Griechenland 2016 – Tag 7: Von inneren Schweinehunden, erotischen Strand-Beobachtungsstudien und kaputten Duschköpfen

Wache morgens um 8.05 Uhr auf. Eigentlich stünde mal wieder eine Laufrunde an. (Ganz eigentlich hätte sie ja gestern schon angestanden, aber am Geburtstag joggen zu gehen, wirkt so calvinistisch überdiszipliniert. Das macht einen dann ein wenig unsympathisch.) Gerade mit zunehmendem Alter darf man, was das Sporttreiben angeht, nicht nachlässig werden. Allerdings bin ich gestern Abend recht spät ins Bett gegangen, weil ich noch ganz viele Geburtstagswünsche auf den drölfzig Social-Media-Kanälen beantwortet habe. Das sehr reichhaltige Essen gestern sowie der überdurchschnittliche Konsum alkoholischer Getränke sprechen ebenfalls dagegen, heute in der Früh durch Psakoudia zu laufen und sich mit den Straßenkötern Wettrennen zu liefern.

Der innere Schweinhund pflichtet mir bei, dass dies alles sehr gute Gründe seien, die Laufschuhe Laufschuhe sein zu lassen und sich stattdessen erstmal ein opulentes Frühstück zu gönnen. Wo er Recht hat, hat er Recht. Und morgen ist ja auch noch ein Tag zum Laufen. Der innere Schweinehund nickt. Dann bricht er in schallendes Gelächter aus.

Beim Frühstück animiere ich Tochter und Sohn, Nektarinen zu essen. Wenn man schon nicht laufen geht, muss man zumindest konsequent sein, was das Essen angeht. Zumindest denke ich das, während ich mein fluffiges Brötchen mit Schoko-Creme einverleibe.

„Kinder, esst mehr Obst.“

Und anderer Unsinn, den ich im Urlaub sage.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 30. Juli 2016

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Am Strand hat unser Kellner einen jungen Kollegen im Schlepptau, den er anscheinend anlernt und der unsere Bestellung aufnimmt. Das soll man natürlich unterstützen, wenn junge Menschen an die Erwerbsarbeit herangeführt werden und einen Beitrag zur Bruttowertschöpfung leisten wollen. Ist ja wichtig. Volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch gesehen.

Möchte aber trotzdem von unserem Kellner bedient werden und nicht von irgendeinem dahergelaufenen Lümmel, der sich in den Schulferien ein paar Euro verdienen will, und dem ich erst lang und breit erläutern muss, was jeder von uns haben will, wo Milch rein muss, wo Zucker und wo gar nichts. Sie wissen schon, die lieb gewonnenen Urlaubsgewohnheiten. (Und mein Mangel an geistiger Flexibilität.)

Guten Morgen Psakoudia.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 29. Jul 2016 um 22:49 Uhr

Der Strand-DJ überrascht heute damit, dass er auf seine übliche avantgardistische Elektro-Musik verzichtet. Sein akustisches Alternativprogramm ist aber auch nicht besser. Er legt irgendwelche Sommerhits auf, bei denen Frauen mit dünnen Stimmchen einfältige Melodien trällern und zwischendurch von mäßig talentierten rappenden Männern unterbrochen werden. Dachte eigentlich, dass diese Art von Musik seit der Auflösung von ‚Mr. President‘ in die musikalische Vorhölle verbannt wurde. Aber anscheinend kommen diese Songs wie Untote immer wieder zurück. Stelle fest mit ungläubigem Erstaunen fest, dass einige der Badegäste sich tatsächlich zum Rhythmus der Lieder bewegen. Sind wahrscheinlich auch alles Zombies.

Aber nicht nur die musikalische Beschallung ist heute eine andere. Die Sozialstruktur der Strandbesucherinnen und –besucher hat sich am Wochenende ebenfalls stark verändert. Der Anteil junger Menschen ist viel höher als unter der Woche. Dies gibt mir die Möglichkeit, einige interessante anatomische Beobachtungsstudien anzustellen.

Junge griechische Männer scheinen sehr viel Zeit beim Sport und im Fitnessstudio zu verbringen. Sie verfügen ausnahmslos alle über eine beneidenswerte Physis: Körperfettanteil im niedrigen einstelligen Bereich, athletischer Körperbau mit breiten Schultern und schmalen Hüften sowie eine ausdefinierte Muskulatur als seien sie von Gunther von Hagens plastiniert worden. Man ist quasi von fleischgewordenen antiken Götterstatuen umgeben.

Irgendwann setzen beim griechischen Mann anscheinend aber starke physische Verfallsprozesse ein. Die Ü50-Körper müssen alle der Schwerkraft Tribut zollen und sind durch hängende Männerbrüste, ausufernde Gesäße und wabbelige Kugelbäuche charakterisiert. Allerdings eröffnet ihnen dies auch die berufliche Perspektive, ein einträgliches Auskommen als Free-Willy-Lichtdouble zu erzielen.

Aufgrund dieser unterschiedlichen körperlichen Konstitution der männlichen Strandbesucher, ist es essenziell wichtig, wo man sich selbst aufhält. Es ist sehr von Vorteil, die Nähe zu den älteren Griechen zu suchen. Neben ihnen erscheint man trotz der ein oder anderen ausgelassenen Laufeinheit und des ein oder anderen nicht ausgelassenen Stück Kuchens als einigermaßen sportlich und durchtrainiert. Gerät man jedoch aufgrund einer Unachtsamkeit neben einen dieser adonishaften Jünglinge wirkt man sofort wie ein weißer Mehlsack, der mit cellulitären Beinen über den Strand stapft.

Bei den griechischen Frauen sind sehr ähnliche Phänomene festzustellen. Junge Griechinnen unter 30 sehen allesamt wie Unterwäsche-Models aus. Selbst wenn sie mehrere Kinder zur Welt gebracht haben, verfügen sie immer noch über makellose Figuren und könnten jederzeit auf dem Cover der griechischen Ausgabe von ‚Sports Illustrated‘ abgebildet werden. Flache Bäuche, knackige Hintern, feste, wohlgeformte Brüste, reine, leicht gebräunte Haut, so weit das Auge reicht. Und diese schönen Helenas tragen alle extrem knappe Bikinis, die mehr verheißen als verhüllen. (Sicherlich freut sich die Gattin sehr über mein wissenschaftliches Interesse an der Anatomie junger Griechinnen und darüber, dass ich in der Lage bin, meine Erkenntnisse in solch wohlfeilen aber gleichzeitig respektvollen Worten zum Ausdruck zu bringen.)

Über die körperliche Beschaffenheit der griechischen Seniorinnen möchte ich mich hier aber nicht auslassen, um nicht den Eindruck zu erwecken, ein chauvinistischer Sexist zu sein, der Frauen objektifiziert und auf ihre Körper reduziert. (Diesen Eindruck haben sie ja ohnehin schon durch den vorherigen Absatz gewonnen.)

Selbstbild als durstige, versehrte Heuschrecke am Wegesrand.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 30. Jul 2016 um 10:03 Uhr

Wo viele junge Menschen bei gutem Wetter und ausgelassener Stimmung zusammenkommen, wird selbstverständlich auch viel geflirtet. Dies erlaubt mir weitere – nicht-teilnehmende – Beobachtungsstudien sozialwissenschaftlicher Natur: Über das Balzverhalten griechischer junger Männer an Stränden des ägäischen Meeres. (Freue mich schon darauf, dies nach dem Urlaub an der Humboldt-Universität zu Berlin meinem alten Professor als Thema meiner Doktorarbeit vorzustellen.)

Einige der jungen Griechen scheinen so sehr von ihrer erotischen Wirkung überzeugt zu sein, dass sie diese den jungen Griechinnen nicht vorenthalten wollen. Dazu nähern sie sich ihnen wie notgeile Pick-up-Artisten und versuchen sie mit Sprüchen wie „Gibt es am Strand noch andere Sehenswürdigkeiten außer dir?“ und „Ich habe meine Telefonnummer verloren. Kannst du mir deine leihen?“ in Unterhaltungen zu verwickeln. (Da ich der griechischen Sprache nicht mächtig bin, kann ich meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass exakt diese Worte fallen, aber so wie die baggernden Knaben ausschauen, müsste das ungefähr ihr Niveau sein.)

Jedoch verfügen viele der Angesprochenen anscheinend über fortgeschrittene Expertise als Abblitz-Artistinnen und beenden die Anmachversuche meist kurz und schmerzvoll. Einige der Abfuhren scheinen so eiskalt zu sein, dass die betroffenen Männer überlegen, auf die nahegelegene Mönchsinsel Athos überzusiedeln, die von Frauen nicht betreten werden darf, um dort ein Leben in keuscher Enthaltsamkeit zu führen.

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Während ich vertieft meine Beobachtungsstudien verfolge, kommt der Sohn und fordert unser tägliches gemeinsames Aqua-Sportprogramm ein. Finde, dass mir bei der am Strand allgegenwärtigen und – fast – mit Händen greifbaren Erotik ein wenig Abkühlung ganz gut tut.

Der Sohn will mal wieder Wasser-Volleyball spielen. Dabei schafft er es, jeden Ball genau 20 cm zu kurz zu pritschen, so dass er direkt vor mir aufkommt und Salzwasser-Fontänen in mein Gesicht spritzt. Nach kurzer Zeit läuft mir eine salzige Sonnenmilch-Schmiere in die Augen und führt zu monsunartigen Tränenflüssen.

In Gegenwart der von mir eben beschriebenen hellenischen Grazien macht dies einen eher ungünstigen Eindruck. Weinenden Männern wurde vielleicht in den 1990er Jahren in der Hochphase der viel umjubelten Metrosexualität eine gewisse Attraktivität zugeschrieben, aber nicht mehr in den 10er-Jahren des 21. Jahrhunderts. Oder können Sie sich vorstellen, dass Jason Bourne knietief im Meer steht und wie ein altägyptisches Klageweib heult? Genau, ich auch nicht.

Unterbreche daher unser Spiel und unterhalte den Sohn mit Geschichten, wie ich früher in der Schulmannschaft Volleyball gespielt habe. Er ist schwer beeindruckt. Möchte nicht ausschließen, dass dies daran liegt, dass meine Schilderungen klingen, als hätte ich seinerzeit kurz vor der Berufung in die Volleyball-Nationalmannschaft gestanden. Ganz auszuschließen war das damals aber auch wirklich nicht. Wenn ich mehr Sprungkraft, mehr Ballgefühl und einfach mehr Talent besessen hätte.

Motiviert durch meine Schilderungen möchte der Sohn weiter spielen. Diesmal entwickeln wir einen verbissenen Ehrgeiz, wie man ihn das letzte Mal gesehen hat, als Oliver Kahn bei einer Benefiz-Veranstaltung alle von F-Jugendlichen geschossenen Strafstöße gehalten hat, obwohl sie bei jedem Treffer, Geld für einen guten Zweck gewonnen hätten. Dadurch schaffen wir es tatsächlich, uns den Ball 40 Mal ohne Unterbrechung zuzupritschen. Das feiern wir mit einem markerschütternden Jubelschrei, der über die gesamte Chalkidiki hallt, als wäre Griechenland gerade noch einmal Fußball-Europameister geworden. (Das wird selbstverständlich nicht noch einmal passieren. Nie, nie, nie, niemals.)

Der Sohn verlässt das Wasser und erzählt seiner Mutter mit stolz geschwellter Brust von unserem Rekord-Ballwechsel. Er sei so gut im Volleyball, dass er vielleicht auch mal fast in der Nationalmannschaft spielen wird. Wie der Papa. Die Gattin hebt skeptisch die linke Augenbraue und hüllt sich dann in Schweigen.

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Apokalypsis. Zimmervermietung bis zum letzten Tag.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 30. Jul 2016 um 9:36 Uhr

Nach dem Strandbesuch gehen die Frau und ich noch einkaufen. Neben den Lebensmitteln des täglichen Bedarfs, d.h. Feta in industriellen Mengen, Mythos-Bier, Schoko-Aufstrich und Alibi-Obst, müssen wir auch einen neuen Duschkopf besorgen. Der alte ist nämlich kaputt gegangen. Wie dies passiert ist, muss hier allerdings unerwähnt bleiben. (Die Frau hat mir nämlich unmissverständlich zu verstehen gegeben, sie verbitte es sich, dass ich hier schreibe, ihr sei der Duschkopf aus Schusseligkeit runtergefallen und dabei abgebrochen. Diesen Wunsch respektiere ich selbstverständlich.)

Sollten die Ferienhaus-Vermieter dies lesen, sei ihnen versichert, dass dies nur ein kleiner Scherz zur Erheiterung der Leserinnen und Leser ist, und die Wohnung samt Einrichtung selbstverständlich in tadellosem Zustand ist. Sollte allerdings jemand dies lesen, der sich in Psakoudia und näherer Umgebung auskennt, wäre ich für einen Hinweis dankbar, wo es in fußläufiger Entfernung ein Sanitärfachgeschäft gibt, denn in den örtlichen Supermärkten konnten wir keine Handbrausen finden.

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Um uns der hellenistischen kulinarischen Assimlierung zur Abwechslung mal ein wenig entziehen, kocht die Frau zum Abendessen Tortellini mit Tomatensauce. Da wir auf einen gewissen griechischen Touch aber nicht verzichten wollen, gibt es dazu noch Tomatensalat mit ordentlich Feta.

Unsere obligatorische Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Runde gewinnt die Frau. Allerdings besagt die Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Ordnung von 1831, dass für den Fall, dass ein Spieler alle Figuren im Häuschen hat, ein anderer aber noch keine einzige – das bin zufällig ich –, letzterer zwingend zum Sieger zu erklären ist.

Gute Nacht!

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Alle Beiträge des Griechenland-2016-Tagebuchs gibt es hier.


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