Gebrandmarkt

DIE WAHL DES KOMMUNISMUS KANN UND WIRD IMMER NUR EINES BEDEUTEN. DEN VERLUST DER MENSCHLICHKEIT UND DEN VERLUST DER MENSCHENRECHTE.
Vincent Deeg
Es war noch gar nicht so lange her und auch nicht das erste Mal, dass man ihn von der Straße weg verhaftet hatte. Denn Kay war seit einiger Zeit einer der stolzen Träger, wobei das Wort „Stolz“ natürlich völlig unpassend und auch eher ironisch gemeint ist, des PM12. Dem in bestimmten Kreisen der DDR Bevölkerung berüchtigten Brandzeichen für politisch auffällige Subjekte.
Subjekte, wie Kay. Ein junger Mann, der nicht kriminell oder arbeitsscheu war. Sondern der sich nicht, wie viele andere Bürger der DDR nach der Decke streckte, der sich nicht dem allmächtigen und allgewärtigen SED Regime beugte und so ins Visier des Staates geriet.
Das Visier, dem es, um nur ein Beispiel zu nennen, natürlich nicht entging, als Kay mit einem Freund nach Prag fuhr, um sich dort mit seiner in Hannover lebenden und daher sehr lange nicht gesehenen Cousine zu treffen, die sich damals auf einer Klassenreise befand, in der sie, gemeinsam mit ihren Schulkameraden die damalige Hauptstadt der ehemaligen CSSR besuchte.
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Ein harmloses und völlig unpolitisches Wiedersehen? Absolut. Denn es ging weder Kay, noch seiner Cousine darum, irgendwelche politischen Ränke oder gar Fluchtpläne in den Westen zu schmieden, sondern nur darum, ein Familienmitglied, von dem man eine so lange Zeit getrennt war, endlich und sei es auch nur für ein paar wenige Stunden wieder zu sehen.
Etwas, das das Ministerium für Staatssicherheit damals jedoch ganz anders sah. Denn für die Herren in Grau war dieses Treffen alles andere als ein harmloses Wiedersehen zweier Verwandte. Sondern eine illegale Kontaktaufnahme zu einem Bürger des kapitalistischen Auslandes. Zu einem Feind der Arbeiterklasse. Der Grund, der, kaum, dass Kay wieder in die DDR zurück gekehrt war, dafür sorgte, dass man seinen Personalausweis einzog und ohne jeden Kommentar in einen PM12 umtauschte, der jedes zukünftige Reisevorhaben ins Ausland verbot. In ein Dokument, das seinen Träger nicht nur noch mehr katalogisierte, als es bereits bei dem normale Personalausweis der Fall war, sondern das jeden, der es bei sich trug, zu einem noch rechtloseren und somit vogelfreien Menschen machte.
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Vogelfrei. Das ist die richtige Bezeichnung für einen Zustand, wie ihn Kay in den darauf folgenden Jahren ertragen musste. Ein Zustand, in dem es kaum einen Ort gab, an dem er sich sicher fühlen konnte. An dem er davor geschützt war, nicht von irgendeinem vielleicht gerade gelangweilten oder nach einer Beförderung hechelnden Polizisten verhaftet und grundlos auf eines der vielen Polizeireviere verschleppen zu werden. Dort, wo man sein Opfer, was in Kays Falle mehr als einmal geschehen war, zur Klärung eines völlig aus der Luft gegriffenen Sachverhaltes für ganze 24 Stunden festhielt.
24 unendlich Stunden, die in der Regel bedeuteten, dass man den Festgenommenen unaufhörlich mit absolut unsinnigen Fragen bombardierte, dass man ihm, da er offiziell nicht als verhaftet galt, jegliche Art von Versorgung, wie zum Beispiel Essen und Trinken verweigerte und in der langen Zeit seines unfreiwilligen Aufenthaltes jede Art von Schlaf untersagte.
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Eine Gefahr, die natürlich auch an diesem Morgen bestand, als sich Kay, der sich sein Leben nicht einfach so wegnehmen lassen wollte, trotz der ständig über ihm schwebenden Bedrohung, wieder in irgendeiner dunklen Zelle zu landen, auf den Weg machte, um seine Freundin Tina und deren Lebensgefährten zu besuchen, die gemeinsam in einem kleinen Ort in der Nähe von Osterburg wohnten, die er lange nicht mehr gesehen hatte und die ihn zu einem Besuch eingeladen hatten.
Vielleicht wäre Kay damals besser mit der Bahn gefahren. Doch da er nicht ahnen konnte, welches Ende seine Reise noch nehmen würde und da er sich das teure Fahrgeld sparen wollte, wählte er den Weg der Straße. Ein Weg, der auf der Autobahnzufahrt in Rostock begann und der, einige Stunden später in Osterburg, kaum dass er diesen Ort erreicht hatte, ein abruptes Ende finden sollte.
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„Deutsche Volkspolizei. Ausweiskontrolle.“ Bellte ihn der etwa vierzig Jahre alte Mann, der in seiner zivilen Bekleidung nicht als Polizist zu erkennen war emotionslos an. Ein paar wenige Minuten später fand sich Kay auch schon auf einem Streifenwagen und noch ein paar Minuten später in einem Polizeirevier wieder.
Dort, wo man Kay zwischen zwei schwere Gittertüren sperrte, deren Funktion es war, das Revier als Schleuse von der Außenwelt trennte, wo man ihn in gewohnter Manie verhörte, ihm weder etwas zu essen, noch etwas zu trinken gab, wo man seinen Freunden belog, als sich diese nach einigen Stunden des sorgenvollen Warten mit dem Motorrad auf den Weg nach Osterburg machten, um sich im einzigen Polizeirevier, das es in der Umgebung gab, nach ihrem seit Stunden erwarteten und nun verschollenen Freund erkundigten und wo man Kay zwar nicht für 24 Stunden aber doch bis in die späte Nacht fest hielt.
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Es ist wohl nicht nötig zu erklären, dass Kay damals einige Zeit gebraucht hat, um, da zu dieser Nachtzeit natürlich kein einziges Auto mehr auf der Straße unterwegs war, zu Fuß die etwas über 30 Kilometer lange und in völliger Dunkelheit liegende Strecke zurück zu legen, die ihn von dem Ort Neuendorf, dort, wo seine Freunde wohnten und wo man sich noch immer große Sorgen um ihn machten trennte. Doch er hat es geschafft.
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Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass man Kay festnahm. Jedoch das letzte Mal, dass man ihn wieder laufen ließ. Im Jahre 1987 verhaftete man ihn und einen Freund, während die beiden jungen Männer in einem Zug saßen, der im Harzer Bahnhof Wernigerode auf seine baldige Weiterfahrt wartete. Der Zug, der sie näher an die grüne Grenze bringen sollte, die sie auf dem illegalen Weg überqueren wollten.
Eine Verhaftung, an deren Anfang das Geständnis seines Freunde, in dessen Mitte eine lange und grausame Gefangenschaft, an deren Ende aber, als Kay, wie einige andere auch von der Bundesrepublik Deutschland frei gekauft wurde und er am 12.08.1987 das Territorium der DDR offiziell verlassen durfte der endgültige Schritt in die Freiheit stand.
Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie wurde mir von Kay selbst erzählt.

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