Folter, Gewalt, Krieg – dafür gibt es keinen passenden Titel

Ich sitze draußen – 24°C, abends. Neben mir eine Flasche Wasser. Grillenzirpen und schwarzes Nichts umgibt mich. Seit Jahren – seit ich auf dem Balkan war – das selbe Spiel: Ich starre dieses verdammte weiße Nichts auf meinem Monitor und versuche Worte, die seit Langem raus müssen, zu finden. – In mir drin tobt ein Sturm; ausgelöst durch die vergangenen Monate und Jahre und die Reaktionen darauf. Die Schreibblockade ist immer noch mächtig, auch wenn die Ereignisse der letzen Monate diese Schreibblockade gerade lösen, weil ich viel zu viel zu sagen habe. Auch wenn es keinen interessiert. Auch wenn der Text anders wird, als ich je dachte… Am 16.12.2015, sind Bilder und Geschichten von HRW (Human Rights Watch) durch die Medien gegangen. Bilder von gestorbenen Folteropfern. Ich kannte persönlich ein Folteropfer. Inklusive Vorher-Bilder, und das „Nachher“-Live-„Bild“. Ich ertrage die Menschheit um mich herum nur noch begrenzt. Mein Text wird niemals das ganze Grauen, das Kriege darstellen, auch nur in Ansätzen wiederspiegeln können. Niemals. Nie. – Aber ich will nicht mehr länger am Text herumfeilen. Er muss raus, ihn nicht zu veröffentlichen ist keine Option mehr.

2011 gab ich einem Mann in meinem Alter ein Versprechen. Auf dem Balkan, in Kroatien. Er führte Besuchergruppen durch die Gedenkstätte anlässlich des Massakers in Vukovar. Ich war einer dieser Besucher. Diese Gedenkstätte ist in der ehemaligen Scheune der Schweinefarm in Ovcara, wo das Massaker ausgeübt wurde, untergebracht.

Rückblende: Ovcara, September 2011. Um mich herum Kroaten, einige weinten und lehnten sich aneinander, gaben einander Halt. Die Stimmung war emotional aufgeladen, man konnte die Traurigkeit, die bedrückende Umgebung am ganzen Leib spüren. Kollektive Traurigkeit, die ohne Worte zum Ausdruck kam. Man atmete mit jedem Atemzug diese abgrundtiefe Traurigkeit und Schwere ein, die kaum in Worte zu fassen sind. Draußen herrschten 30°C und die Sonne strahlte vom Himmel. Keine Wolke zu sehen. – In der Halle war es dunkel. Bilder der Toten und Gegenstände, die im Massengrab bei den Toten gefunden wurden, waren am Rand in der Scheune ausgestellt. In der Mitte brannte eine Kerze und die Namen der Opfer des Massakers wurden auf den Boden als eine Art Wirbel projeziert. Im Boden waren Patronenhülsen einzementiert. An der Decke erstrahlten kleine Lichtlein, ich meine es waren 261, die für die an diesem Platz ausgelöschten Lebenslichter standen. – Am Ende der Führung kamen der Gruppenleiter und ich ins ins Gespräch, weil ich die einzige anwesende Person war, für die er das Gesagte ins Englische übersetzen musste. Er freute sich, als er erfuhr, dass ich aus Deutschland kam, und den Weg bis ins tiefste Kroatien gefunden hatte um eine Stunde meines Urlaubs dafür zu verwenden mir die traurigen Geschichten, die sich an diesem Ort zutrugen, anzuhören.. Er erzählte mir, nach dem offiziellen Führungsteil, seine Lebensgeschichte in wenigen Worten. Es war eine typische, traurige Kriegsgeschichte. Eine Geschichte voller Verluste, voller Traurigkeit, voller Schmerz. Er erzählte mir auch davon, dass nach wie vor Hunderte Kroaten vermisst würden. Seit – damals – 15 Jahren. Er hatte Tränen in den Augen, als er zu Ende erzählt hatte und mich bat mich über Krieg, Frieden, Toleranz, Respekt, Rassismus, Gerechtigkeit, Nationalismus und Menschlichkeit zu reden, „damit so etwas wie in Vukovar nie wieder passiert. Nirgendwo auf dieser Welt.“ Ich denke, dass der selbe Aufruf an mich auch in Ausschwitz, Dachau oder sonstwo hätte gegeben werden können. Weil Kriege grausam sind.

Ich dachte damals nicht, dass ich je die richtigen Worte finden werden kann, um verhindern zu können, dass „sowas wie in Vukovar je wieder passiert“. Meine Meinung dazu hat sich bis heute nicht geändert – wer bin ich schon? Was nützen Worte? Worte gegen Waffen, Bomben, Gräueltaten, Unmenschlichkeit, Wut, Hass, Gewalt? – Trotzdem versprach ich ihm, dass ich es reden werde. Denn wir teilen die Meinung über Kriege – wir verabscheuen Gewalt. Wir verabscheuen die Taten, die Menschen anderen Menschen in Kriegen antun.

Nur: Wie schreibt oder redet man über ein Massaker? Wie schreibt oder redet man über Kriege, über Gewalt? Gibt es Worte, die solche Gräueltaten auch nur in Ansätzen beschreiben können? – Ich bezweifle es. Genauso wie ich bezweifle, dass es eine einzig richtige Wahrheit im Krieg gibt. Ich bezweifle jemals den „Grund“ von Krieg, von Gewalt, Terror und Hass beschreiben oder begreifen zu können. Ich hasse Kriege und Gewalt. Eigentlich sollte es keinen Menschen geben, der andere so behandeln kann. Denke ich. Doch es gibt sie. Ich begreife es nicht, werde es nie begreifen. Wie schafft man es anderen Menschen Unmenschliches anzutun? Und warum? – Wir sind schließlich alle Menschen! Egal, aus welchem Land wir kommen, welche Hautfarbe wir haben, welchen kulturellen Background wir haben… Letzen Endes wünschen wir uns doch alle, dass wir genug zu essen und zu trinken haben, Sicherheit für uns, unsere Familie, Freunde, … Wir empfinden die selben Schmerzen, die selbe Traurigkeit, die selben Emotionen. Jeder getötete Mensch hat Menschen, die an ihm hingen. – Egal woher wir kommen. Unsere kulturelle Prägung lässt uns anders mit den Auswirkungen umgehen. Dennoch empfinden wir alle das selbe Grauen. Überall auf diesem Planeten.

Die Leben der Menschen vor dem Krieg unterscheiden sich, der Krieg zerstört. – Seelen, Körper, Familien, Freundschaften, Beziehungen, Nachbarschaften, Jobs, Landstriche, Länder, Städte, Weltkulturerbe, Kulturelle Einrichtungen, Öffentliche Gebäude, … Alles. Vieles, was vor dem Krieg war, ist weg. Kriege veranlassen Menschen zu Flucht, Totstellen oder Kampf. Wenn sie flüchten, werfen Menschen all das, was sie hatten, über Bord und hoffen darauf, dass sie woanders in Frieden leben können, neu anfangen können. Sie hoffen auf ein neues Leben in Sicherheit.

In Deutschland leben wir im Luxus. Wir haben viel. Zu viel. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in einer Konsumgesellschaft mit westlichen Werten. Das, was  wir als selbstverständlich erachten, ist nicht selbstverständlich. – Auf dem Balkan lernte ich, dass eine Toilette nicht unbedingt eine Toilette ist (eine französische Toilette [Loch im Boden mit Fußtritt links und rechts + Spülung], unter und über der man hindurch auf den Parkplatz gucken konnte.). Sicherheit ist nicht „gottgegeben“ (Minen. Überall können diese verf*** Minen liegen – eben mal das Auto an den Straßenrand fahren? – Schlechte Idee. Über eine Wiese laufen? – Doofe Idee. In ein leerstehendes Gebäude gehen und fotografieren? – Dämliche Idee – vorsicht, Sprengfalle!) Vielfalt ist nicht „normal“ (Seit dem Balkan bin ich in deutschen Supermärkten vor den Kühlregalen hoffnungslos verloren. Soooooo viele Käsesorten). Infrastruktur, fließendes sauberes Trinkwasser, stabile Stromversorgung, ein (noch) halbwegs funktionierendes Gesundheitssystem, Demokratie, freie Meinungsäußerung, Gleichberechtigung, fruchtbarer Boden für Landwirtschaft… – alles nicht selbstverständlich. Es ist hart erarbeitet worden. Und jeder Mensch hat das Recht auf ein gutes Leben. Nochmal: JEDER Mensch hat das Recht auf ein gutes LEBEN. Und jeder Mensch hat Pflichten.

An einer gemeinsamen, friedlichen, nachhaltigen Zukunft sollten wir Menschen arbeiten. – Ich denke nicht, dass uns das gelingt, wenn wir so weitermachen, wie bisher. Ich denke nicht, dass es gelingt, wenn jeder dem „Ideal“ von „mehr, mehr, mehr“ und „schneller, schneller, schneller“ nacheifert. Wir ALLE zahlen hohe Preise: Kriege, soziale Ungerechtigkeit, die Gesundheit leidet, wir zerstören -nachhaltig, immerhin!- den Planeten irreparabel. Und wir machen uns gegenseitig das Leben zur Hölle. – Ich mag keine Hölle. Weder eine persönliche, noch eine nationale, noch eine globale. Wenn wir anfangen uns als das, was wir sind, nämlich Menschen, zu respektieren und alle inne halten, nicht in Panik und Schockstarre oder Hass verfallen, kann’s klappen. Wenn wir stattdessen darüber nachdenken, was wir HEUTE!!! für eine lebenswerte, friedliche Welt machen können, und HEUTE!!! die ersten Schritte in diese Richtung unternehmen, bekommen wir das hin, dass Ovcara, Ausschwitz, … nicht nochmal passieren. – Also: „don’t panic“, und „small steps do matter!“

Und nu‘ fang‘ an nachzudenken, wie du zu diesem Text stehst, und was du machen kannst.


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