Eine kurze Expertise über die kurzen Expertisen

Kurz bevor wir in die Welt da draußen mussten, saßen wir da und starrten in das »Morgenmagazin«. Ich trank dabei wie immer zu dünnen Kaffee. Sie brachten etwas zum verschwundenen Flug MH370. Keine Ahnung was, einfach nur das übliche »Kommt-alle-aus-den-Betten-die-Welt-hat-was-Spannendes-zu-bieten-Gefasel«, das man im Fernsehen um diese Uhrzeit so hört. Die Maschine war zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht gefunden worden.    »Vielleicht wurde sie ja von Außerirdischen entführt«, sagte ich zu meiner Frau und nippte am Wasser, das Kaffee sein sollte.    Sie verdrehte nur die Augen. Und das forderte mich heraus, meine These zu verteidigen. Nicht, weil ich an sie glaubte. Ich mag es nur nicht, wenn man mir mit verdrehten Augen kommt.    »Meinst du vielleicht, es gibt außer uns nichts? Ist das alles?«    Ich zeigte auf die drei gutgelaunten Wesen auf dem Sofa und den Nachrichten-Mann, der im Hintergrund eingeblendet wurde.    »Die drei Trottel auf der Couch, die schmale Krawatte von dem Nachrichten-Kerl und die Raute der Kanzlerin? Das muss ja ein mieser Gott sein, dem nicht mehr einfällt.«    Nein, hört auf Leute, ich hör euch ja schon lamentieren: Ich glaube neuerdings nicht an Gott. Dazu habe ich keine Zeit und auch keine Lust. Aber als Polemik eignet er sich manchmal ganz gut.    »Was soll also an meiner Theorie so unglaubwürdig sein?«    Ich nippte nochmal am Wasser.    »Kann doch sein, oder?«    Sie gab mir einen Kuss und verdrehte wieder die Augen. Ich nehme an, diesmal, weil ich so ein guter Küsser bin.    Ich ließ es dabei bewenden, wir mussten ja nun auch vor die Haustüre, ins Reich der Ellenbogen, in dem man sich solcher Gedanken nicht hinzugeben hat, wenn man ein ordentlicher Mensch sein will.

Eine kurze Expertise über die kurzen Expertisen

Das meint der Experte

Na gut, so ganz ließ ich es nicht dabei bewenden - jetzt kommt der Nachschlag. Denn wenn ich es mir so recht überlege, wusste ich in dem Moment etwa so viel, wie all die Experten, die sie rekrutiert hatten, als MH370 plötzlich weg war. Ich erinnere mich an einen Burschen, ich glaube von der »Deutschen Flugsicherung«, der sagte, dass allen Anschein nach und nach Sichtung der Fakten nur ein terroristischer Akt in Frage käme. Seine Ferndiagnose zündete nicht. Schon drei Tage später war diese Theorie schon wieder out. Da lag ich mit meiner Alien-Theorie auch nicht schlechter. Nur machte ich mich zum Narren, würde ich mich selbstbewusst hinstellen und sie verkünden. Aber diesen Burschen laden sie bei der nächsten Sonderbarkeit in den Lüften wieder ein.
Solche Experten sieht man alle Furz lang im Fernsehen. Zu jedem Thema ein Fachmann, der in knappen, aber doch bestimmten Stil expliziert, was jetzt ist, sein wird, was war und wieviel es kostet. Wahrscheinlich gibt es keine Studie dazu, aber ich nehme stark an, dass achtzig Prozent dieser Einschätzungen nicht zutreffen. Wer sollte eine solche Studie auch machen? Experten vielleicht?
Man hat es so weit gebracht, dass das »Metier des Experten«, falls man von einem solchen Metier überhaupt sprechen kann, stark gelitten hat. Wenn ich heute höre, dass sie sich mal wieder so einen Fachmann ins Studio eingeladen haben, dann sage ich: »Aha, wieder so ein Arsch von einem Laien, der es versteht, sein Bauchgefühl so bestimmt zu vertreten, dass sich keiner traut ihm zu widersprechen.« Daran mangelt es mir ganz offenbar. Schon wenn jemand mit den Augen dreht, bin ich aus dem Takt.
Die Experten in der Mediokratie sind Herolde der Sensationsmeldung, Verkündiger der Eskalation, Boten des schlimmsten anzunehmenden Vorfalls. Wenn irgendwo eine Bombe hochgeht, sagen sie, dass weitere Anschläge wahrscheinlich sind. Gibt es einen Virus, geben sie als Expertise ab, dass es sich wie eine Spanische Grippe auswirken könnte. Dass man beruhigt sein sollte, nichts so heiß gegessen wie gekocht wird, »Bleibm Se mal cool!« hört man von ihnen eher nicht. Der Fachmann ist im Medienbetrieb nicht dafür da. Er ist nur ein Fachmann, wenn er die Verschlimmerung einer Situation fachlich aufwerten kann. Die Entskandalisierung geschieht still und ohne fachliche Analyse. Sie soll unmerklich eintreten.
Wenn ich also meine kurze Expertise dazu abgeben dürfte: Es gibt sicherlich viele, die von ihrem Fach Ahnung haben. Man merkt es nur nicht mehr so richtig, weil überall kamerageile Quacksalber und selbstverliebte Scharlatane ihre Birne vor Objektive platzieren. Wir haben den Begriff des »Experten« umgedeutet und das glatte Gegenteil dessen dazu gemacht. Der Experte ist in der Schnelllebigkeit der News-Industrie einer, der den Eindruck eines Kenners vermitteln muss. Mehr braucht er nicht können. Meint es einer wirklich seriös und sagt als Soziologe zum Beispiel, dass man die oder jene gesellschaftliche Entwicklung vielleicht gar nicht zu skandalisieren brauche, dann disqualifiziert er sich. »Langweilig!« rufen sie dann und zappen weiter zu dem Soziologen, der gleich noch eine politische Einordnung mit ordentlich Pfeffer auftischt.
Wenn ich mich also jetzt hinstelle und was von Aliens rede, dann treffe ich wahrscheinlich so wenig ins Schwarze wie das seriöse Anzugswürstchen der »Deutschen Flugsicherung«. Aber witziger wäre ich allemal. Dass ich nicht an Aliens glaube, wäre dabei nicht mal hinderlich. Mein Lieblingsautor hat mal geschrieben, dass man wahrscheinlich »um so wirkungsvoller agieren [könne], je weniger man von einer Sache [versteht] oder daran [glaubt]«. Vielleicht sind auch deshalb all diese neoliberalen Pisser so glaubwürdig für die Menschen. Wäre doch auch mal eine These. Darüber muss ich nachdenken. Ich sag euch dann Bescheid.
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