“Das Kapital bin ich” : Zu einem Essay von Hannes Grassegger (Kein & Aber, 2014)

In der spannenden Reihe Intelligent Leben von Kein & Aber erschien vor kurzem Hannes Grasseggers Essay “Das Kapital bin ich. Schluss mit der Digitalen Leibeigenschaft!”. Sechzig Seiten Polemik, zehn Seiten Zukunftsmusik und eine schwergewichtige Mittelalter-Metapher vereint der Ökonom zu einem Manifest gegen den Datenmissbrauch der quasi-monopolistischen Riesen Google, Facebook & Co. Etwas reisserisch, aber informativ und anregend. 

grassegger

Titel: Das Kapital bin ich
Autor: Hannes Grassegger
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5698-5
Umfang: broschiert, 80 Seiten

Zentrales Anliegen des Textes ist es einerseits, darauf aufmerksam zu machen, dass uns die Kontrolle über persönliche Daten längst entglitten ist, andererseits uns aufzufordern, diese Kontrolle zurückzugewinnen, ja sogar Geld damit zu machen.

Die Verlockungen des Netzes sind gross, sie versprechen schnelles Auffinden, Organisieren, Verwahren von Daten, einfache Pflege von Beziehungen, usw. Und vor allem: sie sind kostenlos. Facebook, Google, Twitter, LinkedIn, Youtube – keine dieser grossen Dienstleistungen verlangt Geld von ihren Benutzern. Grund genug, misstrauisch zu sein. Grassegger kommentiert sarkastisch:

“Seien wir ehrlich: Es ist eine neue Welt. So viel geschenkt bekamen wir noch nie. Und noch dazu von Fremden. Glauben Sie an den Nikolaus?”

Natürlich ist da ein Preis, den wir, wenn auch grossteils unbemerkt, bezahlen müssen. Grassegger nennt das die Digitale Leibeigenschaft. Wie es im Mittelalter als gegeben hingenommen wurde, dass Land einem Grundherrn gehört, wird heute etwa unhinterfragt akzeptiert, “dass Facebook die Plattform besitzt, auf der alle unsere Gedanken, Gefühle und Freundeskreise versammelt sind”. An die Stelle säbelbewehrter Ritter, die Territorien bewachen, sind heute die ominösen AGBs getreten, deren Ablehnung einem jegliche digitalen Zutritte verwehrt. Das müsse (und werde) sich ändern.

Auf sechzig Seiten beschreibt Grassegger in seinem Essay durchaus polemisch und bisweilen sehr dramatisierend, aber stets kenntnisreich und leicht verständlich Geschäftsmodelle, Strategien und Machenschaften insbesondere der Internet-Giganten Facebook und Google.  Das reicht von ökonomischen Darlegungen, etwa welche Intentionen die Giganten beim Kauf von noch vollkommen unprofitablen Unternehmen zu riesigen Summen (WhatsApp, Oculus) hegen, bis hin geradezu verschwörungstheoretischen Passagen, etwa zu Googles umstrittenem DNA-Service 23andMe oder im Vergleich der Firmen mit den Geheimdiensten.

Und immer dräut im Hintergrund diese These des Verlusts: “Wir gehören uns nicht mehr.”

Was also tun? Wie können wir uns selbst zurückgewinnen? Die Lösung sieht der Autor, wie er auf den letzten zehn Seiten beschreibt, in einer Zurückhaltung und Verschlüsselung unserer Informationen. Gegen Geld könnte man dann einer interessierten Firma den Schlüssel zur Verfügung stellen. Die Technologien für diese Idee stünden angeblich bereit. Grassegger glaubt, dass schon in wenigen Jahren, niemand mehr wird glauben können, dass wir unsere Daten so leichtfertig verschenkt haben. Er wirbt jetzt schon für das Gegenteil und hält heuchlerischen Aussagen der Internetriesen ein selbstschützendes Don’t share entgegen.  Weil wir anerkennen müssen, dass die heutige Welt  unwiderlegbar “aus Bits und Atomen” bestehe, bringe die Proklamation eines Rückzugs in die Analogie rein gar nichts; vielmehr gelte es, das riesige Kapital, das in uns selbst – in den Daten, die wir preisgeben – steckt, erkennen, kennen  und letztlich kontrollieren zu lernen.

Egal, ob man der gegebenen Situation wie Grassegger mit glühender Skepsis begegnet oder unbekümmerter damit umgeht: “Das Kapital bin ich” ist ein anregender, informativer Essay, der ein bestimmendes Paradigma unseres Alltags aufgreift und kritisch beleuchtet.
Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen, inwiefern der Trend tatsächlich in Richtung Verschlüsselung und totale Kontrolle über eigene Daten geht. Erste Personal Data Stores, die für User mit deren Daten handeln, gibt es bereits. Auch in diesem Modell geht es nicht ohne Zwischenhändler, es bleibt lediglich zu hoffen, dass diese nicht, wie Grassegger es Facebook & Co. vorwirft, auch “Seelenhändler” sind.


Weiterführend:

NZZ-Artikel von Hannes Grassegger zu verwandtem Thema: “Das Ende des Internets”

NZZ-Interview mit dem Autor über “Das Kapital bin ich”

Unsere Rezension zu einem anderen Bändchen aus der Reihe “Intelligent leben”


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