Griechenland 2016 – Tag 10: Von juckenden Armen, schmerzhaften Schürfwunden und leckeren Mitbringseln

Öffne ganz langsam die Augen. Es ist kurz nach halb Neun. Eine in meinem Alter geradezu lotterlebenhafte Aufstehzeit. Als nächstes lasse ich mir dann die Haar lang wachsen.

Irgendetwas juckt an meinem linken Unterarm. Anscheinend haben dort heute Nacht ein paar Mücken eine wilde Party gefeiert. Er ist ordentlich zerstochen.

Aber ich darf nicht kratzen. Als guter Vater muss man ja ein Vorbild sein. Den Kindern sagt man auch immer, dass sie sich bei Mückenstichen nicht kratzen sollen, weil es sonst noch mehr juckt. Aber wen juckt das schon, ob man ein guter Vater ist? Die Kinder. Die wollen, dass ich ein guter Vater bin. Und mich. Mich juckt es auch. Und ich will trotzdem ein guter Vater sein. Und die Mückenstiche juckt es anscheinend auch. Denn die jucken. Aber die können sonst ja auch nichts. Außer jucken. Und das tun sie.

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Um nicht die ganze Zeit ans Jucken und Kratzen zu denken, stehe ich auf und gehe auf den Balkon. Dort sitzt der innere Schweinehund und trinkt Kaffee. Schaue ihn fragend an. Heute stünde doch gar kein Laufen auf dem Programm, sage ich. Da habe er sich wohl im Datum geirrt, entschuldigt er sich. Dann trinkt er schnell den Kaffee aus und verabschiedet sich mit einem fröhlichen „Bis Morgen!“

Guten Morgen, Psakoudia!

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 1. Aug 2016 um 23:32 Uhr

Fordere danach den Sohn auf, mit mir Brötchen zu holen. Er schaut, als hätte ich ihm gerade mitgeteilt, er müsse bis zum Ende des Urlaubs in den Mienen von Moria arbeiten. Muss er aber nicht. Sondern lediglich eine Strecke von 500 Metern zurücklegen und auf dem Rückweg eine Tüte mit Frühstücksgebäck tragen.

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Bevor wir nach dem Frühstück an den Strand gehen, schauen die Frau und ich noch bei der Touristen-Information vorbei. Dort erklären wir dem Mann an der Rezeption, wir hätten uns das mit der Wanderung noch einmal überlegt und würden darauf verzichten. Er seufzt erleichtert auf. Offenbar sind wir doch keine entlaufenen Geisteskranke, die in der Gluthitze wandern wollen und bei Vollmond in einem satanischen Ritual halb Psakoudia meucheln.

Zur Freude des Mannes buchen wir für Donnerstag eine Motorboot-Lagunen-Tour. Irgendetwas müssen wir ja mal unternehmen, damit die Leserinnen und Leser nicht den (berechtigten) Eindruck gewinnen, wir seien träge Faulpelze, die im Urlaub ausschließlich am Strand rumgammeln. So eine Bootstour hatten wir vor fünf Jahren schon einmal unternommen. Da darf man in der Blauen Lagune (leider ohne die junge Brooke Shields) mit einem kleinen Motorboot rumschippern und kleine, idyllische Buchten ansteuern.

Kapitän Ahab furchtlos am Steuer

Kapitän Ahab furchtlos am Steuer (2011)

So richtig Spaß hat das damals niemandem gemacht, aber der Filter der Vergangenheit ist ja meistens gnädig und lässt einen vieles vergessen.

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Als wir schließlich am Strand ankommen, stelle ich fest, dass der DJ seinen gewerkschaftlich vorgeschriebenen freien Tag dazu genutzt hat, um die Boxen neu einzustellen, damit sie den Strand mit noch größerer Lautstärke beschallen können. So Kategorie Presslufthammer in Kombination mit Überschallflugzeug. Meines Erachtens wäre es sinnvoller gewesen, er hätte den Tag genutzt, um seine Playlist zu überarbeiten, damit er nicht permanent Musik spielt, bei der man sich seine Gedärme herausreißen möchte – oder noch besser die des DJs –, um sie sich als Hörschutz in die Ohren zu stopfen.

Heute terrorisiert der DJ das Strandpublikum mit seinem bekannten, aber nicht beliebten Sommerhit-Mix, der aus vier bis fünf Lieder besteht, die in immer wieder anderer Reihenfolge abgespielt werden. Dünne Frauenstimmchen trällern irgendetwas in einem Phantasie-Spanisch und der Texter – wenn man ihn denn überhaupt so nennen will – hat sich nicht entblödet, ‚Rumba‘ und ‚Zumba‘ und ‚Sun‘ und ‚Fun‘ zusammenzureimen. (Die Verwendung schlichter Paarreime scheint kein Prärogativ der deutschen Volksmusik zu sein.)

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In einem für uns ungewohnten Anflug von fast schon juveniler Spontanität zeigen wir uns heute veränderungsaffin und wählen freiwillig einen anderen Liegeplatz. Man muss sich ja auch mal abseits der ausgetretenen Pfade auf neuen Wegen bewegen. Diese sollten dann aber idealerweise in größtmöglicher Distanz zu den DJ-Boxen verlaufen.

Aber wir verwirren unseren Kellner nicht nur mit unserer unüblichen Platzwahl, sondern auch durch eine Abweichung bei unserer Bestellung, indem wir einfach mal zwei Cola Light ordern. (So Mitten im Urlaub werden wir halt doch noch total crazy. Kommt wahrscheinlich vom langen schlafen. Oder vom Mythos-Konsum.) Sein fast schon ängstlicher Blick signalisiert, dass er sich um unser geistiges Wohlbefinden sorgt.

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Döse dann ein wenig vor mich hin und versuche, mich zu erinnern, welchen Wochentag wir wohl haben. Es gelingt mir nicht. Ein Zeichen dafür, dass die maximale Urlaubsentspannung eingesetzt hat, in der Zeit und Raum keinerlei Bedeutung haben. Oder, dass mir die Beats der Strandmusik, den Hippocampus in meinem Gehirn weggewummert haben. Man weiß es nicht.

Es ist auf jeden Fall nicht Montag, denn der war ja gestern, als ich so früh aufgewacht bin. Das lässt eigentlich darauf schließen, dass heute Dienstag ist. Außer gestern war gar nicht gestern, sondern vorgestern. Oder übermorgen. (Bei genauer Betrachtung dieser Sätze scheint mir die Theorie des weggewummerten Hippocampus wesentlich wahrscheinlicher als die der totalen Urlaubsentspannung zu sein.)

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Heute hat der Sohn keine Lust auf Wasser-Volleyball. Stattdessen spielen wir das EM-Halbfinale Deutschland gegen Frankreich im Wasser nach und zwar durch 7-Meter-Werfen. (Das ergibt für Sie möglicherweise keinen Sinn, aber wenn man sich seit zehn Tagen bei 35 bis 40 Grad die Rübe weichkochen lässt, schert man sich nicht mehr allzu sehr um Logik und Rationalität.) Da ich den Part des französischen Torwarts übernehme, gelingt es mir, den letzten 7-Meter nicht zu halten und der Sohn verwandelt ihn zum Siegtreffer. (Er verkörpert dabei Thomas Müller, was das ganze Szenario noch unrealistischer macht.)

Weil der Sohn und ich gerade so gut in Fahrt sind, spielen wir noch schnell das Finale gegen Portugal durch. Die Portugiesen müssen jetzt sehr tapfer sein: Cristiano Ronaldo versemmelt den entscheidenden Schuss (bzw. Wurf) und Deutschland wird Europameister. Somit müssen die Fußball-Geschichtsbücher neu geschrieben und der EM-Pokal von Dafundo nach Frankfurt in die DFB-Zentrale geschickt werden.

Aber auf große Freude folgt ja meist großer Schmerz. Bei unserem überschwänglichen Jubel, in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit, ratsche ich mit meinem linken Fuß über den steinigen Meeresboden und schürfe mir die Haut am großen Zeh auf. Die älteren und sportaffinen Leserinnen und Leser erinnern sich vielleicht noch daran, wie seinerzeit dem Fußballer Ewald Lienen durch den Stollen eines gegnerischen Spielers der gesamte Oberschenkel aufgeschlitzt wurde. So ungefähr dürfen sie sich die Schwere meiner Verletzung vorstellen.

Aber ich möchte das gar nicht überdramatisieren. (Insbesondere, weil ich nicht weiß, ob unsere Auslandskrankenversicherung für Unfälle bei Extremsportarten aufkommt und ich da eventuell angeben muss, die Treppe hinuntergefallen zu sein.)

Selbstbild als halb verwelkte Blume im Vorgarten.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 2. Aug 2016 um 7:47 Uhr

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Während des abendlichen Feta-Essens entwickle ich eine neue Geschäftsidee, die es uns ermöglichen sollte, den Urlaub auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Schlage der Familie vor, dass wir uns der Feta-Industrie bzw. dem griechischen Ziegenbauer-Verband als Werbeträger andienen. Da habe ich sofort überzeugende Werbemotive vor Augen mit einer glücklichen Familie, die zufrieden am Abendbrot-Tisch sitzt und Feta isst. Dann noch einen Kameraschwenk auf die Sonne, die im ägäischen Meer versinkt, dann noch der Slogan „Feta – für Leckerschmecker“ und – zack – sprudeln die Milliardengewinne und für uns ein Millionenhonorar.

Der Rest der Familie ist noch nicht ganz überzeugt und möchte eigentlich nur in Ruhe essen.

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Nach dem Abendessen gehen wir noch einmal in den Ort, um Mitbringsel zu besorgen. Überlege im Souvenirladen, ob wir meinen Eltern und der Schwiegermutter und ihrem Lebensgefährten ein Bild einer griechisch-orthodoxen Ikone mitbringen sollen. Zwar ist keiner von ihnen griechisch-orthodox, aber in diesen Zeiten kann ein wenig religiöse Toleranz nichts schaden. Die Gattin ist trotzdem dagegen. (Obwohl sie für gewöhnlich die viel Tolerantere von uns beiden ist.)

Ein billig produzierter und entsprechend fragiler Kühlschrank-Magnet in Form der Chalkidiki findet ebenfalls nicht ihre Zustimmung. Der Sohn bringt den Plüsch-Kackhaufen ins Spiel. Dieser wird von mir abgelehnt.

Die Frau schlägt vor, kulinarischen Spezialitäten aus der Gegend mitzunehmen. Über so etwas würden wir uns immer freuen. Erwidere, wir könnten aber nicht davon ausgehen, dass jeder so verfressen ist wie wir. Da pflichtet sie mir bei, weist aber darauf hin, dass die Beschenkten dann länger etwas von den Mitbringseln hätten, da sie diese – im Gegensatz zu uns – nicht sofort aufäßen. Finde das einleuchtend und deswegen kaufen wir in rauen Mengen Olivenöl, Oliven, Ouzo und Honig.

Für meine Kollegin muss ich ebenfalls etwas kaufen. Es ist gute Tradition, dass wir uns gegenseitig etwas aus dem Urlaub mitbringen. Zumeist landestypische Kosmetik. Wir kennen uns schon so lange, dass das keiner von uns als subtile Botschaft missversteht, man solle doch bitte etwas mehr Wert auf die Körperhygiene legen. Oder ist es genau das, was mir die Kollegin seit zehn Jahren mitteilen will? (Ein Gedanke, den ich lieber nicht weiter vertiefen möchte.)

Urlaubs-Mitbringsel in lokalpatrotischer Verpackung.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 2. Aug 2016 um 10:32 Uhr

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Wieder zurück im Ferienhaus spielen wir zunächst eine Runde Kniffel. Drei der vier Familienmitglieder werfen einen Kniffel. Für diesen Fall schreibt die Kniffel-Verordnung von 1831 vor, dass der Spieler, der keinen Kniffel geworfen hat – das bin zufällig ich –, zum Gewinner erklärt werden muss.

Das anschließende Mensch-Ärgere-Dich-Spiel gewinnt die Gattin. Hier gibt es aber leider einen Paragraphen in der Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Verordnung von 1831, dass dann der Ehemann – das bin zufällig ich – zum Sieger gekürt werden muss. Das ist zugegebenermaßen eine recht reaktionär-patriarchalische Regelung, aber dafür kann ich ja  nichts. Schließlich habe ich mir die Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Verordnung von 1831 nicht einfach ausgedacht.

Gute Nacht!

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Alle Beiträge des Griechenland-2016-Tagebuchs gibt es hier.


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