Der Höllenmaschinist - Teil 3 der Fortsetzungsgeschichte

   Er wollte weglaufen, doch er konnte seinen Blick nicht von der Spirale abwenden. In ihrem Inneren bewegte sich etwas. Es sah wie eine Maschine aus. Eine Maschine, die allein aus metallischen Elementen bestand, ohne Plastik, Gummi oder Glas. Sie bestand aus harten Elementen, Zahnrädern, Stangen und Platten, und aus weichen Elementen, Schläuchen und Blasebälgen. Und da war noch etwas: Augen! Die Maschine hatte Augen. Sie sah ihn an.
   Nun kamen auch Geräusche hinzu. Ein unnatürliches, tiefes Dröhnen erklang, ein anhaltender Ton, der sich nicht veränderte. Sicher stammte er von der Maschine, ebenso wie das schrille Quietschen, das anwuchs und nachließ, wieder anwuchs und nachließ. Darunter mischten sich menschliche Laute, erst ganz leise, dann immer lauter. Stöhnen, Schreie und Wehklagen. Und die ganze Zeit über blickten ihn die Augen der Maschine an.
   Der Höllenmaschinist geriet in Panik. Er entzog sich dem hypnotischen Blick der Maschine und lief in sein Zimmer zurück.
   „Geh zu! Geh zu! Geh zu!“
   Die Tür bewegte sich langsam, quälend langsam. Als sie endlich geschlossen war, stemmte er sich mit seinem gesamten Körpergewicht dagegen, den Knauf hielt er mit beiden Händen umklammert. Sein Atem ging schnell und heftig, was ihm widersinnig vorkam, denn eigentlich musste er gar nicht atmen. Die Maschinen kümmerten sich um die Beatmung seines Körpers.
   „Ja, du musst nicht atmen“, sagte eine Stimme hinter seinem Rücken.
   Erschrocken drehte er sich um. Eine Frau stand neben dem Plastikzelt. Sie trug ein langes Kleid, dessen bunte Stoffbahnen diagonal um ihren Körper gewickelt waren, so dass der rechte Arm und das linke Bein nackt blieben. Die Farben schienen regelrecht in den Stoff eingewebt zu sein, denn sie leuchteten nicht nur an der Oberfläche, sie besaßen einen Tiefeneffekt, der sich nun, da die Frau auf ihn zukam, bemerkbar machte. Mit jedem Schritt änderte das Kleid seine Farbe, erst war es grün, dann blau und schließlich violett.  
   „Hallo, Peter“, sagte die Frau mit warmer, weicher Stimme.
   Er ließ den Türknauf los. „Wer… wer sind Sie?“
   „Helena. Du kennst mich.“
   „Nein, ich kenne Sie nicht.“ Er sah sie prüfend an, versuchte ihr Alter zu schätzen. Im ersten Moment dachte er, sie wäre zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren alt, doch er musste sich korrigieren. Die Frau wirkte seltsam alterslos, wie eine dieser Schauspielerinnen, die man auf den Titelblättern von Magazinen abgebildet sah und deren Alter man nicht schätzen konnte, weil sie stark geschminkt und aufwendig frisiert waren, zudem erhielten die Fotos meist eine Nachbehandlung am Computer. Diese Frau jedoch, die sich Helena nannte, war nicht geschminkt, ihr Haar fiel in natürlicher Weise auf ihre Schultern, und an ihrem Äußeren war gewiss nichts retuschiert. Dennoch strahlte sie eine Reife und Erfahrung aus, über die Menschen normalerweise erst im hohen Alter verfügten. Vielleicht lag es an ihrem gütigen, verständnisvollen Blick, dem sanften Lächeln, den zurückhaltenden Bewegungen. Er konnte es nicht genau bestimmen.
   „Sie irren sich. Wir sind uns nie zuvor begegnet.“
   „Doch, sind wir. Denk nach, Peter… Du kannst mich übrigens duzen. Wir sind alte Freunde.“  
   In ihm stiegen Bruchstücke von Erinnerungen auf, in denen eine Helena vorkam. Diese Frau sah aber ganz anders aus, sie war älter, wirkte weniger freundlich und hatte auch einen anderen Namen – trotzdem gab es Übereinstimmungen zwischen den beiden Personen. „Ja, irgendwie kommen Sie mir… kommst du mir bekannt vor. Woher kennen wir uns?“
   „Es würde zu lange dauern, alles zu erklären. Wir haben eine Reise vor uns.“
   „Eine Reise? Wohin?“
   „In eine andere Welt.“
   „Meinst du etwa das Jenseits?“
   Sie nickte.
   Er schüttelte den Kopf. „Unsinn. Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass das alles Humbug ist. Diese Nahtoderfahrungen werden durch einen Mangel an Sauerstoff verursacht. Das Gehirn spinnt sich was zusammen.“
   „Das sagt ausgerechnet ein Flieger? Ein Pilot ohne Körper?“
   Er sah sie entgeistert an. „Hast du mich etwa beobachtet?“
   „Ich habe den richtigen Moment abgewartet.“
   „Dann ist es also wahr? Man überlebt seinen Tod?“
   Wieder nickte sie.
   „Aber das würde bedeuten, dass die religiösen Spinner und die Esoteriker Recht haben, und die vernünftigen Menschen hätten sich geirrt.“ Er lief aufgeregt umher.
   „Vernunft ist ein dehnbarer Begriff.“
   „Nein, das glaube ich nicht. Lieber sterbe ich, als dass ich…“ Peter wusste nicht, wie er den Satz zu Ende bringen sollte.
   Helena lachte. „Was wolltest du sagen? Lieber stirbst du, als dass du lebst?“
   „Aber guck dir doch diese Leute an, die Bischöfe in ihren bunten Kleidern, die Mullahs mit ihren Turbanen, die Gurus mit ihren langen Bärten. Das sind doch alles Spinner.“
   „Ich werde dir ein paar von ihnen vorstellen. Dann werden wir sehen, wer der Spinner ist.“
   „Was? Jetzt? Ich soll wirklich hinübergehen?“ Peter betrachtete seinen Körper. Er lag noch immer regungslos da, die Maschinen summten und blinkten.
   „Ja, du wirst diese Welt verlassen.“
Fortsetzung folgt.
Hier finden Sie die bisher erschienen Teile.
Der Höllenmaschinist - Teil 3 der Fortsetzungsgeschichte
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Der Höllenmaschinist - Erzählung
112 Seiten  Gedrucktes Buch EUR 7,90  E-Book EUR 3,99
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