Georg Kreisler ist tot

Georg Kreisler ist tot Am Dienstag ist es geschehen. In Salzburg. Kreisler wurde 89 Jahre alt. Habe es eben beim »Neuen Deutschland« entdeckt. Er sei »ein Meister des schwarzen Humors gewesen«, schreiben sie dort. Das macht mich traurig, sehr betroffen. R.I.P. und so. Alle sterben sie in letzter Zeit weg. David Bowie, Glenn Frey, der Lemmy, den ich vorher gar nicht kannte, Donna Summer und nun auch noch Georg Kreisler. Ich werde das gleich mal auf meiner Pinnwand anbringen. Bei Facebook drüben. Da erfährt man viel, wenn man seine Chronik so betrachtet. Wie ein kleines Nachrichtenportal. Dort werde ich Kreislers »Meine Freiheit, deine Freiheit« als »in memoriam« posten. Seinen Namen in Großbuchstaben. Ist ja doch eine Schlagzeile. Und Schlagzeilen setzt man in große Lettern. Es soll ja jedem gleich ins Auge stechen.

Neulich erfuhr ich vom Tode Donna Summers. Jemand verwies auf einen Artikel von »Spiegel Online«. »Donna Summer ist tot« lautete die Überschrift. Hm, wieder eine berühmte Persönlichkeit aus der Musik-Industrie gestorben, dachte ich mir. Geht derzeit wieder mal Schlag auf Schlag. Zu sagen hatte ich dazu nichts. Ich kommentiere solche Meldungen nie. Was soll man da anbringen? Trauer empfinde ich ja nicht. Und ein hingerotztes »R.I.P.« ist albern. Ich las, was die anderen so schrieben. Eine ältere Frau kommentierte mit »Ja, sterben sie denn alle?«. Drei Stunden war ihr Statement alt. Ein anderer setzte nur einen traurigen Smiley - vor vier Stunden. Zur ungefähr selben Zeit schrieb jemand - obligatorisch - »R.I.P.« und irgendwas von »Hot Stuff«. Einer, der seine Trauer mit dem Werk der Künstlerin verband, der schrieb, dass er ihr Ableben »on the Radio« vernommen hat. Der Artikel wurde mannigfach geteilt. Hie wie da wurde allerdings kommentiert.
Nach zwei Minuten hatte ich ein Déjà-vu. War diese Frau nicht schon mal gestorben? Mir war jedenfalls so. Ich erinnerte mich, dass ich bei der Nachricht an »The Full Monty« gedacht habe, an all die Typen, die in der Schlange beim Arbeitsamt standen und zu Summers Hit ihre kleine Choreographie abspulten. War sie also nicht schon vor längerer Zeit verschieden? Doch, das war sie. Im Mai 2012 um genau zu sein. Erst jetzt verstand ich auch, was einer der Kommentatoren meinte, als er kurz und knackig mit »Schon wieder?« kommentierte. Dasselbe war mir übrigens mit einer anderen Sache kurz zuvor passiert. Man verwies auf einen Artikel, in dem Merkel tönte, dass die Deutschen jetzt TTIP wollten. Na sieh an, dachte ich mir, die Frau hat ganz andere Probleme an der Backe und kümmert sich nebenher auch noch um die Verwirklichung des Freihandelsabkommens. Aber deswegen regt sich keiner öffentlich auf, nur bei der Flüchtlingsgeschichte. Es gab ja nur die vielen empörenden Kommentare unter dem Posting. Stündlich kam ein neuer dazu. Die Sache war aber die: Der Artikel war vom März letzten Jahres, also bereits zehn Monate alt. Aber die Zeitangabe schien tatsächlich niemanden zu interessieren.
Facebook ist wahrlich ein zeitloses Medium. Es schaltet alle zeitlichen Bezüge ab, macht alte Meldungen zur aktuellen Angelegenheit, wenn sich nur eine Masse von Benutzern findet, die das Alte aufwärmt. Plötzlich betrauert man den Tod einer Berühmtheit, die schon lange nicht mehr unter uns ist oder kritisiert die Kanzlerin für Statements, die sie vor einem Jahr abgesondert hat. Man fällt aus der Zeit, schwebt im öffentlichen Raum des Mediums dahin und alles ist gleichzeitig, ist zeitgleich. Ereignisse werden zum Wiedergänger, die man immer wieder kommentiert, immer wieder verinnerlicht, die man immer wieder als Neuigkeit neu in sich abspeichert, um sie scheinbar gleich wieder zu vergessen.

Man verspottet die Dummheit derer, die jetzt bösartig über Geflüchtete herziehen, die ihrem Hass freien Lauf lassen und sich synchron dazu als ungebildete Zeitgenossen outen. Parallel dazu hat man alle Nutzer des Netzwerkes ganz offensichtlich dergestalt abgerichtet, dass sie alles so konsumieren, indem sie es als gegenwärtig akzeptieren und kommentieren. Motto: Erst tippen, dann (vielleicht) recherchieren. Man reanimiert das Vergangene und holt es nochmals neu per Link und Post in die Gegenwart zurück. Das ist auch eine Form digitaler Demenz, eine Variante von Netzwerker-Dummheit. Es gibt viele dieser Sorte: Hasskommentare drüben und Recherchefaulheit hüben. Man ist konditioniert darauf, das aktuelle Geschehen unter »Freunden« zu thematisieren und sich dazu auszulassen, es mit Kommentaren zu versehen. Da man Facebook als Medium voller brandaktueller Meldungen betrachtet, in dem Menschen das Neueste hineinstellen, kann es quasi gar nichts Altes geben. Falls doch, wird der, der den Post erstellt hat, doch hoffentlich eine Kennzeichnung anbringen. Fehlt die, dann ist das Vergangene zurück in der Gegenwart. Wird schon passen, einer wird es schon geprüft haben.
Facebook erfüllt ja mittlerweile den Raum, es ist allzeit präsent. Dass es die Zeit auflöst, das Raum-Zeit-Kontinuum quasi zersetzt, konnten wir ja nicht ahnen. Aber so ist es. Deshalb kann man als meldungswürdige Person immer und immer wieder sterben und betrauert werden. Georg Kreisler starb ja auch schon im November 2011. Aber wer merkt das heute schon? Wir sind schnelllebig, Kommentar raus und vergessen, wenn er drei Jahre und 2 Monate später »wieder stirbt«, ist man schon seit drei Jahren und zwei Monaten drüber hinweg. Man betrauert nochmal, klickt zur Ehre des Verstorbenen und wer weiß, vielleicht stirbt er ja wieder und es sind nochmals welche erschüttert. Weil sie doch damals so gerne sein »Es lebe der Zentralfriedhof« mitgesungen haben.
Schon pietätlos, dass ich hier melde, dass Georg Kreisler tot sei, obgleich er es schon so lange ist, oder nicht? Das stört doch auch seine Ruhe, nicht wahr? Ja, ich bekenne mich dessen schuldig. Kein guter Stil. Andererseits ist er doch ein Meister des schwarzen Humors gewesen. Vielleicht hätte es ihm gefallen, wie sie alle Jahre wieder seinen Tod kommentieren. So ein großes Netzwerk, das wie ein riesiges Gedächtnis wirkt und kaum einer darin, der seines benutzt. Das ist doch fast ein wenig so wie Wien ohne Wiener.

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