Die Rache der Baumeister I

Die Rache der Baumeister I

 Die Rache der Baumeister I

Seit Stoker, Shelley, Poe und Radcliffe weiß die Literatur um die stimmungsvolle Atmosphäre der „gothic novel“. Der Prager Milos Urban nimmt sich der gothischen Seite seiner Heimatstadt an und macht jene zur Protagonistin eines modernen Schauerromans und scheitert.

Milos Urban: „Die Rache der Baumeister“, Roman, übersetzt Wolfgang Hildesheimer, 2001.

Über seine Hauptfigur, den abgebrochenen Geschichtsstudenten und überforderten Streifenpolizisten Kvetoslav Švach, wird der Leser in eine ganz eigene Prager Welt eingeführt. Milos Urban baut Svach zu einem Fixpunkt seines Erzählens aus, über den das aus der architektonischen Schönheit der Stadt gewonne Sujet personifiziert werden soll. Svach ist ein Träumer und er verbringt seine Zeit damit, der alten Zeit nachsinnend, durch die Gassen und Straßen des historischen Stadtkerns zu spazieren und sich in eine mystisch mittelalterlichen Welt zu versenken, deren bauliche Überreste noch gegenwärtig sind, falls nicht vom Modernisierungswahn vergangener Jahrhunderte überdeckt.

Svach wird zum Zeugen einer Mordserie, in der jene Prager Architekten und Bauingenieure, die sich mit Platten- und funktionalen Zweckbauten an der historischen Bausubstanz versündigten, auf grausame Weise hingerichtet werden. Als Svach bald darauf seine Arbeit verliert und an einen deutschen Ritter aus Lübeck gerät, der die jetzigen Bausünden und auch jene der letzten 600 Jahren ausmerzen, mit seinem Gehilfen Prag regotisieren und samt des zugehörigen Weltbilds zurück ins 14. Jahrhundert führen möchte, ist die Anlage des Romans erkennbar – und die verspricht Spannung, Bildung und intellektuellen Reiz.

Tatsächlich ist die Geschichte bereits nach 60 Seiten erzählt. Alles, was danach kommt, wiederholt, doppelt, dehnt und zieht in die Länge, ist oft unnötig, wenig packend und trägt kaum Erhellendes bei.

Selbst Atmosphäre will nicht aufkommen. Urban sucht den Weg der Landschafts- und Stadtbeschreibung. Dabei schwirbelt er so viele Adverbien und adjektivische Erläuterungen bei, dass das Besondere, welches er zu zeigen versucht, unter der Tünche des alltäglich Gemeinen nicht zum Vorschein zu kommen vermag. Billige Pflanzenmetaphorik und schale Symbolik lassen den Mörtel, den er anrührt, nicht fest werden. Eine Bindung zum Inhalt entsteht nicht. Dem Polizisten Naphta fließt ständig schwarze Flüssigkeit aus den Ohren, die Polizistin Rosettta erscheint mal als dünne, dann wieder als fette Frau, das soll alles nach Kafka klingen, tut es aber nicht.

“ […] aber damals konnte ich Zufall und Zusammenhang noch nicht auseinander halten.“

Nach einer Lesearbeit von über 300 Seiten ist die Angewohnheit des Autors, willkürlich Ereignisse zu streuen, längst zum Ärgernis geworden, denn ein hinter dem Offensichtlichen liegender Hintergrund kann nicht gesehen werden. Obszöne Mördereien werden ausgebreitet, als sei der Leser damit zu beeindrucken und bei der Stange zu halten. Parallelen zu David Finchers“Se7en“ drängen sich zwar auf. Sind dort John Does Mordtaten immerhin geschickt inszeniert, wenn auch eine sinnfreie Logik gleichfalls nicht entbehrend, so sucht man hier vergebens nach dem Kitt, der all das zusammenhalten kann, was Urban lose und unverbunden aufeinander stapelt. Man fühlt sich Prag zwar nach wie vor verbunden. Doch der Blick hat sich ins trübe Wasser der Moldau gesenkt und man wartet darauf, dass der Rote Faden endlich einmal vorübertriebe.

Doch alles, was vorüberschwimmt wie ein paar aufgeregt schnatternde Enten, sind die gelegentlichen Massaker, die immerhin für einige Spannungsspitzen sorgen, ohne dabei tatsächlich berühren zu können. Einfügen in einen größeren Zusammenhang als den zweidimensional vorgegebenen lassen sie sich nicht. Dass der Protagonist keinen wirklichen Versuch unternimmt, hinter das Konzept der Untaten zu gelangen, treibt den Leser zu immer verzweifelteren Versuchen an, sich die Haare auszuraufen und im eigenen Schädel nach dem Sinn des Ganzen zu forschen. Fatalistisch und apathisch tapst Švach durch Prag, was zwar hin und wieder touristische Neugierde entfachen, jedoch mehr als zu einem kleinen Baedeckerschen Strohfeuerchen keine Nahrung bieten kann

Bei aller guten Absicht will Urban das Kunststück nicht gelingen, jenes Versprechen einzulösen, welches im Originaltitel seines Romans auf die Tradition und die damit verbundene Transzendenz der „gothic novel“ verweist. Die Auflösung der gestellten Rätsel schließlich fällt derart enttäuschend und flach aus, dass man die Buchdeckel zuschlägt und den Roman müde wegstellt. Nachlesen, noch einmal lesen, sich in Sprache und Intellekt hineingraben, ein solches Verlangen, welches über die bloße Lektüre hinausreicht, bekommt der Rezipient nicht mitgegeben.

Zieht man, um Urban treu zu bleiben, die mittelalterliche Literatur heran, so stellt man fest, dass jene Alten Meister in Form und Inhalt tatsächlich einiges anzubieten hatten. Dass Urban, der jenen Zeitabschnitt bemüht, nicht daraus zu schöpfen vermag, darf der bisher nur gering ausgebildeten Fertigkeit zugeschrieben werden, eine Grundidee über 30 Seiten zu halluzinieren und jene dann unverhältnismäßig gedehnt über bald 400 Seiten zu treiben, anstatt sie in Stoff, Figuren und Handlung zu verwandeln. Bei Gottfried von Straßburg, Hartmann von Aue und Konrad von Würzburg waren Handlung wie Ereignisse nicht Selbstzweck, sondern dienten, die Metaphysik ins Greifbare und Menschliche zurück zu übersetzen.

Die Zivilisationskritik, die Urban seine dunklen Figuren, Matthias Gmünd und Raymond Prunslík, vornehmen lässt, mag berechtigt sein. Ihr Versuch, zur Klarheit und Einfachheit des 14. Jahrhunderts zurückzukehren und die Prager Neustadt in die Gotik zurückzubauen und als moralisches Disneyland wiederauferstehen zu lassen, ist eine interessante Grundidee. Doch von Ideen wie Visionen werden weder Leser noch Autor satt. Aus jenem prallen historischen Fundus nicht ausgiebig zu schöpfen, ist ein weiterer Punkt, den man dem Autor auf den Klappentext schreiben möchte. Wenn schon über das Mittelalter spekuliert und es mystifiziert wird, dann darf man verlangen, den begonnen Stollen weiterzutreiben und einen unter der Oberfläche liegenden Bergbau anzugehen, an dessen weiten Gängen und tiefen Schächten das als oberflächlich kritisierte 20. Jahrhundert sich spiegeln ließe.

“ […] er vertrat die Meinung, dass jedes Gebäude das Recht hat, so auszusehen, wie es gebaut wurde: Die Veränderungen aus späteren Jahrhunderten müssen rückgängig gemacht werden.“

Da auch der Protagonist und Ich-Erzähler diese Ansicht vertritt ist es weiterhin umso weniger verständlich, dass Urban jene Figur drauflos plappern lässt und sich dabei jener Form bedient, die ihre größte Zeit im 20. Jahrhundert besaß. Warum also nicht auch die Sprache zurückbauen? Weshalb nicht die Form des Romans dem Sujet anpassen? Das muss man nicht tun – doch wer sich derart oft und wiederholt aufs 14. Jahrhundert kapriziert, der darf sich nicht ohne ein gewisses Maß an Reflektion der platten Gegenwartsprosa des Jahres 1999 verschreiben.

Schließlich bleibt die geäußerte Architekturkritik bloße Fassade und der Bau des Romans kommt nicht über das Zusammentragen der Baumaterialien hinaus. Die notwendige Wertediskussion fehlt wie auch der Ansatz einer handlungsgeleiteten Diskussion der Unterschiede zwischen dem 14. und dem 20. Jahrhundert. Was Urban stattdessen anbietet, bleibt Oberfläche, plakativ und kommt leider über gängige Stereotypen nicht hinaus.

Bruten Butterwek

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