Der Kosmopolitismus, der keiner ist

Der Kosmopolitismus, der keiner istDie Liberalen meldeten sich letzte Woche aus ihrem Sitz im politischen Nirgendwo und warben für das Freihandelsabkommen. »Deine Pizza: italienisch. Dein Kaffee: brasilianisch. Dein Urlaub: türkisch. Und du bist gegen Freihandel?«, fragten sie in den sozialen Netzwerken. Auf den ersten Blick besticht das natürlich durch Logik. Die Welt rückt eben zusammen. Das Problem ist nur, dass dieses Freihandelsabkommen gar nichts mit klassischem Freihandel, also mit dem Fall von Zöllen zu tun hat. Wer also mit diesem ökonomischen Kosmopolitismus wirbt, der unterschlägt die Tatsache, dass wir es bei TTIP mit einer Angelegenheit zu tun haben, die gar nicht auf der Agenda stehen hat, was Freihandelsbestimmungen früher mal bezwecken wollten.

Bereits heute sind die Zölle zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten auf einem äußerst niedrigem Level. Agrarprodukte werden mit nicht mal drei Prozent belegt. Bei Industriegütern kommt man auf denselben Wert. Der ungewichtete Durchschnittszollsatz liegt bei etwa 3,5 Prozent. Nur bei Tabakwaren und Alkoholika sind die Sätze weitaus höher. Sie werden in den Vereinigten Staaten bei Einfuhr aus dem EU-Raum mit 82 Prozent verzollt. Mit Protektionismus hat das allerdings eher weniger zu tun. Es ist das Geschäft mit Süchten, das man sich nicht durch die Lappen gehen lassen will. Kriege und Anti-Terror-Abenteuer wollen ja auch bezahlt werden.
Der Freihandel ist keine neue Idee. Die Briten predigten ihn schon im 18. Jahrhundert. Sie wollten freie Zugänge zur Welt und bauten um diese Bestrebung ein ideologisches Konstrukt, das besagte, dass nur ein solcher Handel ohne Barrieren den Menschen Wohlstand und Glück bringe. Daher bemühten sie sich um den Abbau von Zollbeschränkungen. Volkswirtschaften, die in ihr gefertigte Waren schützten, indem sie die Einfuhr von Produkten mit Schutzzöllen belegten, wurden als rückständig geächtet. Eine solche Maßnahme wurde für unvernünftig erklärt, der Binnenmarkt spielte in dieser Doktrin keine Rolle. Wesentlich betrachtet ist diese Anschauung heute unser ökonomisches Fundament. Die Europäische Union hat erst vor einiger Zeit ein Handelsabkommen mit afrikanischen Staaten abgeschlossen. Darin verpflichten sich die Länder des Nachbarkontinents, fortan keine Schutzzölle zum Schutze ihres Binnenmarktes mehr zu erheben. Jetzt sind Waren aus der EU (weiterhin) billiger zu haben und inländische Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig. So unvernünftig wäre Protektionismus also nicht immer.
Der Freihandel wollte also den Protektionismus aufbrechen. Aber der ist im Falle der Märkte, die jetzt zum TTIP-Raum verschmelzen sollen, gar nicht mehr gegeben. Die Zollbarrieren sind niedrig. Man könnte sie wahrscheinlich in einem kleinen Abkommen aus der Welt schaffen, wenn man es wirklich wollte. Bei TTIP geht es letztlich überhaupt nicht um Zölle. Es geht um Handelshemmnisse anderer Art. Dazu gehören die Angleichung von Normen und Standards, Eingriffe in Belange der öffentlichen Hand und die Verrechtlichung von Konzerninteressen, die sich in einer Paralleljustiz erschöpfen soll. Kurz und gut, es geht um Investorenschutz und Zölle sind da nur Nebensache. Wenn überhaupt.

Man nennt solche »Nebeneffekte« von Freihandelsabkommen nicht-tarifäre Handelshemmnisse, weil sie die Zölle (engl. tariffs) nicht berühren. Sie greifen aber massiv in sozio-kulturelle Entwicklungen ein und haben einen »kulturimperialistischen« Anspruch. So können Wirtschaftsgeflechte (mit ihren Sozial- und Marktstandards, mit Qualitätskontrollen, ihren ökologischen Ansätzen usw.) als nicht-tarifäre Hemmnisse aufgefasst und damit für reformbedürftig erachtet werden.
Der Begriff »Freihandelsabkommen« täuscht, weil er mit Konnotationen spielt, die dem traditionellen Freihandel zugeordnet werden. Die FDP hat dieses Missverständnis gleich wieder aufgegriffen und mit einer vereinfachten Parole untermalt. Man machte auf kosmopolitisch, auf global und weltoffen. Denn wie kann man in einer solchen Welt, die immer enger zusammenrückt, noch für Einfuhrbeschränkungen sein?, fragt sie doppeldeutig. Der Betrachter der Parole soll sich wie jemand von Gestern vorkommen. Wie ein oller Zöllner, der die moderne Welt nicht begreifen will. Er kann doch nicht die Welt genießen, aber sich gleichzeitig von ihr verschließen. Mit Fakten hat der FDP-Ansatz nichts zu tun. Es ist der Versuch, TTIP emotional aufzuladen, es zu einer anti-rassistischen und anti-chauvinistischen Chance aufzuwerten. Dass die Türkei und Brasilien, die in der Parole genannt werden, gar nicht zum TTIP-Raum gehören werden, sondern eher Nachteile davon erfahren, schieben wir mal beiseite. Brasilien hat bislang übrigens keinerlei Abkommen dieser Art abgeschlossen. Investorenschutz sei nämlich teuer und lande immer vor Gericht.
»Spiegel Online« hat ja dann die Anti-TTIP-Veranstaltung in Berlin flugs zu einer nationalistischen Sache erklärt. Das ist nichts anderes wie der Versuch der FDP, die Gegnerschaft zu TTIP mit nationalistischem Isolationismus zu diffamieren. Alle Kritiker sind deshalb eben auch antiamerikanisch. Zugegeben, einen Antiamerikanismus gibt es wirklich in dieser Frage. An einem der nächsten Montage mehr dazu. Und trotzdem ist es nicht haltbar, dieses Abkommen zu einem Akt von Völkerverbundenheit zu ernennen. Kosmopolitismus ist eine feine Sache. Aber nicht, wenn dabei die Demokratie ausgehebelt wird. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass TTIP zerstört werden muss.
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