Die Schwarze Hand schlägt zu

Gavrilo Princip (1894-1918) ermordet den österreichischen Thronfolger

Die Schwarze Hand schlägt zu

Durch den Jubel der Menge peitschen zwei Schüsse. Es sind die ersten Schüsse des Ersten Weltkriegs. Abgefeuert hat sie Gavrilo Princip, ein 19 Jahre alter Gymnasiast – und glühender serbischer Nationalist. Princip ist kein geübter Schütze, aber das Schicksal kommt ihm zuhilfe: Der Fahrer des Auto, in dem der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie sitzen, biegt falsch ab und hält direkt vor Princip an, um zu wenden. Die erste Kugel trifft versehentlich Sophie in den Unterleib, die zweite findet ihr Ziel und zerfetzt Franz Ferdinands Halsvene. Erst als Princip sein blutiges Werk beendet hat, nimmt der Wagen wieder Fahrt auf und rast dem Arzt entgegen. „Sopherl, Sopherl, sterbe nicht“, flüstert der tödlich getroffene Kronprinz, „bleibe am Leben für unsere Kinder...“ Aber es ist zu spät, Sophie ist bereits ohnmächtig. Auch Franz Ferdinand verliert langsam das Bewusstsein. „Es ist nichts...“ sind seine letzten Worte. Derweil ist die wütende Menschenmenge bereits drauf und dran, Gavrilo Princip zu lynchen. Nur mit Mühe gelingt es den ebenfalls aufgebrachten Polizisten, den bereits schwer misshandelten Attentäter in Gewahrsam zu nehmen.

Die Schwarze Hand schlägt zu

Gavrilo Princip wird am 25. Juli 1894 im bosnischen Gebirgsdorf Gornji Obljaj auf der Hochebene von Gravoho geboren. Seine Eltern sind Bauern, die hart arbeiten müssen, um halbwegs über die Runden zu kommen. Seine Mutter Nana hat sogar am Tag der Geburt noch auf dem Feld geschuftet. Trotzdem reicht es hinten und vorne nicht. Vater Pepo muss zusätzlich noch Post austragen - kein einfaches Unterfangen in der zerklüfteten Grenzregion. Neben der bitteren Armut gesellt sich der Tod allzu oft zu den Princips: Sechs von neun Kindern müssen Nana und Pepo früh begraben. Auch Gavrilo ist schmächtig, aber er beißt sich durch und schafft es als Jugendlicher nach Sarajewo. Dort will ihn sein älterer Bruder ausgerechnet zum Offizier der österreichisch-ungarischen Armee ausbilden lassen. Erst als ein Freund der Familie energisch dazwischengeht – „Willst Du ihn zum Feind unseres Volkes machen?“ – schickt ihn der Bruder dann doch lieber auf die Handelsschule. Dort verbringt Gavrilo Princip die Jahre, in denen er die österreichische Besatzungsmacht hassen lernt. 1908 annektiert die Donaumonarchie Bosnien und die Herzigowina, die sie zuvor bereits verwaltet hatte – verwaltet, aber eben nicht annektiert. Zu Princips Vorbild avanciert Bogdan Žerajić, der vor einiger Zeit ein erfolgloses Attentat auf den österreichischen Staathalter von Bosnien verübt hatte. Nachdem man Žerajić zum Tode verurteilt, hingerichtet und verscharrt hat, verbringt Princip ganze Nächte am Grab seines Idols. Zusehends gerät er in den Dunstkreis von den nationalistischen Zirkeln, deren Mitglieder von einem gesamtslawischen Großserbien träumen. Dafür, so poltern die einflussreichen Verschwörer in konspirativen Hinterstübchen, müsse man über Leichen gehen.

Die Attentäter (unten) und ihre Hintermänner Die Attentäter (unten) und ihre Hintermänner

Princip ist weniger ein Mann der großen Worte. Wovon die einen reden, das will er in die Tat umsetzen. Besonders vertraut plant er mit dem Sohn seiner Vermieterin in Sarajewo, Danileo Ilíc, und den Freunden Nedeljko Čabrinović und Trifko Grabež. Gegen die Besatzer hilft nur Terror - darin sind sich die drei schnell einig. Was wäre da besser geeignet als ein Mordanschlag gegen einen führenden Kopf der Donaumonarchie? Die meisten Serben würden das wohl gutheißen. Längst machen ursprünglich im Untergrund enstandenen nationalistische Bewegungen wie die „Narodna Odbrana“ (Volksvereinigung) keinen Hehl mehr aus ihrem Hass auf die Habsburger. Als man sich in Wien dieser Gefahr bewusst wird, sagt man der „Narodna Odbrana“ den Kampf an. Dabei übersehen die Österreicher die Schwesterorganisation „Ujedinjenje ili smrt“ (Vereinigung oder Tod), genannt Schwarze Hand, die sie dann auch nicht zu fassen bekommen. Dabei ist die Schwarze Hand wesentlich gefährlicher: Dass sie nach wie vor im Dunkel des Untergrunds operiert, verbirgt, dass zu ihren Angehörigen und Sympathisanten auch die politische Elite des Landes gehören. Ironischerweise ist der maßgebliche Strippenzieher, Dragutin Dimitrijević (genannt Apis), zugleich der Chef des serbischen Geheimdienstes. Sein engmaschiges Netzwerk an V-Leuten reicht von den einfachen Bahnbeamten und der Landbevölkerung über die höheren Dienstgrade von Militär und Verwaltung bis hinauf in die Regierung um Ministerpräsident Nikola Pasíc. Sie alle werden helfen oder zumindest nichts dagegen unternehmen, dass aus den dilettantischen Attentatsplänen von Gavrilo Princip und seinen Freunden ein logistisch professionelles Mordkomplott geformt wird. Zwar hatte man Princip einige Jahre nicht als Kämpfer für die großserbische Sache haben wollen, weil er zu schwach und zu schmächtig war. Aber wer den Österreichern auf eigene Initiative schaden will, den möchte man dann doch unterstützen.  

Foto: Baumi, Lizenz: CC-BY-SA-3.0-migrated Die Lateinbrücke, an der die tödlichen Schüsse fallen

Man versorgt die Attentäter mit Waffen aus den gerade zurückliegenden Balkankriegen, organisiert sie in Zellen, trainiert sie und schleust sie aus Serbien ins besetzte Bosnien. Sieben Attentäter erwarten den österreichischen Thronfolger, als der durch die Straßen von Sarajewo fährt. Trotzdem droht das Attentat zu scheitern. Zwei der jugendlichen Verschwörer verlässt in buchstäblich letzter Sekunde der Mut. Der dritte, Nedeljko Čabrinović, wirft zwar seine Bombe, aber Franz Ferdinand wehrt sie reaktionsschnell mit der Hand ab. Sie explodiert unter einem anderen Wagen. „Der Kerl ist verrückt“, erklärt der Thronfolger seinen aufgeregten Begleitern und lässt die Fahrt fortsetzen. Nach dem obligatorischen Empfang im Rathaus will Franz Ferdinand die Verletzten des ersten Anschlags im Krankenhaus besuchen und lässt das ursprünglich geplante Besuchsprogramm ändern. Das wird sein Verhängnis, denn die neue Route kommt nicht beim Fahrer an - und der biegt falsch ab. Alles andere ist tödliche Schicksalsgeschichte...

Auch die weitere Lebensgeschichte von Gavrilo Princip ist rasch erzählt, denn sie dauert nicht mehr lange. Die Österreicher machen ihm den Prozess, in dem er sich wacker schlägt. Er bereut, dass er versehentlich auch Sophie erschossen hat, bleibt aber ansonsten dabei, dass sein Attentat kein Mord, sondern ein persönliches Statement war. So gut er kann, verwischt er die Spuren seiner Hintermänner, die nach Belgrad führen – aber er kann es nicht gut. Nach dem Prozess verschwindet er in den dunkeln Kerkern der Kleinen Festung von Theresienstadt, wo er im April 1918 an Knochentuberkulose stirbt. Zu diesem Zeitpunkt wütet noch der Weltkrieg, dessen erste beide Schüsse er abgegeben hat und der nach einem dramatischen diplomatischen Intermezzo – der Julikrise – seinen Lauf genommen hat.

Eulengezwitscher-Lesetipp: Gregor Mayers Princip-Biografie

Eine Biografie über einen Teenager vom Lande über den man fast nichts weiß, der lange im Untergrund operiert und der in wenigen Sekunden  ins grelle Scheinwerferlicht der Weltgeschichte tritt, ist keine einfach Aufgabe. Gregor Mayer hat sie glänzend bewältigt. Sein historischer Essay "Verschwörung in Sarajewo" nimmt den Leser mit in die ärmlichen Bergregionen Bosniens an der Jahrhrundertwende. Ohne sich allzusehr in wissenschaftlichem und quellenkritischem Kleinklein zu verzetteln, taucht Mayer ein in die widrigen Lebensbedingungen, mit denen die Princips auf dem Balkan klar kommen müssen. Er hat mit Verwandten von Gavrilo Princip gesprochen und seinen Lebensweg in einer geschickten Balance von "so war es" und "so hätte es sein können" nachgezeichnet.  Es liegt auf der Hand, dass es keine Aufzeichungen über konspirative Treffen und Gespräche gibt, aber die semifiktionalen,  szenischen Schilderungen, in denen Mayer Princip bei der Attentasplanung über die Schulter schaut, sind ein klug gewähltes Stilmittel: Man lernt einen Gavrilo Princip in seiner Lebenswelt kennen, der in seinen Nöten, Überzeugungen und Taten plausibel gezeichnet und gewissermaßen zwischen Buchdeckeln auflebt. Dass sich Mayer auf 160 Seiten beschränkt, tut seiner Biografie keinen Abbruch - im Gegenteil. Hier hat ein sachkundiger Journalist eine längere Reportage geschrieben, die fesselt, fasziniert - und ein wenig verstört. Denn bei aller Abscheu gegenüber Attentaten gelingt es Mayer, gewisse Sympathien für Gavrilo Princip zu wecken...

Die Schwarze Hand schlägt zu

Gregor Mayer

Verschwörung in Sarajewo

Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip

Erschienen im Residenz-Verlag im Februar 2014. 160 Seiten kosten in der gebundenen Ausgabe 19,90 €.


Eulengezwitscher-Extra zur Julikrise weiterzwitschern:

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