Gentrification: Aufwertung und Verdrängung in den Städten

Gentrification: Aufwertung und Verdrängung in den Städten

In der Herbstausgabe der Lotta (Nr. 40) ist ein Überblicksbeitrag zu verschiedenen Erscheinungsformen der Gentrification  von mir zu lesen. Das meiste wurde hier oder an anderer Stelle schon mal aufgeschrieben und ist nur in der nun dargebotenen Kompaktheit neu.

Aufgegriffen wird in dem Artikel unter anderem, die Aussage von Markus Schmidt, Teamleiter Research bei Aengevelt Immobilien aus dem Artikel „Der niedere Adel kommt“ (procontra-online, Fachzeitschrift für Finanzprofis):

„Gentrifizierung ist ein Prozess, der in jeder Stadt vorkommen kann. Voraussetzung ist ein deutliches Mietpreisgefälle“, so Markus Schmidt, Teamleiter Research bei Aengevelt Immobilien. Aktuell sind in Berlin, Bremen, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, München, Münster und Rostock solche Aufwertungsprozesse zu erkennen. (…)

Derzeit wachsen in vielen Städten die Haushaltszahlen wieder, zugleich sinken die Wohnungsbauaktivitäten. Dies führt zu einer verstärkten Nachfrage in günstigen Wohnlagen. „Es sind vor allem Studenten und die jungen Kreativen, die diese günstigen Quartiere für sich entdecken. Mittel- bis langfristig führt dieser Prozess zu einer Aufwertung des gesamten Quartiers“, erläutert Schmidt.  Die Voraussetzungen für die Aufwertung der Bezirke sind vielfältig. Neben einem gewissen Instandsetzungsrückstau und Leerstand zählt ein unterdurchschnittliches Mietniveau im stadtweiten Vergleich dazu. Auch die Umzugswahrscheinlichkeit spielt eine Rolle, so laufen Aufwertungsprozesse in gewachsenen Stadtteilen mit älteren, eher immobilen Haushalten tendenziell langsamer ab. Die „kreative Klientel“ braucht zudem günstige und freie Gewerberäume. Den neuen „In-Bezirk“ können Investoren an harten Faktoren wie steigenden Mieten bei sinkender Einwohnerzahl und konstanter bzw. wachsender Haushaltszahl erkennen. (…)

Als weiches Kriterium gilt die Angebotsbreite im Einzelhandel, auch deuten erste Bio- und Käseläden, wenn nicht schon vorhanden, auf einen Wandel der Bewohnerschaft hin. Das Einkommen der Studenten ist zwar in der Regel gering, aber auf statusbetontes Leben wird Wert gelegt.“

Für alle, die noch mehr über die aktuellen Tendenzen der Gentrification erfahren wollen, lohnt sich ein Blick in den folgenden Beitrag…

Bild:  sebat85 (flickr.com)

Gentrification: Aufwertung und Verdrängung in den Städten

von Andrej Holm

Gentrification? Wieder so ein Anglizismus, der es bis in die Überschriften der großen überregionalen Zeitungen geschafft hat. Vor ein paar Jahren galt der Begriff noch als akademische Fachvokabel für die aufwertungsbedingte Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen aus städtischen Nachbarschaften – heute ist er aus den Flugblättern und Plakaten von Stadtteilinitiativen ebenso wenig wegzudenken wie aus den wohnungspolitischen Debatten in den Parlamenten.

Das Geheimnis dieser Blitzkarriere ist schnell erklärt: Die damit beschriebenen Prozesse der Verdrängung haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen und betreffen zunehmend auch die Mittelschichthaushalte in den Städten. Dabei ist das Phänomen selbst gar nicht so neu. Schon immer mussten die Ärmsten aus den Wohnungen ziehen, wenn Hauseigentümer mit Besserverdienenden oder anderen Nutzungen mehr Geld verdienen konnten. So lange sich dies auf gesellschaftliche Minderheiten von Arbeitslosen und Ausgegrenzten beschränkte, gab es kein größeres Interesse sich mit dem Thema zu beschäftigen. Seit auch AkademikerInnen und Lehrerehepaare um ihre Wohnungen in angesagten Vierteln bangen müssen, haben die Politik und die Medien das Thema aufgegriffen. Im SPIEGEL, in der WELT und in der Süddeutschen Zeitung sind in den letzten Monaten regelmäßig Artikel erschienen, die über steigende Mieten, Neubauvorhaben und die Schwierigkeit eine bezahlbare Wohnung zu finden, berichten.

Trotz dieser breiten medialen Rezeption ist der Gentrification-Begriff nach wie vor ein Reizwort und wird von einigen als ‚Kampfbegriff’ bezeichnet. Kein Wunder, werden doch mit den Gentrification-Modellen vor allem die dunklen Seiten der Stadtplanung benannt. Statt um ‚neue Urbanität’, die ‚Rettung der historisch wertvollen Altbausubstanz und die ‚neuen Plätze für Kreativität’ geht es in der Gentrification-Forschung um die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen und die Zerstörung bestehender Nachbarschaftsstrukturen. StadtplanerInnen, PolitikerInnen und auch die meisten EigentümerInnen wollen genau dafür aber nicht zur Verantwortung gezogen werden und versuchen regelmäßig einen Verdrängungsbefund zu leugnen oder abzuschwächen.

„Nicht jeder Auszug sei Verdrängung“, heißt es dann oft. Ebenso beliebt sind auch Verweise auf andere Städte: „Im Vergleich zu Frankfurt oder München haben wir doch in Berlin einen ziemlich entspannten Wohnungsmarkt“ oder „im Vergleich zu London und New York ist die Gentrification hier doch harmlos“. Selbst innerhalb der Städte gibt es diese Relativierungsargumente, etwa, wenn im Bezug auf die Aufwertungstendenzen in Berlin Kreuzberg oder Nord-Neukölln auf den Kollwitzplatz oder die Spandauer Vorstadt (Gegend um den Hackeschen Markt) verwiesen wird, wo es „eine echte Gentrification gibt“. Stimmt alles – doch nützt es den Betroffenen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können relativ wenig, dass es woanders noch schlimmer sein soll…

 

Verdrängung hat viele Gesichter

Gerade das Argument, irgendetwas sei noch gar keine „echte Gentrification“ basiert auf einer sehr starren Vorstellung von städtischen Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen. Die deutschsprachige Gentrificationforschung mit ihren Modellannahmen sogenannter ‘doppelter Invasions-Sukzessions-Zyklen’ haben ihren Beitrag zu dieser Sichtweise geleistet. Die vom Soziologen Jens Dangschat beschriebene Abfolge einer Pionierphase (Zuzug von Künstler/innen und Studierenden) und dem erst darauf folgenden Zuzug der Gentrifier wurden von dutzenden Nachfolgestudien zu statischen Auswertungsreihen von Sozialdaten banalisiert. Entlang vorgegebener Kriterien zum Bildungsstand, zum Einkommen und zum Familienstand wurde immer wieder versucht, die Anzahl von ‘Pionieren’ und ‘echten Gentrifiern’ zu messen. Überall dort, wo die gemessenen Daten nicht mit dem Modell in Übereinstimmung zu bringen waren, wurde der Gentrificationprozess geleugnet oder relativiert. Dabei liegt es auf der Hand, dass Stadtentwicklungsmodelle sich zwischen verschiedenen Städten und auch Stadtteilen unterscheiden und eben nicht überall identische Formen annehmen.

Um Auswertungsdynamiken und ihre Wirkungsweisen zu verstehen und sinnvolle Instrumente des Gegensteuerns zu finden, sollten verschiedene Auslöser und Motoren der Verdrängung voneinander unterschiedenen werden:

Klassische Gentrification: Als typisches Muster von Gentrificationprozessen wird oft eine symbolische Aufwertung durch sogenannte Pioniernutzungen angenommen. In bisher vernachlässigte Viertel mit großen Leerständen ziehen dabei KünstlerInnen und Alternativszenen ein, eröffnen Galerien, Kneipen und Clubs und tragen mit ihrer Anwesenheit und ihren Einrichtungen zu einem Imagewandel des Viertels bei. Aus einer wohnungswirtschaftlichen Perspektiven wird ein bisher unscheinbares oder sogar schlecht beleumundetes Viertel so zu einer ‚besonderen Lage’, die Extrakosten bei der Vermietung rechtfertigt. Die Spandauer Vorstadt in Berlin, das Schanzenviertel in Hamburg, die Südvorstadt in Köln oder auch die Dresdener Neustadt können mit ihren vielen improvisierten Galerien, Szenekneipen und Kultureinrichtungen als typische Beispiele für eine solche ‚klassische Gentrification’ angesehen werden. Die meisten Galerien und Ausstellungsorte dort sind mittlerweile kommerziell erfolgreich oder haben die Gegend verlassen. Von den ehemaligen BewohnerInnen leben oft nur noch 20 Prozent im Gebiet und die letzten Spuren des subkulturellen Aufbruchs verschwinden nach und nach. Als Beispiele für dieses Abräumen der Artefakte aus den Pionierphasen der Aufwertung können die Räumungsdrohungen gegen ehemals besetzte Häuser und das Kunsthaus Tacheles in Berlin oder auch die wieder aufflammenden Unsicherheiten um den Fortbestand der Roten Flora in Hamburg gelten. Mit der Aufwertung der Nachbarschaften wächst oft der Druck auf immobilienwirtschaftliche Nischennutzungen. Ein ähnlicher Imagewandel kann zur Zeit in Nord-Neukölln in Berlin und in Hamburg-Wilhelmsburg beobachtet werden. Noch vor ein paar Jahren wurden beide Gegenden vielfach als gefährliche Ghettos beschrieben – mittlerweile wurden mit öffentlicher Unterstützung über eine Zwischennutzungsagentur (Berlin) und die Internationale Bau Ausstellung IBA (Hamburg) das Bild von Quartieren im Aufbruch etabliert. In Nord-Neukölln etwa öffneten dutzende neue Veranstaltungsräume, Designerwerkstätten und In-Kneipen. EigentümerInnen, die in Wohnungsannoncen noch vor wenigen Jahren die Neuköllner Lage mit einem „Kreuzbergnähe“ zu verschleiern suchten, werben inzwischen offensiv mit ihren Wohnungen „in Kreuzkölln!“ oder „am Reuterplatz!“. Steigende Neuvermietungsmieten und erste Sanierungsarbeiten sind ein Effekt dieses Imagewandels.

Politisch initiierte Gentrification: Doch längst nicht alle Aufwertungen werden durch den Zuzug von Pionieren ausgelöst und Beispiele wie der Prenzlauer Berg in Berlin oder die Kröpeliner-Tor-Vorstadt (KTV) in Rostock zeigen, dass es nicht die KünstlerInnen sind, die für Gentrification und Verdrängung verantwortlich gemacht werden können. Vielmehr waren es dort die zunächst großzügig mit öffentlichen Geldern geförderten Sanierungsgebiete, die eine umfassende Modernisierungswelle auslösten. Etwa 1 Mrd. Euro flossen durch Förderprogramme und Steuerabschreibungen in die Altbaugebiete von Prenzlauer Berg, doch nur in knapp 30 Prozent der Häuser konnten über Förderprogramme auch die Mietentwicklung eingedämmt werden. Vor allem in den seit dem Jahr 2000 sanierten Häusern wurden ein Großteil der Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die hohen Wohnkosten sind für ärmere Haushalte kaum noch zu finanzieren und Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften finden faktisch keine modernisierte Wohnung mehr in den Quartieren. Die Mieten und Einkommen in den Altbaugebieten Prenzlauer Bergs gehören mittlerweile zu den höchsten der Stadt. Angeschoben durch ein öffentliches Sanierungsprogramm hat sich Prenzlauer Berg in den letzten 20 Jahren von einer der ärmsten zu einer der wohlhabendsten Wohngegenden Berlins gewandelt. Auch in Rostock hat sich die KTV vom ‘Nachtjackenviertel’ zur bildungsbürgerlichen Enklave entwickelt. Arbeitslose und Knastentlassene sind längst in die Plattenbausiedlungen der Stadt gedrängt.

Umzugsketten-Gentrification: Oftmals wird der durch die Gentrification ausgelöste Wandel in den jeweiligen Aufwertungsgebieten untersucht und diskutiert. Doch gerade Aufwertungs- und Modernisierungsprozesse lösen massive Umzüge aus und können auch anderenorts zu erheblichen Effekten führen. Zum einen kann die Verdrängung von ärmeren Haushalten die Konzentration von benachteiligten BewohnerInnen in anderen Stadtteilen verstärken. Zum anderen gehören viele derer, denen die Miete in luxusmodernisierten Häusern zu teuer geworden ist, in anderen Wohngegenden zu den Besserverdienenden. Verdrängung setzt vielfach gar nicht die vollständige Umwandlung in Eigentumswohnungen und umfangreiche Modernisierungen voraus. Gerade in Vierteln mit vielen Geringverdiener-Haushalten sind es oft schon kleine Mietsprünge, die nicht mehr getragen werden können und zum Auszug führen. In diesem Zusammenhang spielen die Umzugsketten der Aufwertung eine wichtige Rolle. Ein Berliner Beispiel: Hier werden beispielsweise aus Friedrichshain verdrängte Wohngemeinschaften in Neukölln zu Aufwertungsakteuren, die wesentlich höhere Mieten als viele BestandsbewohnerInnen zahlen können. Auch die Umzüge von vielen Familien aus den Sanierungsgebieten in Prenzlauer Berg haben in Pankow und Weißensee eine vergleichbare Wirkung. Ähnliche Tendenzen sind auch in anderen Städten zu beobachten, etwa wenn Hamburger Studierende aus St.Pauli oder St.Georg wegen steigender Mieten den ‘Sprung über die Elbe’ wagen und sich im Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg niederlassen. In der Hamburger Morgenpost war sogar schon von der „Schanze der Wilhelmsburger“ (MoPo, 19.07.2009) zu lesen

Neubau-Gentrification: Als eine vierte Form der Gentrification können Neubauprojekte im Luxuswohnbereich benannt werden. Oft wird argumentiert, ein Neubau könne doch niemanden verdrängen, doch werden dabei die Nachbarschaftseffekte in Form von steigenden Bodenpreisen in den umliegenden Wohnquartieren vernachlässigt. Etablieren sich solche Luxuswohn-Enklaven wie die ‚Prenzlauer Gärten’, der ‚Marthashof’ in Berlin Prenzlauer Berg oder auch die Hafen-City in Hamburg, dann wird ein Quartier nicht nur in eine ‚bessere’ Wohnlage verwandelt, sondern es wachsen auch die unmittelbaren Begehrlichkeiten benachbarter HauseigentümerInnen und InvestorInnen. Werden überdurchschnittliche Kaufpreise von über 3.000 Euro/qm realisiert, fragen sich auch andere Eigentümer, ob sie ihre Wohnungen bisher nicht unter Wert vermieten.

 

Gentrification als neuer städtischer Mainstream

Die Entwicklung der Gentrification der letzten 20 Jahre lässt sich in vielen Städten als Kreislauf beschreiben. Insbesondere für die Pionierphasen der Gentrification kann eine regelrechte Wanderung durch die Städte nachgezeichnet werden, die in Intervallen von etwa fünf Jahren ins nächste Viertel weiterzieht. Diese Aufwertungskarawanen haben einen wohnungswirtschaftlichen Hintergrund. Zum einen verändern sich durch die beginnenden Modernisierungsaktivitäten in Aufwertungsgebieten die Mietpreise auch für die Gewerbenutzungen, so das insbesondere subkulturelle und improvisierte Nutzungen, die auf preiswerte Räume angewiesen sind, in andere Gebiete ausweichen. Zum anderen ist mit der Etablierung solcher kultureller und subkultureller Nutzungen ein Imagewandel der Wohngebiete verbunden, die in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung in „Künstlerviertel“, „Galerienquartiere“ oder „Szenebezirke“ verwandelt werden. Wenn die verschiedenen Formen der Gentrification berücksichtigt werden, wird schnell deutlich, dass große Teile der Innenstädte davon betroffen sind. Dieser Trend ist keine Panikmache von linken AktivistInnen, sondern wird auch von der Immobilienwirtschaft bestätigt. Der Teamleiter der Research-Abteilung bei Aengevelt Immobilien ließ sich erst kürzlich mit der folgenden Aussage zitieren:„Gentrifizierung ist ein Prozess, der in jeder Stadt vorkommen kann. Voraussetzung ist ein deutliches Mietpreisgefälle“ (procontra online 08/2010). Neben einem gewissen Instandsetzungsrückstau und Leerstand zählte er ein unterdurchschnittliches Mietniveau im stadtweiten Vergleich und eine junge und somit umzugsfreudige Bewohnerschaft zu den Voraussetzungen für eine Gentrification.

Wohnviertel, mit noch preiswerteren Mieten, einer überwiegend jungen Bevölkerung und baulichen Modernisierungspotentialen sind faktisch in jeder Stadt zu finden. Gentrification beschränkt sich längst nicht mehr auf einzelne Stadtquartiere sondern entwickelt sich zum neuen städtischen Mainstream. Sie hat damit den Charakter des Exklusiven und Besonderen eingebüßt und nimmt vielerorts einen scheinbar unspektakulären Verlauf. Das Grundproblem der steigenden Mieten und der Verdrängung ärmerer BewohnerInnen jedoch bleibt bestehen. Was dagegen hilft, wäre ein Kehrtwende der Stadtpolitik und eine gründliche Regulation des Wohnungsmarktes. Ob dies gelingt, wird nicht zuletzt von der Stärke der sozialen Bewegungen und ihrer Mobilisierungen abhängen.

(erschienen in: Lotta – Antifaschistische Zeitschrift, Nr. 40 (2010), 5-7)



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