Essen mit einem Neandertaler

Essen mit einem NeandertalerUnglaublich, was ich alles erlebe, wenn ich nur Essen gehe. Meistens ist es ja sehr lecker und ich hatte ja schon mal erwähnt, dass ich lieber nicht so oft essen gehe und dafür nicht zu Mc Donald’s, Burger King und die Pommesbude. Essen muss zelebriert werden, wenn man sich schon mal die Zeit nimmt, Essen zu gehen. Dann soll es auch besonders sein. Jetzt gibt mein Portemonnaie nicht wirklich die High-Class-Restaurants her. Davon mal abgesehen, dass ich Angst hätte, hungrig wieder nach Hause zu gehen. Ja, ich weiß, es sind Klischees und die Nouvelle-Cuisine hat ihren Hipe schon hinter sich. Nein, es sind eher mittelklassige Läden, die ich dann gerne aussuche. Ich hatte schon mal erzählt, ne, Sushi und rohen Thunfisch könnte ich essen, bis mir selbst Kiemen wachsen. Und witzigerweise merkt man hier auch nicht so sehr das All-You-Can-Eat, weil man sehr leicht isst. So ein Schnitzel-Restaurant mit Schnitzeln, die größer sind als Radkappen, das wäre nicht meins. Prinzipiell habe ich sowieso den Eindruck, dass man beim Frittieren die erlegte Beute ein zweites Mal tötet. Und mein Inneres streikt. Leider habe ich das Pech, dass nicht alle in meiner näheren Umgebung dem rohen Fisch verfallen sind. So waren wir letztens in einem brasilianischen Restaurant hier in Düsseldorf. Angeblich sollte es da auch Tapas geben, von denen habe ich jetzt erst gehört, als ich für den Text nochmal nachgeschaut habe. Fleisch gabs viel. In allen Variationen, ich glaube, ich habe alle mir bekannten Fleischzubereitungsvariationen aus allen Teilstücken auf einmal gesehen. Alles sehr lecker, kann man nichts gegen sagen, ich mags ja, wenn es sehr kleine Portionen gibt, von denen man dann alles probieren kann. Und man keine Angst haben muss, etwas zu bestellen, was man nicht mag und im Nachhinein denkt, einmal und nie wieder und das eine Mal war eigentlich auch schon zu viel. Zwischendurch mal plaudern, während das Essen peu a peu an den Tisch kommt, genial.

Alles in Allem, hatte ich einen sehr schönen Abend letztens, vor allem einen leckeren Abend, aber kein Abschluss ohne Feuerwerk. Wir fragten nach der Rechnung, der Kellner, der sie dann brachte, fragte in die Runde, wem er die Rechnung geben solle, beziehungsweise wer bezahlen würde. Weil ich eingeladen hatte, ging ich davon aus, dass ich bezahle, also habe ich ihm auch dementsprechend geantwortet. Und jetzt wurde es surreal. Im ersten Moment wusste ich nicht, wie mir geschah. Wie so oft, mein klassisches Problem. Es traf mich wie ein Schlag, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Da meint er doch tatsächlich, mir antworten zu müssen: „Du bezahlst.“. Und er schickte noch ein Kichern hinterher. Ist es denn so außergewöhnlich, was sollte das? Ich wusste es nicht mehr genau, aber vorher duzte mich auch schon ein Kellner, obwohl alle anderen sehr höflich waren und sogar mein Sohn gesiezt wurde. War es derselbe Kellner? Was tut man da, beschwert man sich beim Geschäftsführer? Und was soll das blöde Kichern? Hat er mir nicht geglaubt? Ist das denn der klassische Fall, in dem man von einer Lüge ausgehen muss? Oder ist sein Problem gewesen, dass ich eine Frau bin? Kannte er das noch nicht, kroch er erst heute aus der Höhle? Darf ich überhaupt so unfair sein und mich über sein Verhalten beschweren, wenn ich es nicht mal schaffe ihn selbst darauf anzusprechen? Wenn ich in diesen Momenten nur halb so viel reden könnte, wie ich danach darüber nachdenke, dann wäre mir schon geholfen. Natürlich habe ich mich nicht beschwert, auch wenn er verdient hätte, eins aufs Dach zu kriegen. Und ja, ich weiß, ich bräuchte mehr Selbstvertrauen, um mir zu denken: Ich könnte jetzt verletzt sein, aber wenn ihm mein Geld nicht gut genug ist, so habe ich einiges gespart. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich in einer ganz anderen Welt im Alltag bin. Dass ich gar nicht mehr mit solchen hirnverbrannten Idioten in Kontakt komme, dass mir nicht nur die dicke Haut, sondern auch die Erfahrung sowie Übung fehlt?

Aber es sollte noch besser werden. Ich reg mich also so voll darüber auf, wie das sein kann, ob das derselbe war, was er denn damit meint, blablabla. Wenn ich will, kann ich mich sehr gut hinein steigern. Da kriege ich zu hören, ich würde es übertreiben. Vielleicht haben sie gar nicht so viele Behinderte hier, vielleicht hat er nur Berührungsängste, vielleicht wusste er nicht, was er sagen sollte, vielleicht war er nur überrascht. Vielleicht ist er aber auch nur ein Arschloch. Diese Erklärung gefiel mir am besten. Viel schlimmer als dieser Neandertaler war für mich zu sehen, dass meine Umgebung es als „nicht so schlimm“ empfand. Ich hätte ja was sagen können, als ich anfing mit „Diskriminierung“ und “ Das geht nicht “ und „Aufgrund meiner Behinderung“ und dass es heutzutage keine Ausrede mehr sein kann, dass man „Berührungsängste“ hat. Ich übertreibe. Ich übertreibe, das wäre nicht so schlimm. Spätestens jetzt könnte man sich nicht beklagen, oder? Selbst wenn ich die beste Antwort für diesen Penner parat gehabt hätte – mein Gott, habe ich jemals so viel abfällige Worte auf einmal in einem Text verwendet? – hätte ich das dann noch sagen können, wo doch keiner für mich Verständnis gehabt hätte?

Tja. Boden der Realität? Ich habs nicht so mit den Fremdwörtern. Akzeptanz ist eins davon. Erstmal der Text auf den Blog, nicht unmittelbar danach, aber anschließend. Essen gehen. Brasilianisch. In Düsseldorf. All-You-Can-Eat. Selber Ort, zu einer anderen Zeit. Das Essen war ja wirklich sehr gut. Ich werd auf jeden Fall nochmal hingehen. Zu Ungunsten der Spontaneität, könnte man sich ja noch eine Antwort parat legen. Wo sind denn die Restaurant-Tester, von denen alle sprechen? Gibt es denn so etwas für Behinderte nicht auch: Den Umgang, Service und Barrierefreiheit testen? Wenn es das nicht gibt, sollte es das bald geben. Ich melde mich jedenfalls jetzt schon mal freiwillig. Zwei Leidenschaften von mir die aufeinander treffen: Mahlzeit und Meckern.

(Foto: Paul-Georg Meister  / pixelio.de)

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