Die Deutschtürken und Erdogan

Rund 60 Prozent der Türken in Deutschland haben Erdogan gewählt, verglichen mit etwas unter 50 Prozent in der Türkei. Sind Deutschlands Türken also besonders schlecht integriert? Nun, ich kann diese sehr allgemeine Frage leider nicht mit einem Satz beantworten, das wäre eher das Thema für eine Doktorarbeit. Ich kann aber zeigen, warum die Wahlergebnisse nicht für eine solche Schlussfolgerung taugen (ich verwende übrigens die deutsche Schreibweise Erdogan, auch wenn sich der Mann in einer Heimatsprache Erdoğan schreibt - und meine natürlich den türkischen Staatspräsidenten und nicht den ehemaligen Waldhof Mannheim Spieler Umut Erdoğan).

Die Integrationsdebatte verläuft meist entlang von ideologischen Gräben. Für die eine Fraktion ist die hohe Zustimmung für Erdogan der Beweis für mangelnde Integrationsbereitschaft, für die anderen die von zu wenig Offenheit gegenüber Migranten der alteingesessenen Bewohner - und natürlich ist der Kapitalismus schuld.

Manchmal wird, zu Recht, eingeworfen, dass die meisten der "Gastarbeiter" aus eher konservativen Regionen kommen. Deshalb seien sie auch konservativer als beispielsweise die Einwohner Istanbuls. Ebenfalls richtig ist die Behauptung, dass Integration meist erst aber der dritten Generation wirklich gut funktioniert. So war das beispielsweise auch mit den Deutschen in den USA, die lange ihre eigenen Viertel mit eigenen Zeitungen, eigenen Kirchen und eigenen Vereinen hatten.

Seltener wird die Frage gestellt, ob die Schlussfolgerung überhaupt zulässig ist. Zunächst einmal lässt sich fragen, 0b Wahlergebnisse überhaupt als Maßstab der Integration taugen. In diesem Fall würde ich sagen: Ja. Würde Erdogan ein westliches Land regieren, würde man ihn als rechtsradikal bezeichnen. Die Satiriker sind da weniger zurückhaltend und deuten das auch an. So jemand zu wählen ist kein Zeichen von gelungener Integration.

Aber finden die in Deutschland lebenden, türkischstämmigen Wähler ihn wirklich besonders gut? Klare Antwort: Man weiß es nicht. Zumindest lässt sich diese These nicht mit den Wahlergebnissen erhärten. Nur rund 40 Prozent der Wahlberechtigten gingen nämlich zur Wahl - und da sind türkischstämmige Deutsche, die ihren alten Pass abgegeben haben, noch nicht mitgerechnet. Die dürfen nämlich gar nicht wählen.

Nun sind Nichtwähler meist besonders frustriert und radikal - aber in diesem Fall spricht vieles dafür, dass es anders ist. Um es kurz zu machen: Die nahe liegende These lautet, dass besonders die gut integrierten Türken nicht zur Wahl gehen. 18 Prozent der Türken in Deutschland (einschließlich türkischstämmiger Deutscher) sehen sich in erster Linie als Deutsche, 40 Prozent fühlen sich beiden Ländern gleichermaßen verbunden, 39 Prozent vor allem der Türkei, wie eine Untersuchung Liljeberg Research zeigt. Der Verdacht liegt nahe, dass die Wahlbeteiligung bei einer türkischen Wahl in der Gruppe derer, die sich vor allem als Deutsche sehen, am niedrigsten ist. Gleichzeitig dürften diese Menschen aber auch am wenigsten mit Erdogans nationalistischen und religiösen Parolen anfangen können.

Türkischstämmige mit deutschem Pass sehen sich übrigens sogar zu 33 Prozent als Deutsche und nur zu 22 Prozent als Türken, auch hier fühlen sich 40 Prozent beiden Ländern gleichermaßen verbunden. Wer keine doppelte Staatsbürgerschaft hat, sondern nur die deutsche, darf aber in der Türkei gar nicht mehr wählen.

Für die eingebürgerten Türken lässt sich auch sagen, dass sie sich deutlich öfter für deutsche Politik interessieren. Rund 55 Prozent tun das, bei den nicht eingebürgerten Einwanderern sind es nur rund 30 Prozent.

Die hohe Zustimmung für Erdogan in Deutschland dürfte zum großen Teil also auch darauf zurückzuführen sein, dass die Wahlbeteiligung der gut integrierten Türken niedriger liegt. Beweisen kann ich das nicht, ich möchte auch nichts schönreden. Natürlich gibt es Probleme, auch 40 Prozent für Erdogan wären kein schönes Ergebnis. In jedem Fall aber kann man feststellen, dass die These, nach der eine besonders große Erdogan-Nähe der Deutsch-Türken durch die Wahlergebnisse quasi amtlich bezeugt wäre, sich so nicht halten lässt. Widerlegt ist die These damit natürlich auch nicht, nötig wären mehr Daten. Aber vieles spricht gegen sie.


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