Durchgeblättert – „Wozu lesen?“ v. Charles Dantzig

« Wozu lesen? » Diese Frage sollte man sich als Leser unbedingt stellen, auch wenn es mehr als schwierig sein könnte, die richtige und vor allem persönliche Antwort darauf zu finden. Bevor Sie jetzt jedoch zu sehr ins Grübeln kommen, nehmen Sie einfach dieses Buch von Charles Dantzig und folgen Sie ihm auf eine ganz besondere «  Lese-Reise ».

« Wozu lesen » ist eine sehr bibliophil (edelster Leineneinband) gestaltete Sammlung kleiner feuilletonistischer Essays, die sich mit der im Titel gestellten und äusserst nachdenkenswerten Frage beschäftigt. Es geht hier jedoch nicht um das Lesen im Allgemeinen, sondern nur um das Lesen von Literatur.

Charles Dantzig gibt in diesem teilweise sehr amüsant bissigen Werk keine konkret allgemein gültige Antwort auf die Frage, sondern er schreibt seine ganz persönliche Meinung über sein Leseverhalten und den Leser an sich, die positiv, negativ, ironisch und teilweise sehr böse ausfällt, aber letztendlich immer das Wichtigste aller Ziele nie aus den Augen verliert, nämlich das Lesen!

Charles Dantzig, geboren 1961, studierte nach dem Abitur Jura, krönte sein Studium mit einer Doktorarbeit in Toulouse, ging anschliessend nach Paris – wo er auch heute noch lebt – und begann als Lektor bei « Belles Lettres ». Hier veröffentlichte er zum ersten Mal auf französisch eine Gedichtsammlung von F.S. Fitzgerald. Er publizierte eine Fülle von Romanen, Essays und Lyrik. Dantzig wird mit vielen Literaturpreisen geehrt. 2005 erhielt er unter anderem für sein Werk « Dictionnaire égoïste de la littérature française » den Prix de l’Essai de l’Académie française. 2010 wird er mit dem Grand Prix Jean-Giono für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Charles Dantzig gehört zu den ganz Grossen der französischen Kulturszene. Seit September 2011 ist er, neben seiner langjährigen Tätigkeit als Lektor im Verlag Grasset, Feuilletonist bei der Zeitschrift « Magazine littéraire ». Zum allerersten Mal erscheint nun mit dem Werk « Wozu lesen ? » ein Buch von Charles Dantzig in deutscher Sprache, das von Sabine Schwenk hervorragend übersetzt wurde!

Charles Dantzig berichtet in mehr als 70 kurzen und prägnanten Essays über seine Lesegewohnheiten, Leseerfahrungen und seine Vorstellungen, was es überhaupt bedeuten könnte, ein guter Leser zu sein.

Die erste Antwort auf die Frage « Warum lese ich ? » lautet: « Ich lese wohl so, wie ich auch gehe. » Charles Dantzig gehört zu den Menschen, die auch beim Gehen lesen, auch wenn er immer mal wieder beispielsweise durch eine Parkuhr mehr oder minder schmerzhaft abgebremst wird. Lesen ist für ihn eine besondere Form der « Bewegung », nämlich seine Bewegung, denn als Kind hat es er schon immer vorgezogen, ein Buch zu lesen, als im Garten zu spielen, geschweige denn Sport zu treiben.

Lesen ist eine intensive Beschäftigung. Bei mancher Lektüre könnte man meinen, dass das Lesen den Leser irgendwie positiv verändert, doch das sieht Dantzig nun gar nicht :

« Das Lesen verändert uns kaum. Vielleicht veredelt es uns ein bisschen, aber ein Drecksack ist und bleibt ein Drecksack, auch wenn er Racine gelesen hat. Aus einem ungebildeten Drecksack ist dann allenfalls ein aufpolierter Drecksack geworden. »

Auch wenn die Veränderung durch die Lektüre nicht zutrifft, ist für Charles Dantzig eines ganz klar: Lesen hat etwas mit Liebe zu tun, ja man könnte sagen, dass es gut ist, wenn man nur aus Liebe liest. Aber nicht nur Liebe, auch wahre Freundschaft kann zwischen dem Leser und dem Schriftsteller entstehen.

Dantzig liest ständig. Sein Leben ist das Lesen. Und genau deshalb will er uns keinesfalls die hundert besten Tipps zum sinnvollen und erfüllenden Lesen liefern. Er berichtet von seinen Lesemomenten, von Schriftstellern, von Buchhandlungen, von Träumen und Visionen, was uns Leser jedoch ungewollt animiert, über unsere ganz persönlichen Leseerfahrungen nachzudenken. Wir spüren bei der Lektüre dieser feuilletonistischen Miniaturen seine fast schon grenzenlose Liebe zu Balzac, Proust und Stendhal, seine differenzierte Verehrung für Thomas Bernhard, seine Probleme mit Marguerite Duras, aber auch seine klare Abneigung zu Céline und anderen Autoren, bei denen es eigentlich nur um sogenannte Beststeller-Produzenten geht. Hier, in diesem Buch, dreht sich alles um die wahre Liebe zum Lesen und um die Rettung der Literatur :

« Gute Leser müsste man einsperren, damit sie lesen ! Man würde ihnen ein Gehalt zahlen, und sie täten nichts anderes als lesend Literatur retten ! »

Aber Lesen ist leider nicht immer sehr gesellschaftsfähig. Der Leser, – nein man muss genauer sagen -, der Büchernarr wird schnell als Exot hingestellt. Gerade deshalb ist es um so wichtiger, sich in die Literatur zu stürzen, um der Isolation etwas zu entfliehen und als Vielleser mit Glück in den Romanfiguren doch noch so manchen Freund zu finden.

Eines der essentiellsten Aspekte beim Lesen ist natürlich die Auswahl der Lektüre, denn Bücher können einen in die Irre führen, der Titel kann vieles versprechen und nicht halten und genau deshalb ist es laut Charles Dantzig sehr wichtig, nicht kompliziert, sondern ganz pragmatisch vorzugehen:

« Eine Lektüre muss man anprobieren wie Schuhe. Wir dürfen niemals denken, dass wir für diese oder jene Lektüre nicht gut genug seien. Aber es gibt durchaus Bücher, die für uns nicht gut genug sind. »

Auch wenn wir all die Ratschläge und Erfahrungen von Charles Dantzig uns zu Herzen nehmen, sind wir dann als Leser mit der Frage « Wozu lesen ? » eigentlich einen Schritt weitergekommen? Es gibt ein ganz klares JA, denn die wichtigste Erkenntnis, die wir durch die Lektüre dieses Buches gewinnen, lautet : « Lesen bringt keinen Nutzen. Genau deshalb ist Lesen etwas Grossartiges. »

Es ist noch viel mehr als etwas Grossartiges, dass der Mensch heutzutage seine oft auf die Sekunde durchgeplante Zeit noch mit etwas vollkommen Nutzlosen verbringen kann. Es lebe die Literatur ! Und genau deshalb sollten Sie sofort mit diesem arrogant-bösen und intellektuell-unterhaltsamen Liebesplädoyer für die Lektüre beginnen. Mit sprachlicher Eleganz wird dieses Werk zu einem charmant-sarkastischen und sehr intelligent verpackten «Marketingbrevier» für das Lesen. Doch eines sollten Sie bei der Lektüre dieses Werkes nie vergessen – den Bleistift. Nicht nur, weil « ein guter Leser schreibt, während er liest », sondern weil Sie jedes Zitat von Charles Dantzig – einer der brillantesten Wort-Jongleure und Fabulierkünstler – unterstreichend festhalten möchten.

« Wozu lesen ? » wirbt für das Lesen und die Literatur ! Wir machen «Werbung» für dieses Buch, damit Sie verehrter Leser nie vergessen werden, warum Sie lesen !



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