann war’s das mit den Fremdenverkehrs-Einnahmen, die wir hier in Psakoudia leisten. Das müssen diese kleinen Tunichtgute auch mal bedenken und sich ihrer gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Verantwortung bewusst werden.

Begebe mich nun schrittweise ins Wasser und benetze erst einmal vorschriftsmäßig meine Handgelenke, um den Puls an den zu erwartenden Temperatursturz zu gewöhnen. Bei jeder Welle, die ein wenig höher an die noch trockenen Stellen meines Oberkörpers schwappt, unterdrücke ich den Impuls, falsettartig hohe Schreie auszustoßen. Stattdessen klinge ich wie ein fiependes Meerschweinchen.

Dies macht alles nicht gerade einen sehr souveränen Eindruck. Insbesondere nicht vor den griechischen Strandschönheiten, die sich neben mir im Wasser tummeln. Nun gilt es erst einmal, den Rücken durchzudrücken, die Brust vorzuschieben und den Bauch einzuziehen. Und dann den Wassereinstieg betont lässig fortzusetzen.

Denke, dass das ja auch irgendwie reichlich bescheuert ist. Ich bin jetzt 41 Jahre alt, habe zwei Kinder und bin beruflich nicht vollkommen unerfolgreich. Da muss ich niemandem irgendetwas vormachen. Außer halt den griechischen Strandschönheiten, die kichernd neben mir schwimmen. Erkläre daher dem Sohn, wir müssten unseren neuen Rekordversuch noch ein wenig verschieben, damit ich mich mental darauf vorbereiten könne. Verlasse sehr würdevoll das Wasser, um dann sehr würdelos über den heißen Sand zu unseren Liegen zu rennen.

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Die Tochter hat in den letzten Tagen am Strand ein paar gleichaltrige Mädchen kennengelernt, mit denen sie jetzt immer abhängt. Es wurden schon Instagram-, Snapchat- und Musical.ly-Namen ausgetauscht und die Mädels sind alle BFFs. Best Friends Forever. Wobei das Verfallsdatum des ‚Forever‘ wahrscheinlich kurz nach dem Urlaub erreicht sein wird. So ist das nun mal.

Dass die Kinder Urlaubsbekanntschaften machen, mit denen sie sich die Zeit vertreiben, ist natürlich sehr erfreulich. Es entlastet einen ja erheblich, wenn man sich nicht pausenlos um die Freizeitgestaltung der eigenen Brut kümmern muss, damit keine Langeweile auftritt.

Weniger erfreulich ist aber, dass diese anderen Kinder Eltern haben. Und dass es da anscheinend gewisse Erwartungshaltungen gibt, sich zu unterhalten, wo doch die Kinder so schön miteinander spielen. Da muss man dann soziale Kompetenz vortäuschen und Interesse kundtun, wo denn die anderen herkommen, wie lange sie schon da sind, wie lange sie noch bleiben und so weiter und so fort. Und schon ist die zukünftige Ruhe am Strand erheblich gefährdet.

Ohnehin bin ich mit der Anzahl der Menschen die ich kenne, ganz zufrieden. Es sind eigentlich bereits so viele, dass ich mir ihre Namen gar nicht mehr alle merken kann. Frühere Klassenkameraden, ehemalige Kommilitonen, alte Arbeitskollegen, neue Arbeitskollegen, Mitglieder aus Sportvereinen, Eltern aus der Schule und aus dem Kindergarten, Nachbarn, Verwandte, der DHL-Bote, die Kioskbesitzerin von nebenan, die eigene Frau und die Kinder. Das reicht mir vollkommen, da muss ich gar keine neuen Menschen im Urlaub kennenlernen. Schon gar nicht, wenn man sich mit ihnen unterhalten muss.

Die Frau und ich sind sowieso ein wenig menschenscheu. Fremde Menschen sind uns immer ein bisschen unheimlich. Vielleicht finden sie Florian Silbereisen gut, wählen AfD oder essen gerne Rosenkohl. Das weiß man vorher ja alles nicht. Und will man auch gar nicht.

Deswegen bin ich bemüht, Urlaubsbekanntschaften tunlichst zu vermeiden. Diesem Ziel kommt man übrigens sehr nahe, wenn man am Strand liegt und regelmäßig Notizen in einem roten Büchlein macht. Dann halten einen alle für einen ex-Stasi und keiner will etwas mit einem zu tun haben. Außer vielleicht echte ex-Stasis. Aber die wissen, dass ex-Stasis gar nicht in rote Notizbüchlein schreiben und wollen deswegen auch nichts mit einem zu tun haben.

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Auf dem Heimweg vom Strand kommen wir wie jeden Tag an dem Souvenir-Laden vorbei. Die Postkarten in den Dreh-Ständern winken mir zu und rufen: „Kauf uns!“

Vor dem Laden hockt Komm-ich-heut-nicht-komm-ich-morgen, gönnt sich einen Eiskaffee und winkt ab. Dazu wäre in den nächsten Tagen doch immer noch Zeit. Dann bricht er auf, um sich mit dem inneren Schweinehund an der Strandbar auf ein Bier zu treffen.

Ich habe eine Melone getragen. Also, eine halbe.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 31. Jul 2016 um 7:15 Uhr

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Stelle später beim Duschen fest, dass ich die neue Sonnencreme (Ich möchte sie lieber ‚Notsonnencreme‘ nennen.) anscheinend nicht so richtig gut vertrage. Habe im Brustbereich und an den Unterarmen überall rote Pustelchen. Kaum ist die Sonnenlotion mal nicht ultra-sensitiv, anti-allergen und frei von jeglichen Zusatz- und Duftstoffen, sieht man aus wie ein Streuselkuchen. Wobei man damit dem armen Streuselkuchen doch sehr unrecht tut. Wer würde ihn schon essen, wenn er aussähe, als sei er mit eitrigen Pickelbeulen überzogen?

Mit der pickligen Haut fühlt man sich fast, als sei man wieder jung. Fühlt sich gar nicht so gut an. Hat es damals ja auch nicht. Außerdem juckt es unangenehm. Also, nicht das Damals, sondern das Jetzt. Auch keine schöne Metapher: Die Gegenwart als juckende Hautirritation.

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Das Abendessen ist heute wieder streng griechisch: Irgendwelches Gemüse mit Feta. Dazu gebackenen Feta. Entwickle, während wir essen, die Geschäftsidee, mit Feta überbackenen Feta auf den Markt zu bringen und damit Milliardär zu werden. Mit dem Geld können wir uns dann endlich einen Bankberater zulegen, der unser Vermögen durch Sonnenmilch-Aktien vervielfacht. Die Frau findet, ich solle weniger Mythos-Bier trinken.

Beim abendlichen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen gewinne ich. Laut der Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Verordnung von 1831 kommt dann die aktualisierte Version von 2016 zum Tragen, nach der der Erstplatzierte – das bin zufälligerweise ich – der Erstplatzierte bleibt.

Gute Nacht!

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Alle Beiträge des Griechenland-2016-Tagebuchs gibt es hier.


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