Die "Witzfiguren" Broder, Kelek und Abdel-Samad und der Säkularist Erdogan

Die "Witzfiguren" Broder, Kelek und Abdel-Samad und der Säkularist Erdogan
von Thomas Baader
Wie kommt ein heller Kopf, der einen sehr interessanten Blog betreibt, dazu, drei aufgeklärte Menschen mit großen Verdiensten als "Witzfiguren" zu bezeichnen - und gleichzeitig den reaktionären türkischen Ministerpräsidenten als Lichtgestalt zu feiern?

Der Berliner Blogger Cengiz Dursun ärgert sich über einen Leserkommentar bei Welt Online. Dort schreibt jemand, dass er den Islam hasst.

Ich äußerte mich schon mal in einem früheren Text zum Thema "Hass". Das Wort beschreibt ein sehr starkes, irgendwie unkontrolliertes Gefühl, und wenn es jemand verwendet, so ist mein erster Impuls in der Regel, dass ich mir Sorgen um die geistige Gesundheit des Sprechers oder Schreibers mache. Hass ist sicher nicht gesund. Wenn also jemand schreibt, er "hasst" irgendetwas, dann läuft es mir immer ein wenig kalt den Rücken herunter, denn den Hassenden bemitleide ich, um die potenziellen Objekte seines Hasses sorge ich mich. Eine Ausnahme mache ich: einen bestimmten Menschen zu hassen, der einem etwas Schlimmes angetan hat, halte ich weder für ungesund noch moralisch verwerflich.

Ablehnung hingegen ist etwas anderes als Hass. Als Katholik gestehe ich jedem Menschen das Recht zu, den Katholizismus abzulehnen. Warum auch nicht? Der Katholizismus ist keine Hautfarbe oder Herkunft. Er stellt eine Lehre mit ganz konkreten Inhalten dar. Selbstverständlich gibt es keine irgendwie geartete moralische Verpflichtung, diesen Inhalten positiv gegenüber zu stehen. Man darf also den Katholizismus von ganzem Herzen ablehnen. Den Islam natürlich auch.

Problematischer wird es aber, wenn die negative Einstellung nicht der Lehre, sondern den in die jeweiligen Religionen hineingeborenen Menschen gilt. Hier ist auch der Unterschied zwischen Religionskritik und Hetze zu suchen. Ablehnende Äußerungen, die Katholiken oder Muslimen im Allgemeinen gelten, sind etwas anderes als eine Ablehnung von Katholizismus oder Islam. Deshalb ist ja auch der Satz von Joachim Gauck völlig akzeptabel, nach dem die Muslime zu Deutschland gehören, aber nicht der Islam. Er stellt eine durch und durch legitime Position dar, die man eben teilen kann oder auch nicht.

Kommen wir zurück zu unserem hassenden Kommentator von Welt Online. Man darf hier in der Tat Ungutes vermuten, denn er möchte dem Islam "ein Ende bereiten". Was er damit genau meint, ist unklar, und man könnte an dieser Äußerung sicher so lange verharmlosend ruminterpretieren, bis man das Niveau der "Israel muss von der Landkarte verschwinden"-Debatte erreicht hat. Realistischer ist jedoch die Einschätzung, dass es sich bei dem Schreiber in der Tat um einen Hetzer im oben beschriebenen Sinne handelt.

So weit, so schlecht. Nun aber schreibt Cengiz Dursun einen Satz, der irritiert: "Wo bleiben die Islamkritiker, darunter die Witzfiguren Henryk M. Broder, Hamed Abdel Samad und Necla Kelek, die sonst auf alle möglichen Ressentiments aufmerksam machen?"

Wo sie bleiben? Wollen wir ihnen doch fairerweise zugestehen, dass sie diesen Leserkommentar nicht kennen - was ziemlich wahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist allerdings auch, dass sie sich nicht sonderlich lange mit ihm beschäftigen würden, wenn sie von ihm Kenntnis hätten. Sein Inhalt gehört nicht zu ihrem Schwerpunkt.

Doppelmoral? Nein. Wahren Humanisten sollte Doppelmoral fremd sein, aber thematische Schwerpunkte setzen dürfen sie schon. Auch Cengiz Dursun beschäftigt sich auf seinem Blog stärker mit Hetzkommentaren von PI als mit den Äquivalenten bei Turkish Press. Das ist ihm nicht vorzuwerfen. Auch ich habe meine Schwerpunkte - aber Broder, Kelek und Abdel-Samad eben auch.

Wenn also Cengiz Dursun den drei genannten Personen vorwirft, sich mit dem von ihm zitierten Kommentar nicht zu beschäftigen, dann könne man umgekehrt fragen, warum Cengiz Dursun seinerseits nicht diese Äußerungen thematisiert, die im Dezember 2011 im Kommentarbereich der Deutsch-Türkischen Nachrichten zu finden waren:
- "Also eu ist türkenfeindlich die zweiten juden halt."
- "Ich finde wir könnten mal nur aus politischem Kalkül abstimmen ob es ein Holocaust gab? Schon aus moralischen Gründen unseren deutschen Freunden gegenüber, die von den Juden seit Jahrzenten ausgesaugt werden."
- "Die juden regieren auch die Türkei ,wie die ganze welt überall sind sie vertretten unser freund sarkozy …Seine mutter ist griechiche jüdin"

Nein, wenn Cengiz Dursun sich hierzu nicht geäußert hat, dann ist es auch Broder, Kelek und Abdel-Samad nicht vorzuwerfen, dass sie einen durchgeknallten Leserkommentar bei Welt Online nicht zur Kenntnis nehmen.

Was nun das Wort "Witzfiguren" betrifft: Wer sich mit teils provokanten Äußerungen in die Öffentlichkeit begibt, muss natürlich mit Kritik rechnen. Ich mache mir auch nicht jede Äußerung dieser drei Personen zu eigen, mit einigen habe ich sogar ausgesprochen große Probleme. Dafür gibt es zurückliegende und aktuelle Beispiele. Allerdings will ich auch nicht verhehlen, dass ich die Übereinstimmung für größer halte als die Differenzen. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, dass die "Witzfiguren" bereits einiges geleistet haben, was ihnen hoch anzurechnen ist. Henryk Broder und Necla Kelek waren beide Teilnehmer bei einer Solidaritätveranstaltung für ein Frauenhaus im türkischen Batman. Broder hat außerdem durch die Veröffentlichung von Pressemitteilungen und anderen Texten auf der "Achse des Guten" die Arbeit von Peri e. V. effektiv unterstützt. Ich selbst habe bei eineem Benefizabend der Darmstädter Service-Clubs einen Scheck für Peri e. v. entgegennehmen dürfen, der dem Verein durch eine Empfehlung von Necla Kelek zugute kam. Hamed Abdel-Samad hat in seinem ägyptischen Heimatdorf Diskussionsveranstaltungen organisiert, bei denen weibliche Genitalverstümmelungen angeprangert wurden. Wenn dadurch nur in einer einzigen Familie ein Umdenken zustande kam und nur ein Mädchen nicht mehr grausam verstümmelt wird, dann ist dies Hamed Abdel-Samad hoch anzurechnen.

Angesichts dieser Tatsachen ist es vielleicht verständlich, dass ich mir mit der Charakterisierung als "Witzfiguren" schwer tue. Man sollte sich, wenn man die bisherigen Leistungen eines anderen Menschen rekapituliert, immer fragen, ob man selbst eigentlich mehr getan hat als diese, um anderen Menschen zu helfen.

Nun zum türkischen Ministerpräsidenten: In Libyen kommt es zu einer Stärkung säkularer Kräfte, und das ist das Verdienst von Erdogan. Soweit die Theorie von Cengiz Dursun. Folgerichtig schreibt er daher: "Lang lebe Atatürk! Lang lebe Erdogan, der das erreicht hat, was die alten Kemalisten in 80 Jahren nicht erreicht haben! Lang lebe der Laizismus!"

Es gibt sicher nicht wenige Menschen, denen sich die Zehennägel aufrollen angesichts der Behauptung, Erdogan stehe in der Tradition von Kemal Atatürk.

Wir erinnern uns: Erdogan sollte vor einiger Zeit in Bochum den Steiger-Award entgegennehmen. Er hat geknifffen. Menschenrechtsorganisationen, Kurdische Verbände, Alevitische Gemeinde, Zentralrat der Armenier, andere Minderheitenvertreter aus der Türkei - sie hatten angekündigt, ihn mit einer roßdemo zu empfangen. Die Mehrheit der Demonstranten hätte zweifellos aus Türkeistämmigen bestanden und somit Erdogans Anspruch, all diese Menschen hier in Deutschland vertreten zu wollen, geradezu lächerlich erscheinen lassen.

Erdogan ist kein säkularer Humanist, sondern ein ultrareligiöser Rechtspopulist mit schrägen nationalistich-aggressiven Tönen. Da schwadroniert der türkische Regierungschef davon, dass er im Stil eines absolutistischen Herrschers mal eben so nebenbei Tausende von Armeniern abschieben lassen könnte, wenn Armenien ihm Ärger macht. Türkisch-Armenisches Versöhungsdenkmal in Kars? Abreißen, befielt der Möchtegern-Napleon vom Bosporus. Völkermord an Moslems in Srebrenica ist schlimm, Völkermord an den Armeniern gab es nicht. Wäre Erdogan durch einen Zufall der Geschichte Serbe, würde er vermutlich genau das Gegenteil sagen. Ein waschechter Nationalist eben mit all der dazugehörigen Doppelmoral. Als Träger des Gaddafi-Menschrechtspreises (Zurückgeben? Wieso denn?) fühlt sich der türkische Ministerpräsident sicher über jede Kritik erhaben. Erdogan ist ein Mann, der "den Juden" empfiehlt, ihre Geschichte genau zu studieren, und den das Simon-Wiesenthal-Center 2011 auf Platz 2 seiner Liste der Antisemiten des Jahres gestellt hat. Einige Aussagen von Erdogan könnten, würde man nur einige wenige Begrifflichkeiten austauschen, genauso gut von der NPD stammen.

Cengiz Dursun, so sieht Ihr Held aus?

Jemand, der den Blog von Cengiz Dursun nicht kennt, muss aufgrund meines Textes einen eigentümlichen Eindruck von ihm erhalten. Das ist ja das Kuriose. Denn ich zweifle keinen Moment daran, dass Cengiz Dursun Humanist und Säkularist durch und durch ist. Er hat großartige Texte geschrieben. Es war mir eine Ehre, dass ich einen davon auf dem MRF-Blog veröffentlichen durfte. Umso größer dürfte nun die Verwunderung bei vielen sein.

Aufmerksamen Lesern seines Blogs dürfte die Veränderung, die sich im Schreiben Cengiz Dursuns vollzog, kaum entgangen sein. Im Juli 2011 bekundet er in dem Artikel "Danke, lieber Henryk" noch, großen Respekt vor Broder zu haben und bezeichnet ihn als "wahren Menschenrechtler". In nur einem Jahr vom wahren Menschenrechtler zur Witzfigur?

Ich werde den Blog von Cengiz Dursun weiterhin aufmerksam lesen. An dieser Stelle danke ich ihm für die Weiterleitung von Pressemitteilungen von Peri e. V.

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