Das Perfekte Dinner (Vox): Ein Blick hinter die Kulissen – Teil 2

Teil 2: Warten auf Godot: Es wird alles nicht so heiss gegessen wie es gekocht wird

Nachdem ich im ersten Teil beschrieben habe, wie ich den Weg in die Fernsehshow schaffte, möchte ich in diesem Teil davon berichten, wie sich Schein und Sein, Realität und Fiktion, warm und kalt, früh und spät, spontan und geprobt begegnen  – und zu einer 50 minütigen Vorabendshow verschmelzen. Drehen wir die Uhr also um einige Monate zurück:

Oh, oh, oh! Es ist Montag morgen und ich brauchte heute keinen Wecker um wach zu sein. Eine Woche ohne Arbeit (was für ein Irrtum!) und voller kulinarischen Kostbarkeiten (was für ein Irrtum!) liegt vor mir. Heute ist der erste Drehtag. Die Fernsehkameras warten auf mich. Ziel erreicht, gleich geht´s los. Na ja….gleich….?!? Es ist 5.45 Uhr in der Früh.  Vereinbart ist ein Treffen in der Innenstadt von Potsdam gegen 16.00 Uhr. In einer mir bekannte Gastronomie. Mehr wurde mir zunächst nicht gesagt, um die Spannung zu erhalten. Gefällt mir. Spannung ist da. Adrenalin!

Stunden später: Geduscht habe ich, Haare liegen, Bart ist gestutzt, Kleidung ist sauber, riecht gut und passt gerade noch so (ich hätte deutlich früher mit dem Rauchen aufhören sollen, zuviel Kilos von Weingummi und Törtchen). Brille nicht vergessen, denn es gilt eine Speisekarte zu lesen. Das Auto lasse ich stehen,  weil: Alkohol in Sicht. Außerdem gehört es zum Sendekonzept, dass die Hobbyköche „auf Kosten des Hauses“ mit Taxi zurück (aber nicht hin) befördert werden. Das wäre geklärt.  Auf geht´s zum Ort des Geschehens.

Bin fast da. Das Telefon klingelt. Nummer unbekannt (das sollte sich noch gefühlte 50 Mal in dieser Woche wiederholen). Ein junger Mann der Produktionsfirma ITV stellt sich vor und kommt schnell zur Sache: „Uwe, du musst noch einen Augenblick Geduld haben.“ Begründung: Ein anderer Hobbykoch (es war Sven) sei mit dem Interview noch nicht fertig und es sei Teil der Dramaturgie, dass sich die Teilnehmer erst direkt an der Eingangstür der ersten Location sehen und kennenlernen sollen. Ok. Ist eben Fernsehen.  Also bekomme ich einen Begleiter zugeordnet, der mich von der Interview-Kneipe fern hält. Für mich bietet sich so eine Gelegenheit erste Informationen von einem Insider abzufragen. Viel bringt das nicht, aber ich bin beschäftigt und deshalb weniger nervös.

Natürlich schiele ich immer wieder Richtung Eingang und sehe irgendwann einen Mann mit Glatze dort herauskommen, den ich sofort als Mitspieler identifiziere. Fragt mich nicht warum, aber ich hatte Recht. Und weil das so ist bin ich nun dran. Adrenalin!

Hallo zusammen, ich bin der Uwe. „Wissen wir“, heisst es freundlich, „nimm bitte gern dort Platz“. Die junge Dame deutet auf einen Stuhl inmitten des Raumes, der sehr erfolgreich von diversen Strahlern erhellt wird. Neben dem Stuhl steht ein Tisch, dort platziere ich meine Brille und eine kleine Umhängetasche. das geht natürlich nicht, weil beides im Bild wäre. Klar, wie konnte ich das vergessen. Ok. Brille darf liegenbleiben für die Speisekarte, alles andere muss „out of side“. Eine festinstallierte Kamera hat mich inzwischen unausweichlich ins Visier genommen. Ich werde verkabelt (für den Ton) und auch der Mann mit der tragbaren Kamera scheint sich sehr für mich zu interessieren.

Ob ich was trinken möchte? „Rotwein wäre nicht schlecht“, denke ich laut. Zuviel Adrenalin ist nämlich auch doof. Kurze Korrektur der Verantwortlichen: „Alkohol wird nicht vom Sender bezahlt und kommt auf keinen Fall ins Bild.“ Uuuups – der Sender bezahlt das? Na dann Organsaft, frisch gepresst. Ist ja auch gesünder. Genug des Vorspiels, nun geht es unwiderruflich los. Die roten Lichter der Kameras leuchten. Es beginnt.

Als erstes lerne ich, niemals direkt in die Kamera zu schauen, sondern immer knapp daneben. Dort steht als Hilfe in der Regel auch der (die) Interviewer(in). Da gilt es hinzuschauen. Immer. Eine Woche lang. Ohne Ausnahme. Sonst wird abgebrochen und noch einmal gedreht. Als nächstes muss ich mir merken den Inhalt der gestellten Fragen sinngemäss zu wiederholen, denn die gestellte Frage wird im Regelfall nicht zu hören sein und der Fernsehzuschauer möchte ja trotzdem gern wissen, über was genau ich da gerade rede.  Klingt logisch.  Ausnahme: Wenn eine Frage von der launigen Stimme aus dem Off (Daniel) gestellt wird. Das wissen wir aber zum Zeitpunkt des Drehs noch nicht, denn der Schnitt erfolgt  bei ITV in Köln erst ca. 14 Tage nach den Aufnahmen vor Ort. Und dort wird schlussendlich auch entschieden, welches Material überhaupt verwertet wird.

Ich verstehe, ich spreche alles quasi in eine große Tüte und jemand anders entscheidet später, was davon der Fernsehzuschauer hören und sehen soll und vor allem in welchem Zusammenhang dies geschieht. Hm.

„Stell Dich doch kurz einmal vor, was für ein Typ bist Du?“ „Weisst Du was ein Nerd ist?“ “Was denkst Du über die Zusammensetzung dieser Runde, was erwartest Du?“ „Was würdest Du sagen, wenn es 4 Männer und eine Frau sind?“ (So war es). „Wie gefällt Dir die Frau auf dem Foto?“ (Gastgeberin Adina, 1. Abend) „Was hältst Du davon, wenn jemand Schlafzimmer, Esszimmer und Wohnzimmer in einem Raum hat?“ undsoweiterundsoweiterundsoweiter. Schlussendlich werden Dinge abgefragt, die allesamt mit der kommenden Woche zu tun haben sollten. Und es dauert. Dann endlich die Speisekarte.

„Ist die Köchin Italienerin?“, „Welchen Bezug könnte sie zu Italien haben?“, „Was denkst Du verbirgt sich hinter den italienischen Gerichten?“ , „Welche Assoziationen stellst du zu den Titeln der einzelnen Speisen her?“ (Kuss von Sophia Loren / Grüsse von Don Corleone / Die Augen von Michelangelo)

BÖSE FALLE: Das muss an dieser Stelle geschrieben werden.  Ich wusste damals, dass ich die sixtinische Kapelle sagen wollte. Stattdessen: Textinische Kapelle. Klingt ähnlich und ich war wirklich hirnmässig blockiert ob der vielen neuen Eindrücke um mich herum. Und natürlich würde dieser Fauxpas vom Sender „verbraten“. Danke. So ist eben Fernsehen.

Zurück zur Chronologie des Geschehens.

„Wir sind soweit fertig, Du müsstest jetzt bitte noch ungefähr 20 Sekunden in die Standkamera gucken, möglichst ohne zu blinzeln, ohne zu reden und ohne dich zu bewegen.“ Leute, schon mal was von Adrenalin gehört?? Ich kann keine 10 Sekunden still sitzen im Moment. Ich bin im Fernsääääähen. Tatsächlich müssen wir dreimal neu starten, bevor ich mit eiserner Miene 20 Sekunden an ein Paar Turnschuhe denken kann, um so die geforderte Pose zu schaffen. Hintergrund des Ganzen: Diese Sequenz wird immer gesendet, wenn der Punktestand gezeigt wird.

So. Interview fertig. Nun wird mir ein geheimnisvoller Zettel gereicht, auf dem ein Name und eine Adresse zu lesen sind. DAS ist die Adresse unseres ersten Gastgebers. Und dort muss ich nun hin. Merke: Immer Punkt 18 Uhr vor Ort sein. Ab dann beginnt der Dreh. Ein Blick zur Uhr zeigt 17.10 Uhr. Knappe Sache. Der Gastgeber wohnt etwas außerhalb und ich benötige öffentliche Verkehrsmittel. Außerdem ist Feierabendverkehr und mein Weg wird von einem energischen Spätsommerregen begleitet. Hurry up Uwe, the show most go on.

Ich treffe pünktlich am Ort des Geschehens ein. Auf Distanz erkenne ich bereits den Glatzkopf vom Nachmittag. Kurze Begrüssung. Wir sind beide etwas nervös und entgegen der späteren Fernsehsequenzen überraschend wortkarg. Direkt am Eingang entdecke ich einen weiteren Mitspieler, erkennbar an einer Flasche Wein, die ganz eindeutig ein Gastgeschenk sein wird und an seinem unsicheren Blick. Ich gehe auf ihn zu (Christian) und sage: „ Na, auch zum Essen verabredet?“. Lachen verbindet. Nun sind wir zu dritt, und auch dass Produktionsteam scheint bereits im Haus zu sein. Tatsächlich erfahren wir, dass die da drin (Team 2 und Team 3) noch nicht soweit sind. Es wird um Geduld gebeten. Kein Problem, Regen macht uns nichts aus, wir wollen nämlich ins Fernsehen. Außerdem fehlt ja noch der/die letzte Mitspieler(in). Drei Männer hoffen inständig auf einen weiblichen Koch. Und eine Gastgeberin. 3:2….ein ordentliches Verhältnis wäre das. Es ist inzwischen 18.30 Uhr und Diego betritt die Bühne des Perfekten Dinners. Unser vierter Gast am heutigen Tag. Nicht wirklich weiblich aber sehr unterhaltsam. Immerhin. Nun stehen wir zu viert draußen.

Und es ist keineswegs so, dass wir nun reingehen würden. Im Gegenteil: Team 2 kommt zu uns raus. Nun sollen die Ankunftssequenzen der einzelnen Hobbyköche gedreht werden. Jeder allein und aus unterschiedlichen Richtungen. Quasi ein Sternmarsch auf Adina´s Wohnung. Jeder muss im Schnitt dreimal die Strecke gehen, bevor die Ankunft abgedreht ist. Wird ja auch langsam dunkel…..und es regnet immer noch. Um kurz nach 19 Uhr haben wir es ins Treppenhaus geschafft. Nun geht es darum festzulegen, in welcher Reihenfolge wir bei unserer Gastgeberin Adina klingeln und wie wir einzeln das Wohnzimmer betreten, überrascht tun und uns gegenseitig vorstellen.

„Moment noch. Batterien beim Ton von Diego sind leer. Stop.“

So. Reihenfolge steht. Christian, Sven, Uwe, Diego. Kurze Zeit später befinden sich vier nasse Männer im Mulitfunktionsraum (Wohnzimmer, Esszimmer und Schlafzimmer) unserer heutigen Gastgeberin Adina. Dazu drei riesige Strahler, zwei Kamerateams und zwei Interviewer. Schön voll und sauheiss hier drin. Der Esstisch ist so groß wie mein Schreibtisch. Aber hübsch dekoriert. 350 kg Mann setzen sich sogleich auf ein Minisofa und dessen Armlehnen. Die Kameras laufen unerbittlich. Hier soll ich was sagen? Mir wird immer enger und heisser, dabei bin ich erst eine Minute auf diesem Sofa. Ich schwitze, und wenn das so weitergeht dann schwitze ich auch gleich für alle Kameras sichtbar. Boah Stress. Und Stress erzeugt Schweiss. Noch mehr Stress. Wie schnell man in 90 Sekunden seine Contenance verlieren kann……

Ein rettender Drink wird gereicht. Warum sagt keiner Prost? Es wird irgendwas gebrabbelt, ich nehme am Small-Talk zunächst nicht Teil und versuche mich zu stabilisieren. Und Prost. Na endlich. Alkohol, Du bist heute abend mein Freund. Ich will ja wirklich eine gute Figur machen, aber dafür muss ich mich entkrampfen. (Später werde ich herfahren, dass es meinen Mitspielern nicht anders ging)

Endlich. Ich habe mich im Griff. Meine Eloquenz feiert, gepaart mit einer Alk-Fahne, ihr Comeback. Kann losgehen. Es ist ja inzwischen auch schon 20.30 Uhr. Wie die Zeit vergeht. Wir werden zu Tisch gebeten. Aha, die Vorspeise. Sieht gut aus, was Adina da auf den Tisch bringt. Ist aber lauwarm. Merke: Bevor das Essen auf den Tisch kommt wird immer ein Dokumentations-Foto der dargebotenen Köstlichkeit gemacht. Erst dann wird gegessen. Wir werden uns wohl an „Nouvelle Cuisine featuring ITV“  in diesen Tagen gewöhnen müssen.

Mal ganz was anderes nebenbei: Würde ich meinen rechten Arm nach rechts komplett ausstrecken, könnte ich den Kameramann von Team 3 unter den Armen kitzeln. Guten Appetit.

Vor der Vorspeise hatten uns die Verantwortlichen von ITV noch darauf hingewiesen, dass wir uns interessante und unterhaltsame Gesprächsthemen gern für den Dreh am Ess-Tisch aufheben sollten (der immer wieder zu beobachtende Small Talk mit Infos zum amtierenden Hobbykoch). Machen wir. Also wird erneut gefragt: „Was genau essen wir da jetzt?“ „Wie bist Du drauf gekommen?“ „Du sag mal, wir haben das und das in dem und dem Zimmer gesehen. Was ist das und wo kommt das her?“ „Und wo sind Deine Kinder heute?“ „Was machst Du eigentlich beruflich?“ Es läuft für alle zufriedenstellend telegen.

Ganz ehrlich und frei von jeder Bewertung: Adina hat sich echt Mühe gegeben. Schmeckt voll lecker.

Vorspeise ade. Wir teilen uns in zwei Gruppen zu je zwei Hobbyköchen und besetzen zwei Zimmer. Die Türen werden geschlossen, denn die eine Gruppe soll ja auf keinen Fall hören was die andere sagt. Es beginnt nun zum ersten Mal die Besprechung einer zuvor verzehrten Speise. Redaktionstechnisch ist dafür Team 2 verantwortlich, während Team 3 den Koch auf Schritt und Tritt begleitet.  Christian und ich sitzen im Kinderzimmer und warten auf eben dieses Team 2. Team 2 hat sich allerdings entscheiden zunächst Sven und Diego zu interviewen.

Zwei fremde Männer sitzen in einem fremden Zimmer eines fremden Kindes in einer fremden Umgebung und warten auf´s Fernsehen. Und warten. Und warten. Und trinken. Und warten.

Kurz nach 22 Uhr sind wird dran. Viele Fragen, der Alkohol löst akzeptabel unsere Zungen und wir geben Antworten, die man an anderer Stelle als peinlich oder dumm dechiffrieren würde. Das ist aber meiner Meinung nach alles Kalkül der Produktionfirma .Es wird unendlich viel gedreht und das Originellste dann als „ach so spontan“ dem Fernsehzuschauer vermittelt. Unsinn. Im Verlauf dieser Woche wird sich jeder mindestens einmal um Kopf und Kragen reden. Die bange Frage am nächsten Tag ist dann immer: „Ob die das senden?“

Um 22.30 Uhr ist das erste Interview des Abends überstanden. Mein Magen meldet sich energisch zu Wort. Wann dürfen wir wohl mit der Hauptspeise rechnen? Es riecht nach Knoblauch. Lecker. (Memo an mich selber: Denke mal drüber nach Uwe, wann du wohl heute nach Hause kommst. Wir sind immer noch nach der Vorspeise und vor der Hauptpreise….Nachspeise….Punkte…Taxi….) 

Inzwischen hat sich die hungernde Männerrunde wieder am Esstisch versammelt. Gemeinsam sucht man den passenden Gesprächsinhalten zur Hauptspeise. Ein Büste von Adina´s Babybauch wird zum Thema, dazu die Tequila Flasche (Don Diego), welche Diego mitgebracht hat. Ok, Plan steht – Essen her. Ach nee, erst das Foto. Aber jetzt. Wie sich die Eindrücke gleichen: Voll lecker aber lauwarm. Wir haben verstanden.

Wenn die Kamera läuft gibt es inzwischen kein Halten mehr. Jeder erreicht 120 Prozent dessen, was für einen unterhaltsamen Abend mehr als ausreichend sein würde. Ich spreche darüber, dass Adina live besser aussieht als auf dem Foto. Boah, wie tiefgründig. Sven erweist sich als kamerafixierter Unterhalter, Gutmensch und Versteher. Diego als bunter, homosexueller Spassvogel mit Intellekt, Christian als Nerd mit Herz, Adina als echtes Weibchen und ich bin tatsächlich das langhaarige Wörterbuch mit 70er Jahre Flair. Gute Mischung. Kompliment an´s Casting. Gruppe gefällt mir. Die Rollen sind verteilt.

Und so plaudern und analysieren wir uns durch Mensch, Material und Speisen an diesem Abend. Wir verstehen uns tatsächlich gut (so gut, dass wir uns auch ein halbes Jahr später noch zum Essen treffen) und freuen uns auf die kommenden Tage.

Fazit: Ich habe keine Sekunde bereut, auch nicht, dass ich erst um 2.30 Uhr zuhause war…..immer noch mit Adrenalin am Anschlag……oder waren es Glückshormone?

Lesen Sie in Teil 3:  Verschleiss und sein Preis: Der Tag des Mett-Igels ist der ideale Tag zum Aussteigen


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