Engel zum Heiligen Abend.

kapuz

Ukraine 08. by kapuz.

Es dämmerte bereits. Nur noch wenige Menschen waren auf der Straße zu sehen.

Ohnehin sah man nicht viele Menschen am Heiligen Abend durch den knietiefen Schnee waten, wenn es gerade dunkel wurde.

Die Verkäufer hatten schon geschlossen.

Nur noch ein kleines Mädchen kämpfte sich durch die Schneewehen.

Es wollte unbedingt noch ein Weihnachtsgeschenk finden, mit dem es das Christkind überraschen konnte.
Die blonden Locken flogen ihm um die Ohren. Das Näschen fror rot an und nur die dunklen, blauen Augen schauten munter drein.

Das Kind blickte in die hell erleuchteten Fenster zu den frohen Gesichtern herein, jedoch fand es nichts, was es auch dem Christkind hätte schenken können.
Der Frost drang durch seine Kleidung, tief bis in die Knochen, deshalb lief es in die nahe gelegene Kirche, um sich dort ein bisschen aufzuwärmen, bevor es nach Hause ging.

Es setzte sich in eine der riesigen Bänke und lauschte dem Gesang der Orgel, die für niemanden sonst spielte.
„Wen haben wir denn da?“, fragte eine tiefe Stimme.
Es zögerte.

„Na, magst du nicht sprechen ?“

„Clara“, flüsterte ein kaum hörbares Stimmchen zurück.
„Clara. Ja, was machst du denn hier? Solltest du nicht mit deiner Familie Weihnachten feiern?“, brummte die tiefe Stimme.
„Ich suche ein Geschenk für das Christkind“, antwortete Clara schüchtern. Dann blickte das Mädchen hoch in ein freundliches Gesicht.

Irgendwo hatte es diesen weißhaarigen Mann in der Lederjacke schon einmal gesehen. Aber wo, daran konnte es sich nicht mehr erinnern.

Es fasste Mut und fragte mit einem Blick auf seine Schuhe, die auf dem Boden einen nassen Fleck hinterließen:

„Wer bist du? Und wo wohnst du?“

Der weißhaarige Mann atmete tief ein. „Ich komme von weither. Ich habe keine Familie mehr und feiere jedes Jahr hier in dieser Stadt, in dieser Kirche Weihnachten, weißt du!“
Clara fasste langsam Vertrauen zu dem alten Mann.

„Schenkt dir das Christkind auch etwas?“
Der alte Mann zögerte.

Dann schnaufte er und sagte: „Komm her….komm mal her, Mädchen. Ich erzähl’ dir mal etwas.“ Clara rückte näher an ihn heran und wartete gespannt.

„Als ich klein war….etwa so alt wie du….habe ich mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern in einem Zigeunerwagen gelebt.

Er war klein, die rote Farbe war schon abgeblättert und an den Fenstern zog es durch.

Die Tür quietschte immer in den Angeln, wenn jemand sie öffnete.

In dem Wagen waren nur vier Betten.

Meine jüngere Schwester und ich teilten uns das, welches dem Ofen am nächsten stand….“ Er unterbrach sich.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Immer stritten wir uns um die Decke….Zu der Zeit waren alle Menschen sehr arm.

Es war Heiligabend und wir hatten nichts, was wir uns hätten schenken können.

Meine Mutter strickte Schals und Mützen für die Menschen, mein Vater hatte ein verletztes Bein und konnte deshalb keine richtige Arbeit annehmen. Wir hatten nur sehr wenig Geld.

Auch an diesem Abend konnten wir uns nichts leisten.

Meine jüngere Schwester wünschte sich eine Puppe mit langen, schwarzen Haaren und ich wollte unbedingt das Christkind einmal sehen.

Meine ältere Schwester hatte, genau wie meine Eltern, keine Wünsche. Sie wollten Frieden und Gerechtigkeit für alle Zeiten und so langweiliges Zeug, sagten dann jedoch, dafür gäbe es nie Gewissheit….

Als es dunkel wurde, setzten wir uns um die goldene Kerze herum und unser Vater erzählte Geschichten seiner Kindheit.

Draußen tobte ein fürchterlicher Schneesturm und es zog durch alle Ritzen.

Mein Vater war gerade dabei, eine seiner Geschichten zu erzählen, als es leise an der Tür klopfte.

Alle anderen Geräusche verstummten plötzlich und ein kaum hörbares, glasklares Stimmchen sprach:

„Bitte lasst mich herein! Es ist so kalt hier draußen.“

Meine Mutter riegelte die Tür auf und erschrak.

Vor der Tür stand ein kleines Kind in einem dünnen, weißen Hemdchen. Es trug einen Korb mit sich.

„Ein frohes Fest und Gott segne euch!“

Dann überreichte es meiner Mutter den Korb.

Wir stürzten uns richtig auf die Sachen. Da waren Schinken, Brot, Milch, Eier und vieles mehr.

Als wir uns dem Kind zuwenden wollten, um uns zu bedanken, war es verschwunden. Nicht einmal seine Fußspuren waren noch zu sehen.

Mein Vater humpelte hinaus und rief ins Schwarze der Nacht nach dem Kind, das uns ein solches Festmahl beschert hatte, doch es war schon weg.
Als wir dann am nächsten Morgen nach dem Zauber einer langen Nacht aufwachten, hatte es aufgehört zu schneien.

Meine Schwester und ich zogen uns an und wollten rausgehen, um im Schnee zu tollen. Ich erblickte auf der Fußmatte zwei kleine Engelchen.

Meine Schwester und ich steckten sie uns in die Jackentaschen und wollten unser kleines Geheimnis für immer bewahren.

Bis sie dann einige Jahre später an einer schweren Grippe starb….Ich wusste, dass das Christkind sie geholt hatte.

Deshalb hatte ich auch keine Angst.

Manchmal bekomme ich auch jetzt noch zu Weihnachten ein Geschenk vom Christkind. Es schenkt mir jedes Jahr Hoffnung….“
„Wie hieß deine Schwester?“
„Clara. Genau wie du.“

Er schaute auf das riesige Jesuskreuz, das am Altar stand.

Dann stand er auf und wollte gehen.
„Warte doch!“, rief das Mädchen ihm hinterher und sprang auf.

Es hörte ein Geräusch und sah auf dem Boden vor sich zwei kleine Engelchen aus Marmor.

Es hob sie vorsichtig auf und wollte sie sogleich dem seltsamen, alten Mann wiedergeben, der war jedoch verschwunden.

Es betrachtete die Engelchen genauer und bemerkte erst jetzt, dass sie mit einem winzigen, goldenen Faden miteinander verbunden waren.
Mit dem befriedigten Gefühl, ein Geschenk für das Christkind gefunden zu haben, machte das glückliche Mädchen sich auf den Weg nach Hause und beschloss, dem alten Mann ein Bild zu malen und dieses am nächsten Heiligabend an den Platz zu legen, an dem es die Engelchen gefunden hatte.
Als es mit roten Bäckchen und strahlenden Augen endlich zu Hause ankam, wurde es von seiner Familie, die schon in heller Aufregung war, empfangen.

„Das Christkind kommt sicher gleich!“

(Güsdorf, 1997)



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