Die Wahrheit? – PR übernimmt den Journalismus

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Wahrheit oder ein verzerrte Abbildung, zur Täuschung inszeniert?* – Grafik: © politropolis.de

Was ist die Wahrheit? Schwer zu sagen heutzutage, in Zeiten in denen PR-Agenturen dem Journalismus den Rang ablaufen. Deren Ziel ist es, “Meinung zu designen”, in dem deren Produkte aus Wort und Schrift oder bewegtem Bild über die sogenannten “Qualitätmedien” lanciert werden. Also dergestalt, dass der Leser/Zuhörer/Fernseh-Zuschauer denkt, bei dem was er in den Nachrichten oder Magazinen liest, hört oder sieht, handle es sich um eine neutrale Information oder um eine Meinung eines Kommentators, ein Angebot um sich selbt eine “eigene” Meinung bilden zu können. Doch bereits die Verbreitung einer Schlagzeile, einer als Information getarnten Meldung selbst, kann in der Absicht geschehen, “Meinung” zu machen. Untersuchungen aus den USA zeigen auf, wie sich die Medienwelt verändert.

Mächtige PR: Die Ölpest-Berichterstattung “Deepwater Horizon”
Man erinnere sich an das Unglück bei der Tiefseebohrung “Deepwater Horizon“. Als im April 2011 eine Anhörung mit den involvierten Firmen statt fand, stellte der New York Times-Autor David Barstow (er ist Pulitzer-Preisträger für investigative Reporter 2013) erstaunliches fest: “Es gab dort mehr PR-Leute, die für ihre Firmen aussagten, als dort überhaupt Reporter anwesend waren.”  Die Ölpest im Golf von Mexiko war im Jahr 2010 das größte Medienereignis. Bei den Anhörungen und dem Presseterminen war der Konferenzraum des Tagungs-Hotels stets überfüllt. Der Kapitän der Küstenwache Hung Nguyen ermahnte die Teilnehmer im Vorfeld: “Wir werden weiterhin so lange die volle Medienpräsenz erlauben, wie dies nicht die Rechte der Parteien auf ein faires Verfahren behindert und nicht übermäßig von der Ernsthaftigkeit, Anstand und Würde des Verfahrens ablenkt” (1) Und weiter argumentierte der Offizielle, das sei notwendig, um Zeugen [hier: Firmen] vor einer “Hetzjagd der Presse” zu schützen. Doch als Barstow sich in dem Konferenzraum unter den Teilnehmern umsah, waren die meisten, die sich eifrig Notizen machten, nicht dazu da, um Fragen zu stellen, sondern dazu, um sie zu beantworten.
Die Milliarden Liter Schweröl, die das Meer und eine ganze Küstenregion samt Flora und Fauna in Mitleidenschaft ziehen, scheinen heute keine Meldung mehr “wert” zu sein. So, alsob das “Nicht-Melden”, das “Aus-der Öffentlichkeit-nehmen” dieses Themas gleichsam das “Verdunsten” des Schweröls samt dem “Verschwinden” der sozialen Folgen in den Küstenregionen befördere. Auch eine Art der Einflussnahme, in dem andere, gewinnträchtige Schlagzeilen in den Vordergrund gepusht werden.

“Die Muskeln des Journalismus werden immer schwächer und die Muskeln der Public-Relations (PR) werden aufgepumpt – als ob sie auf Steroiden wären”, sagt Barstow, der zum Thema einige wichitge Artikel publizierte.

In ihrem jüngsten Buch, ” The Death and Life of American Journalism”, verfolgen die Autoren Robert McChesney und John Nichols die Anzahl der Menschen, die im Journalismus seit 1980 tätig sind und verglichen sie mit den Zahlen für Public-Relations, also privat finanzierter “Öffentlichkeitsarbeit”. Anhand der Daten aus dem US Bureau of Labor Statistics, ermittelten sie, dass die Zahl der Journalisten sich drastisch verringerte, während die Anzahl der PR-Leute sich vervielfacht hat. Im Jahr 1980 gab es etwa 0,45 PR-Arbeitnehmer pro 100.000 Einwohner im Vergleich zu 0,36 Journalisten. Im Jahr 2008 gab es 0,90 PR-Leute pro 100.000 im Vergleich zu 0,25 Journalisten. Das ist ein Verhältnis von mehr als drei-zu-eins. Und dabei ist PR gegenüber dem Journalismus erheblich besser ausgestattet und besser finanziert. (2) Die Buchautoren gehen der Frage nach, ob diese “Medien-Revolution” der Beginn einer neuen Welt darstellt.

McChesney ist Professor für Kommunikation an der University of Illinois und sieht die Gefahren klar auf der Hand liegend: Durch das Aufsteigen der PR werden private und staatliche Interessenlagen dafür sorgen, die öffentlichen Debatten zu filtern, zu verzerren, und zu dominieren – und das in einer Art und Weise zu erledigen, dass die Öffentlichkeit es nicht mitbekommt. “Was wir jetzt sehen, ist der Niedergang des Journalismus; in der gleichen Zeit erleben wir eine zunehmende PR und Propaganda”, sagt McChesney und führt weiter aus, dass das in einem “noch nie dagewesenen Ausmaß” geschehe.

Das Meinungsforschungsinstitut Pew Center warf 2010 einen Blick auf die Auswirkungen dieser Veränderungen in einer Untersuchung des Baltimore Nachrichten-Markts. Der Report, “How News Happens,” (3) hat festgestellt, dass zwar durch neue Online-Portale die Nachfrage nach Nachrichten gestiegen war, die Zahl der ursprünglichen Geschichten, die sich dort ausgebreitet hatten gleichzeitig hingegen abnahmen. Es wurde ermittelt, dass von 63 Prozent der Nachrichten über jene Themen, die durch Regierungtätigkeit entstanden, 23 Prozent von Interessenverbänden und PR produziert wurden, und nur 14 Prozent von Reportern recherchiert waren.

PR-gesteuerte öffentliche Meinung

Die Journalistin Jane Mayer schaffte es, die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf “Interessengemeinschaften” zu lenken, die gezielt die öffentliche Meinung beeinflussen. In einem “enzyklopädischen” Artikel über die Koch-Brüder (4) beschrieb sie, wie die Kochs Organisationen finanzierten, um ihre reaktionäre politische Philosophie zu fördern und Stimmung gegen gegen Obamas politischen Vorhaben zu machen, insbesondere gegen Obamas Programme zur Wirtschaftsförderung und seine Gesundheitsreform “Obama Care”.  Verflechtungen dieser PR-Maschinerie mit “transatlantischen Bündnissen” und Deutschland traten zutage, als der deutsche Ex- Verteidigungsminister zu Guttenberg mit seinen peinlichen PR-Auftritten an amerikanischen Elite-Universitäten (wieder einmal) grandios scheiterte. (6) Interessant war dies insbesondere als Beobachtung im Vorfeld der Verhandlungen zu der “Transatlantischen Freihandelszone”.

Laut Mayer sei es eine der schwierigsten Aufgaben der Berichterstattung in solchen Fällen, wie der “Kochtopus-Geschichte” die “Suche nach den Verbindungen zwischen den Gruppen und ihren Geldgebern” geworden. (Siehe diese interaktive Grafik, die belegbare Verbindungen grafisch darstellt)
Viele Menschen und Organisationen seien daran beteiligt, neben den Kochs-Fonds “Gruppen aus beiden Enden des politischen Spektrums”. Eine groß angelegte Verschleierungstrategie behindert so auch die Recherchen nach den Hintermännern.
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Was ist also heute die “Wahrheit” und was ist eine “Information” zur eigenen Meinungsbildung wert? Schauen Sie sich das obige Titelbild zum Arikel nochmals an: “Hund greift einen Menschen an” könnte die Meldung lauten und wir mögen es für “die Wahrheit” halten. Wenn Sie sich dann aber das ganze Bild samt seiner (möglichen) Entstehung und Zusammenhänge betrachten, kann sich diese Darstellung und das, was wir als belegbaren Fakt wahrnehmen (weil´s in der Zeitung steht – weil´s in der Tagesschau kommt), als Täuschung,  als Theater entpuppen.

HoehlengleichnisGrafik

Platons Höhlengleichnis – Foto: © by Liquidian / Wikipedia (GNU)

Die Anordnung der Situation nach Platons-Höhlengleichnis:

“Stelle dir Menschen vor in einer unterirdischen Wohnstätte [...] von Kind auf sind sie in dieser Höhle festgebannt. [...] (sie) sehen nur geradeaus vor sich hin [...] von oben her aber aus der Ferne von rückwärts erscheint ihnen ein Feuerschein; zwischen dem Feuer aber und den Gefesselten läuft oben ein Weg hin, längs dessen eine niedrige Mauer errichtet ist [...] Längs dieser Mauer [...] tragen Menschen allerlei Gerätschaften vorbei…
[...] Durchweg also würden die Gefangenen nichts anderes für wahr gelten lassen als die Schatten der künstlichen Gegenstände.

aus: Platon, im siebten Buch seines Hauptwerkes “Politeia” (427–347 v. Chr.)

Die Anordnung des “Höhlengleichnis” des antiken griechischen Philosophen Platon liefert eine Situation, die der der heutigen “Massen” nicht unähnlich ist. Darauf bauen die PR-Strategien auf. Um der allgegenwärtigen Manipulation der Wahrnehmung zu entkommen, müssten die Menschen sich “abwenden von den Schatten an der Wand”, also dem was über den Bildschirm flimmert. Der erste Schritt zur “Erkenntnis” wäre der, sich von Gewohntem zu lösen – also dem, was man täglich gewohnheitsmäßig und antrainiert wahrnimmt.
Einfacher ist es natürlich, dass alles so bleibt, wie es ist, weil es doch oft leichter fällt, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Doch wenn der Aus- bzw. Aufstieg aus der “Höhle der Schatten” gelingt, kann man “im Licht” die Dinge betrachten und erkennen wie sie wirklich beschaffen sind – und merkt, dass die Wahrnehmung schon immer trügerisch gewesen ist.

Bettina Ickelsheimer-Förster (7) schreibt in Ihrer Zusammenfassung über das Höhlengleichnis: “Wie man von einem Bildausschnitt nicht auf das Gemälde schließen kann, weil man es ganz sehen muss, um es zu erkennen, muss auch der Mensch seinen Blickwinkel vergrößern, seinen Horizont erweitern, bevor er die Wahrheit erkennen kann; das was sich hinter den Schatten verbirgt. [...] Und nach Platon hat der Philosoph dabei die Aufgabe diese Erkenntnis, das wahre Wissen; die Wahrheit hinter den Dingen, den anderen Menschen zu vermitteln, indem er sie aus der Höhle der Unwissenheit führt.”

Demnach hätten wir eindeutig zu viele PR-Leute und zu wenig Philosophen, die zur “Erleuchtung” der Menschen beitragen, um den Journalisten wieder ein erkenntnissuchendes Publikum zu bieten. Vielleicht spielt es der PR auch in die Hände, dass die Philosophen von heute für die Normalbürger zu unverständlich geworden sind, in einer anderen Bildungs- und Sprachsphäre residieren. Aber vielleicht tun es -bis uns die Philosophen wieder an die Hand nehmen und ins Licht führen- bis dahin die Kabarettisten übergangsweise auch.

von Hans-Udo Sattler


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Quellen – weiterführende Links

(1) ctwatchdog.com, “Public Relations Taking Over Journalism
(2) The Death and Life of American Journalism: The Media Revolution that Will Begin the World Again, Robert Waterman McChesney, John Nichols
(3) journalism.org, “How News Happen
(4) NewYorker.com, “Covert Operations” (Verdeckte Operationen)
(5) politropolis.de, “Der Kochtopus, die Teaparty und die Erzkonservativen”
(6) Guttenberg und das transatlantische Syndikat
(7) suite101.de, Platons Höhlengleichnis

Grafik(en): Illustrationen zu von Platons Höhlengleichnis, GNU Free Documentation License, gefunden auf Wikipedia, by Liquidian
Video: Max Uthoff – Lüge und Wahrheit – Neues aus der Anstalt 01.10.2013 – uplaoder: Bananenrepublik1


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