Die Passerzarin

Wenn im Dezember unter dem tiefblauen Meraner Winterhimmel die Sonne zwischen frischen Schneeflöckchen die kalten Wasser der Passer golden färbt, dann erwacht ein zartes Mädchen am Grunde des wilden Flusses aus ihrem elfmonatigen Schlaf. Zwischen ihren langen, rotblonden Locken waren aus grünen Algen eine prächtige Krone gewachsen, und die Steine des Flusses hatten ihr ein aus abertausend kleinen Wassertröpfchen ein silbernes, prächtiges Gewand gewebt, in das passerkieselgraue Fäden gewirkt waren, ganz so, wie es einer echten Zarin gebührt.

Sie war die Seele des schönen, flachen, aber sehr gefährlichen Flusses, eine verwunschene Prinzessin, die einst aus dem fernen und kalten Nordosten in die kleine Kurstadt gekommen war, um ihre verlorene Liebe wiederzufinden.
Die Zarin war sie immer genannt worden, eine stolze und kluge Frau und dennoch immer traurig. In ihrer dunklen und gutturalen Stimme schwang der Akzent ihrer weiten, sentimentalen Heimat mit. Ein wunderschöner Kosacke hatte ihr einst das Herz geraubt, ein dunkler, großer Mann, der in granatroter Uniform mit glühenden Augen und pechschwarzem Haar um sie geworben hatte. Vor die Freitreppe ihres Märchenschlosses war er mit seinem schwarzen Hengst galoppiert und hatte ihr seinen blitzenden, goldenen Säbel überreicht, als Zeichen seiner endlosen Liebe.

Die Prinzessin, kühl und unnahbar bis dahin, hatte der Blick aus seinen Kohleaugen bis ins das tiefste Innere getroffen, sie schmolz dahin. Lange Schlittenfahrten durch tief verschneite Wälder folgten, in denen die beiden eng aneinandergeschmiegt unter warmen Schafwolldecken saßen und nur noch an ihre Liebe dachten. Da geschah es kurz vor Weihnachten, in der Adventszeit, dass der Kosacke abberufen wurde und in den Süden Europas reiste, um einen Auftrag für die mächtige Kaiserin des Landes durchzuführen.

Anfangs kamen noch Depeschen an die Prinzessin, doch bald wurden es immer weniger, schließlich kamen keine mehr. Und weil sie mutig wie kaum eine andere war, bestieg sie ihr eigenes, weißes Pferd und ritt ihrem Geliebten hinterher. Durch viele Länder kam sie, viele Sitten lernte sie kennen, doch immer wieder, wenn die Weihnachtszeit nahte, wurde ihr bange ums Herz, und aus den schönen grünen Augen floss eine Träne, die sogleich in einen Diamanten verwandelt wurde.

Die Prinzessin achtete nicht darauf, doch ihr Pferd las sie mit dem Maul auf und versteckte sie. Eines Tages kam sie über die Berge in ein wunderschönes kleines Land, grün und fruchtbar, sonnenbebeschienen und voller blauer Flüsse. Überall hatte sie bisher nach ihrem Kosacken gesucht und gefragt, doch niemand hatte ihr Auskunft geben können. Doch hier, in diesem kleinen Land, gab es noch weise Frauen, die Saligen, und an die wollte sie sich wenden. Die klügste von allen hieß Patrizia, zu der ritt sie hin auf ihrem Pferd, das sie direkt in die hübsche Stadt an der Passer trug, nach Meran. Die Salige wusste, was geschehen war, doch sie forderte einen Lohn. Sie würde der Prinzessin alles sagen, wenn diese einen lupenreinen Diamanten für sie hätte. Die Prinzessin war verzweifelt, hatte sie doch außer ihrem•Perlenschmuck nichts mehr, was sie der alten Frau hätte geben können. So blieb sie an der Passer sitzen und weinte diesmal wirklich. Und siehe, ihre Tränen fielen wie Diamanten aus ihren Augen und ihr Pferd gab ihr die gesammelten dazu. Nun konnte sie Patrizia bezahlen und die erklärte ihr, dass der Kosacke hier von einem bösen Zwerg in einen Granatapfelbaum verwandelt worden war, weil er dessen Tochter namens Mairania nicht hatte heiraten wollen. Der Baum stünde am Passerufer, und könnte mit lupenreinen Diamanten wieder erlöst werden – aber nur an• Weihnachten. Und lächelnd gab sie der Prinzessin wieder ihr Eigentum zurück.

Die Prinzessin packte ihre Edelsteine und eilte, denn der Christabend stand kurz bevor. Es war kalt und eisig, ein unbarmherziger Wind pfiff direkt aus dem Passeiertal zwischen den alten Gemäuern der Stadt hindurch. Sie war so voller Sehnsucht nach ihrem Geliebten, dass sie rannte und auf nichts achtete und schließlich, kaum hatte sie ihn gefunden, auf dem Eis stürzte. Sie hielt sich an seinen Ästen fest wie einst in seinen Armen, doch durch die Kälte waren auch seine Wurzeln erfroren und so stürzten beide zusammen in die eiskalten Fluten, im Tod für immer vereint. Nur an Weihnachten, zum Fest der Liebe, erhebt sich die Zarin, und schwebt bei Nacht über die kleine Stadt, sie lächelt dem Christkind zu und schenkt, wenn sie tatsächlich von einem Menschen gesehen wird, diesem einen ihrer wunderschönen klaren Diamanten, auf dass er in ewiger Liebe und in ewigem Glück leben möge.

von Viola Eigenbrodt


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