Der Touchscreen-Täter (3)

Das ergab alles keinen Sinn.

„OK, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Messfehler vorliegt?“
„Gleich 0, wir haben inzwischen acht Teile der Leiche gefunden, die jeweils separat ausgewertet wurden. In der Wohnung ist auch genug gefunden worden und dann sind dann noch die Ergebnisse vom Fall Yussef A.“
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Penner, der damals die Leiche womöglich berührt hat jetzt bei einer Putzfirma arbeitet und von Ernst umgebracht wurde“ – als ich diesen Gedanken aussprach war mir bewusst, dass eine Antwort darauf nichts an der Tatsache änderte, dass neben der Wahrscheinlichkeitstheorie auch der gesunde Hausverstand gegen mich arbeitete.

„Gibt es sonst irgendetwas Neues“, klammerte ich mich weiter an alles, was vorhanden war.

„Ja“ entgegnete Karo, jedoch konnte ich ihrem Gesicht ablesen, dass uns das nicht weiterhelfen würde.

„Die ‘Hinterbliebenen’ von Glock wurden befragt“

Ich blickte auf.

„Die Meisten haben eine Postkarte bekommen oder wurden per E-Mail kontaktiert“
„Und sein Bruder?“ fragte ich.
„Sein Bruder?“ schaute mich Karo an „Ich wusste nicht, dass er einen Bruder hat“
„Überleg doch einmal: Wenn er einen Bruder hat, der die Wohnung teilweise bezogen hat und jetzt umgebracht wurde… Dann passt das mit den Ergebnissen des DNS-Tests zusammen“

Karo schaute mich ungläubig an, nahm die Akte zur Hand und blätterte durch die befragten Familienmitglieder.

„Er hat keinen Bruder“ meinte sie emotionslos zu mir.

Verdammt. Schon wieder hatte ich daneben gegriffen.

„Gut“ resümierte ich „… Wir haben immer etwas, das nicht hineinpasst, oder?
Zuerst hatte der Artikel nicht gepasst, der ergibt jetzt Sinn.
Dann hatte es nicht gepasst, dass Glock noch am Leben war, das ist er aber.
Jetzt passt die Leiche nicht mehr, die ist aber auch eine Tatsache, die sich nicht wegleugnen lässt“

Karo nickte.

„Was…“, holte ich aus „wenn wir wirklich davon ausgehen, dass eine dieser Entitäten unwahr ist?”

und ich holte weiter aus
“Angenommen, der Artikel ist gefälscht. Irgendein Jungjournalist oder Künstler hat in Glocks Namen publiziert?“

„Aber die E-Mail-Adresse?“, warf Karo ein.

„Wenn wir nur nach der E-Mail-Adresse gehen, sende ich mir 10x täglich Viagra-Werbung selbst zu“
„Bitte?“
„Es ist möglich eine E-Mail-Adresse zu fälschen, genauso wie es möglich ist, auf einen Brief einen anderen Absender draufzuschreiben. Spam-Verteiler machen das häufig, da läuft einfach ein Suchroboter durch das Internet, sucht nach Mail-Adressen und ‘schreibt’ diese als Absender zum Mail, um einen sonst offensichtlichen Betrugsversuch ‘koscher’ aussehen zu lassen.

Wir gehen jetzt davon aus, dass der Artikel eine Fälschung war. Was würde sich ändern?“
„Nichts, Glock ist dann einfach so von Österreich nach Frankreich gezogen und schreibt dort an seinem Buch“
„Genau, es könnte purer Zufall sein, dass beide Geschehnisse unabhängig voneinander passiert sind, oder aber… Es war inszeniert.

Schauen wir uns das nächste unpassende Teil im Puzzle an. Die Leiche“
„Das habe ich dir schon gesagt, nach allem, was wir derzeit wissen ist der Tote Glock“
„Sicher?“
„99,999999 usw. % Das ist eine einfache Wahrscheinlichkeitsrechnung. Alle Beweise sprechen dafür, wir müssten uns über 10 Mal vermessen haben.“
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für falsch-positiv?“
„Etwa 0,01%“
„Das heißt 1 in 100 Fällen und das gleich 10 Mal, das multipliziert sich zu stark, wir können davon ausgehen, dass die Leiche echt ist“
„Das heißt“ blickte sie mich an.
„Angenommen, das war nicht Glock am Telefon“

Karo war fassungslos, ich hing auch etwas in der Luft.

„Er konnte sich doch ausweisen“ versuchte sie ein letztes Mal einzulenken.

„Tote wehren sich nicht, wenn man ihnen den Pass wegnimmt und die Franzosen konnten ihn nicht befragen, weil er kein Französisch konnte. Ich rufe Patrice an, die Kollegen in Frankreich sollen ihn dingfest machen.“
„Der ist doch schon längst über alle Berge, wir waren zu langsam“
„Ich gebe nicht auf, wir lassen die Mobilfunknummer orten. Im besten Fall hat der sein Mobilgerät nur abgeschaltet. Und du – finde heraus, ob Glock noch ein Tablet hatte, in den meisten Fällen haben die eine SIM-Karte für Internet dabei, oder GPS, wir heben das aus?“
„Wozu?“
„Wenn er das bei sich hatte, dann finden wir seine Spur – und womöglich auch einen Mittäter“

Wir schwärmten aus, Patrice tätigte seinen Anruf und ich meldete mich inzwischen bei der Zeitung, die Glock’s Artikel gedruckt hatte. Mit etwas Glück fanden sich im ‘Kopf’ des Mails noch Daten, die Rückschlüsse auf seinen Aufenthaltsort ziehen lassen.

Patrice kam wenig später mit der bereits erwarteten, negativen Nachricht zurück. “Phantom-Glock” war bereits geflohen, in seinem Haus war die Spurensicherung in vollem Gange und per Mobilgerät war er nicht erreichbar. Er konnte überall sein.

Bei mir hingegen bestätigte sich meine Theorie. Das Mail war, sofern die Datenauswertung korrekt ablief in Österreich versandt worden. Damit gab es einen Komplizen und den sollten wir finden.

Auch was das Tablet betraf hatte ich richtig geraten. Glock war im Besitz eines Tablet-Computers, dessen Bewegungen wir noch rückverfolgen konnten.

Kapitel 7: Die Achse Salzburg-Budapest

Die Telekom sandte mir sein Bewegungsprofil auf mein Mobilgerät. Vor etwa einer Woche war Glock in Linz, das war das auffälligste Ereignis. Ebenso schien er sich jetzt dort aufzuhalten und bis auf ein paar Meter war sein Ort nachverfolgbar.

„Auf nach Linz!“ rief ich Karo zu und wir fuhren ab. Selbstverständlich hatten wir bereits unsere Kollegen vor Ort alarmiert, die das Gebäude untersuchen sollten.

Als wir ankamen standen wir vor einem mittelgroßen Wohnblock, vor dem einige Polizisten bereits auf uns warteten. Ich begrüßte Sandor, den Kommissar der dortigen Kripo, die die Arbeit bereits erledigt hatten.

„Wie schaut’s aus? Habt ihr was gefunden?“
„Unsere Leute haben das Haus fast durch. Bis auf zwei Wohnungen konnten wir nirgendwo Hinweise finden“
„Was ist mit diesen beiden?“ wollte ich wissen
„Da ist gerade keiner daheim, ein Team von Spezialisten öffnet gerade die Türe“

Wir stiegen hoch und blieben zunächst vor einer Türe stehen, auf dessen Türe der Name B. Klaus prangte. Die Exekutive vor Ort hatte gerade das Schloss geöffnet, als auch der Vermieter auftauchte, der alles kritisch beäugte.

Als ich seinen Blick sah, meinte ich zu ihm, ob denn alles in Ordnung sei.

Er dachte kurz nach, fuhr sich durch die Haare und nahm eine Liste aus seiner Aktentasche.

„Der Name stimmt nicht“ meinte er unzufrieden. Ich sah auf die Liste und erblickte dort an der Apartmentnummer nicht B. Klaus, sondern einen gewissen Mihail Mohacsi.

Noch bevor ich fragen konnte, ob er eine Antwort dafür hätte, hörte ich Karo, die bereits in die Wohnung eingedrungen war rufen, ich solle herkommen. Während ein paar Polizisten noch die verbleibenden Räumlichkeiten sicherten war sie im Wohnzimmer und inspizierte eine Blutlacke, die sich über den halben Boden ausbreitete. Damit hatten wir den Tatort gefunden. In der Küche, die direkt neben dem Wohnzimmer gelegen war befanden sich ein paar Blutflecken auf den Kühlschrank. Ich pfiff einen Beamten, der gerade von der Sicherung des Schlafzimmers zurückgekommen war her und wies ihn an, Fingerabdrücke zu nehmen.

Mit Handschuhen öffnete ich vorsichtig das Gefrierfach und machte einen grausigen Fund.

Der Kopf von Glock prangte vor mir. Es war ein widerlicher Anblick und ich musste mich erst fangen. Karo hatte meinen Schritt zurück bemerkt und sagte, dass für sie jetzt eine Diskrepanz Sinn ergebe.

“Wie?” blinzelte ich sie an, immer noch leicht taumelnd.

„Ist dir das nicht aufgefallen? Binnen zwei Tagen hätten die Täter Glocks Wohnung säubern, einen Brief an die Zeitung schicken und nach Frankreich fliehen müssen, wo noch ein Haus anzumieten war.“

Mir war nicht so ganz klar, worauf sie hinauswollte.

„Das kostet alles Zeit. Eine Leiche zersägen geht nicht so schnell, das kann man nicht ‘nebenbei’ machen. Ebenso muss ein Flug gebucht und ein Haus gefunden werden. Dazu kommt auch immer noch ein Mailverkehr mit der Zeitung. Glock ist schon einige Tage länger tot, die haben ihn tiefgekühlt und dann abtransportiert. Dadurch wurde der Todeszeitpunkt verfälscht und selbst wenn der Vermieter die Wohnung kontrolliert hätte, hätten sie Zeit gewonnen, da man Glock so schnell keine Fährte nach Linz zuweisen hätte können.“

Ein kleines, aber feines Detail, ich hätte das gar nicht bemekert.

„Gut, wir jagen diesen Mohacsi!“

Jetzt ergab auch das Bewegungsprofil, das mir die Telekom zugesandt hatte mehr Sinn. Glock „verbrachte“ einige Tage in Linz und „pendelte“ dann immer wieder nach Salzburg. Und jetzt war er… Richtung Niederösterreich unterwegs, wie ich sehe höchstwahrscheinlich mit dem Zug.

„Moment“ stockte ich.

„Was ist?“ sah mich Karo an.

„Das letzte Tracking liegt 10 Minuten zurück und ich habe gerade keine Internetverbindung“

Karo und Sandor sahen auf ihre Mobilgeräte. „Hast du Empfang?“ richtete der Kommissar aus Linz zu Karo „Nein“. Ich sah die Polizisten an, die eifrig Spuren sicherten.

Mir fiel auf, dass der sonst so omnipräsente Polizeifunk seit ein paar Minuten still war. Auch die anderen Beamten hatten keinen Empfang.

„Liegt das an der Wohnung?“ rief ich dem Vermieter zu, der kreidebleich an der Tür lehnte. Er sah auf sein Gerät und verneinte, stockte aber dann auch.

„Wenn sogar der Polizeifunk gestört ist… Dann stimmt hier was nicht, komm Karo, wir gehen raus“

Draußen bildete sich inzwischen mehr Verkehr, einige Leute hielten ihre Tablets, Datenbrillen oder Mobiltelefone in die Luft und starrten etwas unwirsch in die Gegend.

Der Touchscreen-Täter (3)„Das ist was Größeres, wir können niemanden erreichen, der den Zug anhält“ schnaufte ich Karo zu. Plötzlich wurde mir etwas klar „Der Name! Das ist doch ein Ungar!“
„Na und? Was ändert das?“ schaute mich Karo an.
„Liest du denn keine Zeitung? Seit Jahren verschließt sich Ungarn schon mehr und mehr…“
„Komm zum Punkt!“
„Heute um Punkt 8 werden die Grenzen dicht gemacht. Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappt schon jetzt immer schlechter. Die schotten sich ab, wenn Mohacsi heute vor 8 die Grenze passieren kann artet das von einem Mordfall zu einer diplomatischen Scheißerei aus!“

Ich schaute auf meine analoge Uhr, die nach wie vor ihren Dienst tat. „Es ist jetzt 16:12. Nach Budapest fahren kaum noch Züge von Wien, seit es wieder Grenzkontrollen gibt, das heißt, der nächste wird wahrscheinlich der letzte sein. Wir fangen ihn in Sankt Pölten ab, mit dem Auto schaffen wir das“

Mit jedem Satz sprach ich unmerklich lauter. Nicht aus Nervosität. Auf den Straßen hatte sich eine kleinere Massenkarambolage gebildet und das Hupen nahm zu.

„Das ist jetzt nicht wahr“ überfiel es mich. Die Ampeln funktionierten nicht mehr, die Rush-Hour begann. Chaos.

„Lauf“ rief ich Karo zu, „zum Bahnhof!“

Und wir sprinteten los.

Ja, wird sich der geneigte Leser denken, während wir ‘gen Bahnhof stürmten… Gibt doch Festnetz? Nun ja, schon in der Vergangenheit, also seit 2014 zeichnete sich mehr und mehr ab, dass Telefonzellen immer weniger Verwendung fanden. Sicher, ganz verschwinden werden sie nie, aber die Funktionsweise hatte sich geändert. Der Mobilfunk wurde immer erschwinglicher, bis 2016 die Kabel nur noch zum „In-Der-Erde-Vergammeln“ benutzt wurden, sollte einmal ein Notfall sein oder ein Krieg ausbrechen. Das war jetzt zwar der Fall, jedoch vermutete ich, dass die Telekom gerade andere Probleme hatte, als verrottende Telefonleitungen wieder zu aktivieren.

Wir fetzten dahin. Den Weg zum Bahnhof hatte ich im Kopf, aber nach einigen Kilometern nahmen wir beide deutlich an Tempo ab und keuchten. „Was bist du denn für ein Polizist?“ schnaufte mich Karo an, die zwar etwas besser, aber nicht merklich als ich dastand.

„Ich bin Kommissar! Und kein Krimistar – normalerweise hocke ich im Büro und prüfe Akten. Dass wir beide einmal rauskommen ist doch nicht alltäglich! Das Beamte wie wir in so einer Situation landen, passiert nur in unrealistischen Kriminalromanen und Serien!“

Gerade kam ein Jugendlicher mit Fahrrad auf uns zu. Tief durchatmen, dann wirke ich nicht so fertig.

„Halt (schnauf!)! Drogenfahndung! Und nach illegaler Musik am Handy (keuch!)“. Der Kerl schaute mich verdutzt an. „Absteigen“… brachte ich noch halbwegs gut heraus und hielt ihm meine Dienstmarke hin.

„Ich sehe schon…“ musterte ich seinen Drahtesel. „So ein Fahrrad wie deines wurde vor ein paar Wochen zum Drogentransport verwendet. Wo hast du das her?“
„Des hab i… mir vor an halben Jahr aufn Flohmarkt ‘kauft“
„Ist es auf dich registriert?“
„Ahh… Naa…“
„Na also. Tut mir Leid, wir müssen das nach Drogenspuren untersuchen. Gib mir deine Daten und du kannst es morgen bei einer Polizeistelle abholen“
„Aber…“ protestierte er.
„Du kennst das Gesetz“

Jaja, unsere Nationalisten in der Regierung hatten den Drogenkonsum mehr und mehr kriminalisiert anstatt nach Lösungen zu suchen. Jetzt hatten wir rigorose Gesetze, die aber in kompletten Unverständnis seitens der Bevölkerung mündeten, nachdem mehr und mehr Zeitungen gegen die zunehmende Kriminalisierung von Endkonsumenten protestiert hatten und sich somit eine gewisse Unsicherheit diesbezüglich im Lande breitmachte.

Er gab auf. Ich scannte seinen Personalausweis und bestieg das Rad.

„Karo, spring auf den Gepäcksträger. Du hast doch… ääääh. Eine Schusswunde am Fuß“

An ihrem Blick konnte ich ablesen, wie sehr ihr widerstrebte, was ich tat. Nur wusste sie auch, dass die Alternative womöglich das Freikommen eines Mörders war.

Inzwischen hatte ich wieder etwas Luft und trat in die Pedale wie noch nie zuvor in meinem Leben. Am Bahnhof wies ich den erstbesten Sicherheitsbeamten unter Zeigen meiner Marke an, er solle das Fahrrad doch irgendwo verstauen und sprintete Karo nach, die inzwischen den Bahnsteig mit dem Zug nach Wien ausfindig gemacht hatte.

„Achtung, Bahnsteig 7! EC 791 nach Budapest fährt ab!“ schallte es aus den Lautsprechern.

„30 Sekunden noch“ brüllte ich, als ich auf der Anzeigetafel die Uhrzeit erspähte.

20 Sekunden als wir Bahnsteig 7 erreichten, 10 Sekunden, als wir die Treppe hinaufliefen und die Türen schlossen sich gerade, als ich mit meinem Arm dazwischen fuhr und sie noch einmal aufstemmte. Karo sprang hinein, der Zug bewegte sich und ich hing noch leicht in der Luft, als sie mir auch noch hineinhalf.

Wir beide waren komplett verschwitzt und grinsten uns an.

Tatsächlich hatten wir es geschafft, rechtzeitig in den Zug zu kommen. Trotz des Totalausfalls des Funknetzes fuhren die Züge, obgleich die Leute auch hier verzweifelt telefonieren wollten.

Mein erster Weg war der zum Schaffner, der es sich in seinem Dienstabteil gemütlich gemacht hatte.

„Wissen Sie zufällig, wann der letzte Zug von Linz nach Budapest gegangen ist?“
„Von Linz ist das der um 12:45 gewesen“
„Und von Wien?“
„Mei, Sie fragen Sachen, lassens mi nachschaun“ und er holte einen Fahrplan aus Papier aus seiner Tasche „also, da hamma an um 15:10, an um 16:30 und der nächste is eh der jetztige, der umma 18:10 abgeht“
„Danke“

„Wir schaffen das“ lächelte ich Karo zu. Den 1630er wird er, wenn ich richtig gerechnet habe um etwa eine halbe Stunde verpasst haben und muss diesen hier nehmen!“

Unser nächster Weg war zum Lokführer, dem wir unser Anliegen schilderten. Dieser Zug würde heute nicht eher von Wien abfahren, bis wir Mohacsi hatten.

Ich vermutete einen österreichweiten Ausfall des Mobilfunknetzes, war mir aber noch nicht im Klaren, wie sehr ich hier die Dimensionen unterschätzt hätte. Ob in Wien schon Verstärkung am Bahnhof bereit stand, konnte ich nicht sagen, das hing davon ab, ob es die Kollegen in Linz geschafft hatten, zu einer Polizeistation zu kommen oder nicht und wenn, wie lange man in Wien brauchen würde.

Wir fanden ein freies Plätzchen und machten es uns gemütlich und diskutierten unser weiteres Vorgehen.

Kapitel 8: En fin

Kurz vor Wien bezogen Karo und ich unsere Positionen. Ich wartete am einen Zugende, sie am Anderen. Der Zug hielt und fast alle Reisenden stiegen hier aus. In Wien sah man am Bahnsteig nur eine kleine Menschenmenge. Ein paar Geschäftsleute, ein paar weinende Familien und ein paar Abenteurer. Die Exekutive hatte es nicht rechtzeitig geschafft, oder Mohacsi wurde schon verhaftet, ich konnte außer ein paar gestressten privaten Sicherheitskräften nichts erkennen, was auf unsere Leute hindeutete.

Als sich der Bahnsteig leerte und die Uhr 18:10 schlug, wurden die Türen verriegelt.

Stunde 0. Karo filzte den Zug von der einen, ich von der anderen Seite.

„Jó estet kiwanok“ fälschte ich einen ungarischen Grenzbeamten „Passport bitteschön“ und bat den ersten Reisenden, einen Familienvater mir seinen Ausweis zu zeigen. Ein gewisser Ferenc Nochirgendwas. Mit einem „Köszönöm“ bedankte ich mich und ging weiter. Einer nach dem Anderen. Teilweise machte sich Nervosität breit, da wir schon 10 Minuten standen. Ich kam weitaus langsamer voran, als ich hoffte und womöglich galt das auch für meine Kollegin.

Der Schaffner stand draußen und sicherte den Bahnsteig mit den Kräften der ÖBB.

Gerade betrat ich meinen dritten Waggon, als im mittleren Teil ein Mann, Mitte Vierzig aufstand und sich auf dem Weg Richtung Abort machte. Als er nach einem kurzen Blick über seine Schulter feststellte, dass ich ihm folgte, erhöhte er sein Schritttempo. Dem tat ich es gleich. Ihm war das Treiben am Bahnsteig offensichtlich nicht verborgen geblieben und er drehte zu der Türe, die nicht in Richtung Perron ging.

Ich griff nach der Zugtüre und erschrak. Die Türnotentriegelung war „stärker“ als die Sperre des Zuges! Na logisch. Und da lief er auch schon auf der schottrigen Zugpiste. Ich kam nicht viel schneller voran als er, aber gerade als ihm seine Verzweiflung noch einmal mit Adrenalin vollpumpte und ordentlich an Beschleunigung zunahm folgte dem kräftigeren Schritte ironischerweise ein Ausrutschen auf den lockeren Steinen.

Wieder außer Atem hielt ich ihn am Boden.

„Mohacsi? (keuch)… Ich verhafte Sie wegen dringendem Mordverdacht.“

Inzwischen kamen mir auch die Bahnhofskräfte zuhilfe und richteten ihn zu Zweit auf.

„Ich bin Friedrich Glock“ grinste er mich verschmitzt an, mit leichtem, nicht klar zuordenbarem Akzent. „Ich kann mich ausweisen“
„Dann bitte ich darum“, worauf mir der Angehaltene seine E-Card reichte.
„Was soll ich jetzt damit?“ fuhr ich ihn unwirsch an. „Reisepass, Personalausweis haben Sie keinen?“

Er schwieg.

„Reisepass oder Personalausweis bitte“

Wieder schwieg er.

„Können wir den irgendwo am Bahnhof festhalten oder gibt es sogar eine Polizeistation in der Nähe?“ fragte ich die beiden Kerle vom Sicherheitsdienst, worauf diese bejahten und den Verdächtigen abführten.

Karo stand bereits am Ende des Bahnsteiges und wartete auf mich. Erst jetzt kamen einige schnaufende Exekutivbeamte die Treppe hochgelaufen und nahmen meine Beute in gewahrsam.

„Mitric, Kripo Wien“ stellte sich der zuständige Kommandant mir vor „ist das Mohasci?“
„Ich denke“ gab ich zur Antwort „er konnte sich nicht ausweisen, war aber im Besitz der E-Card von Friedrich Glock.

Langsam fuhr der Zug ab nach Osten, als nun auch die Nacht am Anbrechen war, wurde mir klar, was passiert ist. Oben am Himmel pulsierten Polarlichter. Die Wissenschaftler hatten seit Jahren gestritten, wann es passieren würde, aber wie es aussieht hatte sich just an diesem Tag das Erdmagnetfeld umgepolt. Wie befürchtet kam es weltweit zum teilweisen Totalausfall des Funkbetriebes, aber die Bahn fuhr weiterhin fleißig dahin. In den kommenden Tagen brachte man auch Nach und nach das Mobilfunknetz wieder in Gange und bis auf stark vermehrte Erscheinungen von Polarlichtern blieb alles beim Alten.

Ein Freund von Glock, der nach den Meldungen über dessen Tod in der Zeitung zur Polizei kam sagte aus, dass Glock ihm einmal anvertraut habe, dass er sich Sorgen, ob eines Marian Gams machte und überreichte uns einige Dokumente.

Gams wurde Tage später am Flughafen Basel aufgegriffen, als er sich außerhalb Europas abseilen wollte. Durch den gestörten Funk erlahmte der Flugverkehr und er konnte nicht schon vorher ausreisen.

Konfrontiert mit den Dokumenten brachte er mehrere teils kuriose Geständnisse hervor, jedoch war klar, dass er Glock ermordet hatte, da ihm dieser massive Steuerhinterziehung nachweisen konnte und glücklicherweise einem Freund anvertraut hatte.

Gams und Mohacsi lockten Friedrich Glock mit noch nicht bekannten Mitteln nach Linz, es häufen sich die Beweise, dass man hierzu eine Frau verwendet hatte. Dort wurde er hingerichtet, zerteilt, tiefgekühlt und Stückchenweise zurück nach Salzburg gebracht, wodurch man Verwirrung stiften und die Spur zur Wohnung verwischen wollte.

Danach flog Gams mit dem Reisepass und Dokumenten Glocks nach Frankreich aus, wo er ihn weiterhin „am Leben hielt“. Mohacsi hingegen, bediente sich seines Tablets (das er auch bei der Verhaftung bei sich hatte) und publizierte unter Glocks Namen und E-Mail-Adresse einen Artikel. Ebenso sorgte er dafür, dass die Wohnung Glocks aufgeräumt war. Der Putzdienst wurde angewiesen, sämtliche Lebensmittel zu entsorgen, damit es wirklich nach einem Umzug aussah. Er war es auch, der die Leiche „entsorgte“.

Nach und nach tauchten fast all ihre Bestandteile auf und Friedrich Glock wurde nach seinem „erzwungenem Weiterleben“ in seine letzte Ruhestätte gebettet.

Marian Gams wurde lebenslänglich wegen vorsätzlichen Mordes inhaftiert. Für Mihail Mohacsi folgte wegen „Beihilfe zum Mord“ ebenso mit lebenslänglich.


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