Die Mahnwachenbewegung: Eine Zwischenbilanz – oder: Eine Friedensbewegung in der Pubertät

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Ein Gastbeitrag von Merle Lindemann

(Adressaten sind vornehmlich Kritiker und Beobachter der Mahnwachen und Menschen, die sie noch gar nicht kennen)

Die meisten Eltern hoffen, ihrem Kind gute Anlagen mitgegeben zu haben und sie hoffen, dass ihr Kind in der Lage sein wird, daraus etwas Gutes zu machen, schädlichen Einflüssen fern zu bleiben und glücklich und stark zu werden. Im Kindesalter fällt das meist leichter als in der Phase der Adoleszenz, wenn die Einflussmöglichkeiten langsam weniger und kleiner werden und das Kind sich immer weiter emanzipiert.

Die Bewegung der deutschlandweiten Mahnwachen für den Frieden hat die Phase der Kindheit spätestens mit dem Schulterschluss mit ihren Eltern, der alten Friedensbewegung, und mit der klaren Distanzierung von rechten Strömungen erfolgreich abgeschlossen. Noch gibt es seitens der kritischen Eltern, die das alles schon erlebt und mitgemacht haben, Zweifel an der geistigen Reife ihres Kindes und noch leistet sich das Kind, hier und da über die Stränge zu schlagen.

Aber es ist das Privileg eines Kindes, andere Wege auszuprobieren, die alten kritisch zu sehen, manchmal auch total blöd zu finden, manchmal in eine Sackgasse zu geraten, die eigenen Grenzen kennen zu lernen, um dann am Ende meist festzustellen, dass man den Eltern mehr gleicht, als einem oftmals lieb ist und dass deren Rat sehr sehr nützlich sein kann.

Und es ist die Aufgabe guter Eltern, ihr Kind aufs eigenständige Leben vorzubereiten, es mit allem zu versorgen, was es dazu braucht, erst einmal an der Hand zu führen und ihm vorzuleben, wie Dinge funktionieren und dann die nötige Gelassenheit aufzubringen, wenn es nicht mehr an die Hand genommen werden möchte. Darauf zu vertrauen, dass man im Vorleben einen guten Job gemacht hat und das Kind auch dann noch zu achten und anzunehmen, wenn es mal mit den falschen Freunden nach Hause kommt.

Und inzwischen sollte klar sein: Die Mahnwachen sind nicht etwa ein Kuckucksei der alten Friedensbewegung, sondern ihr leiblicher Nachwuchs, der sowohl die Anerkennung, als auch die vorsichtige Anleitung seiner Eltern braucht.

Die Demonstration gegen die NATO-Zentrale in Kalkar passt wunderbar in dieses Bild.

Kalkar war zu Zeiten der Anti-Atom-Bewegung und der Ostermärsche und ist bis heute ein Sinnbild für den erfolgreichen Protest der alten Friedensbewegung. Durch das Bekanntwerden der NATO-Pläne, von Kalkar aus Drohnen und andere hochmoderne Kriegswaffen in alle Welt zu steuern, ist das Ganze nun auch für die Mahnwachenbewegung interessant geworden, sodass die Veranstaltung in diesem Jahr statt von 50 bis 100 Menschen, von 700 Teilnehmern besucht wurde. Zwar gab es keine offiziellen Redebeiträge von Anhängern der Mahnwachen, aber deutliche, optische Präsenz. Zwar sind gegenseitige Vorbehalte vorhanden, aber es ist spürbar, dass man sich schon ganz gut leiden kann.

Vielleicht sind die Mahnwachen noch nicht jedem ein Begriff, daher hier eine kleine Einordnung und Beschreibung:

Sie entstanden in erster Linie aus der Situation im und um den Ukraine-Konflikt, speziell wegen der gezielten Fehlinformationen, der aggressiven Propaganda und immer dreister werdenden Lügen der Massenmedien. Es fanden sich, von Berlin ausgehend in den größeren Städten Menschen zusammen, die den medialen Wahrheitsgehalt öffentlich hinterfragen und diskutieren wollten. Und wie immer, wenn so etwas entsteht, mischten sich auch Menschen dazwischen, die diese Öffentlichkeit teils politisch wenig gebildeter Menschen für ihre eher zweifelhaften Weltanschauungen zu missbrauchen versuchten und es teils noch versuchen. Offene und bekennende Nazis sind und waren das meist nicht, dafür aber zum Teil erfahrene Demagogen oder einfache Spinner, die in dieser Stimmung aus Wut und Verunsicherung daran arbeiten, ihren Nationalismus und/oder Antisemitismus als Lösung und Antwort auf die Probleme unters Volk zu bringen.

Diesen Umstand nutze ihrerseits Jutta Ditfurth, die sich in dieses Bild eines Eltern-Kind-Verhältnisses einreiht, wie die kinderlose, ewig nörgelnde und miesredende Tante, für ihren eigenen kleinen Zwist mit Jürgen Elsässer, um öffentlich und zu jedem passenden oder unpassenden Anlass zu erklären, die Mahnwachen seien eine sogenannte „neurechte“ Erscheinung.

Die Wahrheit ist jedoch, dass Elsässer innerhalb der Mahnwachen mehr als kritisch betrachtet wird. Für die allermeisten ist diese Figur der komische Kautz der Familie mit den verschrobenen Ansichten, der früher mal ganz cool drauf war, den man aber inzwischen nicht einmal mehr aus Höflichkeit zu Familienfesten einladen möchte.

Die Wahrheit ist ebenfalls, dass die Mahnwachen kein homogenes und einheitliches Phänomen sind. In einigen Städten sind sie vom Personal der Impulsgeber sehr gut aufgestellt, arbeiten konstruktiv und erfahren regen Zulauf. Andere kämpfen noch mit den Einflüssen zwielichtiger Lobbys und den Profilneurosen einzelner, aber die Tendenz ist klar: Wer die Problematik der Friedensarbeit in bestimmten Religionen oder Nationalitäten (beliebte Sündenböcke sind Israel, Amerika und Russland) oder auch an einer vermeintlich nicht vorhandenen Souveränität Deutschlands festzumachen glaubt, der ist nur zu einem herzlich eingeladen – nämlich eine eigene Bewegung zu gründen und sich von den Mahnwachen zurückzuziehen.

Die Schwerpunkte der Mahnwachen liegen neben dem allumfassenden Thema „Frieden“ bei der Forderung nach besserer Presseberichterstattung, der Aufklärung über den globalen Finanzmarkt und der Erarbeitung und dem Durchspielen von Alternativen dazu, Aufklärung über Konzerninteressen und deren globale Verflechtungen und bei den eher unpolitischen Akteuren bei der Vorstellung und Verbreitung alternativer Lebenskonzepte – und zu einem sehr großen Teil sind die Arbeitsergebnisse fundiert und belastbar.

Es ist also für Parteien, Gewerkschaften, alternative Presse und alteingesessene Friedensaktivisten an der Zeit, und einige tun es bereits, den Mahnwachen etwas weniger ablehnend zu begegnen und mehr Vertrauen zu schenken, sie verdienen es!

Zum Thema:

Der neue Kurs der Mahnwachenbewegung: Frieden, Bedingungsloses Grundeinkommen & Schulterschluss mit der klassischen Friedensbewegung

Forderungen der Friedensbewegung 2.0

Montagsdemos – Berliner Mahnwache am 28.04.2014: Die Highlights

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Die Mahnwachenbewegung: Eine Zwischenbilanz – oder: Eine Friedensbewegung in der Pubertät



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