Fall Kachelmann: Der Wechsel zur Champions League der Strafverteidiger

Fall Kachelmann: Der Wechsel zur Champions League der Strafverteidiger

© Thorben Wengert / pixelio.de

Nun hat der Verteidiger des Wettermoderators Jörg Kachelmann im laufenden Prozess wegen Vergewaltigung einer Radiosprecherin sein Mandant niedergelegt (Klick).

Über den Grund kann man nur spekulieren, und dies tue ich an dieser Stelle ausdrücklich nicht, denn dafür ist es viel zu früh; warten wir insoweit also mal die nächsten Tage und Wochen ab.

Ich werde mich auch nicht zu dem bisherigen Verteidigers des Jörg Kachelmann äussern, den Kölner Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock. Völlig zu Recht hat er zu seiner Mandatsniederlegung jede Stellungnahme aus standesrechtlichen und prozessualen Gründen abgelehnt, und Gründe für seinen Schritt gibt es in der Praxis viele – in den seltensten Fällen hat dies etwas mit moralischen Bedenken des Verteidigers zu tun, man sollte also sehr vorsichtig sein, hieraus Rückschlüsse zu Lasten oder zu Gunsten des Angeklagtens ziehen. Ein Grund, von der Unschuldsvermutung abzuweichen, ist dies alles also nicht.

Besonders interessant ist jedoch, dass nun tatsächlich ein Mann aus der Champions League der Strafverteidiger (Klick) den Mannheimer Gerichtssaal betritt: Rechtsanwalt Johann Schwenn aus Hamburg.

Wer ist dieser Johann Schwenn?

Die Journalistin Sabine Rückert, die in diversen Foren und Blogs der besonderen Nähe zu Kachelmann bezichtigt wird (meiner Ansicht zu Unrecht, aber das ist eine andere Geschichte), hat über ihn in einem lesenswerten Artikel in der Zeit (und dies lange vor dem Prozess gegen den Wettermoderator) Folgendes geschrieben (Klick):

„(…)
… und viele seiner Kollegen ziehen bis heute die innere Rechtfertigung ihrer Existenz aus dem Bewusstsein, die widerständigste, die einsamste, die vornehmste Rolle im Prozess zu spielen: ohne Machtapparat (der Durchsuchungen anordnet), ohne Amtsgewalt (die zu guter Letzt ein Urteil spricht). Allein ausgestattet mit dem Dynamit des Wortes und einer Waffe namens Strafprozessordnung, streiten sie für den Schwächsten im Saal. In ihrer relativen Machtlosigkeit sehen sie ihre Eitelkeit gerechtferigt und ihren Edelmut begründet.

Reste von sozialem Anspruch finden sich auch noch in den Tiefen von Verteidigern wie Johann Schwenn, der weiß Gott nicht danach aussieht. In feinstes Tuch gewandet, mit schneeweißen Krawatten ausstaffiert, entspringt er seinem Mercedes-Zweisitzer. In Gerichtssäle eilt er oft an der Seite von Personen der Zeitgeschichte wie Markus Wolf, Marion Gräfin Dönhoff oder Jan Philipp Reemtsma. Derlei Mandate übernimmt er freudig. Er hat kein Problem damit, heute einen Panzerknacker oder Spion brillant gegen die Vorwürfe des Staatsanwalts zu verteidigen und morgen in einem anderen Verfahren als Vertreter eines vermögenden Nebenklägers der Staatsanwaltschaft geschliffene Argumente gegen den Angeklagten zu liefern. Gregor Gysi und Wolf Biermann sind ihm als Mandanten gleich lieb. Da, wo Schwenn gerade steht, ist das Recht. Er ficht nicht für eine Ideologie. Seine Freude an der Weltverbesserung bleibt deutlich zurück hinter seiner Lust am Duell, am Hauen und Stechen, am Kräftemessen, am Sport, am Sieg. Seine Kanzlei in einem gehobenen Hamburger Viertel gehört zu den ersten Adressen für Leute, die sich Meister der Rechtsauslegung leisten können.

Und doch – der dringende Wunsch, ein Verteidiger sein zu wollen, überkam den jungen Schwenn in den siebziger Jahren bei einem Praktikum in der Irrenanstalt. Während andere „sozial bebende Jurastudenten“ in den Semsterferien am Fließband so genannter entfremdeter Arbeit nachgingen, arbeitete Schwenn als Pfleger in der Psychiatrie eines Klinikums. Die Eingesperrten von Haus 18 zogen ihn an und auch das Eingesperrtsein. Er sah das Personal in Hamburg-Ochsenzoll, manche dort seit der Nazizeit, er sah es herzlos mit den Patienten umspringen, sah desinteressierte Anwälte herein- und wieder hinauslatschen. Das Referendariat im Strafvollzug machte Schwenns Seelenunfrieden nur größer: Hier saß die gleiche elende Klientel, und auch hier saß mancher ewig. Wie die meisten bekannten Anwälte übernimmt Johann Schwenn deshalb bis heute immer wieder Umsonstmandate. Dann verteidigt er vorzugsweise junge Leute, Affekttäter oder Menschen, die am Ende sind.

Es gibt noch eine andere Seite in diesem Rollenspiel. Eine, die dem heldenhaften Selbstbild der Verteidiger ein eher profanes Fremdbild entgegensetzt. Eine, die im Feuerwerk von Beweisanträgen und Ablehnungsgesuchen allenfalls Verschleppungsmethoden, Störmanöver oder Verkomplifizierungen der Verhandlung erkennen kann. Auf dieser Seite finden sich jene, die von Amts wegen am Verfahren beteiligt sind: In den Augen von Richtern und Staatsanwälten sind flammende Grundsatzreferate im Gerichtssaal vor allem Ausdruck von Wichtigtuerei und Prinzipienreiterei einer frustrierten Berufsgruppe. Der Vorsitzende Richter am Hamburger Landgericht, Gerhard Schaberg, erlaubte es sich ausnahmsweise einmal, einen Anwalt in der Verhandlung mit den Worten zu züchtigen: „Das Verteidigerverhalten wird dem Angeklagten nicht straferschwerend angerechnet.
(…)“

Man sieht, da ist einiges zu erwarten, aber welches Ergebnis dies haben wird, kann man definitiv nicht voraussagen – noch nicht mal den Einfluss, den Johann Schwenn überhaupt noch auf den Prozess wird nehmen können.

Doch es ist nicht das erste Mal, dass dieser Strafverteidiger ins Licht der Öffentlichkeit tritt: die Liste seiner Klienten ist lang und reicht durch alle Schichten, aber viele Prominente sind dabei. Und viele seiner Auftritte vor Gericht werden als durchaus bemerkenswert beschrieben. Da könnte auf das Mannheimer Gericht und Lars Torben etwas Neues und durchaus Lehrreiches zukommen.

Aber Johann Schwenn gilt nicht nur als starker Verteidiger in der ersten Instanz, sondern auch als sehr erfahrener Rechtsanwalt in Revisions- und Wiederaufnahmeverfahren (Klick). Man mag daraus seine Rückschlüsse ziehen oder nicht – doch so einige Anlässe für eine Revision bei einem Schuldspruch sind ja schon jetzt durchaus gegeben.

Einen besonderen Bezug auf das aktuelle Verfahren hatte nach meiner Einschätzung ein Verfahren in Hannover, bei dem es um die Frage ging, ob zwei Männder wegen einer angeblichen Vergewaltigung viele Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen haben (Klick). Tatsächlich wurden sie später freigesprochen (Klick). Auch dort spielten übrigens Sachverständige und die Frage von einseitigen Befragungen des mutmasslichen Opfers durch diese eine nicht unerhebliche Rolle, und ein Stück der Aufklärung des Sachverhalts und der nachträglichen Rehabilitierung der mutmasslichen Täter ging auf das Konto des Verteidigers Schwenn.

Der Prozess ist jedenfalls um eine Facette reicher – lassen wir uns überraschen, zumal die Kammer nun bei eigenwilligen Auslegungen der Strafprozessordnung erheblich grösseren Gegenwind zu erwarten hat als bisher.


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