Fotografische Theorie und Praxis

Mein Artikel über »Schärfentiefe und Abbildungsmaßstab« scheint für etwas Aufmerksamkeit und Diskussionsstoff gesorgt zu haben. Das merke ich nicht nur an Nachrichten die mich direkt erreichen, sondern auch an dem was in Foren darüber diskutiert wird, wenn ich eingehenden Links folge.

Was mich überrascht, ist, wie sehr manche Leute an der Theorie festhalten, auch wenn die Praxis etwas anderes zu sagen scheint. Sehen wir uns dazu noch einmal zwei Beispiele aus dem oben genannten Artikel an.

Der Fotograf weiß, dass er über die Brennweite Perspektive und Tiefenstaffelung gestalten kann. Der Theoretiker widerspricht und behauptet, dass das falsch ist. Die Brennweite habe keinen Einfluss auf die Tiefenstaffelung, dass man mit ihr die Tiefenwirkung verdichten könne sei Unsinn.

Damit hat er zunächst einmal recht: Eine längere Brennweite verengt lediglich den Bildausschnitt und ändert nichts an Perspektive und Tiefenwirkung. Verkürzt man die Brennweite erhält man einen weiteren Ausschnitt, auch das bei gleicher Perspektive und Dichte. Die Theorie erweist sich auch in der Praxis als korrekt – das kann jeder überprüfen (und ich kann nur empfehlen Theorie zu überprüfen, bevor man für sie auf die Barrikaden steigt).

Der Praktiker aber weiß, dass Perspektive aus dem Zusammenspiel von Brennweite und Distanz entsteht. Wenn ich die Distanz vergrößere und Brennweite verlängere, dann verdichtet sich die Perspektive für jeden sichtbar. Die folgenden Abbildungen zeigen das deutlich.

weitwinkel

Brennweite 14mm (28mm KB), Blende ƒ5.6, Abstand ca. 0,5m

tele

Brennweite 150mm (300mm KB), Blende ƒ5.6, Abstand ca. 1,5m

Der Denkfehler vieler Theoretiker scheint mir, dass sie theoretisch korrekte Merksätze generalisieren. Tatsächlich sind Merksätze in der Regel an bestimmte Bedingungen geknüpft. Ändert sich der Kontext, hat das meist auch Auswirkungen auf das Resultat.

Die Aussage, »die Veränderung der Brennweite hat keinen Einfluss auf die Perspektive«, ist korrekt, so lange ich alle anderen Parameter (Distanz und Sensorformat) unverändert lasse. Die Aussage, »die Brennweite hat keinesfalls Einfluss auf die Perspektive«, ist falsch. Ändere ich zusammen mit der Brennweite auch die Distanz (und/oder das Aufnahmeformat), ändert sich die Perspektive. Das belegen die Abbildungen oben und jeder Fotograf wird das wissen und in der Praxis gezielt nutzen.

Nun wurde nicht nur meine Aussage zur Tiefenstaffelung bekritelt, sondern auch meine Schlüsse zur Schärfentiefe.

Die Theorie besagt, dass die Schärfentiefe nicht von der Brennweite, sondern lediglich von Abbildungsmaßstab und Blende abhänge. Dieser Merksatz war Auslöser für den angesprochenen Artikel. Nehmen wir ihn wörtlich, würde das heißen, dass eine längere Brennweite nicht zu einem unschärferen Hintergrund führt. Jeder Fotograf weiß jedoch aus der Praxis, dass man mit Tele deutlich besser freistellen kann als mit Weitwinkel – wer das noch nie erlebt hat fotografiere einmal mit einem Nikon 200mm ƒ2.0!

Ein Selbstversuch belegt: Wird ein Objekt bei jeweils unterschiedlicher Brennweite und Distanz im selben Abbildungsmaßstab fotografiert, ist die Unschärfe der Elemente im Hintergrund praktisch identisch.

Allerdings wird das nur bei genauer Analyse der Aufnahme deutlich, denn die größere Entfernung bei längerer Brennweite führt dazu, dass der Hintergrund näher rückt. Die Verdichtung der Tiefenstaffelung vergrößert den Hintergrund. Analog zum Hintergrund wird die Unschärfe mit vergrößert. Obwohl sie im Verhältnis zu den Elementen des Hintergrunds gleich ist wie bei kurzer Brennweite, wird sie durch die Vergrößerung größer wiedergegeben. Und das ist eben genau der Effekt von dem man spricht, wenn behauptet wird man könne mit längeren Brennweite besser freistellen.

Dasselbe gilt übrigens auch für das Sensorformat. Tatsächlich ändert auch das Sensorformat lediglich den Bildausschnitt. Doch im Kontext der verschiedenen Parameter die in der Fotografie zusammenspielen ergibt sich der praktische Effekt, dass ich umso größere Schärfentiefe erhalte, je kleiner der Sensor ist. Absurderweise scheinen manchmal genau die zu widersprechen, dass das Sensorformat Einfluss auf die Schärfentiefe haben, die auf Vollformat schwören, weil man damit mehr Bokeh erhalte (noch einmal: ich weiß um die theoretischen Hintergründe und Zusammenhänge, doch was für mich zählt sind die praktischen Auswirkungen).

Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn man versucht theoretische Grundsätze 1:1 auf die Praxis zu übertragen: Theorie baut oft auf idealen Bedingungen auf. Ideale Bedingungen kommen in der Praxis oft gar nie vor. Man braucht diese idealen Annahmen um eine Basis für eine Theorie zu schaffen – ein Beispiel bietet der sogenannte schwarze Körper an der sich die Farbtemperatur Kelvin orientiert (diesen Körper gibt es nicht, er ist ein theoretisches Konstrukt) –, sie kommen in Natur und Praxis jedoch niemals vor. Manchmal sind ideale Bedingungen auch Annahmen die etwas vereinfachen, weil die Realität zu komplex ist um sie theoretisch zu erfassen.

Ich kann nur noch einmal den Rat geben, theoretische Grundlagen im Selbststudium in der Praxis zu überprüfen – vor allem bevor man versucht andere mit vermeintlichem Expertenwissen zu bekehren. Es hilft nicht nur Fehlschlüssen auf die Spur zu kommen und zu verstehen was die Theorie für die Praxis bedeutet, sondern auch die praktische Relevanz theoretischer Grundlagen zu erforschen.

Eine gute Basis für fundiertes theoretisches Wissen bildet ein PDF das von Carl Zeiss verbreitet wird. Darin werden die Zusammenhänge von Schärfentiefe, Abbildungsmaßstab, Brennweite, etc. vom Experten sehr ausführlich erklärt und zwar so, dass auch ein optischen Greenhorn wie ich es versteht.

Nicht, dass ich das unbedingt jedem empfehlen möchte der einfach nur fotografieren will. Doch wer sich in theoretischen Diskursen einmaueren will, dem kann es eventuell helfen, nicht zu vielen Fehlschlüssen aufzusitzen.


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