Filmkritik zu ‘Arrietty – Die wundersame Welt der Borger’

Filmkritik zu ‘Arrietty – Die wundersame Welt der Borger’

Mary Norton war eine britische Schriftstellerin, die mit ihren Einfällen eine Bereicherung für die Kinderbuchliteratur war. So erschuf sie nicht nur die Vorlage zu dem Disney Klassiker ‚Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett‘, sondern auch fünf Bände der ‚Borger‘-Serie, von denen die erste Geschichte bereits 1952 veröffentlicht wurde. Es folgten vier weitere Borger-Abenteuer unter den Titeln ‚Die Borger in den Feldern‘, ‚Die Borger am Fluss‘, ‚Die Borger in den Lüften‘ und zuletzt 1982 ‚Die Borger am Ziel‘ – zehn Jahre bevor Norton verstarb. Trotz mehrerer Verfilmungen fürs Fernsehen (zwei Fernsehfilme und eine Serie), wurde der 1997er Kinofilm ‚Ein Fall für die Borger‘ mit John Goodman, Jim Broadbent, Tom Felton und Hugh Laurie zur bisher bekanntesten Verfilmung. Nun hat sich aber die japanische Zeichentrickschmiede Studio Ghibli der Literaturvorlage angenommen. Regisseur Hiromasa Yonebayashi hat nach einem Drehbuch von Hayao Miyazaki mit ‚Arrietty – Die wunderbare Welt der Borger‘ einen Film erschaffen, der bei den Japanese Academy Awards als bester Animationsfilm und bei den Tokyo Anime Awards dieses Jahres zusätzlich mit Preisen für den besten Regisseur, für die beste künstlerische Leitung und für die beste Filmmusik ausgezeichnet wurde.

In ‚Arrietty‘ geht es für die Borger einmal mehr darum friedlich und vor allem unentdeckt in der Welt der Menschen zu leben. Als der kleine Junge Sho in das Haus seiner Großtante einzieht, entdeckt er dort aber die kleine Arrietty, die mit ihrer Familie unter den Dielen des Hauses lebt. Alle Gegenstände und die Nahrung die sie benötigen, „borgen“ sie sich von den Menschen, indem sie sich an deren Vorräten bedienen. Oberhalb der Dielen scheint alles überdimensional groß zu sein und es lauern viele Gefahren auf die kleinen Borger. Dass Sho Arrietty entdeckt hat, scheint für sie und ihre Eltern alles zu verändern. Sie müssen ihr Zuhause für immer verlassen, denn nun sind sie im Haus von Shos Großtante nicht mehr sicher.

Filmkritik zu ‘Arrietty – Die wundersame Welt der Borger’

Sho trifft Arrietty

Regisseur Yonebayashi setzt bei seiner Inszenierung nicht voraus, dass wir bereits mit dem Leben und Treiben der Borger vertraut sind. Er gewährt uns durch die Augen Arriettys einen unwissenden Einblick in die Welt der Däumlinge. Wir begleiten die vierzehn-jährige Arrietty bei ihrem ersten Borg-Ausflug, den sie gemeinsam mit ihrem Vater in die Welt der Menschen unternimmt. Hier wollen sie Zucker und Taschentücher borgen. Eine lehrreiche Stunde für Arrietty, die von ihrem Vater beigebracht bekommt, welche Dinge man borgen darf – die, deren Verschwinden nicht auffällt – und welche nicht. Womit auch wir die kleine Einführung in die Kunde der Borger erfahren.

Fernab von der uns bekannten Menschenwelt, wirft der Film viel öfters einen Blick aus einer ganz anderen Perspektive auf das uns bekannte Umfeld. Es ist die einfallsreiche Interaktion zwischen den Borgern und menschengroßen Alltagsgegenständen, die einen Teil der interessanten Aspekte des Filmes ausmachen. So fließt für die Mini-Menschen das Wasser nicht aus den Hähnen, sondern die zähflüssig wirkenden Tropfen lassen in der Borger Welt das Wasser als weitaus trägere Flüssigkeit erscheinen. Und mit einem Blick auf die Tierwelt, erscheinen bei ‚Arrietty‘ sogar die Kellerasseln als süße Kreaturen – und die knuddeligen Grashüpfer und quietschenden Ameisen stehen ihnen in Nichts nach.

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Arrietty mit ihren Eltern

Diese Tiere, aber natürlich auch die Figuren des Filmes, bewegen sich durch eine detailreiche, hübsch bebilderte Pflanzenwelt, die farbenfroh für ein sommerliches Ambiente sorgt. Hinzu kommt das Haus der Borger, welches sich unter den Dielen des Menschenhauses befindet, welches als gemütliches, uriges Heim einen kuriosen Schauplatz bietet. Hier lebt Arrietty mit ihren Eltern, die sich fürsorglich um ihre Tochter kümmern – ein Bild welches selten in Zeichentrickfilmen gezeigt wird, wo die jungen Helden und Heldinnen oft ihre Eltern verloren haben oder nur von einem Elternteil erzogen werden. Das äußert sich hier durch den Jungen Sho, dessen Eltern durch Abwesenheit glänzen. Somit erzeugt der Film nicht nur durch den Größenunterschied der beiden Hauptfiguren seine Gegensätze, sondern auch durch weitere Motive: fürsorgliche Eltern gegen Elternlosigkeit, Arriettys Aufwachsen in einem chaotischen, aber gemütlichen Haus gegen die palastartigen, aber steril wirkenden Räume im Haus von Shos Tante.

Aber dieser Gegensatz bildet nicht die Hauptaussage hinter der Ghibli-Produktion. Wer sich mit bisherigen Werken des Zeichentrickstudios auseinandersetzt, wird wissen, dass ein Hauptaugenmerk immer auf der Gesellschaft und der Natur liegt – Hayao Miyazaki kreidet uns gerne den falschen Umgang mit der Natur an und kritisiert die bestehenden Gesellschaftsmodelle. Hier ist es die aussterbende Lebensform der Borger, die in den Fokus gerückt wird. Eine Kultur, die sich nicht den schnell verändernden Lebenssituationen anpassen kann und somit kurz vor der Ausrottung steht. Schwache Geschöpfe bleiben auf der Strecke, nur noch wenige Menschen – in diesem Fall Sho – kümmern sich um sie.

Dabei kommt bei ‚Arrietty – Die wundersame Welt der Borger‘ diese Nachricht aber erst gegen Ende wirklich zur Sprache, ansonsten wird uns ein unterhaltsames Werk präsentiert, welches für einen Studio Ghibli Film mit unnatürlich viel Gesang daherkommt, was aber nicht weiter störend ist. Die farbenfrohe Welt und die Verspieltheit Arriettys machen auch diese Ghibli-Produktion zu einem sehenswerten Film, nicht nur für das junge Publikum.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘Arrietty – Die wundersame Welt der Borger’

‘Arrietty – Die wundersame Welt der Borger‘

Originaltitel: Kari-gurashi no Arietti
Altersfreigabe: ohne Altersbeschränkung
Produktionsland, Jahr: J, 2010
Länge: ca. 91 Minuten
Regie: Hiromasa Yonebayashi
Originalsprecher: Mirai Shida, Ryûnosuke Kamiki, Shinobu Ohtake, Keiko Takeshita, Tatsuya Fujiwara, Tomokazu Miura, Kirin Kiki


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